Samstag, 16. Juli 2022

Die Zukunft der Zukunft ist schon da.


Freudige Erregung! Im aktuellen Heft der "Max Planck Forschung" 02/2022 wird der nächste Schritt der Digitalisierung von Schule vorgestellt, das "Maschinelle Lehren". Die Einzelheiten findet man hier, Seite 69 ff, an dieser Stelle nur so viel: Maschinelles LeRNen ist ja ein alter Hut. Man setzt Schüler*innen vor einen Monitor, und er*sie kann sich mehr oder weniger interaktiv durch Lernstoff klicken. Maschinelles LeHRen hingegen bedeutet, dass die*der Schüler*in dabei je individuell von einer pädagogisch wertvollen, freundlichen KI begleitet wird, die Erfolge belohnt und weiter einübt und bei Nicht-Erfolg Tipps, Tricks, Anregungen, algorithmisch reduzierte Teilaufgaben, Erinnerungshilfen und automatisch erstellte Arbeitsblätter nach individuellem Bedarf entwickelt und bereitstellt. 

Die menschliche Lehrperson, so wird mehrfach versichert, soll dadurch natürlich nicht ersetzt werden, sondern gewinnt Freiräume, um sich in einem hoch-differenzierten Fachunterricht einzelner Schüler*innen besonders individuell anzunehmen.¹ Sogar der alte Meidinger, der Vorsitzende des doitschen Lehrerverbandes, sieht darin viele großartige Chancen und Möglichkeiten und fragt nur fast beiläufig und ohne konstruktiven Anteil, wie die resultierende Leistungsspreizung am Ende einer so gestalteten Lernkarriere zu händeln ist.    

Man braucht nicht viel Zynismus und nur ganz wenig Erfahrung in Sachen Schulunterricht, um zu prognostizieren:

  1. Das System wird zwangsläufig kommen, denn privatwirtschaftliche Unternehmen werden damit eine Mörderkohle verdienen.
  2. Lehrer*innen werden natürlich überflüssig, jedenfalls in ihrer pädagogischen Rolle. Benötigt werden thumbe System-Hausmeister*innen, die bei niederwertigen technischen Problemen helfen und Verwaltungslakaien, die Leistungsverweigerer zwecks weiterer Veranlassung an die Obrigkeit melden. 
  3. Schüler*innen werden ihre Schulstunden, -tage und -jahre vor Monitoren in multimedialer Interaktion mit ihren Robot-Lehr-Apps (nicht zwingend in der Schule, gerne auch zu Hause oder woauchimmer) zu hirntoten Knöpfchen-Drückern² dressiert. 

Von einem bestimmten rückwärtsgewandten, links-humanistisch-aufklärerischen Standpunkt aus könnte man diese Punkte natürlich negativ konnotieren. Manche Leute haben immer was zu meckern, wenn sie "Fortschritt" oder "Profit" hören. 

Da ich ein durch & durch schlechter Mensch bin, befiel mich bei der Lektüre dieses Artikels eine fröhlich sprudelnde klammheimliche Freude:

Zu viele Dummbratzen schreien gerade öffentlich orgasmisch nach immer mehr unevaluierter, d.h.  besinnungsloser Digitalisierung von Schulunterricht. Zu verächtlich, zu dümmlich-arrogant ist ihr Umgang mit jeder Form von Zweifel, mit jeder kritischen Nachfrage. Zu unreflektiert, zu unintelligent, zu billig ihr Gleichsatz von "Digitalisierung" mit "jung, modern, hip, cool, progressiv", ihr zum Fremdschämen peinlicher Distinktionsversuch via Digital-Affinität. Zu ulkig wird der Moment ihrer Erleuchtung, wenn sie bemerken, dass längst hoffnungslos veraltet und überholt ist, was sie jetzt noch als letzten, den allerneuesten heißen Scheiß feiern. 

Ihr tut mir nur ein ganz kleines Bisschen leid, Dummbratzen, aber in fünf, spätestens sieben Jahren werdet Ihr beruflich und berufs-ethisch so dermaßen auf die Fresse kriegen - und zwar von genau den Konzernen, die Ihr jetzt gerade mit einer unfassbaren Naivität pampert und vergöttert.

Aber mit einer so pessimistischen Aussicht will ich nicht schließen. Blicken wir NOCH weiter in die Zukunft. Wie wird unser Schulsystem dann aussehen?

Jede Schüler*in wird so viel wie möglich mit ihr-*seinem KI-Bot herumhängen. Vielleicht wird daraus eine lebenslange Partnerschaft, denn zu lernen gibt es ja immer jede Menge, und warum sollte die KI gegen eine entsprechende Abo-Gebühr nicht auch das Modul "Wie mache ich eine Lohnsteuer-Erklärung" bereithalten? Vielleicht brauchen wir dann auch keine menschlichen Partner*innen mehr, die Geburtenrate sinkt, die Überbevölkerung schwindet, die Klimakatastrophe kann abgesagt werden, Friede, Freude, Eierkuchen.

Ernsthaft: Wenn die Dinge gut laufen, wird mensch irgendwann merken, dass das, was KIen an Wissen vermitteln können, nicht das ist, was für uns Menschen wirklich relevant ist. Ich meine, wir mussten bzw. müssen ja auch lernen, dass sämtliche Dinge, die man mit einem Preisschild versehen kann, nicht wirklich wertvoll sind. 

Vielleicht werden wir eines Tages wirklich schlau.




(verändert via wiki commons via apfelfront)




¹ Warum die menschliche Lehrperson sich überhaupt noch individuell um Schüler*innen kümmern soll, wo doch gerade diese Spezial-Fähigkeit von der KI übernommen werden soll, diesen Widerspruch löst der Artikel leider nicht auf. 

² Ich verzichte hier bewusst auf sprachlichen Ausdruck generischer Vielfältigkeit. Die Produkte eines derartigen Systems werden nicht bunt und vielfältig und individuell sein. Das ist mal sicher.







Dienstag, 12. Juli 2022

Mittelmaß ist Optimum

 

Zwar neige ich dem aufklärerischen Selber-Denken zu, doch hilft mir die medizinal-obrigkeitliche Zertifizierung meiner Depression als solcher, da ich nunmehr aufhören kann, mir ob meiner schwiemeligen, diffusen und molluskenhafte Macke die üblichen Anwürfe des Spießertums selbst anzutun.    

Gleichwohl denke ich natürlich über Ursachen nach, recherchiere und rede mit Leuten. Bei Letzterem fällt auf, wie viele Menschen, wenn das Gespräch in die Richtung trudelt, sagen, dass sie diese Gefühle des Ausgebranntseins bis hin zu einer - je nach Schwere mehr oder weniger ausgeprägten - Handlungsunfähigkeit in bestimmten Bereichen des Alltags verspüren bzw. regelmäßig selbst erleben. Die Zahlen nehmen zu, auch unabhängig von Corona, und ich frage mich, warum. 

Sind wir alle Weicheier geworden? Haben nicht auch schon Veteranen des Weltkrieges Numero 2 moniert, dass selbst nach sechs Jahren an der Front so eine neumodische Pseudo-Krankheit wie PTBS bei ihnen nicht vorkam, während die heutigen BW-Schwuchteln damit schon nach einem Vierteljahr aus Afghanistan nach Hause kamen? Gibt es eine allgemeine, ungute Tendenz zu "unkonkreten Krankheiten" ¹ ?

In puncto Depression geht die Fachwissenschaft eher von einem Nachweis-Effekt aus: Früher war die Krankheit weniger bekannt und wurde folglich seltener diagnostiziert, meistens wurden dafür andere, falsche, Diagnosen vorgeschoben. Einen ähnlichen Effekt kennt man bei Krebserkrankungen. 

Mir ist in den oben erwähnten Gesprächen ein Punkt aufgefallen, den ich hier als Hypothese formuliere und weiterer Beobachtung für würdig erachte: Unter Depressionen ²  leiden vor allem Menschen, die sich Mühe geben bzw. gegeben haben, Menschen, die alles gut und richtig machen wollen bzw. wollten, Menschen, die sich für Aufgaben mit voller Kraft, mit ganzem Herzen, mit aller Seele einsetzen bzw. eingesetzt haben. 

Ist es möglich, so fragt meine Hypothese, dass die Zahl der Depressiven mit der Durchsetzung der Forderung korreliert, wir müssten sowohl im Job als auch in der Kindererziehung als auch bei klima-, gesundheits- und sozialverantwortlichen Konsumentscheidungen als auch bei Liebe, Sex, Zärtlichkeit und Gendergerechtigkeit als auch bei allem Anderen entweder mit maximalem geistigen, körperlichen und spirituellen Totaleinsatz, mit nicht unter 110 % zur Sache gehen oder sollten es lieber gleich lassen?

Müssen wir vielleicht wieder lernen, dass man einen Job ³ nur dann dauerhaft, neudeutsch: nachhaltig, durchhält, wenn man ihn mittelmäßig erledigt, statt die Selbstanforderungen sukzessive und ad infinitum zu steigern?

Stopp! Bei dem Schlagwort "Mittelmaß" sollten wir kurz verharren. Geht es Ihnen, geneigte Leser*in, vielleicht auch so, dass "Mittelmaß" negativ konnotiert ist? Wenn jemand eine "nur mittelmäßige" Leistung abliefert, ist das schlecht, oder? Vorschlag: Wir setzen "Mittelmaß" wieder da hin, wo es sprach-logisch hingehört, nämlich an den höchstmöglichen Punkt einer Normalverteilungskurve. Und wir definieren: Mittelmaß ist normal. Wenn Du mittelmäßig arbeitest, ob zum Gelderwerb oder in der Kindererziehung oder sonstwo, hast Du die angemessen erwartbare Leistung erbracht. Mehr ist nicht vonnöten, nicht einklagbar und dauerhaft auch nicht durchzuhalten.

Frage: Wer hat eigentlich einen Nutzen davon, dass "Mittelmaß" zum Schimpfwort geworden ist?
Antwort: Der sogenannte Arbeitgeber und der zahlungskräftige Kunde in der ungebremsten Marktwirtschaft, der mit dieser Taktik permanent immer mehr Leistung von Dir einfordern kann, ohne, dass er mehr dafür zu zahlen hat. 

Wenn wir alle uns wieder auf den ursprünglichen Standard einigten, dass das, was im statistischen Mittel (!) geleistet wird und zu leisten ist, hinreichend ist, dann könnte es sein, dass abhängig Beschäftigte seltener an Erschöpfungszuständen ausbrennen. Was ist das für eine bescheuerte Welt, in der Beschäftigte, die sagen, sie kämen mit den an sie gestellten Anforderungen gut klar, wegen offensichtlicher Minderleistung und/oder mangelndem Ehrgeiz verachtet werden?

Was war ich für ein bescheuerter Idiot, dass ich die normgemäßen Anforderungen als banalen Pflichtteil abgetan und meine beruflichen Lorbeeren stets in der darüber hinausgehenden Kür gesucht habe? Was war und ist der Dank? Puuuh...!




Frei vom Zwang zur Selbstoptimierung und Selbstausbeutung
(verändert via wiki commons)



¹ Das Schlagwort "konkrete Krankheit" habe ich mir gerade ausgedacht. Wenn ich daran denke, dass aufgrund meines Ausfalls andere Menschen zu mehr Arbeit gezwungen werden, wünsche ich mir einen vorzeigbaren Beinbruch mit fettem Gips drumrum, wie anno dunnemals. Dann wäre mein Gewissen ruhiger. Das ist bekloppt, aber wahr.

² Aus Gründen der besseren Lesbarkeit tu ich mal so, als wäre der Begriff hinreichend definiert. Ist er nicht. Egal jetzt. 

³ - und sogar einen Beruf (für Leute, die den Unterschied kennen und beachten)

Montag, 11. Juli 2022

Currywurst-Ambiente

Drei- bis viermal im Jahr fällt mich eine perverse Lust an, dann muss es einfach Currywurst mit Pommes/Mayo sein. Heute war so ein Tag, und die Lust befiel mich in mir nur teilbekannter Geographie, wo aber der einzig mir geläufige Frittenschmied ausgerechnet zur Mittagszeit vorübergehend aushäusig war. 

Die Sucht wäre keine Sucht, wenn ich es damit auf sich hätte beruhen lassen können, also suchte ¹ ich nach einer Alternative und wurde irgendwann fündig - allerdings nur der Theorie nach. Will sagen: Ich fand ein gastronomisches Institut, das Currywurst mit Pommes anbietet, das aber gleichzeitig viel Design-Energie darauf verwendet, unmissverständlich klarzustellen, dass man zwar so etwas proll-mäßiges wie Curry-Pommes im Angebot führt, die sozio-historischen und -ökonomischen Implikationen dieses Gerichtes aber unter keinen Umständen bejahen möchte. Die Pommes wurden deshalb in einer eigenen porzellanenen Schicki-Micki-Design-Schale kredenzt, die Wurst halbiert und die Hälften halb übereinander drapiert mit einem Bambus-Spieß festiert, die Curry-Sauce teilverhüllte den Wurst-Bau wie ein erotisierendes Seiden-Textil, das mehr durch Antizipation als durch offene Darstellung der Reize erregen will. Dazu ein hingehauchtes Rucola-Blatt und eine - wohlschmeckende - Tomatenhälfte.

Ich würde gerne irgendwas Abfälliges über Qualität und/oder Quantität sagen, aber das wäre glatt gelogen. Das war alles in Ordnung. Der Preis war es nicht, aber wir ham's ja ², außerdem ist Inflation ³.

Trotzdem blieb meine Currywurst-Pommes-Sucht heute nur teilbefriedigt. Die*er geneigte Leser*in wird's schon begriffen haben: Zu Currywurst/Pommes/Mayo gehören neben den namensgebenden Bestandteilen und erstklassiger Quali- und Quantität ein blitzsauberes aber dennoch - und das ist wichtig! -  leicht abgeranztes Ambiente. C/P/M und Schicki-Micki gehen nicht zusammen. 





(Eig. Foto - stark verändert)



"Gehste inne Stadt
Wat macht dich da satt?
'Ne Currywurst
Kommste vonne Schicht
Wat schönret gibt et nich'
Als wie Currywurst
Mit Pommes dabei
Ach, dann gebense gleich zwei-
mal Currywurst..."
(Grönemeyer)




¹ Ich bin mir nicht sicher: Erkennt man das Wortspiel? Sucht - sucht? Nee, nä?

² Das sage ich immer noch mit ganz viel Demut. In meinem Clan gab's seit dem 16 Jhdt. bestenfalls (!) mal unteren Mittelstand. Dass ich mich dem mittleren Mittelstand zurechne, ist schon was. 

³ Und Ukraine. Und Corona. Und Klima. 






Sonntag, 3. Juli 2022

Nachhilfe für Datenschutz-Verächter


Soso, Google löscht jetzt die Standortdaten von Nutzerinnen, die sich in der Nähe von US-amerikanischen Abtreibungskliniken aufgehalten haben, weil sich andernfalls nachgehende Strafverfolgung, zumindest Verdachtsmomente ergeben könnten, da nunmehr die evangelikalen Fundamentalisten in den U.S. über die Gesetzgebung und Rechtsprechung herrschen.  

Können wir uns diesen Sachverhalt bitte ganz fett notieren!? Nur für den Fall, dass mal wieder jemand behauptet, der Schutz personenbezogener Daten sei ihr*ihm wumpe, denn sie*er habe ja nichts zu verbergen. Deine Daten sind verfügbar, Du Knallkopp. Es fehlt bislang nur jemand, der sie für seine krankhaften Machtphantasien und/oder Profitinteressen instrumentalisiert. Klar soweit?



(Blackbeard - verändert via wiki commons)




 

 

Donnerstag, 30. Juni 2022

Brutalst-offene Werbung für Wände-Manöver

Himmel nochmal, wie oft nörgle ich innerlich oder auch äußerlich darüber, dass die Leute, die Welt und der ganze Rest immer bekloppter, raffgieriger, profitversessener, unehrlicher, unethischer werden. Kann man machen, ständig nörgeln. Hilft zwar nicht so ganz viel, aber immer nur nix sagen, hilft ja auch nix.

Wenn dann aber mal was Gutes passiert, muss man das allerdings auch entsprechend würdigen, weil man sonst zu so einem alten, dauer-muffligen Drecksack verkommt. Deshalb also:

Wände-Manöver ist 'ne geile Firma!

Vier verranzte Räume waren zu renovieren, Decken, Böden, Wände. Kalkstreich, Korkparkett, Vlies an die Decken etc. etc. Das Ganze nachhaltig und öko, bitteschön. Und siehe da: Andrè und Manuel betreiben mit den Themen "Nachhaltigkeit" und "Ökologisch" nicht nur werbewirksames Zeitgeist-greenwashing, die stehen tatsächlich dafür ein und machen entsprechende Vorschläge und können das auf drei Stellen nach dem Komma begründen. 

Termin 30.06.? fragten wir.
Knifflig. Nicht sicher, sagten sie. 

Dann gefiel uns, was sie machten, so gut, dass wir Wohnzimmer, Esszimmer und Flure zusätzlich in Auftrag gaben. Dann brauchten und bekamen wir immer wieder Beratung, wenn was entschieden werden musste.

Welche Farbe soll der Vinylboden im Büro haben? 
Hä? Weiß ich nicht! Irgendwas helles vielleicht?
Tja, können wir machen, sieht aber scheiße ¹ aus. Aber hast Du schon mal über Rotbraun nachgedacht? 

Hatte ich nicht. Und Rotbraun sieht jetzt natürlich wesentlich besser aus, als das, was mir im Kopf schwebte. So stelle ich mir Handwerk vor: Die sollen mich nicht fragen, sondern mir kompetente Vorschläge machen, mich notfalls sanft korrigieren. Friseur*innen, lernt was daraus! Fragt mich nie wieder, wie ich auf'm Kopp aussehen will. Ich habe keine Ahnung und es interessiert mich auch nicht so sehr, denn ich sehe mich ja nicht selbst. Macht mir einen fachkompetenten Vorschlag, einen, auf den ich selbst nicht gekommen wäre, weil man ja nicht ALLES besser wissen muss. Nehmt Euch ein Beispiel an Wände-Manöver!

Hatte ich schon gesagt, dass Wände-Manöver trotz allem zum ursprünglich vereinbarten Termin fertig geworden ist? Ist das eine geile Firma!? ²







¹ Das haben sie natürlich nicht wörtlich so gesagt. Aber inhaltlich kam das sehr, sehr höflich genau so an.

² Okokok, reden wir auch über's Geld. Am Anfang hatten wir ein Angebot eines konventionellen Mitbewerbers. Ohne Öko, alles die übliche Chemie-Spießer-Suppe. Ich mach's kurz: Der Angebotspreis  von Wände-Manöver betrug nur gut 62 % davon. 








Dienstag, 28. Juni 2022

Wählte Ungnade

Nicht schlecht, die Grabstein-Inschrift "Wählte Ungnade wo Gehorsam nicht Ehre brachte."

In Kürze: J.F.A. v.d. Marwitz erhält von meinem und seinem Lieblings-König, dem Alten Fritz, einen Befehl, den J.F.A. für ethisch nicht ganz koscher hält (den Befehl, nicht den König) und ergo ablehnt und ergo um Abschied bittet, die Ungnade des Königs billigend in Kauf nehmend. 

Ja, ich weiß, dass die Geschichte von Marwitz' Clinch mit F. II möglicherweise nicht so ganz historisch belegbar ist. Nichtsdestotrotz birgt die Anekdote ganz viel von dem, was ich am Preußischen, sagen wir: am Ideal des Preußischen so mag. Da kann man nämlich noch ganz problemfrei von Ehre und von Gehorsam reden, weil die Begriffe noch nicht von irgendwelchen Spießern und Nazis pervertiert waren. 

"Gehorsam", das heißt damals nichts Sklavisches, sondern, ich habe mich damit einverstanden erklärt, Dinge zu tun, die Leute, die, mehr Ahnung haben als ich, mir auftragen. "Ehre" ist ein Sammelbegriff von Aspekten aus den Wortfeldern  Selbstachtung und v.a. Eigenverantwortlichkeit. Und wenn Gehorsam einerseits und Ehre andererseits in Konflikt miteinander geraten, dann muss ich den Mut haben, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Das kann z.B. passieren, wenn die Leute - oder heute: die Institutionen, denen gegenüber ich gehorsam zu sein mich einst bereiterklärt habe, sich zunehmend dumm oder, schlimmer, unethisch verhalten und ich also durch blindlings fortgesetzten Gehorsam meine Selbstachtung, meine selbstgesetzten Regeln auf's Spiel setzte. Diese Grenzen sind nicht immer klar, und man kann sich eine Weile selbst betrügen, aber irgendwann, irgendwo muss da, sagt der preußische Ehrenkodex, ein Limit sein. 

Und wer meint, diese Auslassungen beruhten auf 250 Jahre alten Ereignissen und seien doch nicht mehr zeitgemäß, die*der recherchiere doch mal zu Pinchots Regeln für Intrapreneure. Preußen lebt! Q.e.d.




(J.F.A. Marwitz - verändert via wiki commons)






 

Freitag, 24. Juni 2022

Informationelles Unwohlsein

 

Ich frage rein informativ, ich schwör's. Selenskij, der immer wieder betont, Jude zu sein, kritisiert - vergleichsweise moderat aber doch deutlich - die israelische Regierung, weil die sich weigert, Waffen an die Ukraine zu liefern und sich mit Kritik an Russlands Krieg in der Ukraine auffällig zurückhält.  

Dann heißt es in dem Sammel-Artikel der Deutschen Welle weiter: "Ein Grund für Israels Zurückhaltung im Ukraine-Krieg könnte die Lage in Syrien sein: Russland, das auf der Seite von Machthaber Baschar al-Assad steht, toleriert stillschweigend, dass Israel in der Region regelmäßig Luftangriffe fliegt."

Hier die Fragen: Warum können die USA die Europäer erpressen, sich militärisch zu involvieren, und warum geht diese Erpressung bei Israel nicht? Warum darf Israel mit Russland Stillhalte-Abkommen schließen? Wie kann Russland mit Israel Stillhalteabkommen schließen, während die Israelis, toleriert durch die Russen, deren Verbündeten, Assad bombardieren? Warum berichtet hier niemand mehr, dass Israel da regelmäßig rumbombt? Etc. etc.

Ich bin absolut sicher, dass es auf allen Seiten reichlich geschulte Vertreter des jeweiligen Big Cheese gibt, die uns die Sachzwänge souverän erläutern können. Ich bin mir aber auch absolut sicher, dass uns die Souveränität der Erklärungen nicht mehr darüber hinwegtäuschen kann, dass das alles total widersprüchlich und dumm ist und wir von vorne bis hinten vergackeiert werden.

Sehr bedauerlicherweise ist die zunehmende Gewissheit, allerseits nur belogen und für dumm verkauft zu werden, ein allzu fruchtbarer Nährboden für antidemokratische Kräfte of any colour and any kind.



(verändert via wiki commons)

Einen wie kleinen Penis muss man haben,
sich da drei Stiel-Handgranaten hinzuhängen?









Donnerstag, 23. Juni 2022

Wer sagt was warum?


„Eine der größten Errungenschaften der totalitären Eliten der zwanziger und dreißiger Jahre war es, jede Tatsachenbehauptung in eine Frage nach dem Motiv zu verwandeln.“

Hannah Arendt, Die Urspünge des Totalitarismus


Die Arendt ist in ihrem Denken so großartig, dass wir eigentlich nur ergriffen betrachten und schweigen sollten. Ergreife ich hier dennoch keck das Wort, dann nur, um mich in Demut anzunähern.  

Die Begrenzung auf die neunzehnhundertzwanziger und -dreißiger Jahre halte ich für unzutreffend. Vielmehr ist die zitierte Beobachtung überzeitlich, und sie ist auch nicht zwingend auf die staatsbeherrschenden Eliten zu beschränken. Wir alle hören immer wieder von Leuten, die so krankhaft narzisstisch sind, dass sie jede schlicht-sachliche Aussage aus ihrem Umfeld zunächst auf den vermuteten persönlichen Affront scannen - und surprise, surprise, tausendfach fündig werden. Was in autokratischen Regimes regelmäßig zu strafrechtlicher Verfolgung führt.

Recht hat die Arendt, da unter derartigen Bedingungen ein rationaler Diskurs unmöglich wird und folglich der irrationale Diskurs à la longue zu dem vom kranken Hirn vorhergesehenen Ergebnis führen wird. 





(verändert via wiki commons)

Hauptsache, alle haben ihren Spaß!

"Happy days are here again
The skies above are clear again
So let's sing a song of cheer again
Happy days are here again."











Mittwoch, 22. Juni 2022

Denk' ich an Doitschland ...


Lese gerade C.-H. Hermanns "Deutsche Militärgeschichte". Deprimierend, wie nach dem Hochgefühl und den wirklich progressiven Entwicklungen im preußischen (deutschen?) Heer um 1813 die Restauration schlagartig alle freiheitlichen Hoffnungen zunichte macht. Noch deprimierender, wie nach 1848 die vergleichsweise wenigen Machthabenden mit Hilfe Ihrer devoten Speichellecker die zarten Ansätze demokratischer Reformen plattmachen konnten. Am deprimierendsten, wie ein paar krankhaft egomanische, machtgeile Menschen das Rad schließlich so weit zurückdrehen konnten, dass ein erster und in der Folge ein zweiter Weltkrieg führbar wurden. 

Wo war der Widerstand? Ein paar im inneren und äußeren Exil, nunja. Aber die betroffene Masse? Weggeduckt. Man kommt ja irgendwie durch. Wenn man nicht zu aufmüpfig ... Eigentlich geht's ja ...



(via wiki commons)

"Der Deutsche gleicht dem Sklaven,
der seinem Herrn gehorcht,
ohne Fessel, ohne Peitsche,
durch das bloße Wort,
ja durch einen Blick.
Die Knechtschaft ist in ihm selbst,
in seiner Seele;
schlimmer als die materielle Sklaverei
ist die spiritualisierte."
(Heine)











Sonntag, 19. Juni 2022

Noch 'ne Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral (edit 24062022!)


An dieser Stelle hatte ich mich vor ein paar Tagen selbst auf's Korn genommen und bissige  Selbstbeobachtungen zu meinem eigenen Umgang mit dem burn-out und den Depressionen, die mich gerade plattmachen, vom Stapel gelassen.

Ich kann nicht ausschließen, dass ich damit andere Betroffene verletzt habe. Das war nicht meine Absicht und tut mir leid. Es ist meine Schuld, denn Kommunikation ist das, was ankommt.¹











¹ frei nach Watzlawick