Jrade Buch über Fairtrade jelesen. Hahn M., Herrmann F.: Fair einkaufen - aber wie?; 08/2019. Erfreulich detaillierte und teilweise auch kritische Untersuchung zu den Grenzen und Möglichkeiten fairen Handels im Allgemeinen und bei den einzelnen Produktgruppen im Besonderen.
Ich verkneife mir hier eine Inhaltswiedergabe, empfehle stattdessen das Werk (trotz seines Alters) zur Lektüre. Die bleibenden Eindrücke sind eher frustrierend. Egal, ob es sich um Bananen, Kaffee, Diamanten, Tee, Klamotten oder wasauchimmer handelt, letztlich geht es um Geld, nein, um Profit, und das heißt, an jedem einzelnen Punkt in der Kette zwischen den Produzierenden bis zu den Endverbrauchys wird maximal-möglich gelogen und betrogen, geheuchelt und gemeuchelt.
Einzig die armen Würstchen ganz am Anfang und ganz am Ende haben wenig Chancen zum Bescheißen: Die Produzierenden müssen definierte Mengen zu definierter Qualität liefern und werden von den Abnehmern und den Fairtrade-Zertifizierys knallhart geprüft, haben selbst aber nur wenig, praktisch gar keine Macht, sich zu wehren. Fairtrade führt im positiven Fall, aber keineswegs immer, dazu, dass sie örtlichen Mindestlohn, vielleicht mit einem kleinen Bonus, für ihre Produkte erzielen.
Die Endverbrauchys haben de facto keine Kontrolle darüber, in wie weit der von ihnen entrichtete höhere Preis bei den Produzierenden oder wem auch immer ankommt. Sie können sich durch den Dschungel der Fairtrade-Labels arbeiten - mit teils sehr ernüchternden Ergebnissen - doch schließlich und endlich müssen sie blind vertrauen.
Oder sie zahlen den etwas höheren Fairtrade-Preis einfach nur, um sich das irgendwie gute Gefühl zu kaufen, irgendwas Gutes getan zu haben. Motto: "Wir Doitschen gehören zu den reichsten fünf Prozent der Menschheit, aber wir vergessen auch die Armen nicht.
Unsere eigene wohlsituierte Großherzigkeit rührt uns selbst zu Tränen."
Einwurf Ende.
Alle anderen Prozessteilnehmer kalkulieren jedenfalls auf drei Stellen nach dem Komma, welchen zusätzlichen Profit sie durch Fairtrade-Zertifizierung und Siegel einfahren können. Das gilt übrigens auch für die Zertifizierungs-Konzerne selbst, die den Job eben nicht aus Sorge um das Wohlergehen der Menschen machen.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich werde weiter konsequent versuchen, möglichst öko-fair einzukaufen, und ich empfehle es auch uneingeschränkt der geneigten Allgemeinheit. Aber lasst uns bitte trotzdem intensiv darüber nachdenken, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem dem Wohle aller Menschen zuträglich ist, oder ob da nicht dringend nachgesteuert werden muss.
Aha, die Arbeiter*innen und die Verwaltungsleute in den Sweat-shops erhalten nur 2,3 Prozent des Verkaufspreises, nämlich 2,80 CHF. Jetzt beaufschlage diesen VKpreis mit, sagen wir, 5 Prozent für Fairtrade und so. Dann kostete der Schuh 126,00 CHF.
Frage 1: Würdest Du diese Differenz bezahlen, wenn das Produkt dadurch "fair" würde? Oder würdest Du Dich freuen, wenn Du das gleiche Produkt 6,00 CHF günstiger kaufen könntest?
Frage 2: 2,3 Prozent von 6,00 CHF entspricht etwa 0,14 CHF. Das wäre der Fairtrade-Bonus für die Arbeiter*innen und die Verwaltungsleute in den Sweat-shops. Was kommt wirklich bei den Arbeiter*innen an, um deren Wohlergehen es bei alledem letztlich geht? Wo versickern die restlichen 5,86 CHF? Oder sind meine Annahmen unzutreffend?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar