Ich habe früher nie verstanden, wie so große und mächtige Reiche, wie das Ägypten des Altertums oder das römische Imperium jemals untergehen konnten. Klar, man hat mir etwas von Barbaren-Einfällen, von Kriegen und Gewalt, sogar von Klima-Veränderungen erzählt, aber das waren allesamt Sachverhalte, die vorher auch schon da gewesen sind und mit denen sich jede soziale Großstruktur seit jeher herumschlagen musste und muss. Keine wirklich befriedigenden Erklärungen für den Untergang von Imperien.
Seit gestern, seit den Bildern der marodierenden Idioten vor dem Kapitol in Washington, weht mich so ein Hauch von Ahnung an, wie ein eigentlich florierendes Großreich sich quasi über Nacht selbst vernichtet. Es liegt natürlich nicht an Trump, das wäre zuviel der Ehre. Ebensowenig wie Hitler in persona im Stande war, einen Völkermord zu exekutieren, kann ein alter, psychisch kranker Mann wie Trump die einst mächtigste Nation der Welt in die Grütze hauen.
Auch wenn's schwer fällt, müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen: Ein erheblicher Anteil der Bevölkerung der USA, fast die Hälfte der Wahlberechtigten, befürwortet enthusiastisch, dass sich ihr Land auf das politische Niveau autokratisch regierter Bananenrepubliken begibt. Der Wille zur Demokratie, zu Aufklärung und Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind futsch.
Und das ist nicht erst seit gestern so, der Verrottungsprozess der freiheitlichen Strukturen muss schon unter Obama begonnen haben, denn dass Trump ein Oberarsch ist, war bereits zu dem Zeitpunkt klar, als er gewählt wurde. Vielleicht werden Historiker später einmal konstatieren, dass sich unter Trump ein Aufschaukelungskreis von Dummheit, National-Egoismus und individueller und sozialer Machtgeilheit installiert hat, der zu den gestrigen Bilder geführt und das Ende der Weltmacht No. 1 als solche eingeläutet hat. Aber ich will nicht vorgreifen.
Heute können wir nur folgendes sicher sagen:
1. Die Geister, die hier geweckt worden sind, werden die USA nicht mehr los. Wenn die zentrale politische Insitution eines Weltreiches einmal gestürmt werden kann, dann kann sie potentiell immer wieder gestürmt werden.*
2. Ob es einen autokratischen Staat mehr oder weniger auf der Welt gibt, ist inzwischen eigentlich wumpe, aber dieser Staat hat irrsinnige militärische und wirtschaftliche Macht. Ein Psychopath verdient unsere Solidarität und sollte von erfahrenen Mediziner*innen behandelt werden, ein schwerbewaffneter Psychopath ist allerdings eine ernste Gefahr.
3. Ich hatte immer noch die naive Hoffnung, die USA könnten - nach Trump - eine Alternative zu den auch nicht gerade sympathischen Machtblöcken China bzw. Russland sein. Ich dachte, die transatlantische Solidarität könnte à la longue wieder aufleben und unsere westliche, freiheitliche Kultur befeuern. Das wird nichts. Selbst wenn Biden vereidigt wird, wird er sich angesichts der bedrohlichen nationalistischen Stimmung und Gewaltbereitschaft nicht rühren können. Ein unberechenbares Pulverfass ist kein guter Allianzpartner.
4. Diesen Vertrauensverlust erlebe nicht nur ich, wie ich vermute. Ganz unbescheiden behaupte ich, dass das weltweit so empfunden wird. Von den Bildern des besetzten Kapitols werden die US sich nie mehr erholen. Das Vertrauen ist weg, dem bewaffneten Psychopathen begegnet man nur noch mit professioneller klinischer Aufmerksamkeit und Vorsicht.
Tja, und so (!) gehen Weltreiche unter.
* Interessant: Die riesengroße Bedeutung von Senat und Repräsentantenhaus bei der politischen Willensbildung wird in Paragraph 1, Absatz 1 der amerikanischen Verfassung geregelt. Das macht die Fallhöhe der gestrigen Nummer klar, oder?