Rückblickend glaube ich in meiner ganz persönlichen Geistesentwicklung drei Weltbilder unterscheiden zu können:
Da war zunächst das Weltbild des Kindes, das natürlich ganz weitgehend von den Eltern geprägt war. Der Horizont des Kindes umfasste die engere Familie und die Sandkisten-Freundschaften, später dies und das aus der Grundschule und war also sehr beschränkt. Aber ich hatte durchaus das Gefühl, ein widerspruchsfreies und vollständiges Erklärungsmodell aller Aspekte meines Lebens zu haben. das war eine glückliche, unbeschwerte Zeit.
Nach der Kindheit kam das Jugendalter, und da mein geistiger und körperlicher Bewegungshorizont wuchs, stellte ich fest, dass ich mein kindliches Weltbild in fast allen Teilen revidieren und erweitern musste, und zwar nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder. Gleichzeitig musste ich tagtäglich auf der Basis des gerade gültigen Bildes Haltungen zeigen und alltagshandeln.
Je volatiler mein Weltbild in jener Zeit aufgrund der ständig neu auf mich einprasselnden Sinneseindrücke wurde, desto mehr sehnte ich mich nach einem einfachen, abschließenden, zuverlässigen, alleserklärenden Weltbild, damit endlich Ruhe im Karton der Erkenntnis wäre. Dieser Wunsch führte dazu, dass mein Denken schluderig wurde. Um die Anstrengung zu vermeiden, alle naselang ein neu an der Realität ausgerichtetes und Realität kongruent erklärendes Weltbild basteln und erproben zu müssen, begann ich, logische Widersprüche zu verdrängen, wegzudeuteln oder sie mir egal sein zu lassen.
Diese Phase meines geistiges Lebens ist in meiner nachgehenden Betrachtung die mit der höchsten Dichte tiefst-empfundener Peinlichkeiten. Eine Zeit lang war ich sogar Nazi, und ich war gut darin, weil meine Verwandtschaft reichlich Rollenmuster anbot. Und so peinlich mir das im Nachhinein ist, so weiß ich doch, wie sehr ich es damals als Schwerst-Pubertierender genossen habe, dass sich mir da ein einfaches, schlüssiges Weltbild anbot, das mir endlich die erhoffte geistige Ruhe und Sicherheit gab und mir den lästigen Zwang zum Selberdenken und Zweifeln nahm.
Schade, irgendwann geht die schönst-schlimmste Pubertät zu Ende, und Du merkst, dass es wieder etwas ausmacht, wenn Du unsauber denkst und miefige geistige Bequemlichkeit der eisekalten, anstrengenden, ständig fordernden Vernunft vorziehst.
Seitdem, seit nunmehr etwa 40 Jahren, arbeite ich an Weltbild Numero 3. Wesentlicher Bestandteil davon ist das Wissen, dass diese Arbeit in diesem Leben nicht abzuschließen sein wird. Ich hab's mir abgeschminkt, eines Tages zu erwachen und zu sagen: "Ah ja, jetzt habe ich alles verstanden, jetzt habe ich die Welterkenntnis und kann alles erklären."
Merke: Wer Ergebnisse will, wird religiös-politischer Fundamentalist und verharrt geistig zeitlebens in scheinbar verantwortungsfreier Pubertät, genießt dafür die stickig-schwitzig-müffelnde Bettwärme unveränderbarer, kollektiv oktroyierter Doktrin.
Wer hingegen Erkenntnis, Wissen, Wahrheit will, steht draußen vor der Tür und erlebt ständigen Wandel, Unsicherheit, Anstrengung, Abenteuer, Versuch und Irrtum, Rückschläge und manchmal Erfolge.
Weltbild Numero 3 strebt nicht nach glückselig-machendem Ergebnis, Weltbild Numero 3 ist ein permanenter, kräftezehrender Prozess. Glückseligkeit findet da nur, wer geil auf Wahrheit ist.
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