Leseempfehlungen auf weblogs sind immer pottenlangweilig. Aber ehrlich gesagt: Diskussionen über Gott und die Welt würde ich künftig ein Klitze-Bisschen lieber mit Menschen führen, die "Homo Deus" von Y.N. Harari gelesen habe, als mit jenen, die vielleicht noch nicht so einen aktuellen, gut strukturierten Überblick über die wirklich kniffligen Fragen unserer eventuellen zukünftigen Existenz und die jeweiligen unterschiedlichen, gültigen Denkansätze dazu haben. (Alles Weitere
hier.)
Größeres Kompliment ist für so einen Schinken kaum denkbar. Aber das bedeutet nicht, ich wäre mit Allem einverstanden, was Harari schreibt, und ich bin auch nicht sicher, Alles immer ganz richtig verstanden zu haben.
Zum Beispiel die Sache mit den "organischen Algorithmen". Harari referiert über mehrere Kapitel und durchaus stichhaltig naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse, die nahelegen, der Mensch sei, wie alle Lebewesen, nichts weiter, als eine organische
Turing-Maschine, nur eben sehr, sehr komplex, allerdings auch nicht so komplex, dass wir uns weiterhin einbilden sollten, es gäbe eine Seele oder ein unveränderbares inneres Wesen, das uns ausmache, uns zu dem Individuum mache, das zu sein Jede und Jeder für sich beanspruche. Diese Seele-Wesen-Individuum-Konzepte seien überflüssige Erzählungen, denen wir aber, da sie ja Teil unserer Programmierung seien, nicht entrinnen könnten.
Und da wir eben nur seelenlose organische Algorithmen seien, und da sich die technischen Algorithmen im Gegensatz zu uns rasend schnell entwickeln, werden sie uns eines nahen oder fernen Tages ein- und überholen, ihre Algorithmen werden noch komplexer, d.h. noch intelligenter sein, so dass von einem spezifisch menschlichen Alleinstellungsmerkmal nichts übrig bliebe und wir uns also in die Obhut, sprich: unter die Herrschaft der Maschinen zu begeben hätten - nach der selben Logik, mit der wir uns derzeit anmaßen, Tiere und eigentlich die gesamte Rest-Natur zu "beherrschen", genauer: gnadenlos auszubeuten.
Harari lässt uns über viele spannende und lesenswerte Kapitel in diesem Gedanken zappeln, erst ganz am Ende spinnt er daraus den dringenden Hinweis auf eine Wahlmöglichkeit, die wir doch, bitte, endlich realisieren sollten. Das ist dramaturgisch ganz geschickt gemacht.
Aber ...
Ich dachte, wir hätten diese Sache mit dem positivistischen Welt- und Menschenbild längst überwunden. Ja, man kann ein Ölgemälde bis auf die atomare Ebene auseinandernehmen und man wird keinen Fitzel Kunst, keine Ästhetik und keine Aussage darin finden. Ja, man kann den menschlichen Körper sezieren, und man wird keine Seele, kein innerstes Wesen und kein Individuum finden.
Und ja, um darüber nachzudenken, was den Mensch zum Menschen macht, gab es immer schon ulkige Denkmodelle, wie und womit der Mensch zu analogisieren sei, und alle Analogien waren immer von ihrem Zeitgeist abhängig und allesamt waren falsch oder zumindest äußerst defizitär.
(Kahn F. 1931 - via wiki commons)
Nun leben wir also nicht mehr im Industriezeitalter, in dem der Mensch als "Industriepalast" erklärbar war, sondern im Informationszeitalter (oder was auch immer), und da wird der Mensch eben zum organischen Algorithmus. Das klingt alles so alt und wohlbekannt und längst widerlegt.
Und kann es wirklich wahr sein, dass die von Hariri zitierten "Biowissenschaften" folgendes völlig bescheuerte und ärgerliche und ausgelutschte Argumentationsschema fahren "Du kannst die Wahrheit nicht erkennen, denn es ist ja Deine Programmierung, die Wahrheit nicht erkennen zu können, und indem Du UNS widersprichst, gibst Du UNS jedes Mal Recht!"? Wie scheiße ist das denn!? Was für ein billiger, bronzezeitlicher, fundamentalistischer Zirkelschluss geht denn hier ab!?
Ich hätte nicht gedacht, dass das im Jahre 2018 noch nötig wäre, aber ich bin zu lange Pauker, um von intellektuellen Rückfällen noch besonders schockiert zu sein, meine eigenen eingeschlossen.
Nun denn! Wiederholen wir noch mal kurz einige der Gründe, die uns Menschen das Recht auf eine Seele oder ein innerstes Wesen und / oder Individualität und / oder irgendein anderes Etwas gibt, das mehr ist, als nur die Summe unserer Elemente:
1. 1641 stellte Descartes fest "Ich denke, also bin ich." oder ausführlicher „Da es ja immer noch ich bin, der zweifelt, kann ich an der Existenz dieses Ichs, selbst wenn es träumt oder phantasiert, selber nicht mehr zweifeln.“ Bezogen auf die von Hariri zitierten Aussagen zur Nicht-Existenz eines Individuums übersetzen wir: Ihr könnt mit großkotzig-postmodernem Wegwerf-Gestus oder frühneuzeitlichem Positivismus natürlich auch die Institution des zweifelnden, d.h. denkenden Ichs verschrotten, aber dann habt Ihr GAR NICHTS mehr, und dann erklärt mir bitte mal, wer diesen letzten Satz geschrieben hat.
2. Humor. Nicht gemeint sind Ausdrucksformen von Freude und Glück. Die Fähigkeit zu, beispielsweise, subtiler Ironie ist nicht als evolutionär stabilisierte Verhaltensdisposition, oder wie Hararis "Biowissenschaftler" sagen würden: organischer Algorithmus, erklärbar.
3. Schuld. Dass soziale Normen evolutionär vorteilhaft sind, steht außer Frage. Aber das Empfinden persönlicher, d.h. einem Individuum (!) zurechenbarer Schuld ist evolutionär nachteilig. Skrupelloses Verhalten ist im Hinblick auf Fortpflanzungserfolge nachweislich ungleich stabiler.
4. Kein gutes Argument, aber: Wenn es keine Seele, kein inneres Wesen, kein Individuum gibt, mit wem, zum Geier, rede ich dann seit über 50 Jahren in inneren Monologen? Mit wem habe ich Mitleid, wenn ich in Selbstmitleid bade? Wen verfluche ich, wenn ich Mist gebaut habe?
5. Pragmatisches Argument zum Schluss: Wenn die algorithmischen Einheiten der Spezies Homo sapiens wirklich nur organische Algorithmen sind und sie sich in naher oder ferner Zukunft in Konkurrenz, ja, in einem Machtkampf mit schnell evolvierenden technischen Algorithmen befinden werden, die tatsächlich keine hinderlichen, überflüssigen Konzepte von "Ich", von Humor, Schuld und Zweifel kennen, dann gibt es drei mögliche Szenarien:
5.1 Die Menschheit verliert den Machtkampf und geht unter, endet bestenfalls als Sklavenvolk der intellektuell überlegenen Maschinen.
5.2 Die Menschheit überwindet die Konzepte von innerem Wesen, Individualität, von Humor, Schuld und "Selbst", kann sich auf diese Weise in der Konkurrenz mit den Maschinen behaupten, hat aber alles Menschliche aufgegeben und ebenfalls aufgehört, als Menschheit zu existieren.
5.3 Die Menschheit bleibt bei den Konzepten von innerem Wesen, von Individualität, Schuld, Humor und Selbst und befeuert sie sogar noch, weil sie nämlich weiß, dass das genau die Dinge sind, die Maschinen niemals werden lernen können und die uns so wahnsinnig überlegen machen.
Die Menschen sind was Besonderes, sie haben im Laufe ihrer Evolution Systemeigenschaften entwickelt, die sich zwar der naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode entziehen, aber trotzdem ungeheuer wirkmächtig sind. Daraus ist allerdings nicht zu folgern, dass wir Krone oder Schlussstein der Evolution seien oder dass wir NICHT gerade auf dem besten Wege seien, uns durch unsere eigene Beschränktheit selbst aus der Geschichte zu kicken oder dass das, was wir gerade mit unserem natürlichen Lebensraum machen, irgendwie schlau oder nett wäre.
"Wir haben Angst und sind allein.
Gott weiß, ich will kein Engel sein!"
(Rammstein)