Neulich erhielt ich eine unglaubliche Rarität als Geschenk: Ein gesägtes und geöltes Stück Eichenholz, neun mal fünfzehn mal einskommaacht Zentimeter.
Bemerkenswert: Beim Zuschnitt des Brettes war ein darin steckendes Kleinkaliber-Projektil nebst Schusskanal halbiert worden!
Schauen wir uns das Ganze aus der Nähe an:
A: Das Projektil, Kaliber ca. 5,6 mm, offenbar überwiegend aus Blei. Nach Aussage eines fachkundigen Tischlers wäre die verwendete Holzsäge, wiewohl Profi-Gerät, nicht im Stande gewesen, härtere Metalllegierungen schadlos zu trennen.
B: Der Schusskanal. Dass der Sägeschnitt offenbar in allen Dimensionen den Kanal mittig trifft, ist von sehr, sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Aber hier wird's Ereignis. Interessant ist, dass die Splitter, die in den Kanal hineinragen, "wie neu" aussehen. Wir sind hier im Xylem, im nicht mehr lebenden Teil des Baumes. Deshalb sind hier keine Wunden verwachsen, wurde hier kein Material abgebaut.
C: Einschlagstelle. Man erkennt hier eine Höhle im Holz, wo beim Einschlag des Projektils offenbar Material nach außen geschleudert wurde. Diese Stelle wuchs nicht wieder ganz zu, vernarbte aber. (Wir betrachten hier einen Teil, der damals zum lebenden Gewebe, zum sogenannten "Phloem" gehörte. Direkt unter dem "C" erkennt man, dass in vielen folgenden Jahren das Dickenwachstum des Stammes ungestört weiterlief. Wie viele Jahresringe schließlich über dem Einschuss lagerten, ist wegen des Zuschnitts nicht mehr feststellbar. Zwischen Einschlagstelle und rechtem Rand des Brettes sind etwa sechs Jahresringe erkennbar.
D: Die dunkle Verfärbung hier lässt auf eine Beschädigung und nachgehende, zeitweilige (Pilz?-) Infektion des Gewebes schließen. Der Begriff "Wundballistik" war mir bislang unbekannt, aber es ist deutlich erkennbar, wie die kinetische Energie sich entlang der Röhrenstrukturen des Xylems ausgebreitet hat, anfangs stärker, mit zunehmender Eindringtiefe immer weniger. Um solche Bilder zu bekommen, werden heutzutage höchstkomplexe Experimente durchgeführt.
E: Um das Projektil herum wirken die Strukturen des Holzes stark gestört, obwohl die kinetische Energie hier nicht mehr allzu groß gewesen sein dürfte. Kann es sein, dass hier eine Bleivergiftung eine Rolle spielt? Unklar.
Warum mich dieses Stück Holz so fasziniert? Keine Ahnung, nur Hypothesen:
- Die Gegensätzlichkeit von großer kinetischer Energie, von Bewegung, Gewalt einerseits - und dass das ganze Bild andererseits über viele Jahre wie eingefroren, eingewachsen, bewegungslos konserviert war und ist?
- Diese irrsinnige Aneinanderreihung von Zufällen, dem Zufall, dass ausgerechnet dieser Stamm zufällig ausgerechnet in dieser Schnittebene gesägt wurde und zufälllig jemand dabei war, der ein Auge für sowas hat und obendrein auch noch bereit war, mir das Ding zu überlassen?
- Die forensische Forschung?
Egal.
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