Demnäxx Europa-Wahl. Diskussion: Wahlalter auf 16 Jahre hinabgesetzt. Bin da selbst ganz gespalten und war ganz schockiert, dass vor ein paar Monaten ausgerechnet irgendeine konservative Sackwurst meine Bedenken öffentlich aussprach: Wie kann eine Person, die laut Gesetz unfähig ist, für sich selbst volle Verantwortung zu übernehmen, die also weder uneingeschränkt strafmündig noch geschäftsfähig ist, Stimmrecht bei einer so wichtigen Sache wie der demokratischen Willensbildung eines Volkes haben?
Dummerweise liegt da der Verdacht sehr nahe, dass die Parteien, die für eine Absenkung des Wahlalters eintreten, dies nicht aus demokratiefreundlichen Motiven tun, sondern schlicht, weil sie sich mehr Wählerstimmen und letztlich also eigenen Machterhalt erhoffen. So weit, so schlecht.
Gleichwohl kenne ich eine ganze Reihe 16-jähriger, die intellektuell absolut fit für eine Teilnahme an ernsthaften politischen Wahlen sind und deren politischer Einfluss und deren Ideen wichtig sind - und ich kenne eine ganze Reihe von sogenannten "Erwachsenen", die ihr Leben lang eigentlich nie Stimmrecht hätten haben dürfen, weil sie viel zu faul, zu bierärschig, zu unbeweglich und zu unvernünftig sind, zu kapieren, worum es da jeweils überhaupt ging und geht. Diese Einschätzung hat nichts mit eigenen Partei-Präferenzen zu tun. Gute Demokraten sind ohnehin Wechselwähler, und solange niemand Faschos of any colour and any kind¹ wählt, sind divergierende Meinungen essentiell für die demokratische Willensbildung.
Bleibt die schwierige Frage: Wer soll wählen dürfen? Wie und wo wollen wir eine notwendige und angemessene und gerechte Grenze ziehen?
Mein Vorschlag: Wir ziehen überhaupt keine Grenze, sondern überlassen die Entscheidung jedey Menschy selbst! Sagen wir, es gibt drei Kategorien von Eigenverantwortlichkeit:
Kategorie "Unbequem und anstrengend":
Die Menschey, die sich selbst freiwillig dieser Kategorie zuordnen, sind vollständig rechts- und geschäftsfähig und uneingeschränkt für sich selbst verantwortlich, alle Führer- und Pilotenscheine sowie Kapitänspatente möglich, uneingeschränkt wahlberechtigt, uneingeschränkt strafmündig. Letzteres muss man betonen: Wer Mist baut, kriegt welche in den Nacken, d.h. wird nach den Regeln des Gesetzes bestraft.
Vorteile: Keine. Naja, Du lebst eigenverantwortlich.
Kategorie "Easy-peasy"
Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit unterliegt der Betreuung durch eine dazu bestimmte Person oder Institution. Eine Art Jugendstrafrecht, eine milde, rücksichtsvolle Variante des richtigen Rechts wird - unabhängig vom Alter - angewendet. Ein (!) Giro-Konto ohne Überziehungskredit ist möglich. Die Betreuy kann ggfs. Geschäfte widerrufen und ist weisungsbefugt. Kein Wahlrecht. Führerscheine für "Leicht-Autos" (Max.-Gewicht < 200 kg, Max.-Geschwindigkeit bis 60 km/h ²) können erworben werden.
Vorteile: Alle komplizierten Entscheidungen, wie Wohnung, Konsum, speziell Drogenkonsum, Arbeitssuche, Politik usw. werden Dir abgenommen, teilweise auch der komplizierte Verwaltungskram. ÖPNV ist frei. Und wenn Du Mist baust, wird das Strafmaß entsprechend Deiner intellektuellen Fähigkeiten reduziert. Ansonsten kannst Du machen, was Du willst.
Kategorie "Mikromanagement"
Du lebst in einer behüteten Umgebung, man umsorgt Dich, Dein Tagesablauf ist detailliert geregelt, alle Entscheidungen werden für Dich getroffen.
Vorteile: Du musst nie wieder denken, und niemand erwartet etwas von Dir.
Wann entscheiden Menschys sich für eine der Kategorien?
Die abrahamitischen Religionen halten die Kiddos im Schnitt für religionsmündig, wenn das zwölfte bis 14te Lebensjahr erreicht ist ³. Vielleicht sollten wir jedey Menschy am 14. Geburtstag fragen, welcher der drei Kategorien hen ab dem 16. Lebensjahr zuneigt, mit 16 legt hen sich dann erstmal für drei Jahre fest, und vielleicht sollten wir diesen Drei-Jahres-Rhythmus dann fortschreiben. Man kann sich also nach Gusto anderen Kategorien zuordnen.
Ergänzende Erläuterung:
Das bisherige Jugendstrafrecht wird für Menschys ab 16 außer Kraft gesetzt, auch die Regeln zum Jugendschutz etc.. Die Neuregelung betrifft natürlich nicht jene Menschen, die aufgrund einer Behinderung geistig eingeschränkt sind. Da bleibt Alles, wie es ist.
Begründung:
Ich kenne sehr viele Menschen, die von der mit der großen Freiheit einhergehenden Verantwortung für sich selbst kreuzunglücklich sind und mit der alltagspraktischen Umsetzung scheitern. Während meiner Bundeswehr-Zeit Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts habe ich Menschen kennengelernt, die tatsächlich zivil-unfähig waren, unter den Bedingungen des geregelten Kasernenlebens aber glücklich und problemlos lebten.
Wenn man leidlich seriösen Knast-Dokus trauen darf, finden sich auch dort Menschen, die von der Vielfalt der Handlungsoptionen "draußen" total überfordert waren und sind und die das enge Regelgerüst einer JVA im Großen und Ganzen bejahen.
Leicht zu übersehen: Ich kenne viele Lehrery, deren Biographie kurzgefasst "Schule-Uni-Schule" lautet und die es irritiert, mit außerschulischen Lebensformen und Regelsystemen zu kollidieren. Einige Biographien bleiben aus demselben Grunde im wissenschaftlichen Mittelbau, dem sozialen Uterus von Hochschulen und Universitäten hängen.
Noch'n Beispiel: Das Klosterleben. Du verzichtest auf Alles, ordnest Dich freiwillig einer strengen Hierarchie unter, dafür werden alle Verwaltungsdinge und Glaubensfragen für Dich geregelt und Du kannst in Ruhe, ohne Zweifel, ohne Raisonnement ... naja, den ganzen Rest machen.
Was ich sagen will: Es ist eine Illusion zu glauben, dass alle Menschen mit den unendlichen Weiten freiheitlich-demokratischer Handlungs- und Entscheidungsoptionen unendlich glücklich werden. Und wir haben es überhaupt nicht zu bewerten, wenn jemand sich dafür entscheidet, etwas mehr Führung und Betreuung zu wollen.
Allerdings darf so jemand natürlich auch nicht wählen. Das wäre ja auch wieder unlogisch und würde nur die Feinde einer freiheitlichen Verfassung stärken.
Tl, dr: Nur wer selbständig und eigenverantwortlich denken und handeln kann und will und fest auf dem Boden der FDGO steht, darf auch wählen.
(via wiki commons)
A. Mucha: Gismonda 1904
Wir brauchen den Input der jungen Leute.
¹ Damit meine ich Faschos im weiteren Wortsinne: Alle Leute, die über eine apodiktische, d.h. unhinterfragbare Wahrheit verfügen, die sie wichtiger nehmen als die Realität selbst, wichtiger auch als Menschenleben, die sie gerne massenhaft für die Idee und ihren je eigenen Machtrausch zu opfern bereit sind.
² Ok, lass uns sagen, die Maximalgeschwindigkeit beträgt 40 km/h. Und dann tolerieren wir, wenn die Jungs ihre Kisten "tunen", so dass sie 60 km/h rennen. Sowas erzeugt Zufriedenheit.
³ Bar Mizwa: 12 / 13 Jahre;
Erst-Kommunion: Bei „Erreichen des Vernunftgebrauchs“ (Vollendung des siebten Lebensjahres), BRUAHAHA, real: 12 - 16 Jahre
Konfirmation: 14 / 15 Jahre
edit 30.04.2024