Mittwoch, 8. Februar 2023

Weitergedacht: Solidarität

Unterbewusst hat irgendwas in mir an Travens Kritik an der real nicht-existierenden Solidarität der Arbeiterklasse weitergedacht und mir heute Morgen ein Zwischenergebnis präsentiert. 

Definieren wir "Solidarität" orientiert an Wikipedia als Haltung der Verbundenheit, des Zusammenhaltes und der gegenseitigen Unterstützung. Der Gegenbegriff sei "Konkurrenz". Grenzen wir unsere Definition bitte messerscharf ab von der Solidarität, die als leicht-verderbliche Ware in politischen Sonntagsreden produziert wird und deren Halbwertszeit in Femtosekunden zu messen ist - wenn sie denn überhaupt nachweisbar ist.

Reden wir über echte Solidarität, indem wir konkrete Beispiele untersuchen. 

Seltsamerweise fällt mir da als erstes die Mafia ein. Das Geschäftsmodell soll hier nicht ethisch bewertet werden, und ich bin auch kein Insider, aber die Kriterien Zusammenhalt, Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung scheinen konstitutiv zu sein und werden von allen Gruppenmitglieder in doppeltem Wortsinn erwartet. 

Ähnliches gilt für die primitiven, das heißt: elementaren, dem Ursprung nahen, Stammesgesellschaften, die beispielsweise in Afrika und in Bayern eine größere Rolle spielen als moderne staatliche Formen, wie z.B. Demokratie, Nation, Föderalismus etc. Für die afrikanischen Staaten bedeutet dies eine Schwäche, da es den global players erlaubt, die einzelnen Stämme gegen die Interessen der Nation oder des Kontinents auszuspielen. Ich fürchte, Afrika wird wirtschaftlich und politisch nie mit dem Allerwertesten von der Wand kommen, solange diese Stammes-Solidarität alle anderen Solidaritäten erschlägt. Bei Bayern ist das etwas anderes: Hier haben wir einen Stamm subklinischer Psychopathen, die gleichermaßen Egomanie und Selbsthass pflegen und ein ansonsten einigermaßen normal tickendes föderales System, wie es die Burep. D. darstellt, hemmungslos und ethikfrei zu ihrem Vorteil ausnutzen. 

Mit gespannter Aufmerksamkeit, teilweise mit Misstrauen beobachtete ich über Jahre, wie sich die türkisch-stämmigen Kinder und Jugendlichen meiner Schule "zusammenrotteten"¹. Ja, da gab es natürlich Entwicklungen, die nicht positiv waren, Stichwort: Parallelgesellschaft, aber irgendwann musste ich eingestehen, dass der wesentliche Grund für meine negative Perspektive Neid war, der Neid nämlich, dass die türkischen Schüler*innen, dito Kurden und Kasachen, untereinander und schulzweig- und jahrgangsübergreifend eine Solidarität an den Tag legten, die ich bei den bio-doitschen Kiddos und übrigens auch bei Ukrainern und Russen deutlich vermisste. 

Um die Sache abzukürzen: Auf sozialer Meso-Ebene², sozusagen im Bereich und in den Grenzen überschaubarer Gruppen, finden wir reichlich Beispiele von Solidarität. 

Betrachten wir die Makro-Ebene, fallen mir seltsamerweise spontan die United SofA ein, wahrscheinlich, weil die sprichwörtlich allüberall ihre Flaggen plakatieren³. Sind die Amis untereinander solidarisch? Nun, ihre Geheimdienste sind beim Ausspionieren der eigenen Leute etwas behutsamer, als mit dem Rest der Welt. Aber sind US-Finanzinstitute zu den eigenen Leuten netter? Sehen die Amis sich nicht auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in jedem Bereich staatlichen Handelns im Wettbewerb, sprich: in Konkurrenz? Gibt es eine Partei, die Solidarität wichtig findet, oder wird dergleichen nicht sofort als kommunistische Attitüde verdammt?

Und wo wir über Kommunismus sprechen: Sind 1,4 Milliarden Chines*innen solidarisch, oder werden sie durch ein rigoros durchgesetztes Überwachungssystem zu Verhaltensmustern gezwungen, die man mit Solidarität verwechseln könnte? Sprung nach Nord-Korea, Frage: Ist Solidarität, die gewaltsam erzwungen ist, überhaupt Solidarität? 

Sprung nach Indien, Frage: Können 1,4 Milliarden Menschen überhaupt solidarisch sein? Die können sich doch unmöglich kennen!? Würden die Menschen dieses Vielvölkerstaates in Verbundenheit einander gegenseitig unterstützen? Ich meine, die haben ja noch nicht mal ihr Kasten-Unwesen richtig überwunden. Wo hört Solidarität auf und wo fängt staatliche Organisation an? 

Gibt es eine maximale Gruppengröße, jenseits derer Solidarität glaubhaft gar nicht mehr stattfinden kann? Hm, diese Überlegungen führen in luftleeren Raum. 

Zurück zum Ausgangspunkt: Bin ich solidarisch? Kann ich es sein? Wenn ja, mit wem? Beispiele, ich brauche Beispiele!

Ukraine-Krieg. Bin ich da irgendwie solidarisch? Fühle ich Zusammenhalt mit der einen oder anderen Seite, kann ich unterstützen? Nö. Ich bin der Auffassung, dass der Krieg unglaublich viel Leid verursacht und schnellstmöglich aufhören muss, aber ich bin nicht auf der einen oder anderen Seite, da mein Wissen über die Hintergründe das nicht zulässt. Verlangt von mir nicht, dass ich wie ein Fussballfan der mir geographisch nächstliegenden Partei die Daumen drücke. Kann ich die Menschen, egal, welcher Seite, unterstützen, ihr Leid mindern? Nö, keine Chance.

Erdbeben Syrien, Türkei, was man so liest: Die Alevitische Gemeinde Deutschland bittet um Spenden für Aleviten. Aha, sehr solidarisch, s. primitives Stammesdenken. Assad will westliche Hilfe für seine Leute monopolisieren, dito. Grenzübergänge Türkei - Syrien seitens Türkei nicht unproblematisch, dito. Seid Ihr bekloppt? Ich bin absolut einverstanden, das doitsche Hilfskräfte auf (meine) Steuerzahler-Kosten dahin fahren, und ich wünsche ihnen (sehr bewusst und unironisch) Glück und Erfolg. Aber: Ich? Da? Was? Tun? Pas d' Chance! Nein, ich bin da nicht solidarisch. 

Empathisch ja. Natürlich kann ich das Leid der Hinterbliebenen nachvollziehen, ihre Wut, ihre Trauer, ihre Hilflosigkeit. So sehr, dass ich heulen könnte. Aber das ist keine Solidarität im Sinne o.g. Definition. 

Seltsam: Mit den französischen Demonstrant*innen, die aktuell gegen die Heraufsetzung ihrer Renteneintrittsalter protestieren, da fühle ich mich verbunden, deren Kampf kann ich unterstützen ⁴. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass wir denselben Gegner haben: Die Konzerne, die Reichen, die immer reicher werden, und die es immer wieder schaffen, die deutschen und die französischen Arbeitenden gegeneinander auszuspielen, indem sie z.B. aktuell die französischen Menschen darauf hinweisen, dass "anderswo" ⁵ das Renteneintrittsalter sehr viel höher liegt. Umgekehrt werden die deutschen Arbeitenden damit geängstigt, "anderswo" ⁵ seien die Produktionskosten, sprich: die Löhne sehr viel niedriger ...

In derartigen Zusammenhängen könnt' ich mich solidarisch fühlen, genauer: Hier wünschte ich mir tausendmal mehr Solidarität, Proletarier, aller Länder ...!



  







¹ "zusammenrotten" - Was für eine demaskierende Metapher aus dem Tierreich, oder?  

² Den Begriff habe ich soeben erfunden. Meso steht zwischen Mikro und Makro. Die soziale Mikro-Ebene wäre etwa Partnerschaft und Familie. Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf dieser Ebene nach Solidarität forschen sollten. Ich liebe meine Kinder über alles und fühle mich ihnen maximal verbunden. Aber: Wenn ich meinen Nachwuchs aufpäppel, folge ich AUCH einem biologischen Programm, das mich zwingt, alles zu unternehmen, um meine -> "egoistischen Gene" weiterzugeben. Wenn das Solidarität ist, dann sind Zackenbarsche auch solidarisch. Und Steinpilze. Und ... so weiter.

³ Wir, die denkenden Doitschen, finden derlei National-Fetischismus angesichts unserer eigenen geschichtlichen Erfahrung sehr bedenklich und beängstigend. Wenn man ihnen die Flaggen wegnähme, würden die Amis dann spontan Russen oder Chinesen oder - Gottbewahre! - Mexikaner werden? Steht nicht geschrieben: "Wer überall Wegweiser aufstellen muss, kann sich nicht rühmen, den Weg zu kennen."

⁴ Zum Beispiel mit Kleinigkeiten, mit Texten wie diesen.

⁵ Gemeint ist natürlich Deutschland - und vice versa.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar