Dienstag, 21. März 2017

Krank.



Habe gerade eine neue Krankheit kennengelernt und spontan beschlossen, sie auch zu haben: Hochsensibilität (HS).  [*1]

Ich bekenne mich zu folgenden Symptomen aus der Wikipedia-Therapiere-Dich-selbst-Liste:
  • hohe Eigenverantwortung und Wunsch nach Unabhängigkeit,
  • ausgeprägte subtile Wahrnehmung (vielschichtige Fantasie und Gedankengänge), 
  • hohe Begeisterungsfähigkeit, sehr vielseitige Interessen, 
  • psychosoziale Feinwahrnehmung, 
  • ausgeprägtes intuitives Denken, 
  • ausgeprägter Altruismus, 
  • Gerechtigkeitssinn, Harmoniebedürfnis, Gewissenhaftigkeit, 
  • meist vielschichtige komplexe und stabile Persönlichkeit, 
  • Anfälligkeiten für Stress, Leistungsdruck und Zeitknappheit, 
  • Wertschätzung der sozialen Kommunikation erfordern Zeit, Akribie und eine ruhige Atmosphäre, die nicht immer gegeben ist, 
  • Unmöglichkeit der geistigen Reduktion auf nur eine Aufgabe oder einen Wahrnehmungsbereich. Gemessen am Ideal der Leistungsgesellschaft ist dies ein Nachteil, auch dadurch bedingt, dass die HS-Patienten oft typische Querdenker sind und in ihren Problemlösungsstrategien nicht den gesellschaftlichen Standards entsprechen, welche sie oft für zu primitiv und ineffizient halten.
Eine ganz unstrukturierte Sammlung, Wikipedia nennt auch noch einige Phänomene, die überhaupt nicht passen, wie Perfektionismus und übersteigerte Empathie usw. Können wir uns einfach darauf einigen, dass ich trotzdem HS-krank bin und also folgende Rücksichtnahmen erheische:

  • Ich liebe gute Gespräche, aber, bitte, redet mit mir ruhig und langsam in einer reizarmen Atmosphäre. Im Hintergrund laufende Fernseher killen meine Fähigkeit zu Logik und sozialer Kommunikation restlos.
  • Effiziente, auch anspruchsvolle Arbeit kann ich mit großer Ausdauer leisten, wenn ich mit der ruhigen Regelmäßigkeit eines Schiffsdiesels bei 60 bis 70 Prozent der maximalen Drehzahl arbeiten kann. Dieses blöde Schnellficker-Gehabe, man müsse dauernd auf 100 oder mehr Prozent laufen, und wenn's sein muss, darüber hinaus auch mal 300 Prozent fahren, halte ich für nichts weiter als schlecht kaschierte Organisationsfehler. Das demotiviert mich total.
  • Ich kann zwar Konflikte ziemlich wütend bis zum Ende (des Gegners) durchkämpfen, aber in meinem Innern langweile ich mich dabei, fühle mich unwohl und finde das Ganze stets  abgrundtief dumm und überflüssig. Mein Harmoniebedürfnis hat emotionale aber auch ganz kognitive, vernunftbasierte Ursachen. Also: Kein Streit. Lass uns reden.

Warum rede ich hier so viel über mich, warum oute ich mich hier plötzlich so sehr?

Ganz einfach: Bis gestern dachte ich, die obengenannten Eigenschaften seien normal und der Großteil der Menschen um mich herum würde so oder ähnlich ticken. Nun habe ich gelernt, dass das alles Krankheitssymptome sind. Und ich habe beschlossen:

Wenn meine Art zu leben krank ist, dann möchte ich nicht gesund sein! 



(via wiki commons)
Lieber Himmel, lass die Saison bald wieder beginnen. [*2]



[*1] Herrlich diffuses Krankheitsbild, da "die High-Sensitivity-Forschung (HS-Forschung) noch ganz am Anfang steht". Neue Krankheiten sind immer gut. Das bedeutet, man kann noch selbst definieren, was man hat und muss sich nicht auf standardisierte Sets von Symptomen, wie beispielsweise bei einem gebrochenen Oberschenkel, festlegen lassen.
[*2] Diese Bildunterschrift hat nichts mit dem Inhalt des Textes zu tun. Nur ein Gebet.