Situation: Innerstädtische Straße, zweispurig, weiter vorne eine Ampel, davor auf der rechten Spur aber ein Unfall, folglich Stau auf beiden Spuren. Ich stehe glücklicherweise auf der linken Spur, und so obliegt es mir, vor der Unfallstelle im Sinne des Reißverschlussprinzips einy Verkehrsteilnehmery von der rechten Spur vor mir einscheren zu lassen, wie es alle anderen Fahrerys vor mir auch gemacht haben.
Indem dies geschieht, versucht der Fahrer eines Kleintransporters, sich zusätzlich noch vor mir reinzudrängeln, was ich unterbinde, indem ich die winzige Lücke dichtmache. Herr Kleintransporter müsste mich nun rammen, um sich vorzudrängeln. Sein Beifahrer und er gestikulieren wild und wütend, auch Mittelfinger werden erhoben.
Da die Ampel ohnehin auf Rot gesprungen ist und ich reichlich empört ob dieser dummen, egoistischen Drängelei bin, lasse ich die rechte Seitenscheibe runter, den Fahrer zur Rede zu stellen. Bevor ich aber zu Wort komme, schreit der
Fahrer: "Ey da vorn is'n Unfall! Siehst Du das denn nicht?!".
Ich: "Doch, das sehe ich. Haben Sie schon mal was vom 'Reißverschlussverfahren' gehört?"
Beifahrer: "Damit hältst Du nur den ganzen Verkehr auf!"
Ich: "Nee, das ist die einzig sinnvolle Art, sowas für alle elegant und schnell zu lösen."
Fahrer: "Du hältst damit nur den ganzen Verkehr auf. Das ist *blöd¹ für alle!"
Damit hielt ich den Dialog für beendet, schloss das Seitenfenster, und die Ampel sprang dann auch bald auf "grün".
Eine ganz alltägliche Standardsituation, oder?
Nicht ganz.
Im Nachgang fiel mir auf, dass die "Argumentations"-Strategie der Gegenseite hochaktuell war. Es war das trump'sche "Flood the zone with shit!"
Ich bin fest überzeugt, dass das Reißverschlussverfahren flächendeckend bekannt ist, zumal es von der StVO verbindlich vorgeschrieben wird, und ich habe bisher auch noch keine belastbare Aussage gefunden, die die Sinnhaftigkeit dieses Verfahrens bei der möglichst reibungslosen Stau-Abwicklung in Frage stellt.
Dem vernunftgemäßen, logischen und solidarischen Denken stellen die Insassen des Kleintransporters auch kein vernunftbasiertes Argument entgegen, sondern nur eine völlig hirnrissige Behauptung. Und durch die stumpfe Wiederholung der Behauptung zerstören sie jeden Ansatz eines Diskurses nach dem Schema Rede - Gegenrede.
Früher sagte man "Diskutiere nicht mit Idioten. Sie ziehen sich auf ihr Niveau und schlagen Dich dort durch Erfahrung." Hier haben wir etwas noch Perfideres. Man ballert einfach Aussagen raus, von denen alle Beteiligten wissen, dass sie falsch und hanebüchen dumm sind. Mehr noch: Dy Sprechy weiß, dass ich weiß, dass sier weiß, dass das falsch und hanebüchen dumm ist.
Die Gefahr ist: Die offenbarte Dummheit ist kein Grund mehr, sich zu schämen. Die offensichtliche Lüge ist auch kein Grund mehr, sich zu schämen. Das ist für mich gefährlich, weil bisher die offenbarte Dummheit und die offensichtlich gewordene Lüge bedeuteten, dass das Gegenüber syren Standpunkt nicht länger durchhalten konnte.
Das ist meine kleinkindliche Sandkisten-Ethik, und dabei bleibe ich auch. Problem: Die Klotzköpfe von heute interessiert's nicht mehr. In der Folge werden also nicht mehr Vernunft, Logik und Wahrhaftigkeit das Ergebnis eines Diskurses bestimmen, sondern brutale Klotzköpfigkeit.
Und wieder sage ich: Meine Angst vor dem Autoritarismus, vor Nazis und ihren Diktaturen, vor Fundamentalistys of any colour and any kind, ist nicht die Angst vor Trump, Orban, Putin, Hitler, Netanjahu, bla, bla, bla, sondern vor den dummen, gemeinen, klotzköpfigen Menschen, die zwar so erbärmlich dumm und gemein sind, aber im Gefolge der Großen zu Macht kommen, auch zu Macht über Dich und mich.
Sie üben die Macht aus, die wir ihren Herren gegeben haben.
¹ Das Wort habe ich nicht genau verstanden. Könnte auch "doof", "bescheuert" o.ä. gewesen sein.