Eigentlich hatte ich beabsichtigt, einen "Offenen Brief an alle friedliebenden Palästinenser*innen" zu schreiben, in dem ich ihnen erklären wollte, warum Deutsche niemals wieder das Recht haben werden, Juden, Israelis, den Staat Israel, israelische Institutionen etc. zu kritisieren. Ich hielt das für notwendig, um zu erklären, warum deutsche Nahost-Politik gerade den Anschein erweckt, Würde, Leib und Leben palästinensischer Menschen seien weniger wert als israelischer Menschen.
Ich wollte erklären, was für ein seltsames Gefühl das ist, wenn man gewohnt ist, alles Mögliche - und oft auch Unmögliches - grundsätzlich im Diskurs zu zerblättern, in Bezug auf das deutsch-israelische Verhältnis in diesem Grundsatz aber eine Riesen-Lücke klafft, wie ein großes Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie.
Ich wollte erklären, dass es, wie bei jedem anderen Staat auch, einige Punkte gibt, die mir an Israels Politik kritikwürdig erscheinen und dass die jüdische Religion, wie alle abrahamitischen Religionen, gewaltige ethische Probleme aufwirft ¹.
Und schließlich wollte ich erklären, dass wir Deutsche, die Nachfahren der Täter, dieses Recht auf Kritik ein für alle Mal und in alle Ewigkeit verspielt haben und dass das gut so ist!
Die alten weißen Männer, die an der Spitze des israelischen Staates und seiner Religion stehen, die, wie alle alten, weißen Männer an der Spitze eines jeden Staates und einer jeden Religion, kein Problem damit haben, hunderttausende von Menschenleben zu opfern, um ihren persönlichen Machterhalt zu sichern, werden anderswoher erleuchtet werden müssen. Ich bin raus. Wir Deutschen sind raus. Wir haben in diesem Fall kein Rederecht, und - ich wiederhole - das ist völlig gut und richtig so!
Am Ende des Offenen Briefes wollte ich die friedliebenden Palästinenser*innen meiner uneingeschränkten Solidarität und meines Mitgefühls versichern, ebenso die Jüdinnen und Juden. Da wäre mir schon was eingefallen, klarzumachen, dass alle Menschen gleich und Gewalt grundsätzlich Schwachsinn seien.
Egal.
Der Brief konnte nicht geschrieben werden. Das Gelände ist zu toxisch, geistig zu vermint, jede Seite fragt auf Meta-meta-meta-Ebene nur noch nach Motiven, Inhalte spielen überhaupt keine Rolle mehr. Hannah Arendt hat sowas als Merkmal von Faschismus identifiziert.
Es ist im Gaza-Krieg schlimmer, viel schlimmer als im Falle des Ukraine-Krieges. Wo ja auch schon der schlichte Wunsch nach Frieden Dich zum Putin-Befürworter stempelt.
¹Die sehr schwiemelige, undurchschaubare Kombination von Staat und Religion wäre auch so ein Kritikpunkt.)