Seit dem 01. Februar bin ich auf eigenen Wunsch frühpensionierter Lehrer und hatte also inzwischen ein wenig Zeit, mich mit der neuen Rolle auseinanderzusetzen. Ich stelle fest:
Erstens: Es ist mir wieder möglich, Momente in Ruhe zu erleben und mich auf diese Ruhe einzulassen. Beispiel: Ich sitze im Garten und höre den Vögeln beim Frühlings-Zwitschern zu. Das habe ich früher auch gemacht, dann aber immer mit dem kleinen Mann im Ohr, der mir sagte: "Ja, genieß' das mal, nachher musst Du noch Unterricht vorbereiten / Klausuren korrigieren / telefonieren / blabla." Das fand ich nicht schlimm, man war's ja gewöhnt, aber aktuell überrascht mich der Kontrast. Diese ganz und gar ungestörte Ruhe erinnere ich aus Kinder- und Jugendzeiten, und sie wiedergefunden zu haben, ist ein Geschenk.¹ Und dieser Eindruck dominiert alles Andere.
Zweitens: Was ich mir noch nicht hinreichend abgewöhnt habe, ist das Status-Denken. "Pensionierter Lehrer", wie scheiße klingt das denn!? Mich trieft da die ekelerregende Geschichte eines langweiligen alten Sacks an, der für richtige Jobs zu unfähig war², der nur in der streng geschützten und reglementierten Umwelt der staatlichen Schule überlebensfähig war und der jetzt, da ihm sogar die behördlich legitimierte Tyrannei über Kinder und Jugendliche entzogen ist, eigentlich gar nichts mehr ist und hat und dessen Wissen und Erfahrungen außerhalb der Institution eigentlich auch zu gar nichts mehr zu gebrauchen sind. Der aber monatlich eine Mörder-Kohle einstreicht, money for nothing, bedingungsloses Grundeinkommen vom Feinsten ...
An dieser Verachtungs- und Neid-Sache muss ich noch ernsthaft arbeiten.
- Soll ich meinen Status künftig besser leugnen? "Ich bin Schriftsteller, Flieger und Philosoph!"
- Oder soll ich offensiv damit umgehen? "Klar ist das geil, frühpensionierter Lehrer zu sein. Hättste ja auch machen können, Blödmann. Augen auf bei der Berufswahl, Du Loser!"
- Oder wie wär's mit der Selbstbezichtigung maoistischer Prägung? "Ja, ich habe mich dem System prostituiert, habe Kinder und Jugendliche verführt, ihre Seelen verkrüppelt und ihre jungen, unschuldigen Leben den kapitalistischen Verwertungsinteressen zugeführt, und dafür lasse ich's mir jetzt richtig gut gehen."
Würmelt vielleicht irgendwo in mir der Gedanke, dass ich, solange ich Kohle vom Staat kriege, gesamtgesellschaftlich relevant zu sein und zu bleiben habe?
¹ Ok, es ist natürlich KEIN Geschenk, denn ich zahle dafür mit knallharten Abzügen bei meiner Pension. Aber da ich mich vom Geld wirklich erfrischend weit emanzipiert habe, bin ich's sehr zufrieden, wie es nun ist.
² Wie mein späterer Ex-Schwiegervater beim ersten Treffen sagte: "Ach, Du studierst. Willst Du gar keinen richtigen Beruf lernen?"