Freitag, 25. Dezember 2015

Oh Sch...! Wir müssen den Hitler lesen.


Was ist der Todesstoß für jedes künstlerische Werk? Wenn es in der Schule drankommt. Wie haben wir es gehasst, wenn ein/e MusiklehrerIn uns einen "Gefallen" tun wollte und Songs, die wir Kiddos gerade aktuell und geil fanden zum Unterrichtsgegenstand erhob und analysierte und erklärte. [*1] Das Teil, insbesondere, wenn es Kult war und als solcher rationaler Kritik eigentlich entzogen, war auf der Stelle mausetot. [*2]. Satisfaction gehörte uns, nicht dem Scheiß-Establishment.

Andersrum: Was macht ein berufsmäßiger Vollidiot wie Bushido, wenn seine Agentur seinen Markennamen mal wieder aufpolieren will? Ein Album mit einem Song, der garantiert auf den Index gehört. Dann wird das Album verboten, anschließend wird der Song gelöscht, und der Rest geht mit den Verkaufszahlen durch die Decke. Oder B. haut noch ein paar hirntote rassistische, frauen- und schwulenfeindliche Pseudo-Gangsta-Interviews raus, für die er sich zu einer Strafe verknacken lässt, die aus der Portokasse zu zahlen ist, ihm aber die kurzfristige Bewunderung vieler Schwerstmehrfachpubertierender einbringt.

Wir fassen zusammen, was wir gelernt haben: Schulische Analyse ästhetischer Werke zerstört deren Kultstatus und jegliche spontane, unreflektierte Faszination [*3], Verbote hingegen machen eine Sache erst richtig interessant.

Damit zu Hitler und zu "Mein Kampf" in der Schule. Das Werk  ist, streng textimmanent betrachtet, ein verquarstes, spießiges, langatmiges, peinlich egomanisches Machwerk [*4]. Weiter hin enthält es Gedanken, die in den 1930er und -40er Jahren zu Leid und Tod ungezählter Millionen Menschen geführt haben. Heute wird es entweder dämonisiert oder als Quasi-Reliquie verehrt, in beiden Fällen von Leuten, die es gar nicht gelesen (> 99 %) oder nicht richtig verstanden haben.

Machen wir's kurz, denn alle Argumente liegen auf dem Tisch: Wollen wir "Mein Kampf" dem freien Marketing à la Bushido ausliefern, es also durch Repression extra-attraktiv machen, soll es als offenes Mysterium auf ewig unangefochten der Domäne der Braunbratzen zugehören - oder wollen wir, die aufrechten, aufgeklärten Verfassungspatrioten, den gesammelten GröFaZ-Ausfluss durch sachliche Analyse entzaubern und auf die mikroskopische Größe zurechtstutzen, die ihm tatsächlich zukommt? Rhetorische Frage, oder? "Mein Kampf" gehört eben nicht den Nazis, wie Satisfaction uns gehörte.

Ich empfehle ergo die schulische Bearbeitung als Volltext, vielleicht arbeitsteilig, kapitelweise: Lesen, unbekannte Begriffe klären - und dann sollen die SchülerInnen doch mal bitte den Inhalt mit eigenen Worten wiedergeben. Jede Wette: Sie werden alle ausnahmslos und ein für  alle Mal gegen Nazismus immunisiert sein. Und sie werden den aktuellen Nazis mit Hohn und Spott und (bitte nicht allzuviel) Mitleid begegnen.


(by Silvia Klippert via wiki commons)



[*1] Übersetzen Sie einfach mal die Texte der Lieder Ihrer Jugend, und Sie werden wissen, was ich meine:

"Ich kann keine erlangen, nein, oh, nein, nein, nein.
A hey, hey, hey, das ist was ich sage.

Ich kann keine Befriedigung erlangen.
Ich kann keine Befriedigung erlangen.
Denn ich versuche und ich versuche und ich versuche und ich versuche.
Ich kann keine, nein, ich kann keine."



[*2] Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich aus genau diesem Grunde vor ein paar Jahren presseöffentlich aber vergeblich gegen eine schulische Verwurstung des "Turms" gewehrt. Zur Strafe wurde sein Roman dann sogar Thema im Zentralabitur in Niedersachsen. Kultusbehörden können sehr gemein und nachtragend sein, wenn man die Stimme gegen sie erhebt. Ich nehme ab sofort Bestechungsgelder in jeder Höhe entgegen und verspreche im Gegenzug den Verlagen, bestimmte Texte NICHT im Unterricht zu verbraten.

[*3] Keine Angst: Bei GUTEN Werken stellen die Kiddos aufgrund der Analyse hinterher fest, dass da noch viel Beeindruckenderes hintersteckt, als sie spontan erfasst haben. Bei miesen Machwerken tritt natürlicherweise eine bleibende Ernüchterung ein. Beides ist beabsichtigt.

[*4] Ja, ich hab's gelesen. Bis mir kotzeelend wurde. Etwa auf Seite 3. Den Rest habe ich auf einem Level von Oberflächlichkeit durchgeblättert, der mir die Lektüre erträglich machte. Etwa so, wie man Gruseliges durch die leicht gespreizten Finger vor Augen anschaut.






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