Bin neulich ganz beiläufig über den Begriff "Hallstein-Doktrin" gestolpert. Interessante Sache, das.
Ursprung im furz-konservativen Anti-Kommunismus der frühen Adenauer-Zeit und von ebendieser Regierung beschlossen: Die diplomatische Anerkennung der DDR durch andere Nationen sei gleichbedeutend mit einer Infragestellung des westdeutschen Alleinvertretungsanspruches doitscher Interessen und werde folglich als unfreundlicher Akt gegen die BRD betrachtet.
Diese Doktrin wurde nicht so richtig konsequent durchgezogen und zwischen 1955 und 1969 immer wieder der Opportunität geopfert und schließlich im Sinne der versöhnlichen Ostpolitik Brandts abgeschafft. Aber angesichts der Situation der jungen BRD war das damals, 1955, ein ziemlich starkes Signal - wenn auch von den falschen Leuten aus den falschen Motiven mit falscher Zielsetzung.
Nichtsdestotrotz:
- Ich stelle mir im Jahre 2025 eine deutsche "Menschenrechts-Doktrin" vor, eine weltweit gültige Ansage, dass Deutschland Nationen, in denen gegen die UN-Charta der Menschenrechte verstoßen wird, vollständig boykottiert, politisch, diplomatisch und vor allem wirtschaftlich.
Ok, so ein Boykott ist natürlich eine härtere Gangart, als die Erklärung, es liege ein "unfreundlicher Akt" vor, aber wer ernsthaft mit uns zusammenarbeiten will, sollte die Minima menschlichen Zusammenlebens achten. Das ist kein Zwang, keine Unterdrückung, nur eine Regel, an der andere sich orientieren können oder auch nicht.
Da wir einmal dabei sind, machen wir auch
- eine "Klima-Doktrin". Wir arbeiten nur noch mit Nationen zusammen, die sich ehrgeizige CO₂-Ziele (was zu definieren wäre) gesetzt haben und empirisch nachweisbar ihren CO₂-Ausstoß reduzieren (ohne auf Atomkraft auszuweichen).
- und / oder eine "Pressefreiheits-Doktrin": Wir arbeiten nur noch mit Nationen zusammen, die nach RSF mindestens "zufriedenstellende" Bedingungen in Sachen Pressefreiheit nachweisen. Es ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass RSF damit eine ziemliche Machtposition bekommt. Ist das schlimm? Solange die keinen Mist bauen, können wir's ja erstmal laufen lassen.
- und / oder eine "Rechtsstaatlichkeits-Doktrin": Wir arbeiten nur noch mit Nationen zusammen, die nach dem Rule-of-Law-Index des World-Justice-Projects einen Index von 0,66 haben. Alter Schwede, da wird aber die Luft dünn! Egal, der Wert "0,66" ist gleichzusetzen mit nur zwei Dritteln des Möglichen. Das ist schon beschissen genug. Wer da noch drunter liegt ... nää, echt nicht, das ist doch unappetitlich!
- und / oder eine "Toleranz-Doktrin": Wir arbeiten nur noch mit Nationen zusammen, deren LGBTQIplus-Toleranz-Situation besser als 66 % ist. Zwei Drittel des Möglichen ist auch hier ein ethisches Minimum. Drunter geht gar nicht, und außerdem fliegen bei diesem Limit viele Länder raus, die auch schon bei "Menschenrechten", "Pressefreiheit" und "Rechtsstaatlichkeit" rausgeflogen sind. Es entstünde kein zusätzlicher Flurschaden.
- und / oder ...
Jajaja, ich weiß, das ist alles Quatsch. Erstens sind wir selbst überhaupt kein Musterländle und müssten uns wegen des Klima-Kriteriums selbst boykottieren. Zweitens würde so viel Ethik den Profitinteressen der global agierenden Konzerne entgegenlaufen und ist ergo ohnehin unrealistisch.
Es sei denn, man wolle es unbedingt!