Freitag, 24. Juli 2015

Nichtfiktional spannend



Fiel mir doch das Buch "Die Vitalienbrüder" von Matthias Puhle, 1994, in die Hände. Ach Gottchen, dachte ich, die 100.000ste Störtebeker-Biographie, aber da ich grad' sonst nix Anständiges zu lesen hatte ...

ÜüüüberRAschng! Puhle bastelt gar nichts Neues an die überbordende Freibeuter-Fassade, im Gegenteil: Er führt sehr akribisch und gut lesbar auf, was wir über Störtebeker und seine Spießgesellen eben NICHT wissen. Und das ist fast Alles. Schockierende Erkenntnis, da ich doch dachte, Einiges über den guten, bösen Klaus zu wissen. Und nun kommt Puhle und weist nach, dass die Dokumentenlage nur sehr viel Dichtung und annähernd null Wahrheit ergibt.

Was für ein geistiger Genuss! Statt eines üppigen, bunten, teils kitschigen und über-vollständigen Bildes des historischen Störtebekers bleiben einige wenige, zerbrechliche, unauffällige Bruchstücke. Wie kam K.S. zu den Kaperfahrern? Und warum? Welche Funktion hatte er im Krieg gegen Dänemark (Hauptmann war er da jedenfalls nicht.)? Wie hat er sich in den vielen Jahren "über Wasser gehalten", in denen es keine, absolut keine, Daten über ihn gibt? War er am Überfall auf Bergen beteiligt oder nicht?

Puhle räumt "Gewissheiten" aus dem Weg. Das befreit unsere Phantasie, das eigene Kopf-Kino kann wieder anspringen. Wir dürfen wieder selbst Hypothesen bilden, Plausibilitäten abklopfen, mit den Versatzstücken unseres historischen Wissens herumpuzzeln. Das ist ein bisschen wie Sudoku, nur relevanter. Kurz: Wir können mit dem Thema wieder etwas anfangen.

Ab jetzt möchte ich nur noch Dekonstruktionen lesen. Lasst mich künftig bitte in Ruhe mit den restlos fertig-erklärenden, abschließenden Auswürfen.

Genießen wir die Lust am Zweifel!




                                                          Um das klarzustellen:
                                                          Das hier ist NICHT das Buch von Puhle!
                                                          Aber hübsch peinlich, oder?







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar