Dienstag, 7. März 2023

Was ich von der Serie zu Schätzings "Schwarm" lerne

 

In meinem nächsten Leben möchte ich Film-/Fernseh-Wissenschaftler*in werden. Damit meine ich nicht, dass ich "was mit Medien" machen will, sondern, dass ich als Naturwissenschaftler*in gerne wie "die im Film" arbeiten können möchte: Beliebiger Zugriff auf Equipment, Boote, U-Boote, Forschungsschiffe, Hubschrauber¹, Autos, Labore, Personal, Hotel- und sonstige Unterkünfte und rattenschnelle Kommunikations-Infrastruktur, alles vom feinsten und alles sofort verfügbar. 

Noch wichtiger: Die immateriellen Güter, wie freie Zeiteinteilung, Fokussierung auf selbstgesteckte Ziele, keinerlei Legitimationsdruck, keine Lehre, keine Verwaltung, keine nervigen Studies, kein demütigendes Betteln um Drittmittel, deren Beantragung 80 % der Arbeitszeit kostet, kein Veröffentlichungszwang, kein eifersüchtelndes Hickhack in den Gremien. Ich bin aus dem Thema Meeresforschung ziemlich raus, aber wird der Einsatz der Forschungsschiffe nicht auf Jahrzehnte im Voraus minutiös festgelegt? Und wer bearbeitet deren Reisekostenabrechnungen, die Freistellungsanträge, wer triggert die Reiserücktrittsversicherungen, wenn mal wieder ein*e Wissenschaftler*in im aufopferungsvollen Kampf gegen die Yrr, nunja, aufgeopfert wurde? Da bleiben unglaubliche Kosten an den Instituten hängen, wenn man nicht aufpasst. ²

Noch, noch wichtiger: Ich will diese kurzen, straff strukturierten, zielführenden Meetings mit ausschließlich kompetenten, gutaussehenden, charmanten Teilnehmer*innen, die knappen, pointierten Diskurse. Die haben im Film gar keine Tagesordnungen mit "TOP 1: Begrüßung..." und "TOP 13: Sonstiges/Schluss" und niemand fragt "Äh, das Protokoll von der vorletzten Sitzung, ist das inzwischen eigentlich raus? Ich glaub', ich hab' das gar nicht gekriegt...!" oder "Vielleicht habt Ihr ja schon gehört, die Vanessa hat letzte Woche ihr zweites Kind gekriegt, und da wollten wir was schenken, und ich hab' dazu letzte Woche auch schon 'ne Mail an Alle geschickt, aber ich dachte, ich frag' hier auch noch mal, ob Ihr bla bla bla bla..."


Zusammengefasst: Der Schätzing, das ist schon ein ganz begnadeter Science-Fiction-Autor. Seine Fiktion, wie Science sein könnte, beeindruckt mich sehr.



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¹ Besonders heiß bin ich auf den Heli, der die 700+km von Trondheim zu den Shetlands und wieder zurück an einem Tag und in einem Rutsch (nebst Rettungsaktion) packt. Normale Helis dieser Art haben daumenpeil eine Reichweite von 500 km und eine Geschwindigkeit von 250 km/h.


² Ha! Das ist meine Idee für das "Schwarm"-Sequel:

In dem Versuch, den angesammelten Verwaltungsscheiß der involvierten "Schwarm"-Wissenschaftler*innen und ihrer Institutionen aus den Folgen 1 - 8 nachträglich aufzuarbeiten, konstruiert ein genialer, aber verzweifelt-wahnsinniger IT-Projektmanager eine gigantische Datenbank, die dann aber unter dem schieren Eigengewicht der Daten kollabiert und zu dem digitalen Pendant eines Schwarzen Loches wird, das anschließend alle globalen Rechenzentren und also die Weltherrschaft übernimmt und uns zwingt, nur noch Dinge zu verwalten, Listen zu schreiben usw., statt sinnvolle Arbeit zu tun ... 

"Es gibt eine (...) Theorie, nach der das schon passiert ist." Douglas Adams



Babelfisch aus "Hitchhiker's Guide to the Galaxy" Douglas Adams/BBC


Montag, 6. März 2023

Was ich von Corona lerne


Erstens: Es hilft nichts, immer nur von Selbstmitleid zu REDEN. Damit Selbstmitleid funktioniert, musst Du etwas TUN.


Zweitens: Es hilft nichts, darauf zu warten, dass sich etwas tut. Du musst selbst aktiv werden, den Startschuss geben, die Richtung bestimmen.


Drittens: Wenn das ######-Virus Dir auch Deinen Geschmackssinn zerschrottet hat, dann gönn' Dir wenigstens ein besonderes Mouth-Feeling.







Sonntag, 5. März 2023

Etwas fiebrige Logik


Am köstlichsten kann ich mich nach wie vor über mich selbst amüsieren. 

Hatte ich schon erwähnt, dass ich seit ein paar Tagen an einer Corona-Infektion laboriere? Ich bin darüber ein klitze-bisschen beleidigt, weil ich

a.) nach dreifacher Impfung nicht mehr mit so einer heftigen Symptomatik gerechnet hatte,
b.) insgesamt sehr diszipliniert und konservativ mit Infektionsschutz-Sachen (Maskentragen etc.) umgegangen bin, und es unfair finde, dass es es mich jetzt, nach drei Jahren, trotzdem erwischt und weil ich
c.) eigentlich auch überhaupt keinen Bock auf so eine völlig aus der Mode gekommenen Uralt-Krankheit hatte.¹ 

Seit gestern sind nun auch Geruchs- und Geschmackssinn beim Teufel, und als sich dieser mein Eindruck heute Morgen zu einer Gewissheit verfestigte, war ich erneut überrascht. Und ich musste tatsächlich erst darüber nachdenken, wieso mich das überraschen konnte, denn das Phänomen gehört ja zur typischen Corona-Symptomatik dazu, wenngleich es nicht zwingend auftritt. 

Wie bei der ganzen Corona-Sache hatte ich, so muss ich im Nachhinein feststellen, offenbar das Gefühl, solche Dinge stießen immer nur anderen zu, aber nicht mir. Das ist keine Arroganz. Ich war auch immer sehr berührt, mitfühlend, sehr empathisch, wenn ich hörte, dass "es" wieder jemanden in meiner Nähe erwischt hatte. Aber für mich selbst war das eigentlich keine echte Option ...

Drauf geschissen! Stattdessen: Wie mitfühlend kann ich wohl wirklich gewesen sein, wenn ich die Sache plötzlich ganz neu und anders und als viel gravierender bewerte, sobald sie mich persönlich (be-)trifft? 

Hübsch menschliche Frage, sowas.² Jedenfalls glaube ich, dass bei allen Menschen zwischen wahrhaftig empfundener (und gelebter) Empathie einerseits und dem Erlebnis eigenen Angeschissen-Seins andererseits ein Abgrund von Realitäts-Erleben klafft, und ich glaube, diese Erkenntnis ist nicht banal. 

Nehmen wir die Leute von Tuvalu. Das sind die, deren Land demnächst absäuft, weil aufgrund der anthropogenen Klimaerwärmung der allgemeine Meeresspiegel entsprechend weit ansteigen wird. Die sind arm, können sich also nicht mit technischen Finessen freikaufen, und die wissen auch nicht, wohin, weil natürlich niemand so arme Schlucker aufnehmen und durchfüttern will.

Ich bin empört. Natürlich. Ich bin sauer und auch beschämt. Natürlich. Und wenn ich auf dieses Gefühlsset jetzt noch den o.g. Abgrund von Realitäts-Erleben draufrechne, den ich nach eigener Corona-Erfahrung auf meine normale Empathie aufrechnen muss, um die Gefühlslage bei direkter, persönlicher Betroffenheit zu erreichen, dann ... freue ich mich, dass die Tuvali so friedlich gestimmt sind, dass sie nicht zur Kalashnikov schielen, das Semtex-Bündel schnüren und in die Welt ziehen.

Ergebnissicherung: Was ich aus meiner Corona-Infektion gelernt habe, lässt sich in einer Formel darstellen. 

EA = meine Empathie, wenn es Anderen dreckig geht
ES = meine Empathie, wenn es mir selbst dreckig geht

Die Formel lautet:

               ΔE = ES - EA 

 ΔE ist ein Wert, der den Realitäts-Abgrund zwischen "gefühlter" Empathie und dem Leidenserlebnis bei konkret-eigenem Angeschissen-Sein beschreibt. Je mehr Anlässe man findet, ΔE zu berechnen, desto präziser wird der Wert.  Nach einigen Wiederholungen gilt dann:

               EA +  ΔE = ES*

Mit ES* kann man dann bei jeder Unmenschlichkeit, die Menschen einander antun, einen plausiblen Schätzwert dafür angeben, wie schlimm das für die Betroffenen selbst sein  muss - unabhängig von unserer "gefühlten" Empathie. ³

Und mit Sicherheit müssen wir ES* benutzen, wenn wir künftig über Klimawandel reden. Die Diskussionen über Maßnahmen gegen den Kollaps erscheinen mir immer noch so ... weit weg! Wenn ich den zombiehaften Habitus der alten Männer auf den vollkommen wirkungslosen globalen  Konferenzen sehe, dann bin ich sicher, die agieren alle bestenfalls (!!!) auf dem Niveau von EA. Das heißt, sie sondern in Interviews die richtige Dichte entsprechender Terminologie ab, aber sie haben ganz offensichtlich nicht wirklich begriffen, worum es geht. 

Ganz zu schweigen von dem Verdacht, dass sie, korrumpiert durch Ämter und Profit, EA auch lieber kleiner als größer ausarbeiten wollen ... 




(Tuvalu - stark verändert via wiki commons)






¹ Ich mein': Das Ding heißt Covid-19, weil es 2019 erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde. 2019! Wie lange ist das denn her? Gab's da schon Computer? Ich mein', ich frag' nur ...! Kann ich auch sagen, ich habe Covid-24? das klingt doch viel hipper, proaktiver, mehr nach 24 / 7 / 367 und nach 2024 und so.

² Streichen wir das Wort "Hübsch", ok? Ersatzlos.

³ Das Asterisk (*) signalisiert, dass es sich um einen erschlossenen Wert handelt. 



Freitag, 3. März 2023

Pensionierter Lehrer

 
Seit dem 01. Februar bin ich auf eigenen Wunsch frühpensionierter Lehrer und hatte also inzwischen ein wenig Zeit, mich mit der neuen Rolle auseinanderzusetzen. Ich stelle fest:

Erstens: Es ist mir wieder möglich, Momente in Ruhe zu erleben und mich auf diese Ruhe einzulassen. Beispiel: Ich sitze im Garten und höre den Vögeln beim Frühlings-Zwitschern zu. Das habe ich früher auch gemacht, dann aber immer mit dem kleinen Mann im Ohr, der mir sagte: "Ja, genieß' das mal, nachher musst Du noch Unterricht vorbereiten / Klausuren korrigieren / telefonieren / blabla." Das fand ich nicht schlimm, man war's ja gewöhnt, aber aktuell überrascht mich der Kontrast. Diese ganz und gar ungestörte Ruhe erinnere ich aus Kinder- und Jugendzeiten, und sie wiedergefunden zu haben, ist ein Geschenk.¹ Und dieser Eindruck dominiert alles Andere.

Zweitens: Was ich mir noch nicht hinreichend abgewöhnt habe, ist das Status-Denken. "Pensionierter Lehrer", wie scheiße klingt das denn!? Mich trieft da die ekelerregende Geschichte eines langweiligen alten Sacks an, der für richtige Jobs zu unfähig war², der nur in der streng geschützten und reglementierten Umwelt der staatlichen Schule überlebensfähig war und der jetzt, da ihm sogar die behördlich legitimierte Tyrannei über Kinder und Jugendliche entzogen ist, eigentlich gar nichts mehr ist und hat und dessen Wissen und Erfahrungen außerhalb der Institution eigentlich auch zu gar nichts mehr zu gebrauchen sind. Der aber monatlich eine Mörder-Kohle einstreicht, money for nothing, bedingungsloses Grundeinkommen vom Feinsten ... 

An dieser Verachtungs- und Neid-Sache muss ich noch ernsthaft arbeiten.

  • Soll ich meinen Status künftig besser leugnen? "Ich bin Schriftsteller, Flieger und Philosoph!" 
  • Oder soll ich offensiv damit umgehen? "Klar ist das geil, frühpensionierter Lehrer zu sein. Hättste ja auch machen können, Blödmann. Augen auf bei der Berufswahl, Du Loser!" 
  • Oder wie wär's mit der Selbstbezichtigung maoistischer Prägung? "Ja, ich habe mich dem System prostituiert, habe Kinder und Jugendliche verführt, ihre Seelen verkrüppelt und ihre jungen, unschuldigen Leben den kapitalistischen Verwertungsinteressen zugeführt, und dafür lasse ich's mir jetzt richtig gut gehen."

Würmelt vielleicht irgendwo in mir der Gedanke, dass ich, solange ich Kohle vom Staat kriege, gesamtgesellschaftlich relevant zu sein und zu bleiben habe?



"Ich bin Schriftsteller, Flieger und Philosoph!"
Da wär'ich in guter Gesellschaft: Antoine Saint-Ex.






¹ Ok, es ist natürlich KEIN Geschenk, denn ich zahle dafür mit knallharten Abzügen bei meiner Pension. Aber da ich mich vom Geld wirklich erfrischend weit emanzipiert habe, bin ich's sehr zufrieden, wie es nun ist.

² Wie mein späterer Ex-Schwiegervater beim ersten Treffen sagte: "Ach, Du studierst. Willst Du gar keinen richtigen Beruf lernen?" 




Montag, 27. Februar 2023

Entwertete Kultur


Ach herrje, der arme Scott Adams, jahrzehntelang hat man und habe ich seine genialen Dilbert-Cartoons gemocht, und nun outet er sich als Rassist und white suprematist. Was für eine Enttäuschung.

Vergleichbares empfand ich auch bei dem sogenannten Barefoot-professor Daniel Howell, der 2010 ein kleines, kluges, eingängiges, professionelles und umfassendes Barfuß-Buch verfasste, das mich sehr beeindruckte, bis der Verfasser sich später als bedingungsloser Trump-Fan und fundamentalistischer Extrem-Marktliberaler zu zelebrieren begann. 

Ich registriere deutlich, dass ich den Spaß mit und an den Büchern solcher Knallköppe komplett verliere. Mag der Inhalt der Werke an sich auch unverändert und frei von Dümmlichkeiten sein, so gelingt es mir im Zuge der Rezeption nicht, mein Wissen über die geistige Verfasstheit der Schöpfer auszublenden. Solange mein Bild von Scott Adams einen  klugen, selbstironischen und ein wenig desillusionierten Menschen zeigte, ein Bild, das er selbst früher in Foren und Blogs von sich zeichnete, konnte ich seine Cartoons entsprechend fröhlich lesen. Fürderhin werde ich nicht umhin kommen, wenigstens halb-bewusst darauf zu achten, wie Dilbert mit POC umgeht. Ende der Leichtigkeit.

Bei Howell beeindruckte mich, wie konsequent er seine Denke als Biologe und Chemiker auf ganz alltagspraktische Verhaltensmuster (hier: den widersinnigen gesellschaftlichen Zwang, Schuhe zu tragen) übertrug und wie plausibel und transparent seine Argumentation daherkam. Erhofft und erwartet hätte ich, dass Howell in der Folge auch andere unsinnige soziale Konstruktionen auf's Korn nimmt, sprich: dekonstruiert. Stattdessen: Trump-positiv! Irgendwas muss ich übersehen haben.

Jaaa, ich weiß, dass ich die Latte damit hoch auflege! Ich verlange nicht nur, dass die Leute gute Werke erschaffen, ich erwarte ja anscheinend auch, dass sie mit ihrem gesamten Lebenswandel und, neudeutsch, Mind-set vollumfänglich und unerschütterlich dahinterstehen. 

Bingo! So isses!

Wir reden hier nämlich von Kunst! Und von Kunst erwarte ich, dass sie authentisch ist, dass sie also etwas abbildet, was in einem Menschen drinsteckt, was wichtig ist und was darum bettelt, nach Außen getragen zu werden. Alles andere kann ich von Text- bzw. Malerei-KIs (Chat GPT, MidJourney f.ex.) erledigen lassen und / oder als triviale kunsthandwerkliche Auftragsarbeit¹ abbacken. 

Hm, mir fällt gerade auf, dass wir damit so ganz en passant auch geklärt haben, wo der tiefe, breite Graben zwischen KI und menschlichem Denken verläuft. Sehr gut!

Aber wir sind noch nicht fertig: Was mache ich denn nun mit den fraglichen Büchern?


Verbrennen?

Ei, ei, ei, da gibt es böse Vorbilder!

Behalten will ich die Bücher aber auch nicht, denn ich werde sie definitiv nicht nochmal lesen oder zitieren. Sie klauen kostbaren Regalplatz, und sie machen mich - Kondo lässt grüßen - nicht glücklich. Mein Motiv ist NICHT mit den Bücherverbrennungen der Nazis und all ihrer geistigen Vor-, Nach- und Wiedergänger vergleichbar, da ich mich mit den Ideen des Rassismus' und Trumpismus' bereits reichlich auseinandersetzen musste, so, wie sie uns medial aufgenötigt wurden und werden. 

Conclusio: Es ist ethisch völlig korrekt, die Bücher fachgerecht zu entsorgen.

Weder ich noch Andere sollten mich zwingen, mich mit Werken von Leuten zu umgeben, die die gute Sache verraten haben. 

Siehe auch hier und hier. 





¹ Nichts gegen Kunsthandwerk!




Sonntag, 26. Februar 2023

Abgebrochene Bücher

In letzter Zeit mehren sich bei mir Bücher, deren Lektüre ich wegen inhaltsbedingten Unwohlseins abbreche. Nennt mich hypersensibel¹, aber ich sehe keinen Sinn darin, mit Gewalt zu Ende zu bringen, was mir nur beschränkten Erkenntnisgewinn, aber mittelfristig negative vibrations beschert.

Da wären:

Niklas Frank: dunkel seele, feiges maul; Bonn, 2. Aufl. 2017; Untertitel: "Wie skandalös und komisch sich die Deutschen beim Entnazifizieren reinwaschen." Franks Stil ist nicht immer professionell, die genannten Beispiele und aufgezeigten Strategien dürften aber authentisch sein. Es ist frustrierend und erbärmlich, wie viel Lügen, Betrügen, Denunziantentum, Dreistigkeit und Korruption am Beginn unserer Demokratie stehen.

Volker Ullrich: Acht Tage im Mai; München, 2020; ein ganz hervorragend recherchiertes und dennoch leseappetitliches Werk, an sich rundherum empfehlenswert, aber in zeitlichem Zusammenhang mit dem Frank-Werk (s.o.) völlig deprimierend.

Etwas weg vom Krieg und Nazitum: Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit; München 2022. Mir war schon vorher klar, dass unsere Welt und unser Verteilungssystem auf hemmungsloser individueller Gier und nicht auf Gerechtigkeit basiert, aber wenn Piketty die trockenen, nachweisbaren Zahlen, die seine Leute und er mühevoll zusammengetragen haben, wenn er diese Zahlen gut lesbar, aber sachlich und wertfrei vorstellt, dann wird mir ob der Dimensionen der hervorscheinenden Ungerechtigkeit kotzeübel. Ich werde das Buch noch zu Ende lesen, ich schwör', aber ich brauche echt eine Erholungspause.

Heinz Schuler, Dominik Schwarzinger: Die Masken der Psychopathen; München 2022. Auch dieses Buch werde ich zu Ende lesen ... demnächst. Aber die sehr gut belegte These, dass subklinische Psychopathen in unserem Weltbild als die coolen, harten, ultra-durchsetzungfähigen Macher verehrt werden und entsprechend in den Hierarchien hochpurzeln und sich dort mit ihrer unheilbaren Krankheit (!) resident festsetzen, ist zur Zeit noch zu dicht an eigener Leidenserfahrung dran. Wenn Du auf den nächsten zwei Hierarchiestufen über Dir subklinische Psychopathen sitzen hast, bleibt nur die Flucht ². Trotzdem ist das Buch zwingend empfohlen.






 



¹ ... was ich durchaus nicht als Beleidigung auffassen würde... 

² Die Verfasser raten schon bei einem psychopathischen Vorgesetzten zur Flucht. Veränderungen einzufordern, Diskurse auf üblichen Dienstwegen sind bei dieser Diagnose nach Aussage Schulers/Schwarzingers völlig sachfremd. Die Krankheit ist im MRT nachweisbar, sie ist genetisch - und also nicht durch rationalen Diskurs heilbar.




Samstag, 25. Februar 2023

China-Papier


Ich habe mir gerade die Mühe gemacht, den heißdiskutierten chinesischen 12-Punkte-Plan zum Ukraine-Krieg von der Original-Quelle zu zapfen und zu lesen.  

Ich stelle fest: 

Die westlich-wütenden Kritiker haben natürlich recht, zu behaupten, das sei kein fertiger Friedensvertrag. Aber wenn man die Überschrift liest, stellt man fest, dass das auch überhaupt nicht intendiert war. Da steht nämlich "China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis", also "Chinas Position, Meinung...". Von Friedensplan steht im gesamten Text nichts.

Ich habe nicht verstanden, was an dem ersten Punkt falsch ist: "Universally recognized international law, including the purposes and principles of the United Nations Charter, must be strictly observed." Klar, mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Befolgung der UN-Charta¹ steigen die Chinesen natürlich auch den Amis, den Russen und den Europäern auf die Zehen, nicht nur sich selbst.

Den zweiten Absatz, der Kalt-Kriegs-Denken überwinden will, unterschreibe ich Punkt für Punkt vollinhaltlich. Leugnet noch jemand, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg geführt wird? Ok, dann wartet mal ab, wie der Krieg sich entwickelt, wenn die zunehmende Lustlosigkeit der Amis demnächst Wirkung zeigt.

Punkt 3 finde ich klug. Der besagt nämlich "Hört doch mal als erstes auf rumzuballern!" Gute Idee, das an den Anfang zu stellen.

Punkt 4: "Dialogue and negotiation are the only viable solution to the Ukraine crisis." Tut mir leid, den Punkt muss ich einfach gut finden, weil ich von Anfang an gesagt habe, es werde keinen militärischen Sieg in dieser Sache geben, für keine Seite. Schön, dass die chinesische Außenpolitik derselben Auffassung ist.

Der Rest ist auch völlig in Ordnung, besonders hervorheben sollte man vielleicht Punkt 8, der besagt, wie nett es doch wäre, wenn aus dem Ukraine-Krieg kein allgemeiner Atomkrieg entstünde. Jemand dagegen, ich bitte um Handzeichen...!?

Natürlich ist das ein sehr allgemein gehaltener Text, der daraufhin formuliert ist, möglichst allseitig zustimmungsfähig zu sein. Wie soll man denn anders Gespräche lancieren, die aus einer so festgefahrenen Situation herausführen? Immerhin haben wir es auf beiden Seiten mit Machthabern zu tun, für die die Einstellung des Schieß-Krieges NICHT an erster Stelle der Prioritätenliste steht. Sowohl die USA/Ukraine als auch Russland beharren auf Maximalforderungen, von denen sie wissen, dass sie für die Gegenseite inakzeptabel sein müssen. Trotzdem ändern sie nichts. 

Beide Seiten wissen auch, dass der erste eigene Anflug von Vernunft von der Gegenseite als Zeichen der Schwäche absichtsvoll missgedeutet und propagandistisch ausgeschlachtet würde. Es ist das Chicken-Game: Zwei Autos rasen aufeinander zu, und der Erste², der eine Ausweichbewegung macht, ist ein Weichei.  

In so einer Situation muss man die Beton-Birnen erstmal ein wenig aufweichen, vielleicht sogar überhaupt erstmal ansprechbar machen. Da kann man nicht mit konkreten Vorschlägen kommen, da muss man windelweich und flauschig einsteigen. So was weiß man doch, oder? Ich verstehe nicht mehr, warum unsere Plittikör*innen lieber hirnlos auf Beton setzen.


"Was keinen Widerstand hat, kann eindringen, wo kein Zwischenraum ist."
Mein alter Kumpel Lao-Tse - warum hört keiner auf ihn?!


(Laozi verändert via wiki commons)






¹ Haben die Chinesen sich bei "Charter / Charta" vertippt, oder habe ich was durcheinander gebracht?

² Ich habe hier absichtlich nicht gegendert.




Mittwoch, 22. Februar 2023

Fliegen heute

 

Heute habe ich die Fliegerei ein bisschen herbei-gezwungen, und die Ansage des Wetterdienstes, die tiefen Stratus-Schichten würden sich verziehen, trog.


Blick auf die Hunte östlich Oldenburg.

In der Summe war's okay. Den Arsch in die Luft zu bekommen, ist ein Wert an sich, und man kann das Ganze zumindest als Trainingsstunde buchen, raus aus der Flugwetter-Comfort-Zone blabla. Aber ganz ehrlich: Nach 'ner Stunde merkst Du, dass Nebel aus kleinen Tröpfchen besteht, und die sammeln sich auf Helm, Kombi und Flugzeug und machen das Leben nasskalt und freudlos.


Ein interessanter Effekt ist aber, dass Landschaft unter so einer Dunstglocke
 etwas Heimeliges, Abgeschlossenes bekommt, ein wenig wie in einer Schneekugel.

Dann war da noch ein Schwarm Kraniche genau auf meiner Flughöhe und wie immer bei derartigen Begegnungen völlig tiefentspannt und stressfrei. Leider hatte ich die Kamera für die Landung schon wieder verstaut und kann folglich kein Beweisfoto zeigen. (Abgesehen davon, dass Vogelflug-Aufnahmen aus dem Flugzeug ohnehin kaum gelingen.) Ich erwähne das einfach, weil's ein hübsches phänomenologisches Indiz für den nahenden Frühling ist. 


 


Und bei der Nachflugkontrolle¹ fiel mir erneut auf, dass Luftfahrerei immer extrem reduzierte und - wo es um Aerodynamik im engeren Sinne geht - harmonische Formen hervorbringt. 




¹ Stellt Euch darunter nicht zu viel vor. Ich tanke mein Flugzeug auf und prüfe überschlägig, ob erwähnenswerte Teile abgefallen sind. Wirklich wichtig nehme ich nur die Vor-(!)Flugkontrolle.




   


Panzermuseum II: Warum?


Natürlich muss ich mir die Frage gefallen lassen¹, warum es mich zu dem ganzen Kriegs- und Mordinventar des Panzermuseums hinzieht, warum ich mich überhaupt für militärische Technik und Geschichte interessiere. 

Mehrere Antworten sind parallel gültig. Nach Priorität geordnet:

Erstens: Ich bin Jahrgang 1962, was bedeutet, dass ich die Nachrüstungsdebatte Ende der 1970er schon ziemlich bewusst mitbekommen habe. Vor allem habe ich mitbekommen, wie uns die Rüstungsbefürworter ein ums andere Mal argumentativ von der Platte gefegt haben und wie wirklich erbärmlich und hilflos und dumm die Rüstungsgegner*innen sich immer wieder durch totale Ahnungslosigkeit blamierten. Das bedeutet nicht, dass die Rüstungsbefürworter tatsächlich die besseren Argumente hatten, denn das hatten sie nicht. Es bedeutet, dass sie überhaupt Argumente hatten und in die Debatte werfen konnten, während die Rüstungsgegner*innen nur so laberige Allgemeinplätze wie "Frieden schaffen ohne Waffen" absondern konnten. Wenig überzeugend und ein Grund für mich, nachzuhaken.

Zweitens: Irgendwann, als ich in der 9. oder 10. Klasse war, erschien mein Erdkundelehrer wieder mal völlig unvorbereitet und planlos zum Unterricht und beschloss spontan, uns ein paar Dinge über die damals aktuelle militärstrategische Lage der alten BRD im Kalten Krieg zu erzählen. Das wurde eine der spannendsten Doppelstunden meines Lebens, erfuhren wir doch, warum die westdeutschen Autobahnen gerne in Nord-Süd-Richtung, aber ungern in Ost-West-Richtung gebaut wurden, damit nämlich der russischen Panzerwalze der Durchstoß zum Atlantik nicht allzu leicht gemacht werde. Deshalb auch die Sprengkammern unter allen Autobahnbrücken, und wir erfuhren, was es mit dem Fulda-Gap auf sich hatte, wie wir die Vorrichtungen für Atom-Minen auf relevanten Verkehrs-Kreuzen erkennen konnten, dass die Reichweite französischer Atomraketen so begrenzt war, dass sie nur auf westdeutschem Gebiet niedergehen konnten etc. etc. 

Diese Doppelstunde, in den Rahmenrichtlinien garantiert nicht vorgesehen, war für mich ein totaler Augenöffner, und ich fragte mich, warum Schule, die den obersten Auftrag hatte und hat, uns zu mündigen Staatsbürger*innen zu erziehen, uns diese superwichtigen Informationen vorenthielt. Natürlich wollte und will ich keinen para-militärischen Unterricht wie in der DDR, aber wie sehr alles Militärische totgeschwiegen wurde, das empörte meine jugendliche Seele immer mehr. Und mir war klar: Wenn "die Erwachsenen" versuchen, ein Thema unterm Teppich zu halten, dann muss das richtig, richtig wichtig sein. Also begann ich, mich einzuarbeiten.

Drittens: Die menschliche Sozialgeschichte interessiert mich. Nein, das klingt zu hochtrabend. Ich wollte und will wissen, wie Menschen ticken, im Alltag, in Glaubens-Sachen, beim Sex, in Krieg und Not. Ich konnte mir z.B. anfangs nicht vorstellen, wie man so bescheuert sein konnte, in den engen Schützenlinien des absolutistischen Zeitalters in Europa gemessenen Schrittes auf den Feind zuzumarschieren und sich totschießen zu lassen. Wie tickten die Menschen, dass das ein paar Jahrhunderte lang möglich war?

Viertens: Meine Verwandten väterlicherseits² waren allesamt eher einfach gestrickt und in der Nazi-Zeit eher leicht zu begeisternde Mitläufer, weniger Täter im engeren Sinne. Wieso waren die sich alle so einig, dass ihr Wehrdienst - auch in Kriegszeiten - überwiegend positiv konnotiert war? Was war da los? Militärgeschichtliche Fragen, nicht aus der strategischen Perspektive, sondern aus der Sicht der kleinen Krauter. Angewandte Sozialwissenschaft. Aber auch: Wie ticken meine Verwandten?

Fünftens und letztens: Technikgeschichte ist ein überschaubares Feld, und Du kannst die Komplexität, in der Du es erforschen willst, selbst bestimmen. Das gilt für Panzer, aber auch für Flugzeuge, Trecker, Lokomotiven usw. usw. Die deutsche Panzergeschichte ist leicht gegliedert: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Zwischenkrieg, Nachkrieg. Die meisten stürzen sich auf den Zweiten Weltkrieg, da gab es sechs Grundtypen und ein, zwei tschechische Modelle. Wenn man die kennt, kann man schon mal eine Menge Bilder zuordnen. Und wenn man Lust hat, kann man dieses Wissen Schritt für Schritt ausbauen ad infinitum. Das ist wie Briefmarkensammeln. Wer's ausprobieren möchte, kaufe im Ramsch-Handel ein Billig-Buch über Lokomotiven. Da findet man unglaublich viel Wissenswertes für 7,49 €.




¹ ... und immer wieder selbst stellen

² Mütterlicherseits war nicht viel Verwandtschaft.






Dienstag, 21. Februar 2023

Panzermuseum I: Allgemeines über Exponate und so


Heute endlich Panzermuseum Munster jewesen. Kann unbedingt empfehlen! Wer's nich' hinschafft, weil's ja mitten inna Pampa liegt, sollte wennixxens den virtuellen Rundgang und die vielen guten Youtube-Videos des Kanals goutieren.

Dass die Sammlung gut und sinnbringend ist, muss nicht weiter erwähnt werden, und der Museums-Direktor, Ralf Raths, macht auch als Spiritus rector den best-wünschbaren Job. Wem Militärgeschichte und -technik nicht fremd sind, dem sind die meisten Exponate natürlich bekannt, aber bei aufmerksamer Betrachtung erfährt man immer wieder neue Details. 

Ich blubbere mal einfach im Stream-of-Consciousness: Der Panzer I ist noch viel kleiner, als ich ihn aufgrund der Fotos einschätzte. Die Panzer III und IV sind in realiter in ihren Standard-Ausführungen hingegen genau so langweilig, wie sie auch in den Dokumenten rüberkommen. Der Sherman dito, der T-34 tut seine museale Pflicht, beim zweiten Exemplar, dem T-34/85 achte man aber auf die Details ...

Völlig neu einschätzen muss ich diesen Kasemattpanzer aus den frühen 1970ern, den ich bei meinem ersten Besuch in diesem Museum vor, ach Gott, 30 Jahren als ganz und gar dummes Ich-hab-die-größeren-Wummen-Projekt missverstanden habe. Zwar erfüllte das Projekt nicht die Erwartungen, aber so ganz dumm war es auch wieder nicht, wie aus dem Text des Aufstellers hervorgeht.

Ganz allgemein stelle ich wieder mal fest, dass ich die halbfertigen, die halbreifen Projekte besonders mag, jene, bei denen man deutlich erkennt, dass die Macher*innen dabei noch auf der Suche waren oder aufgrund äußerer Zwänge, wie z.B. Materialknappheit nicht so konnten, wie sie wollten.    

(Ich musste hier ein wiki commons-Bild aus dem Museum verwenden und verfremden, da meine eigenen Fotos nicht gut genug sind.)
Die Jungs¹, die in einer Frontwerkstatt behelfsmäßig eine nicht ganz kleine Panzerabwehrkanone auf einen dazu völlig ungeeigneten Raupenschlepper gebraten haben, verdienen mehr Respekt, als die Entwickler-Teams, die aus dem bekannten, erfolgreichen, aber zu schweren Tiger I in langweiliger Fantasielosigkeit einen noch schwereren, größeren und unbeweglicheren Tiger II entwickelten. Die Improvisation mit der Pak zeigt, wie sehr die Kacke am Dampfen war, der Tiger II ist dagegen nur eine abseitige Große-Jungens-Fantasie.

Und bei dem kleinen, unscheinbaren britischen Ferret, einem Zwei-Personen-Spähpanzer aus den Anfangsbeständen der Bundeswehr, überlegte ich, ob so ein kleines, schnelles Frettchen, das für die antizipierten Panzer-Schlachten im mitteleuropäischen III. Weltkrieg als zu mickrig ausgemustert wurde, in aktualisierter Form und mit künstlich-intelligenten High-Tech-Waffen heute nicht fröhliche Urständ feiern könnte. 


Die großen, modernen Main-Battle-Tanks erscheinen mir dagegen immer mehr wie ziemliche Dinosaurier.

Ein allgemeiner Tipp an Museums-Macher*innen: Gebt uns auch das Unfertige, das Kaputte und Ursprüngliche. So wie die Reste dieses SdKfz 10 im Eingangsbereich: 


Für uns Connaisseurs ist so ein Haufen Schrott wie ein gutes Sudoku: Mit Logik und Scharfsinn kannst Du die fehlenden Teile erschließen, und das macht mehr Spaß, als immer nur fertige Restaurierungsergebnisse zu sehen. Aktiv vs passiv, Ihr versteht?

Es muss noch einiges zum Publikum gesagt werden, eigentlich der wichtigere Teil, aber der Text ist ohnehin schon zu lang, ich reiche das nach. 




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¹ Ich bemühe mich, genderbewusst zu formulieren, aber ehrlich gesagt bezweifle ich, dass Mädels bei der abgebildeten Frontmodifikation ihre Finger im Spiel hatten.