Montag, 28. Oktober 2024

Warum diese Texte?

 

Anscheinend fragen sich einige Menschen meines näheren Umfeldes, ob meine jüngsten Texte über Alter, Sterben und Tot-Sein einen konkreten, eventuell besorgniserregenden Anlass haben, und die Antwort lautet "Nö, nicht dass ich's wüsste."

Was ich aber weiß, ist, dass ich meistens (und falls überhaupt) der Allerletzte war und bin, der die eigenen wichtigen persönliche Entwicklungen bzw. Veränderungen registriert. Mathematisches Lebensalter, zunehmende Faltenbildung im Gesicht und anderswo und alterstypische Zipperlein sind zwar Hinweise auf Alt-Sein, aber diese Hinweise erreichen mich nur rein kognitiv. 

Das ist wie beim Begriff "Lichtjahr". Wir wissen verstandesmäßig, dass damit eine Strecke von 9,46x10¹² (9,46 Billionen) km gemeint ist. Und wenn wir unsere Phantasie mühevoll hochpeitschen, dann spuckt unser Hirn vielleicht noch einen Kommentar aus, wie "Boah, das ist aber echt viel ... also weit ...". Aber wirklich fühlen tun wir's nicht. 

So ist das bei mir mit dem Alt-Sein. 

Und damit kommen wir zur Frage, warum ich diese Texte über das Altern und überhaupt Texte schreibe. Dazu ein Zitat, das ich ohne klare Quellenangabe im I-net fand:

"Schreiben ist der Prozess, durch den Du merkst, dass Du gar nicht verstehst, worüber Du redest. (...) Schreiben ist auch der Prozess, durch den Du das herausfindest. Über etwas zu schreiben informiert Dich darüber, was Du weißt, was Du nicht weißt und wie Du denkst. Über etwas zu schreiben ist einer der besten Wege darüber zu lernen. Schreiben ist nicht nur ein Vehikel, um Ideen mit anderen zu teilen, sondern auch ein Weg, sie selbst besser zu verstehen."

Oder sehr frei nach Wittgenstein: Wenn Du Deine Gedanken durch die Mühlen sprachlich-grammatischer Logik drehen kannst, sind sie möglicherweise nicht falsch.






Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen,
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.

G. Benn 1941







(stark verändert via wiki commons / DLR)











Samstag, 26. Oktober 2024

Alt-Sein - eine ganz neue Erfahrung! Teil 3: Habe ich was verpasst?

 

Angst vor dem Sterben und Tot-Sein resultiert für viele Menschen anscheinend aus der Angst, etwas verpasst zu haben und der einsetzenden Gewissheit, gewisse Ziele definitiv nicht mehr erreichen zu können, jedenfalls nicht in diesem Leben.

Meine Selbst-Prüfung ergibt:

Verpasste Besitzstände: 
Ohne eigenes Zutun, ohne eigenen Verdienst, nur durch eine äußerst glückliche Aneinanderreihung geographischer, kultureller und historischer Zufälligkeiten gehöre ich zu den reichsten 4 bis 5 Prozent der Menschen dieses Planeten und zwar all-time up to now. Würde ich Materielles vermissen, müsste man mir mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf schlagen. Mehrfach.

Verpasster Sex: 
Vermutlich ist es ein evolutionär stabilisiertes Verhalten, immer mehr Sex haben zu wollen. Aber es gibt auch ein Quantum sexueller Erfahrungen, nach denen ist immer mehr Sex nichts weiter als das: Einfach nur immer mehr davon. (Was nicht bedeutet, dass das nicht schön sei!) Weitere Details sind privat, aber ich habe nichts zu bedauern und zu beklagen.

Exkurs: 
Nur einmal, da gab es eine Situation, in der eine sehr nette und unfassbar attraktive Freundin mich zu einem ONS animieren wollte, und ich hab's nicht kapiert, weil ich es für ausgeschlossen hielt, dass eine wie SIE mit einem wie MIR ... Verpasste Situation, unwiderbringlich verpasst, bedauerlicherweise. Können wir den alten Spielstand nochmal laden? Nein? Verdammt! Im nächsten Leben, ich schwör's ...
Schluss damit! Was bleibt, ist der Name der Rose. (frei nach Umberto Eco) 
Exkurs Ende

Verpasste Jugendlichkeit: 
Au ja, ich hätte gerne wieder meinen Körper von, sagen wir 20 bis 24 Lebensjahren zurück. Ohne die ganzen Scheiß-Zipperlein, die sich später zwangsläufig einstellen, weil wir biologisch nur für eine Laufzeit von 40 Jahren gebaut sind. Was ich nicht vermisse, sind Disco-Besuche, Akne, Stimmbruch, zaghafte Liebeleien, all das Verletzen und Verletzt-Werden in spätpubertären Beziehungskisten. Nein, ich bin gerne erwachsen, kein Problem!

Verpasste Erkenntnis:
Gestattet mir die selbstschmeichlerische Feststellung, dass mich ein unersättlicher faustischer Erkenntnisdrang umtreibt. Es könnte also sein, dass ich in der Sekunde meines Dahinscheidens auch mit unbefriedigter Neugier hadere, sofern mich da nicht andere Dinge ablenken. Hier setze ich allerdings große Hoffnung auf die Option, dass nach besagtem Dahinscheiden nicht Nichts, sondern unter anderem universelle Erkenntnis folgt. So oder so ist da kein bedauerns-werter Zustand zu erwarten. Alles gut.

Verpasste Zuwendung: 
Was ich wirklich unrettbar und unwiderruflich verpasst habe und bedauere: Ich habe meinen Söhnen nicht so viel Liebe und Zuwendung und Wertschätzung geschenkt, wie sie verdienen. Gründe und Details sind mein Privat-Scheiß.
Und dann gibt es garantiert noch viele Menschen, die ich nicht so wertschätz(t)e, wie sie es verdienten oder denen ich das nicht hinreichend kommuniziert habe. Aber letzteres ist eine Binse und nicht so eklatant, dass es mir die After-Life-Party restlos versauen würde. 


Fazit:
Diese Liste berücksichtigt nur die Frage, ob ich beim Sterben Angst haben muss, etwas verpasst zu haben. Es ist keine Lebens-Bilanz, da z.B. Erfahrungen großer Freude und großen Leids nicht erfasst werden. Außerdem habe ich ja erst 78 % meiner mir zustehenden Lebenszeit abgelebt, da kann also noch was kommen.

Und was ist das bisherige Ergebnis? Ich kann damit leben, mein Alter zu haben. Muss mich nicht mit Insignien von Jugendlichkeit behängen, nicht immer panischer Träumen nachlaufen, die altersbedingt immer unerreichbarer werden. Ohne einzupennen und ohne zu verkrusten kann ich in den nächsten Jahren meine Kreise drehen. Das ist ein gutes Ergebnis.














Donnerstag, 24. Oktober 2024

Comfort-Zonen-Stretching

 

Gestern Nachmittag waren die Sichtflugbedingungen grenzwertig. Das sagte die offizielle Flugwettervorhersage, und das sagte die Vernunft. Mit meinem kleinen, langsamen, wendigen Brummer habe ich mich in die Lücken zwischen die Nebelbänke getraut. Mit anderen Maschinen hätte ich das nicht gemacht. 1 : 0 für low 'n slow.

Ich hab's auch nur für die Fotos gemacht.


Spotlight.

Vorgeschriebene Sichtflug-Minima in diesem Luftraum: 1.500 m nach vorne, Erdsicht, Wolken dürfen nicht berührt werden. Sicherheitsmindesthöhe: 500ft (152,4  m). Der Spielraum war zeitweise nicht üppig, aber jederzeit vorhanden.



Ich mag diese Bedingungen, die wie zufällig den Blick auf ein gerade angestrahltes Stückchen Erde lenken und den Rest drumherum ausblenden bzw. abdunkeln.



Neeiiin! Flieg' nicht ins Licht!!!

Caspar David Friedrich würde heutzutage seine Motive beim Low-'n-slow-Fliegen im Herbst suchen und finden.




Ah, eine hoffnungsvolle Lücke im Nebel! Übaaaa däään Wolkääähn ... könnte ich natürlich frisch, fromm, fröhlich, frei dahinbrummen, hätte aber keine Erdsicht mehr (verboten!) und ich würde nicht mitkriegen, wenn sich die Suppe darunter noch weiter zuzöge. 

Irgendwann müsste ich dann stumpf in die Wolken tauchen und hoffen, dass zwischen Wolkenuntergrenze und Erdoberfläche dann immer noch eine kleine Lücke ist, und dass da gerade keine Windkraftanlage, kein Strommast oder wasauchimmer aufragt.

Nö. Unter den derzeitigen Bedingungen zu riskant. Schade. Es ist ein einmaliges Gefühl, knapp oberhalb so einer Abdeckung dahin zu fliegen. Äh, das hat mir ein Froind erzählt ...





Mittwoch, 23. Oktober 2024

Teufel & Beelzebub

 

Habe in letzter Zeit viele Forderungen gehört, man könne und müsse das umweltsäuische und menschenfeindliche Verhalten der Massen mit den Mitteln des freien Marktes, also des Preises regulieren. 

  • Es werden zu viel fossile Energien verballert? Macht den Sprit teurer!
  • Es wird zu viel geflogen? Macht die Tickets teurer!
  • SUVs und überhaupt Pkw in Innenstädten nerven? Macht das Parken teurer! 
  • Rauchen ist ungesund? Macht den Nikotinkonsum teurer!
  • Over-Tourism? Macht das Urlauben teurer!
  • ...
  • etc. etc. ad ultimo

Das sind überaus wohlmeinende Ansätze, die aber allesamt ein Problem haben: Sie treffen insbesondere Leute, die finanziell sensibel sind. Wer reich ist, schert sich einen Dreck darum, ob z.B. eine Stunde Parkzeit in Paris 18,00 € kostet. Wenn mein SUV in der Île de la Cité nicht erwünscht ist, lasse ich mich eben per Heli zum Shoppen fliegen. Das ist ohnehin viel entspannter und nur erbärmliche Mittelstandskrampen glauben, dass 700,00 € viel Geld sind.

Wenn wir glauben, dass vernünftiges, verantwortungsvolles Handeln nur durch pekuniäre Anreize zu erreichen ist, dann schaffen wir eine Welt, in der Reiche sich benehmen können, wie die Axt im Walde, während die armen Würstchen immer mehr an den Rand gedrängt werden und zuschauen dürfen, wie ihnen immer überdrehterer Luxus als erstrebenswertes Lebensmodell vorgelebt wird. 

Die immanente Botschaft lautet: "Je erfolgreicher Du Dich dem System anpasst, desto mehr darfst Du Dir erlauben, Dich wie ein dummes, rücksichtsloses und unverantwortliches Arschloch zu verhalten!" Na, wenn das keine Motivation ist! Im Umkehrschluss bedeutet das, dass wer sich vernunftgemäß und verantwortungsvoll und empathisch und nicht-materialistisch verhält, ein dummes, schlaffes links-grün-versifftes Loser-Weichei ist. ¹

Wo ist der Fehler? 

Die wohlmeinenden Initiator*innen der o.g. Maßnahmen arbeiten ausschließlich mit den Mitteln jenes Systems, das die Probleme erst verursacht hat: Geld. Oder genauer: Kapitalismus. Sie bauen und vertrauen auf die "Macht des Marktes" und die "Intelligenz des Geldes". Aber die Logik des Kapitalismus führt zu offensichtlichen Fehlanreizen. 

Wahre Anekdote zum Thema "Gesellschaftliche Fehlanreize": Ein mir bekannter Mensch kommt nach 6 (?) Jahren aus dem Knast, baut sich mit anerkennenswertem Durchhaltevermögen gegen allerhand spießbürgerliche Widerstände eine neue Existenz auf, und verballert die ersten Monatsgehälter für 6.000,00 € auf Pump für neue Felgen für sein ziemlich abgeranztes Auto. Anekdote Ende.

Was ich dagegen vorschlage, nein, fordere: Bildung!

Bildung. Bildung. Bildung.

Ich will, dass die jungen Leute, die das staatliche Schulsystem verlassen, aus sich heraus, das heißt: ohne äußere Motivation, ohne Fremdbestimmung, Leute zum Kotzen finden, die SUVs fahren. Oder vergoldete Steaks ordern. Oder für eine Nacht zum Saufen nach Malle jetten ...  Die Grundlage unseres Handelns und Entscheidens muss die individuelle Vernunft sein, die auf umfassendem Wissen in natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen basiert. 

Und ich will, dass diese jungen Leute den Mut haben, eigen- und allgemeinverantwortlich zu agieren und gewaltfrei aber offensiv gegen den Kackscheiß angehen, der um sie herum stattfindet.



(stark verändert via I-net)

Wie reich muss man sein, um sich sowas zu leisten zu können?
Und wie krank muss man in der Birne sein, um das dann auch zu tun?
Ich kritisiere nicht die Investor*innen, denn die bedienen nur Kundenwünsche.
Ich meine die Leute, die auf sowas abfahren.

 


¹Wir fragen uns doch immer, warum Trump trotz oder wegen seines arschlöchigen Verhaltens so erfolgreich ankommt. Ich glaube, hier ist die Erklärung. Ein Leben als maximales Arschloch führen zu können, ist ein Beweis für gesellschaftlichen Erfolg! Alle wollen sein wie Trump. Oder Ribéry. Oder Dieter Bohlen ... 






Montag, 21. Oktober 2024

Alt-Sein - eine ganz neue Erfahrung! Teil 2: Seniorität vs. Senilität

 

Kennt ihr die Anekdote, nach der der Spieß die angetretene Kompanie nach einy Freiwilligen fragt und die ganze Kompanie bis auf eine arme Wurst einen Schritt zurücktritt, so dass es aussieht, als sei die Wurst einen Schritt vorgetreten und habe sich also freiwillig gemeldet?

Genau so funktioniert das mit dem Alt-Werden. Du veränderst Dich (gefühlt) überhaupt nicht, aber noch ältere Menschys um Dich herum sterben einfach oder verschwinden ins Sterbe-Heim oder gehen in den Ruhestand und jüngere kommen nach. Plötzlich stehste da und die Gesellschaft schreibt Dir die komplette soziale Konstruktion des Alt-Seins zu.

Da gibt es durchaus Varianten, z.B. die Zuschreibung von Erfahrung, Weisheit und Respekt, kurz: von Seniorität. Oder die Zuschreibung geistiger Verkrustung, Rechthaberei, Vergrätztheit, Unbelehrbarkeit, kurz: Senilität. In jedem Fall wird Dir körperlicher Verfall unterstellt. 

Es ist unangenehm, selbst die Variante mit der Seniorität. Natürlich fühlt man sich gebauchpinselt, wenn man mit Erfahrungswissen punkten kann, und davon hat man ein bisschen angesammelt, wenn man kein totaler Trottel war und ist. Aber ich habe viel mehr genossen, im fruchtbaren Diskurs unter Gleichen Lösungen zu erarbeiten. Manchmal muss man sich richtig Mühe geben, zu signalisieren, dass man, bitte, den Senioritäts-Bonus nicht wünscht. 

Und sich selbst muss man immer wieder versichern, dass Senilität und Verfall noch nicht jenes Stadium erreicht haben, dass es sozial auffällig wäre. 

Würde doch nur jene innere Stimme schweigen, die mich mit zynischer und teils schmerzhafter Selbstkritik ein Leben lang begleitet hat und die im Laufe der nächsten 20 Jahren am länger werdenden Hebel sitzt.


(Saruman - stark verändert via wiki commons)

Ein Traum von Seniorität!
Es gibt die Floskel "Er*sie ist gut gealtert."
Ich habe immer noch Zweifel, dass das ein Kompliment ist.








Samstag, 19. Oktober 2024

Fairtrade! Fair Trade?


Jrade Buch über Fairtrade jelesen. Hahn M., Herrmann F.: Fair einkaufen - aber wie?; 08/2019. Erfreulich detaillierte und teilweise auch kritische Untersuchung zu den Grenzen und Möglichkeiten fairen Handels im Allgemeinen und bei den einzelnen Produktgruppen im Besonderen.

Ich verkneife mir hier eine Inhaltswiedergabe, empfehle stattdessen das Werk (trotz seines Alters) zur Lektüre. Die bleibenden Eindrücke sind eher frustrierend. Egal, ob es sich um Bananen, Kaffee, Diamanten, Tee, Klamotten oder wasauchimmer handelt, letztlich geht es um Geld, nein, um Profit, und das heißt, an jedem einzelnen Punkt in der Kette zwischen den Produzierenden bis zu den Endverbrauchys wird maximal-möglich gelogen und betrogen, geheuchelt und gemeuchelt.

Einzig die armen Würstchen ganz am Anfang und ganz am Ende haben wenig Chancen zum Bescheißen: Die Produzierenden müssen definierte Mengen zu definierter Qualität liefern und werden von den Abnehmern und den Fairtrade-Zertifizierys knallhart geprüft, haben selbst aber nur wenig, praktisch gar keine Macht, sich zu wehren. Fairtrade führt im positiven Fall, aber keineswegs immer, dazu, dass sie örtlichen Mindestlohn, vielleicht mit einem kleinen Bonus, für ihre Produkte erzielen. 

Die Endverbrauchys haben de facto keine Kontrolle darüber, in wie weit der von ihnen entrichtete höhere Preis bei den Produzierenden oder wem auch immer ankommt. Sie können sich durch den Dschungel der Fairtrade-Labels arbeiten - mit teils sehr ernüchternden Ergebnissen -  doch schließlich und endlich müssen sie blind vertrauen. 

Einwurf:
Oder sie zahlen den etwas höheren Fairtrade-Preis einfach nur, um sich das irgendwie gute Gefühl zu kaufen, irgendwas Gutes getan zu haben. Motto: "Wir Doitschen gehören zu den reichsten fünf Prozent der Menschheit, aber wir vergessen auch die Armen nicht.
Unsere eigene wohlsituierte Großherzigkeit rührt uns selbst zu Tränen."
Einwurf Ende.

Alle anderen Prozessteilnehmer kalkulieren jedenfalls auf drei Stellen nach dem Komma, welchen zusätzlichen Profit sie durch Fairtrade-Zertifizierung und Siegel einfahren können. Das gilt übrigens auch für die Zertifizierungs-Konzerne selbst, die den Job eben nicht aus Sorge um das Wohlergehen der Menschen machen.

Man verstehe mich nicht falsch: Ich werde weiter konsequent versuchen, möglichst öko-fair einzukaufen, und ich empfehle es auch uneingeschränkt der geneigten Allgemeinheit. Aber lasst uns bitte trotzdem intensiv darüber nachdenken, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem dem Wohle aller Menschen zuträglich ist, oder ob da nicht dringend nachgesteuert werden muss.


(stark verändert via wiki commons)


Ein Beispiel aus d'r Schwyz, egal, im Netz finden sich reichlich andere Grafiken dieser Art. Die MwSt. ist in D allerdings empfindlich höher.

Aha, die Arbeiter*innen und die Verwaltungsleute in den Sweat-shops erhalten nur 2,3 Prozent des Verkaufspreises, nämlich 2,80 CHF. Jetzt beaufschlage diesen VKpreis mit, sagen wir, 5 Prozent für Fairtrade und so. Dann kostete der Schuh 126,00 CHF.

Frage 1: Würdest Du diese Differenz bezahlen, wenn das Produkt dadurch "fair" würde? Oder würdest Du Dich freuen, wenn Du das gleiche Produkt 6,00 CHF günstiger kaufen könntest?

Frage 2: 2,3 Prozent von 6,00 CHF entspricht etwa 0,14 CHF. Das wäre der Fairtrade-Bonus für die Arbeiter*innen und die Verwaltungsleute in den Sweat-shops. Was kommt wirklich bei den Arbeiter*innen an, um deren Wohlergehen es bei alledem letztlich geht? Wo versickern die restlichen 5,86 CHF? Oder sind meine Annahmen unzutreffend?







Dienstag, 15. Oktober 2024

Alt-Sein - eine ganz neue Erfahrung! Teil 1: Sterben und Tot-Sein

 

Die Mathematik erweckt den völlig hirnrissigen Eindruck, ich sei alt. Das Stastistische Bundesamt kalkuliert meine fernere Lebenserwartung auf ca. 19, 20 Jahre. Das ist natürlich alles totaler Quatsch. 62 ist das neue 40, vielleicht tu ich demnächst mal so, als käme ich in die midlife-crisis, dann wäre die neue Ziellinie ein Alter von 124, das klingt viel schlüssiger... 

Hätten hingegen die Stastisker*innen recht, stünde ich ja bereits im vierten von vier Lebensvierteln, da müsste ich ja mählich anfangen, mir so meine Gedanken zu machen ...

1. Angst vorm Sterben

Banal: Ich habe eine Scheiß-Angst vor Schmerzen, mehr noch vor langem Leiden, vor Hilflosigkeit, Demenz, Angst vor der Angst und die Angst, nahestehenden Menschen mit alledem langfristig auf den Sack zu gehen. Es ist absolut meine ureigenste Entscheidung, derartige Prozesse, sollten sie mir denn widerfahren, abzukürzen.

2. Angst vorm Tot-Sein

Ich habe mich wieder und wieder kritisch hinterfragt, ob ich mich nicht selbst betrüge, bin aber wieder und wieder zum Ergebnis gekommen, dass der Gedanke ans Tot-Sein mich ebensowenig schreckt, wie die Frage meiner vorgeburtlichen Existenz. 

Die Idee von Hölle und Fegefeuer ist einfach nur der perfide Hirnfurz bronzezeitlicher alter, machtgeiler Männer und empört mich nur, weil damit jahrhundertelang Menschen verdummt, bedroht und klein gehalten wurden. 

Bleiben nur noch die Alternativen eines unvorstellbaren Nichts' bzw. einer unvorstellbar gewaltigen spirituellen Erfahrung. Über ersteres zu phantasieren wäre etwas dumm und langweilig.

Auf zweiteres kann man zurecht außerordentlich gespannt sein, aber weitere Spekulationen hätten was von geistiger Masturbation: Es ist an sich nichts Schlechtes, aber eindeutig meine Privatsache. Und meine Ideen, was anstelle von Nix nach dem Tod kommen könnte, sind gesellschaftlich völlig wumpe und folglich kein Thema für einen weblog.

Fortsetzung folgt.


(C. Flammarion: L'Atmosphere - Météorologie Populaire. 1888 via wiki commons)









Sonntag, 13. Oktober 2024

Grün oder dunkelrot? Egal.

 

Ausgerechnet ein Stichwortgeber der Rechtsradikalen hat angemerkt, was besser aus unverdächtigerer Ecke hätte kommen müssen: Der Begriff "links-grün", meist in pejorativer Kombination "links-grün-versifft" sei vom sprachbewussten Nazi zu vermeiden, da er nahelegte, dass "links" und "grün" irgendwie zusammengehörten. Das sei inhaltlich unzutreffend und auch nicht im Sinne der Faschos, die also, bitteschön, diese Floskel fürderhin nicht mehr benutzen sollten.¹

Diese Aussage tut weh. Denn sie kommt von einem gefährlichen Gegner, und sie ist wahr.

Der traditionelle Fokus der Linken ist das Proletariat. Dessen Wohlergehen steht über allen anderen Erwägungen, letztlich auch über den Bemühungen zum langfristigen Erhalt menschenwürdiger Umweltbedingungen. 

Der traditionelle Fokus der Grünen ist (... in den letzten Jahren bis zur Unkenntlichkeit und Perversion aus Machtgeilheit zerbröselt worden, aber ...) eigentlich (!) das Bemühen um den langfristigen Erhalt menschenwürdiger Umweltbedingungen. Dass das Einschränkungen bei Wohlstand, Konsum usw. aller Menschen einschließt, muss in Kauf genommen werden, und auch, dass reiche Kapitalist*innen weniger darunter leiden werden als arme Proletarier*innen.

Es fällt schwer, das zu sagen, aber die Aussage obengenannter Braunbratze ist nicht von der Hand zu weisen: Die linken und die grünen Grundpositionen sind nicht nur nicht ähnlich, sondern ziemlich kontrovers. Das ist bisher nur selten aufgefallen, weil Grüne und Linke noch nie im Zweikampf ernsthaft um Machtpositionen, wie z.B. einen MP-Posten o.ä. konkurrieren mussten.

Und es ist so rein bauchmäßig-intuitiv ein total harmonisches Gefühl, wenn man voll nett zu Tieren und zu Blumen und dem ganzen Rest ist und außerdem natürlich für alle Mensch*innen ganz viel Glück, Gesundheit, Liebe und so weiter wünscht. Wo soll da ein Widerspruch sein? Willkommen im Alltag, willkommen in der Realität, willkommen im erfahrungsbasierten dreckigen Zynismus.

Was tun?

Man könnte jetzt anfangen, ein (Partei-)Programm zu schreiben, dass diese Widersprüche ir - gend - wie auffängt und versucht, sie gegeneinander auszutarieren. Das habe ich begonnen, aber entnervt aufgegeben. ² Ich habe den Glauben verloren, dass man in so einer delikaten Interessenabwägung mit einer Absichtserklärung Menschen zu einem - wie auch immer - richtigen Verhalten anregen kann. Nicht durch programmatische Entwürfe und erst recht nicht durch staatliche Verordnung. 

Das Einzige, was mir einfällt, ist: Bildung. Oder meinetwegen Erziehung. Wenn unser Nachwuchs mündig, auch wahlmündig wird, dann sollten folgende Maximen für ihn*sie verbindlich sein:

  1. Geld ist NICHT das Maß aller Dinge, im Gegenteil. Wenn Du wo ein Preisschild dranpappen kannst, ist es nichts wert.
  2. Natur muss nicht geschützt werden, denn sie kommt prima ohne uns klar. Aber eine menschenwürdige Umwelt zu erhalten, artgerechte Bedingungen für Homo sapiens, Wohlfühlbedinungen für zukünftige Generationen, das ist das Ziel für das (gewaltfrei!) zu kämpfen Du verpflichtet bist.
  3. Empathie! Meine Fresse, die "Goldene Regel" ist doch die einfachste und klarste Sache der Welt.

Fazit: Wir brauchen keine Grünen und keine Linken. Wir müssen nur erreichen, dass Leute, die sich an diese drei simplen Grundsätze nicht halten, von allen anderen zutiefst verachtet und gemieden werden.

Daher schlage ich vor, den Bildungsauftrag für staatliche Schulbildung entsprechend zu ändern. Die Umsetzung ist in jährlichen Audits zu dokumentieren.



(Zusammengeklaut und selbstgebastelt aus'm Internetz)



¹ Auf die Angabe der Quelle wird hier verzichtet, da ich Nazi-Seiten keine Klicks bescheren möchte. Auf unverdächtige Nachfrage liefere ich gerne individuell.

² Ich hoffe, die Leute, mit denen ich zusammenarbeitete, sind noch dran. Liebe Grüße von hier aus!






Freitag, 11. Oktober 2024

Ryanair und unsere Liebe zum Selbstbeschiss

 

Schlimm! Schlimm, schlimm, schlimm!

Ryanair streicht Flüge von deutschen Flughäfen, weil Luftverkehrssteuern und Flugsicherungsgebühren hier so hoch sind, dass man keinen anständigen Profit mehr erwirtschaften könne. Die Medien schreiben eine betriebswirtschaftliche Entscheidung einer Firma zu einer Wirtschaftskatastrophe hoch, die CDU räumt demütig Mitschuld ein und verspricht sofortige Korrektur und Buße, die Interessenverbände der Konzerne prophezeien die Apokalypse, zumindest aber eine "negative Dynamik" usw. usw. 

Und ich stehe wieder da und fühle mich wie der letzte Blödmann, weil mich wieder diese bohrenden Fragen quälen:

  • Ist nicht der massenhafte Passagierluftverkehr ein ziemlich übler Faktor beim anthropogenen Klimawandel? 

  • Ist es deshalb nicht wünschenswert, diesen Teil des Luftverkehrs zu reduzieren? 

  • Ist es nicht logisch, dass ein Anbieter, der damit prahlt, das Race-to-the-bottom, also die brutalstmögliche Ausnutzung der gesetzlichen Vorgaben zum Zwecke des Preis-Dumpings besonders geschickt zu beherrschen, als Erster gegen die Gebühren für Flugsicherheit etc. protestiert und lobbyiert?

  • Ist es nicht allerhöchste Zeit, den Ryanair-Managerys zu antworten "Jo, schön, dass Ihr die Flüge reduziert. Euer Dreck nervt, Euer Geschäftsmodell ist unverantwortlich. Ihr dürft gehen. Genau das ist unsere Intention!" 

  • Kapiert eigentlich niemand, dass eine eventuelle Kostenentlastung der Konzerne von der steuerzahlenden Solidargemeinschaft gegenfinanziert werden müsste? Dass also wieder einmal Kosten sozialisiert und Profite privatisiert würden?

  • Ist es nicht an der Zeit, dass die Politikys offen und ehrlich sagen, dass die Reduktion unseres Lebensstandards, wie in diesem Beispiel die notwendige Reduktion des massenhaften Passagierluftverkehrs, zwingend notwendig ist? Dass man für 29 € nicht nach Malle fliegen kann, wenn man eine ehrliche Vollkostenrechnung zugrundelegt, die auch Umweltkosten berücksichtigt?

  • Sind die Politikys zu feige? Und sind wir zu bequem? Lassen wir uns zu gerne belügen, wenn wir dadurch konkrete Änderungen unseres nicht durchhaltbaren Lebensstils prokrastinieren können?




(verändert via wiki commons)

Der Müllhaufen der Geschichte









Donnerstag, 10. Oktober 2024

Mein politisches Manifest

 

In nicht-diktatorischen Systemen gilt:

  1. Es kommt ausschließlich auf die Entscheidung des Individuums an. Konzerne und Politikys haben nur die Macht, die wir ihnen zugestehen. In einem kapitalistischen System geschieht politische Willensbildung ausschließlich durch die individuelle Konsum-Entscheidung. 

  2. Die Basis für die Fähigkeit, individuell die richtigen d.h. nachhaltigen und humanistischen Entscheidungen treffen zu können, ist umfassende, kritische, lebenslange Bildung sowohl in natur- als auch geisteswissenschaftlichen Fächern.

  3. Es reicht nicht aus, das Richtige zu tun, man muss auch öffentlich und ein klitze-bisschen offensiv dafür eintreten und Gegner gewaltfrei (!) angehen.

  4. Die Starken haben die Pflicht, die Schwachen zu schützen, und die Schwachen sollen ihr Bestes versuchen.

  5. Behandle alle anderen Menschen so, wie du gerne behandelt werden wolltest, wärest Du in ihrer Situation.