Im Nachgedanken zu vorhergehendem Artikel ist mir eingefallen, dass jüngere LeserInnen dieses Blogs vielleicht nichts mit dem Begriff "Enkel-Gespräche" anfangen können.
Als ich jung war und uns allmählich dämmerte, was für ein unfassbares Grauen unsere Eltern bzw. Großeltern während der Nazi-Zeit mitlaufend mitgetragen haben, da kamen natürlich Fragen auf, die sich mehr oder weniger um die eine Frage drehten: "Warum habt Ihr nichts dagegen unternommen?" Man stelle sich das bitte nicht so konkret vor, dass ich zu meinem Opa hingelaufen bin, um ihn in einem sachlichen Interview um Auskunft zu bitten. Es war eher so, dass ich Gesprächsfetzen aufschnappte, Einstellungen und Denkstrukturen deutlich wurden. Man hörte auch, was andere Opas und Omas so erzählten. Und daraus setzte sich ein Mosaik zusammen: Befehlsnotstand ... nichts gewusst ... wirklich nicht ... erst hinterher ... war auch gefährlich ... Spitzelwesen ... Propaganda ... Denunziationen ... Angst um das eigene Leben, das der Angehörigen ... lustig war's irgendwie auch ... nicht Alles schlecht ... usw.
Ehrlich gesagt blieb das Ganze für mich immer unbefriedigend. Niemand, fast niemand, gab persönliche Schuld, Verstrickung, Feigheit oder insgeheime Zustimmung zu. Das Bild, das da entstand, war überhaupt nicht geeignet, die Lebensrealität während der Nazi-Zeit schlüssig zu erklären. Irgendwann begriff ich, dass es aussichtslos war, mit dieser Art von Enkel-Fragen Ungelogenes zu erfahren. Ein tiefsitzendes, naserümpfendes Misstrauen blieb in diesem Themenbereich zurück. (Allerdings nur in diesem. Meine Großeltern waren ansonsten ausgesprochen liebe, nette, tolle Großeltern. Man musste das trennen, und das konnte ich auch.)
Was sollen wir aber antworten, wenn wir in paar Jahren von unseren Enkeln gefragt werden, warum wir nichts gegen die Zustände unserer Welt unternommen haben?
- Unwissenheit? Keine Chance! Das Internet vergisst nichts. Sie werden uns beweisen (!), dass wir es wussten.
- Befehlsnotstand? Was für ein Scheiß-Argument, aber wir haben nicht mal das.
- Gefahr für Leib und Leben? Nö, definitv nicht.
- Keine Möglichkeit? Hallo!? Facebook? Twitter? Wenn wir gegen Unrecht Widerstand leisten wollten - es wäre nie so einfach gewesen, wie jetzt, in diesem Augenlick.
- Propaganda? Ja, die gibt es, aber es gibt auch reichliche und umfängliche Gelegenheit zum schlichten Selber-Denken.
Sollen wir unseren Enkel etwa die Wahrheit sagen?
Dass wir allesamt zu faul, zu egoistisch und zu korrumpiert waren?
Unmöglich! das ist ja noch peinlicher und noch irrsinniger, als der Scheiß, den unsere Großeltern uns erzählt haben. Das geht auf keinen Fall! Lasst uns schnell eine gewaltige Lüge erfinden.
Also, das war so: Die haben uns was in Trinkwasser gekippt, eine Droge ... jawohl. Und ... ääh ... ahja: Aus Flugzeugen haben sie Chemikalien in die Atmosphäre geblasen, die dazu führten, dass wir uns still verhielten. Eine Zufriedenheitsdroge, quasi. Genau! Die machte uns Alle zu bierärschigen, selbstzufriedenen Wegguckern und Jasagern. ... Und es verschwanden Leute! Oh ja! Also, da kenne ich jetzt keinen persönlich, aber ich habe gehört von einem, der kannte einen, von dem der Freund verschwunden war ... Einfach so. Also, da hatten wir schon ein bisschen Angst ... Viel Angst, wollte ich sagen, sehr viel Angst ...
(verändert via wiki commons)