Samstag, 5. Juli 2025

Glosse 2 zu Exupérys "Terre des Hommes"


Jetzt kommt ein schwieriges Kapitel. 

In Unterkapitel 5,V (S. 126 ff) berichtet Saint Ex aus seiner Zeit als Stationsleiter der Aéropostale in Cap Juby in der umkämpften West-Sahara / Marokko. Im Gespräch mit einheimischen Widerstandskämpfern berichten diese von ihrem Kampf gegen den berüchtigten französischen Hauptmann Bonnafous

"... von seiner sagenhaften Berühmtheit in der ganzen Sahara. Sie sprachen von ihm mit Ingrimm, aber doch wie von einem Gott. (...) Man weiß nie, ob er nicht am gleichen Tag schon auf unbegreifliche Weise plötzlich hinter den Kriegsscharen, die gegen das französische Gebiet im Süden ziehen, auftaucht (...) Die Gewalt seiner Ausstrahlung ist so groß, dass er alle Stämme zwingt, sich seinem Flammenschwert zu stellen." (S. 127)

Um so irritierter sind die Krieger, als sie erfahren, dass besagter Hauptmann Bonnafous einfach nach Frankreich abgereist ist, und sie fragen Saint Ex, ob und wann er denn wohl wiederkäme. Die Frage kann A.S.Ex. seinen Gastgebern nicht beantworten, zumal er Bonnafous nie gesehen hat, aber er versteht das äußerst widersprüchliche Gemisch aus Hass und Liebe, das hinter der Frage steht. 

Der Hass der West-Saharois¹ gilt dem gefürchteten, unterdrückerischen Feind, die Liebe gilt dem militärischen Gegner, der ihrem Leben Inhalt und Bedeutung verleiht:

"Ihm ist zu danken, dass die Gegend um Cap Juby nicht ein schläfriges Lager müßiger Hirten ist. (...) Seinetwegen muss man nachts die Zelte schließen und Wachen aufstellen. Das tiefe Schweigen im Süden, dieses packende und erregende Schweigen - es ist das Schweigen von Bonnafous! Und Mujan, der alte Jäger, hört ihn gehen, draußen im Wind. 

Als Bonnafous nach Frankreich heimkehrte, waren seine Feinde weit davon entfernt zu frohlocken, und ehrlich betrübt. Es war, als wenn sein Weggang der Wüste einen Teil ihrer Daseinsberechtigung und ihnen selbst ein wenig von ihren höheren Lebenszielen nähme." (S.130 f)

Ich komme nicht drum herum, mir zu überlegen, wie viele Konflikte weltweit aus exakt derselben Motivation immer wieder neu befeuert werden. Denken und fühlen wir doch mal, wie die Gesprächspartner von Saint-Exupéry in der West-Sahara 1926.

Wenn die Konflikte aufhörten, was wäre?

  • Palästina/Israel: Langweilige, feucht-heiß-trockene Einöde, bisschen Agrar-Exporte. Die israelische High-Tech-Branche, hätte es die ohne die Konflikte und die entsprechenden US-Subventionen überhaupt gegeben?
  • Korea ohne Nord-vs-Südkonflikt: Kulturell bestimmt ganz interessant. Die Schweinebacke würde es sofort von der Platte putzen.
  • Wenn Ukraine und Russland sich vor dem Beginn des Schieß-Krieges geeinigt hätten: Irgendwas in the middle of nowhere, ich meine: Was ist spannend an Kasachstan? 
  • Interessierte uns vor der Explosion auf dem Balkan wirklich die Differenz zwischen Serbien und Bosnien? Warum auch?

Was bliebe bei diesen Beispielen in puncto Daseinsberechtigung und Lebensziele übrig? 

Natürlich nicht nichts.

Aber so richtig wichtig wäre da ja auch nix, oder? Die Länder und die Menschen darin wären einfach nur normal wichtig. Landschaftlich gäb's schöne und kackenhäßliche Ecken, wie überall, wirtschaftlich gäbe es mehr oder weniger Möglichkeiten zum Erfolg, wie überall, und menschlich gäbe es genau denselben Anteil von Arschlöchern und Idioten², wie überall.


Was Antoine de Saint-Exupéry uns sagen will, ist:
"Scheiß auf 'Daseinsberechtigung' und 'höhere Lebensziele',
wenn Du dafür Krieg führen musst!"



(via https://www.freeworldmaps.net/de/israel/)

Der "Nahe Osten" wäre herrlich kacken-langweilig,
wenn die Menschen nicht so bescheuert wären.



¹ Ja, ungegendert. Ganz bewusst.

² Verzeihung, da sollte natürlich stehen "... denselben Anteil von Arschlöchern und netten, klugen empathischen Menschen, wie überall." Keine Ahnung, wie mir dieser Fehler unterlaufen konnte.