Mittwoch, 6. Januar 2021

Sehr Heutiges über Gestriges


Neulich zufällig ein aktuelles Interview mit Annie Lennox gefunden. Das ist die, die als Eurythmics-Sängerin vor zig Jahren so großartige Sachen wie "Here comes the rain again" und "Sweet Dreams" gemacht hat. Was mir auffiel: Auch heute noch, ein Dritteljahrhundert später, tritt sie für die gleichen Werte ein, die damals schon ihr künstlerischen Schaffen befeuerten. Sowas beeindruckt mich. Die ästhetischen Werke werden dadurch nachträglich geadelt *, denn die unerbittliche Zeit hat ihrer Aussage nichts klauen können.

Das gleiche Gefühl hatte ich auch bei dem rezenten Interview mit Grace Slick, der einstmaligen Sängerin von Jefferson Airplane. Die Hochbetagten unter uns erinnern sich an die legendäre Performance von "White rabbit" in Woodstock '69 ... seufz! Ja, und wenn die heute 81jährige mit unglaublicher Vitalität brandaktuelle und kluge Gesellschaftskritik vom Stapel lässt, dann lacht unsere Seele und freut sich ob der durch die Zeit geschmiedete Gewissheit, dass der Woodstock-Gig eben keine opportunistische Show war, sondern tiefempfundene, authentische Botschaft ist.

Hach, wo wir schon bei Woodstock sind: Ebenfalls legendär ist ja Country Joe McDonald mit dem "Fixing to Die Rag", vulgo "Vietnam-Song". Der gute Joe hat sich vor wenigen Jahren zur Ruhe gesetzt, ist auch nie zum Mega-(reichen)-Star geworden, aber seiner Sache immer treu geblieben, wie man auf seiner website sieht. 

Warum ist das sowas Besonderes? Weil es auch ganz furchtbare Gegenbeispiele gibt: 

Wie kann Meat Loaf in jungen Jahren "Bat out of hell" machen und sich im Alter medienwirksam als Trump-Freund einschleimen? Ja, gut, wir wissen, dass er sich mit Alk und Drogen das Hirn weggeflext hat, da kann man schon mal versehentlich zum Trump-Fan werden, wenn man nicht aufpasst. Das bedeutet aber auch, dass das Lebensgefühl, das Meat Loaf uns vorgelebt hat, entweder eine Lüge war, um mit dem Rebellenimage Geld zu scheffeln oder dass das Lebenskonzept bewiesenermaßen untauglich ist, wenn es uns denn als Vollidioten enden lässt.

Oder Janis Joplin. Himmel, wie sehr hat mich "Mercedes-Benz" angefixt! Aber ein paar wenige Tage nach dem Einspielen hat sie sich im Alter von 28 Jahren mit einer Überdosis in eine hoffentlich bessere Welt geballert. Das ist an sich traurig genug, aber es nimmt darüberhinaus ihrem künstlerischen Wollen die Spitze. Die gute Janis hatte offensichtlich keinen schlüssigen Entwurf, den sie uns als gangbare Alternative zu ihrer sehr berechtigten Gesellschaftskritik anbieten konnte. Ihr persönliches Leid ist in ihrem Gesamtwerk erkennbar, das ist immerhin etwas. Aber einen Appell könnte ich da nicht herauslesen. 

Ganz doof fühle ich mich auch mit Rammstein. Wie klug war "Amerika", wie erfrischend grenzwertig "Engel" im Madison Square Garden. Aber dann? Nur noch Normenverstöße nach rechts, immer nach der miesen, feigen AfD-Taktik, erstmal was Grundgesetzwidriges / Ekliges / Nazi-Verherrlichendes** rauszuhauen und dann schrittchenweise unter dem Eindruck der Kritik zurückzuweichen. Texte wie in "Benzin" sind nicht eindeutig gewaltverherrlichend, ich weiß. Aber es ist keine Kunst, wenn ich konstatieren muss, die darin enthaltene Scheiße sei mir wenigstens nicht direkt ins Gesicht gesprungen. Ganz ehrlich: Rammstein ist fertig, die haben nichts mehr zu sagen und kochen nur noch eine unappetitliche Suppe nach der anderen nach ewiggleichem Rezept.

Status Quo hat nach einem Dutzend richtig guter Sachen vor 50 Jahren zwar auch nichts Neues mehr gemacht und leidliches Geld mit dem ewigen Wiederholen dieser Erfolgs-Songs verdient, aber das finde ich nicht schlimm: Sie haben ein gutes Produkt, und sie müssen von was leben. Und wenn das Publikum glücklich ist - was will man mehr? Status Quo hat immerhin nichts und niemanden verraten. Das ist's, worauf es ankommt.

Mir fallen unzählige Beispiele ein, sowohl für jene, die auch nach Jahrzehnten noch zu ihrer "Sache" stehen und sie damit immer authentischer machen als auch für jene, die ihre einstigen Kunstwerke als Scharlatanerie demaskiert oder sonstwie entwertet haben. Aber das ist hier nicht die Abteilung "Opa erzählt vom Krieg...". 

Worauf die Beispiel-Sammlung abzielt: Ich bin unglaublich gespannt, wer von den aktuell aktiven und berühmten Musik-Schaffenden in zehn, zwanzig Jahren  noch zu ihrem Stoff stehen - und bei wie vielen sehr schnell klar geworden sein wird***, dass sie nur des Kommerzes wegen mitgedödelt haben. Vielleicht sollte man schonmal Wetten darauf abschließen.


(stark verändert via wiki commons)

Eine von den Guten: Hazel O'Connor (Decadent Days)




*nicht, dass sie das nötig hätten, aber es geht ja auch anders...

** Man schaue sich das Lindemann-Kostüm Paris 2018 an und kotze im Strahl.

*** Futur II, ich habe EWIG gewartet, es mal wieder sprachlogisch korrekt einsetzen zu können!







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