Freudige Erregung! Im aktuellen Heft der "Max Planck Forschung" 02/2022 wird der nächste Schritt der Digitalisierung von Schule vorgestellt, das "Maschinelle Lehren". Die Einzelheiten findet man hier, Seite 69 ff, an dieser Stelle nur so viel: Maschinelles LeRNen ist ja ein alter Hut. Man setzt Schüler*innen vor einen Monitor, und er*sie kann sich mehr oder weniger interaktiv durch Lernstoff klicken. Maschinelles LeHRen hingegen bedeutet, dass die*der Schüler*in dabei je individuell von einer pädagogisch wertvollen, freundlichen KI begleitet wird, die Erfolge belohnt und weiter einübt und bei Nicht-Erfolg Tipps, Tricks, Anregungen, algorithmisch reduzierte Teilaufgaben, Erinnerungshilfen und automatisch erstellte Arbeitsblätter nach individuellem Bedarf entwickelt und bereitstellt.
Die menschliche Lehrperson, so wird mehrfach versichert, soll dadurch natürlich nicht ersetzt werden, sondern gewinnt Freiräume, um sich in einem hoch-differenzierten Fachunterricht einzelner Schüler*innen besonders individuell anzunehmen.¹ Sogar der alte Meidinger, der Vorsitzende des doitschen Lehrerverbandes, sieht darin viele großartige Chancen und Möglichkeiten und fragt nur fast beiläufig und ohne konstruktiven Anteil, wie die resultierende Leistungsspreizung am Ende einer so gestalteten Lernkarriere zu händeln ist.
Man braucht nicht viel Zynismus und nur ganz wenig Erfahrung in Sachen Schulunterricht, um zu prognostizieren:
- Das System wird zwangsläufig kommen, denn privatwirtschaftliche Unternehmen werden damit eine Mörderkohle verdienen.
- Lehrer*innen werden natürlich überflüssig, jedenfalls in ihrer pädagogischen Rolle. Benötigt werden thumbe System-Hausmeister*innen, die bei niederwertigen technischen Problemen helfen und Verwaltungslakaien, die Leistungsverweigerer zwecks weiterer Veranlassung an die Obrigkeit melden.
- Schüler*innen werden ihre Schulstunden, -tage und -jahre vor Monitoren in multimedialer Interaktion mit ihren Robot-Lehr-Apps (nicht zwingend in der Schule, gerne auch zu Hause oder woauchimmer) zu hirntoten Knöpfchen-Drückern² dressiert.
Von einem bestimmten rückwärtsgewandten, links-humanistisch-aufklärerischen Standpunkt aus könnte man diese Punkte natürlich negativ konnotieren. Manche Leute haben immer was zu meckern, wenn sie "Fortschritt" oder "Profit" hören.
Da ich ein durch & durch schlechter Mensch bin, befiel mich bei der Lektüre dieses Artikels eine fröhlich sprudelnde klammheimliche Freude:
Zu viele Dummbratzen schreien gerade öffentlich orgasmisch nach immer mehr unevaluierter, d.h. besinnungsloser Digitalisierung von Schulunterricht. Zu verächtlich, zu dümmlich-arrogant ist ihr Umgang mit jeder Form von Zweifel, mit jeder kritischen Nachfrage. Zu unreflektiert, zu unintelligent, zu billig ihr Gleichsatz von "Digitalisierung" mit "jung, modern, hip, cool, progressiv", ihr zum Fremdschämen peinlicher Distinktionsversuch via Digital-Affinität. Zu ulkig wird der Moment ihrer Erleuchtung, wenn sie bemerken, dass längst hoffnungslos veraltet und überholt ist, was sie jetzt noch als letzten, den allerneuesten heißen Scheiß feiern.
Ihr tut mir nur ein ganz kleines Bisschen leid, Dummbratzen, aber in fünf, spätestens sieben Jahren werdet Ihr beruflich und berufs-ethisch so dermaßen auf die Fresse kriegen - und zwar von genau den Konzernen, die Ihr jetzt gerade mit einer unfassbaren Naivität pampert und vergöttert.
Aber mit einer so pessimistischen Aussicht will ich nicht schließen. Blicken wir NOCH weiter in die Zukunft. Wie wird unser Schulsystem dann aussehen?
Jede Schüler*in wird so viel wie möglich mit ihr-*seinem KI-Bot herumhängen. Vielleicht wird daraus eine lebenslange Partnerschaft, denn zu lernen gibt es ja immer jede Menge, und warum sollte die KI gegen eine entsprechende Abo-Gebühr nicht auch das Modul "Wie mache ich eine Lohnsteuer-Erklärung" bereithalten? Vielleicht brauchen wir dann auch keine menschlichen Partner*innen mehr, die Geburtenrate sinkt, die Überbevölkerung schwindet, die Klimakatastrophe kann abgesagt werden, Friede, Freude, Eierkuchen.
Ernsthaft: Wenn die Dinge gut laufen, wird mensch irgendwann merken, dass das, was KIen an Wissen vermitteln können, nicht das ist, was für uns Menschen wirklich relevant ist. Ich meine, wir mussten bzw. müssen ja auch lernen, dass sämtliche Dinge, die man mit einem Preisschild versehen kann, nicht wirklich wertvoll sind.
Vielleicht werden wir eines Tages wirklich schlau.
¹ Warum die menschliche Lehrperson sich überhaupt noch individuell um Schüler*innen kümmern soll, wo doch gerade diese Spezial-Fähigkeit von der KI übernommen werden soll, diesen Widerspruch löst der Artikel leider nicht auf.
² Ich verzichte hier bewusst auf sprachlichen Ausdruck generischer Vielfältigkeit. Die Produkte eines derartigen Systems werden nicht bunt und vielfältig und individuell sein. Das ist mal sicher.