Montag, 17. April 2017

Hochwert-Probleme


Jestern im Jarten was zu reparieren jehabt. Von Regenschauer überrascht worden. Ergreife eilig meinen Werkzeugkoffer und meine gar nicht mal so kleine, sehr üppig ausgestattete Kleinteile- und Schrauben-Box. Letztere unverriegelt. Inhalt verteilt sich ballistisch auf - genauer: in - 8 bis 10 Quadratmeter klatschnassen, matschigen, moosigen Rasens.

Banales Problem, eigentlich. Die Sachen mühsam aufsammeln, reinigen, trocknen, ja, das ist nervig, aber, herrje, andere bemalen Ostereier oder puzzlen. Dann kann ich bei dem Mistwetter auch Schrauben etc. sortieren, oder? 

Machte mir bewusst, dass das Kleinteile-Magazin eines Hobby-Bastlers nach über 30 Jahren beständigen Sammelns, Benutzens, Austauschens den Status eines schützenswerten Kulturgutes haben sollte. Wenn die Bibliothek von Alexandria einfach nur von einem Wirbelsturm verwüstet und nicht, wie leider geschehen, abgebrannt wäre, dann hätten die Bibliothekare beim Aufräumen bestimmt denselben ambivalenten Spaß, wie ich gerade.

Endlich mal Gelegenheit, sich einen Überblick zu verschaffen, falsch oder doppelt sortierte Dinge strukturiert abzulegen und die sogenannten "gewachsenen Strukturen" zu roden. Wahre Kleinodien wiederzuentdecken. Angesammelten, sentimental mitgeschleppten Schrott zu entsorgen. Die kleinen Fächer vom Staub zu reinigen (Ich will es mal "Staub" nennen und nicht darüber nachdenken, was sich in über 30 Jahren in so einem kleinen Fächlein sonst noch alles anreichert).

Es gibt schlechtere Möglichkeiten, verregnete Ferien zu verbringen.



Himmel! Ich hatte bis dato Unterlegscheiben und Sprengringe gemeinsam in einem Fach gelagert. Wahnsinn! Der reine Wahnsinn!











Gedämpftes Hurra: Die Schwalben sind da!


Man hört ja immer wieder sehr viel Erstaunliches, geradezu Mystisches von besonderen sensorischen Fähigkeiten von Tieren: Kröten, Hunde und Esel, die Erdbeben vorhersehen, Vögel, die sich am Einfallswinkel des Erdmagnetfeldes navigatorisch orientieren, Bienen, die ultraviolettes Licht sehen, Schmetterlinge, die über Entfernungen von 1.500 km unter Wasser kommunizieren ... ach nee ... aber irgendwas machen Schmetterlinge auf 1.500 Kilometer ... oder Meter ... oder wasauchimmer.

Es gibt aber auch reichlich Beispiele für richtig blödes Verhalten von Tieren, und damit meine ich nicht die vollverblödeten Hunde-und-Katzen-Youtube-Videos, die mehr über den Geisteszustand der Menschen als über den der Tiere aussagen, sondern das anscheinend normale, naturbelassene Verhalten normaler, naturbelassener Wildtiere.

Konkretes Beispiel heute: Die Schwalben sind wieder da!

Ist das nicht blöd?!

Ich meine: Die kommen doch direkt aus Afrika. Und hier ist es ja nun wirklich richtig kalt und nass und mies. Ist es denn von einem kleinen Vogel, der jährlich zwei Mal eine Strecke von 8.000 km zielsicher navigiert, zu viel verlangt, sich unterwegs mal Gedanken über das Wetter zu machen? Dazu braucht man doch nicht mal mystische Vorhersagefähigkeiten. Ich merke doch, wenn ich mir in einem eisekalten Nordnordwest-Wind meinen kleinen Vogelhintern abfriere, oder? Warum machen die nicht einfach mal Pause, wo's noch erträglich ist?

Aber ich will mich nicht aufregen. Der Tag, an dem ich die ersten Schwalben des Jahres sichte, ist eigentlich ein Tag der Freude. Ich bin nur ein wenig besorgt, dass die kleinen, munteren Gesellen im weiterhin zu kalt angesagten Wetter nicht überleben können. Außerdem schwingt natürlich eine gehörige Portion Selbstmitleid mit.



 Hier besonders gut nicht zu sehen: Die ersten Schwalben 2017!










Mittwoch, 12. April 2017

Nicht einfach: Qualitativ wertvolles Beleidigen.


Och wie süüüß, Trumps Trompete, Spicer, der mit den wässrigen Schweinsäuglein, hat sich mit einem Assad-Hitler-Vergleich überhoben und bis auf's Knochenmark blamiert.

Jaja, richtiges Beleidigen will gelernt sein und setzt ein Minimum an Allgemeinwissen voraus. Die "schwule Sau" beispielsweise, früher verbreitet, hört man heute nur noch selten, da sich, wenn auch mit quälender Langsamkeit, herumgesprochen hat, was sowohl der eine als auch der andere Bestandteil genau bedeuten und dass es einer Fügung aus beidem der inneren Logik gebricht.

Ist auch nicht einfach. In meinem neunten oder zehnten Lebensjahr beschloss ich daher, mir ein Set der schlimmst-denkbaren Fluch- und Beleidigungs-Formeln zurechtzulegen, damit ich sofortigen Zugriff hätte, wannimmer die Umstände es erforderten. Der Versuch scheiterte kläglich, im Ergebnis nicht mehr als ein paar unvollendete und unintelligente Kompositionen, die sich alle mehr oder weniger um die Wortfelder "Arsch" und "Kacke" drehten. Da war nichts, was durch schiere Wortgewalt den Gegner zermalmen könnte. Ernüchternd. [*1]

Mal sehen, was sich da in der heutigen globalisierten Welt machen lässt:

"X ist ein faschistischer, schwuler Nazi-Kommunisten-Gülen-Terroristen-Eliten-Aggressor!"

Okay, das ist jetzt kein maßgeschneiderter Qualitäts-Fluch, aber für alltägliche internationale Beziehungen reicht's allemal, scheint mir. Modifikationen wie "-Kurde-" oder "-Neger-" oder "-Hitler-" oder "-Intellektueller-" oder "-Lügen-" kann man je nach Bedarf modular ergänzen. [*2]



(via wiki commons)
Ich wünsche ihm ehrlich und von ganzem Herzen, dass er nie, nie bemerkt, wie peinlich er vor der Weltöffentlichkeit wirkt, wie sehr ein ganzer Planet sich für ihn fremdschämt.






[*1] Meine Eltern berichteten aber von einem erstaunlichen Vorfall, der sich in meinem vierten Lebensjahr abgespielt haben soll und darin bestand, dass ich einem gleichaltrigen Mädchen quer über die Straße ein lauthalses "Dörthe, Du schwarzes Arschloch!" nachgekräht habe. Ich erinnere die Sache nicht mehr, weiß nur noch, dass ich wegen irgendwas, das Dörthe gemacht hat, aufrichtig  zutiefst empört war.

Interessant an der Geschichte ist, dass ich bis dato das Wort "Arschloch" eigentlich gar nicht kennen konnte und sollte, weil es weder im Familiolekt noch im Umfeld üblich war, und dass ich darüberhinaus spontan ein wirkungsmaximierendes Adjektiv davor setzte und also quasi sprachschöpferisch tätig war. Ich muss richtig sauer gewesen sein!Vielleicht müssen gute Flüche und Beleidigungen so sein: Spontan und aus einer großen emotionalen Spannung heraus.


[*2] Mir fällt auf, dass Bezüge auf mangelnde Intelligenz des zu Beleidigenden in heutiger Zeit gar keine Rolle mehr spielen. Wo ist das gute alte "Assad ist doof!" geblieben? Es scheinen im Gegenteil eher Bildung und Intelligenz Beleidigungspotential zu haben, vgl. "Elite-" im Westen und "Intelligenzija-" im Osten.









Dienstag, 11. April 2017

Hirnloser Plot


Was ich bei der aktuellen Eskalation des Nordkorea-Konfliktes beängstigend finde, ist, dass nunmehr auf beiden Seiten vermindert Reaktionsfähige am roten Knopf herumspielen.

Sowohl Kim Jong Un als auch Trump agieren nach einem ganz simplen Muster: Sie machen ihr (gefühltes) Problem zu einem Problem ihrer Umwelt. Sie kündigen marktschreierisch an, was ihr Egoismus ihnen gerade eingibt und fordern den Rest der Welt auf, willfährig zu sein, um Konflikte zu vermeiden.

Babies machen das so. Wenn Babies Kohldampf haben oder wenn ihnen zu warm oder zu kalt ist oder ihnen sonstwas nicht gefällt, dann schreien sie. Nicht mal ansatzweise machen sie den Versuch, selbst etwas gegen ihre Unpässlichkeit zu unternehmen. Ihre Strategie zielt ausschließlich darauf, Aufmerksamkeit zu erheischen, indem sie in einer nervtötenden Weise rumbrüllen. Solange, bis sich jemand ihrem Willen unterwirft. [*1]

Dieses baby-typischeVerhaltensmuster haben Schwabbelbacke, Trump, Erdogan, Seehofer, Netanjahu und Konsorten nie wirklich hinter sich gelassen.

Und nun stoßen zwei solcher Deformierten aufeinander, zwei Menschen, die nicht nur nie gelernt haben, dass Kompromisse was Gutes sein können und dass Kommunikation auch bedeutet, durch den Kopf Deines Gegenübers zu denken und nicht nur Deinem eigenen Wollen ausgeliefert und verpflichtet zu sein, sondern die darüber hinaus überzeugt sind, es sei ein Zeichen persönlicher Stärke und Macht, besonders stumpf, besonders autistisch, besonders rücksichtslos und egoistisch zu sein und das mit allen (!) Mitteln durchzusetzen.

Trump und Schwabbelbacke sind beide nicht wirklich reaktionsfähig. Sie haben keine Optionen, sondern nur ein - identisches - Schema. Wäre das, was jetzt kommt, ein Ballerspiel, würden Kritiker den hirnlosen und langweiligen Plot beklagen.

Wie beängstigend. Und wie durch und durch lächerlich.



(Vinson - via wiki commons)
"Welche Seite spielst Du?" 
"Phhh, is' doch egal!"


 

[*1] Bei Babies ist dieses Verhalten ja noch einigermaßen verständlich, weil sie in vielen, den meisten Fällen ja auch rein technisch kaum in der Lage sind, alleine Abhilfe zu schaffen.

Übrigens ist dieses frühkindliche Verhalten, das es ja auch bis weit über die Pubertät hinaus bei Quengelkindern jeden Alters gibt, nicht ungefährlich: Evolutionär gibt es bei Erwachsenen nur zwei mögliche Reaktionsmuster auf ein schreiendes, quengelndes Kind: Füttern oder Töten.

Das hängt damit zusammen, dass früher ein dauerschreiendes bzw. dauerquengelndes Kind ein untrügliches Zeichen dafür war, dass die Umweltbedingungen zu miserabel waren, um Junge aufzuziehen. Damit wenigstens die Erwachsenen überleben, war es als schlichte Überlebensstrategie klüger, das Kind an die Wand zu klatschen und erst dann ein neues zu machen, wenn sich die Umweltbedingungen wieder verbessert haben. Im vorletzten Jahr, als der Frühling viel zu kalt war, haben Schwalben das mit ihren ersten Jungen reihenweise im Prinzip genau so gemacht. Die Kulturtechnik, Dauerquengler konsequent zu töten, ist unter Menschen seit 80 - 100 Generationen aber ziemlich verpönt, und manches Mal denke ich, man spürt die Auswirkungen.






















Montag, 10. April 2017

Bildergucken

Bilderalben sind IMMER peinlich, aber das ist mir jetzt einfach mal sowas von latte ... Hier Bilder von gestern:




"The sky above, the earth below ..." 
Amy McDonald



Irgendwann tauchst Du aus der Dunstschicht auf, die Du, als Du unten warst, nicht mal bewusst wahrgenommen hast. Über Dir "the great wide open" ...





Erzählt mir NIE wieder, Grün und Blau gingen nicht zusammen. Klar gehen sie. Vor allem, wenn man sie mit ein bisschen Purpur und Weiß voneinander absetzt.




Ja, ich war nur 1.000 Meter hoch und ja, der Hintergrund ist unscharf. Aber hier geht's um die Farben und Kontraste. Klarer, schärfer, greller. Übrigens habe ich bei den Bildern nur an der Größe manipuliert, sonst nix.



 
Dieses Bild ist verwackelt, weil's mir im Moment des Auslösens kräftig unter die rechte Fläche gehauen hat. Thermik ist an sich nichts Schlechtes, aber wenn Dein Vogel nur 96 Kilo wiegt, dann biste eben nur ein kleines Böötchen auf der kabbeligen See des Luftmeeres. Weiter oben geht's, aber unten fühlste Dich manchmal wie'n Preisboxer auf'm Jahrmarkt.

 
Ich habe sehr ernsthaft überlegt, das folgende, voll peinliche Zufalls-Selfie [*1] überhaupt zu veröffentlichen, weil es in unerträglicher Weise an die heldisch-verkrampften Fliegerportraits der futuristischen und ein bisschen faschistischen Technikverliebtheit der1920/30er Jahre gemahnt. Ich hab's dann doch getan, obwohl ich kein bisschen futuristisch und erst recht nicht faschistisch bin und nur ein klitzebisschen technikverliebt.

Der von mir gezeigte Gesichtsausdruck spiegelt ein bisschen was davon, wie man so drauf ist, wenn man da oben in einem ultraleichten Flugzeug rumgondelt. [*2] Man ist, wie beim Autofahren, nie ganz unkonzentriert, prüft unterbewusst Instrumente und Motorsound. Man schaut weit nach Vorne, weiter als beim Autofahren, weil man geistig eigentlich immer ein paar Minuten voraus sein sollte und weil da Leute mit erheblich höheren Geschwindigkeiten als im Straßenverkehr unterwegs sein könnten und nicht durch Leitplanken auf Spur gehalten werden. Und beim Nach-Vorne-Schauen sieht man nebenbei so viele sprichwörtlich überirdisch schöne Dinge, dass man zuweilen richtig ergriffen ist. Und wenn ich ergriffen bin, dann gucke ich nun mal ernst. Oder zumindest nicht albern oder ironisch oder so.

Außerdem stellte sich ernsthaft die Frage geistiger Gesundheit, wenn ich in einem Einsitzer (!) in einer Höhe von 1.000 Metern (!!) über der norddeutschen Tiefebene (!!!) krampfhaft um dauer-ironisierende, perma-tiefentspannte Coolman-Mimik bemüht wäre. Wem, bitteschön, soll ich da denn was vormachen?

 



[*1] Ja, dieses Selfie entstand wirklich zufällig. Ich hatte die Kamera in der Hand und blindlings 3D 360° geschwenkt und draufgehalten.
[*2] Ich verallgemeinere hier. Falls wer meint, dass sei alles Bullshit, dann nehme ich sofort alles zurück und spreche nur von mir. Aber ehrlich gesagt meine ich, Recht zu haben.




Dienstag, 4. April 2017

Sprachpragmatisches Problem


Jestern Sprachproblem jehabt. Eine Kollegin hat unerträglich nutzlosen, verhassten Verwaltungskram vorfristig bei der Leitungsebene abgeliefert, und ich wollte ihr daraufhin kollegial-neckisch vorwerfen, sie sei eine Streberin. Stellte aber fest, dass "Streberin", zu einer Frau gesagt, nicht dasselbe Beleidigungspotential hat, wie "Streber", zu einem Mann gesagt.

Ganz offensichtlich haben wir verinnerlicht, dass Frauen tatsächlich strebsamer sind als Männer, auf eine viel natürlichere, viel unprätentiösere, viel weniger schleimige Weise, wohingegen strebsame Männer mindestens etwas Peinliches, wenn nicht gar widerwärtig Machtbesessenes haben. Daher zieht "Streberin" eben nicht so wie "Streber".

Um besagte Kollegin nun doch adäquat beleidigen zu können, haben wir dann gemeinsam (!) Formulierungen gesucht, die bei selbem Inhalt eine dem "Streber" vergleichbare pejorative Wucht entwickeln. "Streberschlampe" schien uns als Widerspruch in sich. "Streberzicke" hat dann doch eine andere inhaltliche Wertigkeit. "Strebertussi" könnte vielleicht gehen, aber so ganz glücklich wurden wir mit dieser Alternative auch nicht.

Bleibt die Erkenntnis, dass es für diese Bedeutung kein Bedeutendes gibt. Vielleicht ist es noch nicht lange genug her, dass Frauen jemals in den Genuss einer Funktion kamen, in der sie regulär durch Strebsamkeit beruflichen Erfolg generieren können. Da hinkt die Sprachentwicklung einfach hinterher.



(via wiki commons)








Sonntag, 2. April 2017

Südsudan


Ich gehe mir gerade selbst gehörig auf die Nerven, hadere mit mir.

Südsudan. Soll man da spenden? Das Leid ist menschengemacht, schlimmer noch: menschengewollt. Was da auf der einen Seite an humanitärer Hilfe reingeht, wird von der anderen Seite als Nachschub für den militärischen Gegner betrachtet und ergo bekämpft. Nutzloses Nullsummenspiel.

Und andererseits: 1,4 Millionen Kinder vom Hungertod bedroht, das sind nach doitschem Standard 50.000 Schulklassen, daumenpeil über 2.000 komplette Schulen. Voller Leichen qualvoll verhungerter Kinder. Kein schöner Anblick. [*1]

Was ich nicht verstehe: Das Leid wird von Menschen verursacht. Und man kennt die Namen dieser Menschen. Es ist der Ex-Präsi auf der einen und der Möchtegern-Präsi auf der anderen Seite, die, Warlords, die sie nun mal sind, diesen Konflikt am Kochen halten, weil davon ihre Macht abhängt.

Jetzt weiß ich gerade gar nicht, wieso mir ausgerechnet die sechs Bundeswehr-Tornados einfallen, die immer noch samt Crews und Personal in Incirlik dem Ziegenpeter bei seiner ungerechten Sache in einem undurchschaubaren Bürgerkrieg in Syrien scheinbare Hilfe leisten. Wenn ich so ein Tornado wär', würd' ich da ja 'ne akute Sinnkrise kriegen.

Im Südsudan hingegen. Die zwei Oberarschlöcher. Wir kennen ihre Namen. Die müssten sich doch finden lassen. Immerhin reden wir hier von Aufklärungstornados. Die allerdings auch Waffen tragen können.

1,4 Millionen Kinder ... Das wäre mal ein sinnvoller militärischer Einsatz. [*2]






(stark verändert via wiki commons)





 [*1] Und das sind nur Kinder. Ich weiß gar nicht so genau, warum verhungernde Erwachsene in derartigen Bilanzen nie berücksichtigt werden? Vielleicht, weil wir so fett sind und deshalb neidisch?

 [*2] Ja, ich bin tendenziell eher links, ökofair, harmoniebedürftig und will eigentlich nur meine Ruhe haben. Aber ich habe nie behauptet, absoluter Pazifist zu sein. Allerdings berausche ich mich auch nicht an Gewalt-Optionen.






Mittwoch, 29. März 2017

Schwester im Geiste


Kaufe in letzter Zeit öfter in einer Bäckerei-Filiale, deren Chefin, nicht unintelligent, eine klassisch-konservative, man könnte sagen: strenge Mitarbeiterführung pflegt, auf Qualität von Ware und Verkaufs-Dienstleistung höchsten Wert legt und im Umgang mit Kunden, mit mir, freundlich, sachlich und zuvorkommend agiert, ohne jemals unterwürfig oder pomadig daherzukommen.

Stelle wieder mal fest, ich mag diesen Stil. Es mag Menschen geben, die die Normengeleitetheit, die Konventionalität der Verkaufsgespräche als spießig, gekünstelt und steif kritisieren würden. Aber ich glaube, das beruht auf einem Missverständnis.

Vielmehr bin ich überzeugt, dass der klassische Code, in dem besagte Dame und ich interagieren, folgende geheime Botschaft übermittelt:

"Wir beide sind uns vollkommen einig in der Überzeugung, dass der größte Teil der Menschheit aus -> Idioten und -> Arschlöchern besteht. Wir vermuten zwar voneinander, dass wir nicht dazu gehören, aber die Kürze, die Zweckgebundenheit sowie die Seltenheit unserer Gespräche ist nicht geeignet, diesbezüglich Sicherheit herzustellen. Wir sind also distanziert freundlich zueinander, denn es besteht kein Grund, sich durch mehr oder weniger versteckte Unfreundlichkeit und unterschwellig vermittelte Ablehnung gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen ..."

Die "freundliche Distanz" darf als Kulturtechnik nicht aussterben, denn sie ist perfekter Ausdruck des Menschenbildes, das im Spannungsfeld zwischen erfahrungsbedingtem Zynismus und naiv-natürlicher Menschenliebe entsteht.




(verändert Quelle unbek.)






Samstag, 25. März 2017

You do it yourself.


Interessante Sache, das: Youtube, sprich: Google verliert gerade reihenweise Großkonzerne als werbende Großkunden, weil es einfach nicht gelingt, zu verhindern, dass deren Werbung immer mal wieder neben widerwärtigen und verstörenden Inhalten auftaucht. Zurecht verweist Google darauf, dass es technisch extrem knifflig ist, einen Algorithmus zu programmieren, der prüft, ob die Inhalte von Videos, Bildern und Texten zu den Aussagen der automatisch placierten Werbung passt. Der Kinderschänder verwendet womöglich ähnliche Zeichenketten wie der Hersteller von Kindernahrung oder Kinderkleidung.

Da wir hier von Marketing-Problemen schwerstprofitschindender Großkonzerne sprechen, hält sich mein Mitleid in ganz engen Grenzen. Aber ich finde, wir lernen hier was über das Internet, vor allem über Datenschutz und Grenzen der Ausspähung. Es ist eben nicht so, dass ein Konzern sich wirklich für Dich ganz persönlich, für Dich als Individuum, interessiert. Oder dass in einer Abhörzentrale ein NSA-Agent sitzt und persönlich Deine e-mails, whatsapps, Dein Surfverhalten und Deine Amazon-Wunschliste mitliest. Keine Chance: Pro Minute wird Videomaterial im Umfang von 400 Stunden auf Youtube hochgeladen, Stand Juli 2015. Ein Verhältnis von 1:24.000, Tendenz steigend, Sicht-Kontrolle unmöglich, es sei denn, Du hättest 24/7/365 24.000 MitarbeiterInnen plus nachgeordnete Operative im Einsatz, nur, um Videos zu überwachen.

Was aber prima von Maschinen kontrolliert werden kann, sind alle Daten, die tabellarisch anzuordnen und auszuwerten sind, wie z.B. Namen und Schuhgrößen und/oder Namen und Geburtsdaten und/oder Namen und andere Namen, z.B. aus Adressbüchern, Freundeslisten, Kontakten sozialer Netze, messenger-Dienste, e-mail-Konten. Und natürlich Namen und Selbstaussagen aus den multiple-choice-Menüs der "Profil-Einstellungen", wie Beziehungsstatus, Hobbies, sexuelle und politische Vorlieben etc.

Klar, worauf das hinausläuft? Das ganze Bespitzeln und Überwachen funktioniert nur, weil wir uns selbst ausliefern. Würden wir unsere Daten nicht, ach, so bereitwillig vorstrukturieren, könnten die Geheimdienste und Konzerne so viel Internet-Traffic mitschneiden, wie sie wollten, sie hätten es mit einer einzigen, riesigen, unüberschaubaren Datenflut zu tun. Kollaps in Sekundenbruchteilen. 


"Les tyrans ne sont grands que parce que nous sommes à genoux."
"Die Tyrannen sind nur mächtig, weil wir uns unterwerfen."

Boetie: Von der freiwilligen Knechtschaft, 1574


(aus: Das Leben der Anderen; 2006; stark verändert via bpb.de)
Hach, individuell abgehört und ausspioniert werden - ein Traum, ein Träumchen! Heute kümmert sich kein Schwein mehr persönlich um Dich. Alles muss man selber machen.





Dienstag, 21. März 2017

Krank.



Habe gerade eine neue Krankheit kennengelernt und spontan beschlossen, sie auch zu haben: Hochsensibilität (HS).  [*1]

Ich bekenne mich zu folgenden Symptomen aus der Wikipedia-Therapiere-Dich-selbst-Liste:
  • hohe Eigenverantwortung und Wunsch nach Unabhängigkeit,
  • ausgeprägte subtile Wahrnehmung (vielschichtige Fantasie und Gedankengänge), 
  • hohe Begeisterungsfähigkeit, sehr vielseitige Interessen, 
  • psychosoziale Feinwahrnehmung, 
  • ausgeprägtes intuitives Denken, 
  • ausgeprägter Altruismus, 
  • Gerechtigkeitssinn, Harmoniebedürfnis, Gewissenhaftigkeit, 
  • meist vielschichtige komplexe und stabile Persönlichkeit, 
  • Anfälligkeiten für Stress, Leistungsdruck und Zeitknappheit, 
  • Wertschätzung der sozialen Kommunikation erfordern Zeit, Akribie und eine ruhige Atmosphäre, die nicht immer gegeben ist, 
  • Unmöglichkeit der geistigen Reduktion auf nur eine Aufgabe oder einen Wahrnehmungsbereich. Gemessen am Ideal der Leistungsgesellschaft ist dies ein Nachteil, auch dadurch bedingt, dass die HS-Patienten oft typische Querdenker sind und in ihren Problemlösungsstrategien nicht den gesellschaftlichen Standards entsprechen, welche sie oft für zu primitiv und ineffizient halten.
Eine ganz unstrukturierte Sammlung, Wikipedia nennt auch noch einige Phänomene, die überhaupt nicht passen, wie Perfektionismus und übersteigerte Empathie usw. Können wir uns einfach darauf einigen, dass ich trotzdem HS-krank bin und also folgende Rücksichtnahmen erheische:

  • Ich liebe gute Gespräche, aber, bitte, redet mit mir ruhig und langsam in einer reizarmen Atmosphäre. Im Hintergrund laufende Fernseher killen meine Fähigkeit zu Logik und sozialer Kommunikation restlos.
  • Effiziente, auch anspruchsvolle Arbeit kann ich mit großer Ausdauer leisten, wenn ich mit der ruhigen Regelmäßigkeit eines Schiffsdiesels bei 60 bis 70 Prozent der maximalen Drehzahl arbeiten kann. Dieses blöde Schnellficker-Gehabe, man müsse dauernd auf 100 oder mehr Prozent laufen, und wenn's sein muss, darüber hinaus auch mal 300 Prozent fahren, halte ich für nichts weiter als schlecht kaschierte Organisationsfehler. Das demotiviert mich total.
  • Ich kann zwar Konflikte ziemlich wütend bis zum Ende (des Gegners) durchkämpfen, aber in meinem Innern langweile ich mich dabei, fühle mich unwohl und finde das Ganze stets  abgrundtief dumm und überflüssig. Mein Harmoniebedürfnis hat emotionale aber auch ganz kognitive, vernunftbasierte Ursachen. Also: Kein Streit. Lass uns reden.

Warum rede ich hier so viel über mich, warum oute ich mich hier plötzlich so sehr?

Ganz einfach: Bis gestern dachte ich, die obengenannten Eigenschaften seien normal und der Großteil der Menschen um mich herum würde so oder ähnlich ticken. Nun habe ich gelernt, dass das alles Krankheitssymptome sind. Und ich habe beschlossen:

Wenn meine Art zu leben krank ist, dann möchte ich nicht gesund sein! 



(via wiki commons)
Lieber Himmel, lass die Saison bald wieder beginnen. [*2]



[*1] Herrlich diffuses Krankheitsbild, da "die High-Sensitivity-Forschung (HS-Forschung) noch ganz am Anfang steht". Neue Krankheiten sind immer gut. Das bedeutet, man kann noch selbst definieren, was man hat und muss sich nicht auf standardisierte Sets von Symptomen, wie beispielsweise bei einem gebrochenen Oberschenkel, festlegen lassen.
[*2] Diese Bildunterschrift hat nichts mit dem Inhalt des Textes zu tun. Nur ein Gebet.