Montag, 15. April 2019

Thesen zum Schulstreik



Offener Brief - to whom it may concern.


Liebe klimabewusste Schüler*innen,

die folgenden Thesen stammen von einem Eurer wohlwollenden Gegner [1], einem lebenszeitverbeamteten Lehrer, alt, bequem, Teil des Systems und von diesem ganz weitgehend korrumpiert und immer schon erbärmlich inkonsequent, wenn es darum ging, erworbene Vernunft und Erkenntnis in verändertes persönliches Verhalten umzusetzen. Macht damit, was Ihr wollt.


These 1: 
"Alle Veränderung trifft auf Widerstand. Ohne Widerstand keine Veränderung"
             Untergrundblättle.ch

Eure bisherige Widerstandsform, die Freitagdemos, werden von Plittikörrn und Presse diskutiert. Einige finden es gut, was Ihr macht, ein paar wenige monieren den Unterrichtsausfall.  Das bedeutet, Ihr seid derzeit noch vollkommen wirkungslos. Man belächelt Euch, tätschelt Euch das Haupthaar, demnächst kriegt Ihr noch Bonbons, aber voll öko, haha, und dann wird man Euch und Euer Anliegen wieder vergessen. Verändert habt Ihr bislang überhaupt nichts. Über Eure Forderungen hat niemand ernsthaft diskutiert, schon bemerkt?

Erst wenn die ersten Energiekonzerne richtig böse und aggressiv reagierten, hättet Ihr ein Indiz für Wirksamkeit.

These 2: 
Es muss eigentlich nicht besonders erwähnt werden: Widerstand, der NICHT völlig  gewaltfrei ist und bleibt, ist völlig inakzeptabel. Ich würde mich freuen, wenn Ihr bunte, überraschende, also: intelligente Widerstandsformen fändet. Die sind nämlich wirksam, im Gegensatz zu allem Anderen.

These 3:
Die Nummer mit den freitäglichen Schulstreiks hat sich abgenudelt. Das Argument der Schulpflicht ist dabei weniger wichtig als die Tatsache, dass Schule - believe it, or not - für Euch da ist, nicht umgekehrt. Lächerlich, zwanzig Prozent einer Dienstleistung zu bestreiken, die die Gesellschaft für Euch erbringt. [2] 

These 4:
Es wird der Anteil der Dullies unter Euch, die den Streik als vorgeschobenen Grund für Unterrichtsvermeidung missbrauchen, rasant zunehmen, so sehr, dass die Ernsthaftigkeit Eures gesamten Projektes gefährdet wird. Außerdem stellt sich die berechtigte Frage Eurer Aufmerksamkeitsspanne: Werdet Ihr nach den diesjährigen Sommerferien weitermachen? Oder werden viele von Euch einfach nicht mehr mit dem Arsch hochkommen, weil, "...ja, das war ja ganz nett, aber erreicht haben wir ja noch nix ...!" Wie wollt Ihr Eurer Sache Dauerhaftigkeit verleihen?

These 5:
Eigentlich keine These, sondern eine persönliche Ansage: Wenngleich hen kundigen Leser*in zwischen diesen Zeilen eine gewisse Sympathie des Verfassers für klimakämpfende Schüler*innen auffallen mag, so weise ich doch darauf hin, dass ich in der Sache Pauker bin und bleibe: Wer unentschuldigt fehlt, wird bestraft, und natürlich wird die nicht-erbrachte Leistung in der Mitarbeit mit Note "6" bewertet. Wer Unterrichtsstoff verpasst und nicht anderweitig aufholt, wird in der nächsten Klausur abschmieren, und das ist gut so. Was gibt es da zu diskutieren?

Ich bin nicht nett. Spätestens beim Thema Bewertung bin ich eine eisekalte Drecksau, denn die Alternative wären Sympathie-Noten, und das wäre in der Tat der Untergang des Abendlandes.

Außerdem würde ich den Kampf der streikenden Schüler*innen entwerten: "Ach, am Freitag haben wir Herrn S., da können wir ruhig auffe Demo, der tut nix..." Nix da! Wer sich entscheidet, steht dafür gerade. Punktum. Möge in 60 Jahren der den Enkeln kolportierte Narrativ  lauten: "Wir wussten, dass wir Ärger kriegen - mächtig Ärger! - wir haben's trotzdem gemacht! Das war's wert! Deshalb habt Ihr heute eine lebenswerte Umwelt ..."














[1] "... wohlwollender Gegner ..." Gibt es sowas? Ja. Wenn man inkonsequent ist. Ich weiß, mein Lebensstil bräuchte 3,8 Planeten, falls alle Menschen nachhaltig so leben wollten wie ich, aber ich ändere nicht grundsätzlich etwas. Wenn man sowas hinkriegt, kann man auch "wohlwollender Gegner" sein. 


[2] Dieser Gedanke ist in Europa etwas ungewohnt. In einigen Bundesstaaten der U.S. of A. fahren viele staatliche Schulen die Vier-Tage-Woche, um Kosten zu sparen. Wer da gute Bildung haben will, muss Privatschulen bezahlen können. 






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