Dienstag, 6. September 2022

Thema verfehlt: Heißer Herbst 2022


Es erfüllt mich mit Sorge

  • dass so viele Ostdeutsche nach wie vor mit der Demokratie und unserer Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung fremdeln und
  • dass Die Linke und die AfD auffällig vermehrt übereinstimmende Positionen und Strategien entwickeln, ohne deshalb panisch-allergisch zu reagieren und
  • dass Forderungen an eine Obrigkeit erhoben werden, der damit in dümmlichster, vor-aufklärerischer Untertanen-Gläubigkeit die Macht und Kompetenz zugesprochen wird, diese Probleme zu bearbeiten und 
  • dass diese Forderungen erhoben werden, da es den Leuten an den Geldbeutel geht, nicht aber, wenn es um die mittelfristige Rettung einer für Menschen lebenswerten Umwelt geht. 

Wenn wirklich ein "heißer Herbst" mit flächendeckenden Protesten auf uns zu kommt, dann ist jetzt schon klar, dass da die falschen Leute ¹ mit falschen Mitteln ² aus falschen Grundhaltungen ³ falsche Forderungen stellen werden. 

Über die Forderungen der Rechten brauchen wir nicht zu reden, die sind eo ipso schwachsinnig. Von einer zeitgemäßen Linken müssen wir allerdings viel, viel mehr erwarten, als diese erbärmlich hilflose, pubertäre Dauerquengelei an der gewählten Regierung.

In Zeiten, in denen der US-Imperialismus ⁴ fröhliche Urständ hält, in denen die Konzerne wieder vollkommen ethikbefreit mörderische Profite aus kriegerischen Auseinandersetzungen ziehen und das Normalo-Volk von Vorne und Hinten belogen, betrogen und ausgebeutet wird - warum traut sich da die linke Opposition nicht, einen möglichst brutalen, d.h. flächendeckenden und unbegrenzten Konsum-Streik vorzuschlagen? Möglichst international, Proletarier aller Länder und so weiter. Warum streiken wir eigentlich nicht gegen den Ukraine-Krieg, gegen die Sprit-Preise, gegen die Übergewinne, gegen den Klimawandel, indem wir nichts mehr kaufen?

Nichts zu kaufen, jaja, gemeint ist natürlich: so wenig wie möglich zu kaufen, DAS träfe den Nerv der Macht-Haber. 

Aber das trauen wir uns selbst, trauen uns die Oppositionsführer längst nicht mehr zu. Wir haben keinen Arsch mehr in der Hose, stattdessen greinen wir nur herum, und wenn im Herbst die machtgeilen Arschlöcher von rechts und links uns einfache, bequeme Lösungen anbieten werden, nämlich einfach auf Regierenden rumzuhacken und unsere Verfassung in Frage zu stellen, dann werden wir zugreifen, weil das immer noch besser ist, als sich der Eigenverantwortung zu stellen und einzugestehen, dass wir es gar nicht so schlimm finden, von den Amis regiert und von den Konzernen sediert zu werden. 

Willkommen in der Matrix.  






¹ Linke und rechte Fundamentalisten, die, austauschbar, mehr an persönlichem Machtgewinn als an irgendwas anderem interessiert sind

² Es steckt hinter diesen Demos eine latente Gewaltdrohung. Die Organisatoren spielen permanent mit der Möglichkeit, aus einer als friedlich angekündigten Demo könne ein rasender Mob werden, der unsere demokratischen Institutionen zertrümmern will.

³ Es geht erwiesenermaßen nicht um die Energiepolitik. Es geht um den casus belli wider unser System der parlamentarischen Demokratie und der FDGO.

⁴ Hach, diesen Begriff hat man ja so ewig lange nicht mehr gehört. Aber mittlerweile, finde ich, wird er wieder so schamlos ausgelebt, da darf man ihn auch so benennen. 





Samstag, 3. September 2022

Berufliches Ideal: Quiet Quitters


Nur flüchtig hörte ich heute in eine nicht allzu gute Radio-Diskussionsrunde zum Thema berufliche Resignation, Dienst nach Vorschrift, quiet Quitters, innere Kündigung. Was mich berührte: Einer der Diskutierenden vermutet als eine Ursache die Erkenntnis, dass anfallende Arbeit wie ein Fluss sei, der am nächsten Morgen unverändert fließen würde, egal, wie viel am Vortage geschuftet worden war. ¹

Mich berührte das, weil ich mich darin wiedererkannte, sowohl in der Illusion, wenn man viel arbeite, würde die Arbeit irgendwann weniger als auch in der Ernüchterung bei der Feststellung, dass diese Annahme völlig falsch ist.

Eine Zeitlang habe ich mich mit der Auffassung selbstbetrogen, ich könne, wenn sich schon nicht die Flut der anfallenden Arbeit verringere, mit immer effizienteren Arbeits- und Ablaufprozessen mir Erleichterung verschaffen. Das hat aber nicht funktioniert, denn wenn jemand bemerkt, dass Du den jeweils letzten Schritt der Arbeitsverdichtung überlebst, wird Dir automatisch mehr aufgebürdet, so dass Du immer schön so gerade eben vor dem Zusammenbruch agierst. 

Was lernen wir daraus? Dienst nach Vorschrift und Innere Kündigung sind die einzig wirklich probaten Mittel im beruflichen Überlebenskampf. Schade, dass ich das 30 Jahre zu spät gemerkt habe.  

Bei überflüssigem Verwaltungsscheißkram funktioniert das quiet Quitten sowieso nur so halb, wie jede*r Prokrastinat*in bezeugen wird.


(1911 - verändert via wiki commons)




¹ Ein lieber Bekannter nannte vergleichend die Schnupfennase: Man glaubt, je mehr Sekret man absondere, je intensiver und öfter man das Taschentuch fülle, desto eher sei das Elend vorbei. Stimmt leider nicht. Es gibt keine Menge "x", nach der Du "fertig" bist mit Schnupfen. 






Mittwoch, 31. August 2022

Kluge Kinder

 

Huuh! Eine Studie im Auftrag des Chemie-Giganten Bayer hat ergeben, dass über ein Drittel der Jugendlichen kein Vertrauen in die Medien und ihre Informationsvermittlung hat. Das sei, so der Studienleiter, ganz schlimm, weil ... ja, und das Weitere habe ich nicht verstanden. 

Medien SIND manipulativ, das war schon immer so. Mit welcher Absicht ignoriert ein Studienansatz so eine Binsenweisheit? Es gibt keine neutrale Nachricht, denn bereits bei der Auswahl der für berichtenswert erachteten Themen findet Manipulation statt. Warum ist das Leiden in der Ukraine wichtig, das im Yemen aber nicht?

Was sich im Gegensatz zu früher vielleicht geändert hat, sind die exponentiellen Steigerungen in der Quantität, die Omni-Kanalität in der Vermittlung, die nahezu vollständig zeitgleiche globale Verfügbarkeit, die zunehmende Dominanz des Schnellficker-Bewegtbildes gegenüber den betulichen, analysierbaren Texten, vor allem aber die immer erbärmlicher werdende dumme Offensichtlichkeit und Durchschaubarkeit der Manipulationsversuche. 

Die vom Studienleiter konstruierte Hypothese, Jugendliche würden sich den Informationen verschließen, da sie ihnen Angst machten, ist völlig abwegig. Jugendliche stellen sich durchaus den Grausamkeiten, die die Erwachsenenwelt ständig produziert. Nach meiner Erfahrung registrieren Jugendliche aber auch sehr sensibel (wenngleich nicht immer bewusst), wenn Verlogenheit ins Spiel kommt, wenn sie ausgenutzt, betrogen und belogen werden.

Einwurf: Dass Jugendliche trotzdem immer noch leicht verführbar sind, steht außer Frage. Was erwarten wir denn? Zwölfjährige mit dem dreckigen Zynismus und dem paralysierenden Skeptizismus eines Sechzigjährigen?

Das Erstaunen der Studie erstaunt mich. Problematisch finde ich das Ergebnis überhaupt nicht. Ah, doch: Dass offenbar fast zwei Drittel der befragten Jugendlichen immer noch Vertrauen in die Medien haben, dagegen muss man dringend etwas tun!

Hier die Groblernziele:

  1. Traue niemandem. Zuverlässig sind Aussagen nur dann, wenn sie durch ein Experiment widerlegbar sind (= Def. naturwissenschaftlicher Aussage).
  2. Es gibt keine intentionsfreie Information, das beginnt bereits bei der Auswahl der Themen. Schon die Auswahl der Themen konstituiert gesellschaftliche Realität. Achte also auch darauf, welche Themen NICHT erwähnt werden.
  3. Prüfe, wer welches Interesse daran hat, dass Du eine bestimmte Information bekommst bzw. nicht bekommst. D.h.: Wer verdient dadurch letztlich Geld, wer gewinnt dadurch an persönlicher Macht? Meistens stehen am Ende der Kette krankhaft egomanische alte weiße Männer. Oder afrikanische Klanchefs. Oder stalinistische / kommunistische Nomenklatura. Oder arabische Potentaten. Oder fundamentalistische Theokraten of any colour and any kind. Oder ... 

Konzepte zum Unterricht in Medienkunde sind ja gerade wieder mal sehr en vogue. Dabei kann das so einfach sein.

Mein persönlicher Tipp zur informationellen Selbstermächtigung:

  1. Wenn Du erfahren willst, was wirklich los ist in der Welt, musst Du Informationen aus ganz vielen verschiedenen Ecken sammeln. Das heißt, lesen, lesen, lesen. Lass Dich nicht durch Bilder / Videos einlullen. Lies Texte, verdammt nochmal. Und dann musst Du - ja, Du allein - die Informationen in einen Zusammenhang bringen. Was hat Hunger mit CO₂ zu tun? Dazu brauchst Du Allgemeinbildung, und das heißt lernen, lernen, lernen. Es gibt keinen einfachen Weg, sry.





(via wiki commons)
Geht doch!






Dienstag, 30. August 2022

Unkontrolliert leben


Interessanter Aspekt im therapeutischen Gespräch: Ich stellte fest, es sei mir wichtig, die Dinge im Griff zu haben. Die Therapeutin paraphrasierte dies versuchsweise mit der Formulierung, ich wünschte Kontrolle über Dinge zu haben.

Dank dieser Nachfrage konnte ich ¹ herausfinden: Zumindest so viel haben meine jahrzehntelangen Übungen zur taoistischen Philosophie wenigstens bewirkt: Dass ich nicht mehr die Illusion hege, Dinge seien kontrollierbar. "Dinge im Griff haben" bedeutet für mich, fähig zu sein, tätig einzugreifen, durch eigenes Tun mehr oder weniger bescheidenen Einfluss auf den Lauf der Dinge ausüben zu können.

Ich erlaube mir die Metapher vom trägen Floß in reißendem Fluss voller Stromschnellen und Hindernisse. Idiotisch das Ansinnen, die Fahrt vorab en detail zu kalkulieren und zu planen. Idiotisch auch der Traum, ein Floß so hochenergetisch zu motorisieren, dass es in so einer Situation nach Belieben zu manövrieren wäre. Diese Arten von Kontrolle stehen nicht zur Verfügung und werden von mir auch nicht angestrebt. 

Was ich aber wünschte, wäre irgendein Ruder ², irgendein Paddel oder Stab, mit dem ich wenigstens ein bisschen in meinem Sinne tätig sein könnte. Müsste ich in dieser Floß-und-Fluss-Situation passiv bleiben, fänd' ich's richtig scheiße.  

Das ist der Unterschied zwischen "Kontrolle haben" und "Dinge im Griff haben".


(stark verändert via wiki commons)




¹ zunächst spontan, im Nachgang dann viel bewusster und präziser 

² Ja, es müsste in diesem Zusammenhang "Riemen" heißen. Ich weiß. 




Samstag, 27. August 2022

Was, zum Geier, wählen?


Die Plakate zu den niedersächsischen Landtagswahlen sind mal wieder ausnahmslos von maximalem Verblödungsgrad und die schlimmst-denkbare Beleidigung des Intellekts der Wähler*innen, die in einer Demokratie ja immerhin höchster staatlicher Souverän sind.

Und nachdem die Linke sich so erfolgreich und restlos selbst zerfleischt hat, dass nicht einmal erahnbar ist, was (und ob überhaupt) da dereinst noch auferstanden aus Ruinen auf uns zu kommen wird und nachdem die Grünen mir nichts, dir nichts restlos und mit atemberaubender Leichtigkeit alle (!) ihre Grundsatz-Themen verraten und verleugnet haben, stehe ich, ehrlich gesagt, ganz schön doof da. Die SPD und CDU sind inhaltlich molluskenhaft und praktisch ununterscheidbar, die FDP so speichelleckerisch konzern-devot, dass es uns wirklich unangenehm berührt. Und alle Anderen ... gute Güte, was für ein sinnbefreiter und teilweise gemeingefährlicher Schwachsinn.

Was, zum Geier, soll ich denn jetzt wählen? In den letzten 30, 40 Jahren habe ich nie eine Partei wählen können, die ich gut fand, denn die gab's nicht. Also habe ich immer die am wenigsten brechreizerregende Partei gewählt. Diesmal sollte ich unbedingt die Kotztüte mit in die Wahlkabine nehmen, denn wasimmer ich ankreuze, es wird mir grottenübel werden. 

Könnt Ihr Mädels und Jungs und Diverse aller Parteien bitte nochmal ganz zügig nacharbeiten? Ich suche eine Partei, die

  • glaubhaft, schnell und nachhaltig gegen alle Widerstände dafür eintritt, dass die Reichen nicht immer reicher werden, während die Armen immer ärmer werden,
  • glaubhaft, schnell und nachhaltig gegen alle Widerstände unser Wirtschaftssystem dahingehend umbaut, dass nicht weiter Profite privatisiert und Kosten sozialisiert werden,
  • innen- und außenpolitisch unsere Verfassung bzw. die FDGO zur absoluten, diktatorischen, unhintergehbaren Handlungsgrundlage macht, insbesondere bei den Themen Menschenrechte, Frieden und Schutz einer für Menschen lebenswerten Umwelt.

Das kann doch nicht so schwierig sein, oder? Und sagt nicht, das seien aber ziemlich allgemeine Forderungen! Dann schaut Euch doch bitte mal den hanebüchenen Unsinn auf Euren Plakaten an!

 


(stark verändert via wiki commons)






Donnerstag, 25. August 2022

Fliegen lassen

 

Was ich rechts der Weser so ulkig finde, ist, wie aufgeräumt die Landschaft dort ist: Links die Weser, dann kommen Felder (hier noch ein Zippel von Harriersand), dann kommt immer mehr Wald (mit der "Auffanglinie" A27). Und so geht das von Bremen bis Bremerhaven.


Navigatorisch kanntze hier komplett abschalten ...


... und die Landschaft genießen.


Jaaa, ich geb's zu, manchmal denke ich bei solchen Bildern "Ah, so sähe das aus der Perspektive eines angreifenden Tieffliegers aus ..." Nein, ich habe keine Ahnung, wie derartige Phantasien in meinen Kopf kommen.



Und eigentlich fliege ich nicht gerne über Wasser. Gerade eben habe ich den Spruch gehört "Water takes no prisoners!" Das bedeutet: Bei einem technischen Ausfall über Land kann der versierte Low&slow-Flieger sich auf irgendeiner Wiese runterwurschteln, oft sogar wiederstartfähig. Eine Landung auf Wasser - puuh, da haste erstmal ganz andere Probleme. 



Ulkig: Gestern hatte mein Flugzeug Lust, etwas höher zu fliegen, eher 300 m statt der üblichen 200. Mir war's wurscht, drum habe ich mich da nicht eingemischt. Es gilt als Anfängerfehler und unfein, sein Flugzeug allzusehr beim Fliegen zu stören.  







Reminiscentia senilis


Lese gerade mit enormem Gewinn Neitzels "Deutsche Krieger". Ich verkneife mir das in derlei Zusammenhängen gern gewählte dümmlich-apodiktische Schlagwort von der "Pflichtlektüre", aber Neitzels Text ist Pflichtlektüre.

Völlig perplex bin ich von den Analysen zur Lage der Bundeswehr Anfang der 80er bis zum Ende des Ersten Kalten Krieges. Das war die Zeit, in der ich als Wehrpflichtiger Teil der Maschine war, und mich beschäftigen besonders folgende Aspekte:

1.) Es ist ein völlig doofes Gefühl, wenn Sachen, die Du selbst mitgemacht hast, plötzlich mit dem textuellen Habitus einer historischen Untersuchung aufgearbeitet werden. Ich fühle mich so ... alt.

2.) Neitzel erfasst die Widersprüchlichkeiten der Bundeswehr jener Zeit ganz vortrefflich. Ist die Bundeswehr für den Frieden oder für den Krieg da? Sind Soldaten also Killer oder Beamte? Kann die BRD gegen die "russische Walze" verteidigt werden, so dass hinterher etwas übrig bleibt, was den Aufwand gelohnt hat? Falls ja: Dann kann "der Russe" als Gegner aber nicht so stark sein, wie immer gesagt wurde. Falls nein: Was ist dann mit meinem Soldateneid? Darf ich dann überhaupt noch kämpfen, da ich doch schwor, mein Vaterland zu schützen? Angeblich wollen unsere Verbündeten uns helfen, uns gegen die Russen zu verteidigen, aber der Krieg bliebe niemals konventionell, und die französischen Atomwaffen reichten sowieso nur auf das Gebiet der BRD. Nennt mir plausible Gründe dafür, dass wir mehr sind, als das Bauernopfer für unsere "Alliierten"!

Als 18-/19-jähriger konnte ich diese Vorbehalte nur teilweise konkret ausformulieren, aber da war immer das Gefühl, irgendwas stimme nicht mit dem, was man uns erzählte. Allerdings war ich damals auch noch so naiv anzunehmen, man könne uns ja wohl nicht so grundsätzlich belügen und betrügen. Ich habe, ernsthaft, nach MEINEM Denkfehler gesucht, da ich ganz bescheiden davon ausging, Leute, die tausendmal mehr Ahnung von der Sache hätten als ich, würden so einen Schwachsinn nicht zulassen oder sie würden von anderen Leuten, die auch Ahnung hätten, diskursiv richtig was auf's Maul kriegen.

Heute bin ich weniger naiv, dafür ist mein Entsetzen, wie viel Lug & Betrug unsere Machthaber sich leisten können, um so größer.

3.) Sehr deutlich und interessant beschreibt Neitzel, welche Konsequenzen dieser völlig widersprüchliche, verquarste, kontra-logische Auftrag, besser: diese Gemengelage aus ganz vielen, einander widersprechenden Aufträgen und Erwartungshaltungen auf die Führungsebene der Bundeswehr hatte. Vom Unteroffizier aufwärts war klar: Wenn Du sowieso die ganzen Widersprüchlichkeiten in Deiner Auftragslage nicht auffangen und in eine sinnbringende Struktur überführen kannst, dann musst Du eben selbst entscheiden, welche Punkte Du wichtig findest, und an denen arbeitest Du. Den Rest ignorierst Du und versuchst irgendwie durchzukommen. Neitzel prägt dafür den Begriff "selektiver Gehorsam".

Dafür könnte ich ihn knudeln und liebkosen, denn was die Bundeswehr in den 1980ern durchmachen musste, ist in der staatlichen Schule heute immer noch Alltag: Von der Feigheit oder Unfähigkeit der demokratischen Gesellschaft, einen widerspruchsfreien Auftrag an Schule zu formulieren bis hin zur Resignation der Lehrer*innen, die, wenn sie zu den Guten gehören, auch nur noch mittels selektivem Un-/Gehorsam reagieren können. Wir nannten das dann bisher allerdings "Guerilla-Pädagogik", doch der Stolz und das Ansinnen, in einem als durch & durch schwachsinnig strukturierten und organisierten erkannten System seine Pflicht darin zu entdecken, im verdeckten Einzelkampf als Partisan gegen die Obrigkeit das Bestmögliche für die anvertrauten Menschen (hier: Schüler*innen) herauszuholen, ist absolut vergleichbar.

Der gute Sun-tzi hat in der "Kunst des Krieges" vor 2.500 Jahren gesagt, man dürfe von einer Armee alles fordern, Anstrengung, Gefahr, auch die bewusste Aufopferung zum Wohle des Vaterlandes usw., was man aber auf keinen Fall tun dürfe, sei, eine Armee vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. 

Wollen wir diese Textstelle nochmal gemeinsam lesen? Schlagt mal das Buch auf, Seite ...



(verändert via wiki commons)








Dienstag, 23. August 2022

Wer braucht "Gen Z"?


Eine Zeit lang habe ich, der Boomer, mich ernsthaft bemüht, die kulturellen Unterschiede zu verstehen, die es zwischen den sogenannten Millenials (Jahrgang 1981 - 1995) und der Gen Z (1996 - 2012) gibt bzw. geben soll. Dann war ich sicher, dass diese Klassifikation reine Konstruktion ist und im Ansatz etwa so klug wie die Frage, wann Blau nicht mehr Blau, sondern Türkis ist und wie grün Türkis sein darf, um noch Türkis und noch nicht Grün zu sein. 

Wir reden also (nur) über ontologische Setzungen, und mich interessiert, wem es etwas nützt, wenn derartige Klassifizierungen eingeführt werden. ¹

Bei der Frage nach Nutzen müssen wir, da wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, nach dem Geld fragen. Wer erwirtschaftet noch höhere Profite, wenn wir uns einreden lassen, es gäbe die Unterteilung in Boomer, Gen X, Millenials, Gen Z etc. tatsächlich? 

Antwort: Marketing-Konzerne. 

Seit den späten 1960ern klagen die Marketing-Fuzzies darüber, dass ihnen die Zielgruppen auseinanderbröseln. Davor war es einfach: Wenn man "den Bürger", vielleicht noch differenziert nach Klein, Mittelschicht und Groß, einmal identifiziert hatte, konnte man sämtliche (!)  Konsumgewohnheiten mit großer Erfolgschance prognostizieren. Der Konformitätszwang war wirksam genug. Ende der 60er änderte sich das: Der Spießer wurde keck, trug vielleicht tagsüber weiterhin ihre/seine Spießerklamotten, wurde, zunächst in seiner Freizeit und dann überhaupt, flexibler. Ein klitzebisschen "Anything goes" schwappte ins Gelsenkirchener Barock. ³ Komplexere Herausforderungen und also höherer Aufwand für die Verkaufsförderung. 

Merke: Das Konsum-Verhalten möglichst großer Gruppen deskriptiv und gerne auch normativ zu bestimmen, erhöht den Profit, (selbst-)bewusste, rationale, individuelle Kundenentscheidungen schmälern ihn.  


 

(verändert via wiki commons)




¹ Darf ich mir und uns, bitte, die Diskussion um die inhaltliche Logik derartiger Klassifikationen ersparen? Nein? Ok, dann erklärt mir eben, ob die Einteilung auch in Eritrea, Somalia, im Yemen und in Aserbaidschan zutreffen? Falls nicht: Wo sind die Grenzen? Und wer legt das fest? ²

² Das ist übrigens auch eine spannende Frage bei der Blau-Türkis-Grün-Frage: Wer ist eigentlich so kacken-dummdreist, in dieser Frage zu glauben, entscheiden zu dürfen und zu müssen? Was stimmt mit diesen Menschen nicht? 

³ Die Veränderung, der Übergang wurde hübsch deutlich z.B. in der genialen Fernseh-Serie "Ein Herz und eine Seele" (s. Abb.) dargestellt.






Sonntag, 21. August 2022

Plausibilitätsprüfung

 

Wenn ich einen Text auch nach sorgfältiger Lektüre nicht verstehe, formuliere ich auf's Geratewohl  Interpretationen und prüfe sie auf Plausibilität. Was unplausibel ist, fliegt raus, und was übrig bleibt, muss folglich der wahre, klare, logische Kern der Sache sein. Ich erlaube mir dies am Beispiel "Warum Deutschland im Indopazifik Flagge zeigt" zu demonstrieren.

These 1: Unsere Demokratie wird auch im Indopazifik verteidigt. 
Klar, wenn unsere Demokratie schon am Hindukush verteidigt wurde und das bekanntermaßen so großartig geklappt hat, dann sollten wir uns dringend weitere militärische Feinde irgendwo auf der Welt suchen. Der Indopazifik ist geographisch maximal von uns entfernt. Nächstlogischer Schritt wäre, Schulen und Brunnen auf dem Mars zu bauen. Nein, diese Interpretationshypothese ist Quatsch.

These 2: Der Schulterschluss, das Schutz- und Trutzbündnis mit Australien und Japan verpflichten uns.
Ja, äh, nein, Australien und Japan sind sogenannte "Major non-NATO-allies", d.h. sie sind wichtig, aber nicht in der NATO oder sonstwie mit uns verbandelt. Das "NA" in "NATO" steht ja auch für "Nord-Atlantik". Wir haben nichts mit denen, außer, dass wir alle gemeinsam auf Gedeih und Verderb von den U.S. of A. abhängig sind. Aber das ist in diesem Artikel nicht gemeint, glaube ich. 

These 3: Australien und Japan sind technologisch auf doitsche Ingenieurskunst, auf unsere Eurofighter angewiesen.
Erstens: Können wir bitte endlich mal eingestehen, dass der Eurofighter genau so eine doitsche Erfindung ist, wie Crêpes, Crème Brûlée, Camembert, Ratatouille, Bordeaux-Wein, Croissants und Baguettes? Um doitsche (und britische) Eitelkeiten zu befriedigen, haben die Franzosen darauf verzichtet, es weiterhin Dassault Rafale zu nennen.  
Zweitens: Wenn der "doitsche" Eurofighter so ein toller Klopper ist, warum müssen wir dann eigentlich die alten amerikanischen F-35 kaufen? Das ist alles nicht schlüssig.

These 4: Die Chinesen erzittern vor der Bedrohung, in einen militärischen Konflikt mit der hochgerüsteten BRD einzutreten. Sie werden es sich zweimal überlegen, sich mit uns anzulegen.
Ja, nee, is' klar. Wenn die Chinesen nicht mehr unsere Autos (und anderes Geraffel) kauften, wären wir am Ende. Aber schlagartig und sowas von! 

These 5: Die Bundeswehr ist nichts weiter als das Schaufenster doitscher und europäischer Rüstungskonzerne. Und da demnächst ein paar umfängliche und einträgliche militärische Konflikte in der Region zu erwarten sind, kann man ja schon mal mit dem Schaulaufen beginnen. Die richtig reichen Tiger-Staaten versprechen höchste Profite.
Ja, das ist eine, die einzige plausible Erklärung, warum die Bundeswehr sich plötzlich auf der anderen Seite des Globus' engagieren muss. JETZT habe ich verstanden, worum es geht.

Gehe ich recht in der Annahme, dass die Kosten wieder mal von der Gemeinschaft getragen, die Profite aber von den Konzernen eingestrichen werden? Ja, klar, was für 'ne blöde Frage. Entschuldigung.




(via wiki commons)
Also nochmal: Das ist NICHT der Eurofighter.
Das ist die Dassault Rafale.
Der Unterschied ist, dass sie etwas eleganter aussieht.


(via wiki commons)
Klar soweit?








Samstag, 20. August 2022

Opa erzählt: Fliege-Abenteuer

Ich kürze die Geschichte ab: Neulich beim Start hörte ich einen anderen Flieger einen Waldbrand in der Nähe unseres Platzes melden. Auf Nachfrage der Flugleitung waren die Mitteilungen aber nicht ganz klar, und so erbot ich mich, hinzufliegen und nachzuschauen. 

Ich fand:

(Abb. 1)

Das nächste Problem war, der Feuerwehr den Ort zu melden. Die Angabe "Feuer in einem Wald knapp zwei Meilen nördlich des Platzes" war für die Lebensretter verständlicherweise nicht gut genug, die wollten gerne genau wissen, welcher Wald an welcher Straße u.v.a.m. Und wir konnten diese Informationen beim besten Willen nicht liefern. 

Leider spielt sowas in der Fliegerei absolut keine Rolle, wie auch mir schmerzlich bewusst wurde: Wir fliegen nach Karten im Maßstab 1:500.000, d.h. 1 cm repräsentiert 5 km, und wir finden das völlig hinreichend präzise. Wenn wir über Funk unsere Position durchgeben, dann oft im Schema "D-MSGO, fünf Minuten östlich des Platzes..." und wir pfeifen darauf, dass es einen Unterschied macht, ob man mit 70 oder mit 370 km/h unterwegs ist. Wir sagen NICHT "D-MSGO, ich bin jetzt genau über IKEA." oder so. Wenn ich von Oldenburg nach Norden fliege, dann habe ich die Lagertürme von Brake und Oldenburg im Blick, alsbald die Weser und den Jadebusen. Wie das Dorf unter mir heißt, weiß ich in vier von fünf Fällen nicht, und, ehrlich, es interessiert mich auch nicht.

Diese außerordentlich spannende komplette Inkompatibilität bei der Konstruktion von Wirklichkeit habe ich schon in dem Beitrag vor drei Tagen angetickt, Stichwort Autobahnkreuz.

Wenn es um einen entstehenden Waldbrand geht, muss die Sprachphilosophie aber einfach mal zurückstehen, wir hatten ein echtes Problem, und zwar ein sich schnell vergrößerndes (s. Abb. 2).


(Abb. 2)
(Spoiler: In der Bildmitte auf dem Weg die Fahrzeuge von Feuerwehr und Polizei, das Abenteuer ging [natürlich] gut aus.)

Naheliegende Idee: Der Flugleiter in Hatten teilte den Einsatzkräften der Feuerwehr mit, ich würde über der Brandstelle kreisen, um ihnen so die Lokalisierung zu erleichtern bzw. zu ermöglichen. Und was ist besser geeignet, tief und langsam mit minimalem Radius und maximaler Ausdauer in 150 bis 200 m Höhe um einen Punkt am Boden zu kreisen, als mein 120-kg-Trike?(Abb. 3)¹


(Abb. 3)
... sogar die Farbe ist feuerwehr-mäßig.
Ernsthaft: Es fühlt sich gut an, wenn man mit seinem Hobby
was gesellschaftlich Sinnvolles beitragen kann. 


Ich bin dann weitergeflogen. Die entspannte Handhaltung mit elegant abgespreiztem kleinen Finger verweist darauf, wie ruhig die Luft war.






¹ ... insbesondere, wenn direkt nach dem Start der Sprittank ganz voll und die Pilotenblase ganz leer ist.