In der Debatte um die scheinbar zunehmende Lust an individueller Unterordnung unter autoritäre Systeme hat mal jemand gesagt, man müsse, statt immer nur vernichtend gegen den Faschismus zu wettern, auch mal wieder klar sagen, was eigentlich das Geile an Demokratie ist. ¹
Hier meine spontane Sammlung:
Erstens: Am meisten liebe ich die Möglichkeit zu völlig diversen Lebensentwürfen, egal, ob politisch, sexuell, wirtschaftlich, gesellschaftlich, philosophisch usw. Mit Erstaunen, Interesse, Bewunderung, ungläubigem Kopfschütteln, mitunter auch angeekelter Ablehnung schaue ich mir allzu gerne an, was Menschen werden, wenn sie werden dürfen, wer sie sind. Und wiewohl ich selbst allzuoft viel zu faul und/oder zu feige war und bin, die Freiheit auszunutzen, in der ich leben darf, genieße ich das Potential des "Ich-könnte-auch-ganz-anders!" Immerhin könnte ich eines Tages. Das ist ein gutes Gefühl. Viel besser als "Ich würde gerne, aber irgendwelche Bratzen haben's verboten. Schade."
Zweitens genieße ich, dass in einer richtigen Demokratie die politischen Macht-Habenden nie so ganz sicher sein können, wie lange ihr Höhenflug dauert.² Politik in einer richtigen Demokratie ist immer ein bisschen wuseliger, unsicherer, unklarer. Niemand kann ungestraft "durchregieren", und das macht Entscheidungen in demokratischen Staaten auch ein bisschen lahmarschiger. Das nervt zwar manchmal, aber wannimmer ich dann denke, ein netter, aufgeklärter Monarch wie Friedrich II wär' doch auch mal wieder was, ist natürlich der Folgegedanke, was wohl passiert, wenn der Nachfolger des netten ein arschlöchiger Monarch wäre, und d'rum halte ich's mit Churchill, dass die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, abgesehen von allen anderen.
Drittens geht eine richtige Demokratie logischerweise immer einher mit Rechtstaatlichkeit ³, denn die Goldene Regel ist nun mal ... tja ... die goldene Regel. Konkret heißt das, es gibt Gesetze, die mich vor der Übergriffigkeit staatlicher Stellen und Einzelner schützen.
Dazu ist vielleicht eine Erläuterung fällig: Neo-Nazis stellen sich einen autoritären, durchhierarchisierten Führer-Staat immer so toll, so klar und einfach und effizient und orrrdentlich vor. Die alltägliche Praxis für die Masse, die ganz normalen Volksgenoss*innen, ist aber, dass sie es meist nur mit den untersten Stufen dieser Hierarchie zu tun haben. Lasst Euch von Zeitzeugen mal erzählen, was Blockwarte waren. Vielleicht wisst Ihr aber auch aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn ethisch und intellektuell unterbelichtete Arschlöcher plötzlich in die Lage versetzt werden, Macht auszuüben. Ich möchte mir nicht von einem kleingeistigen, sadistischen Nazi-Spießer vorschreiben lassen müssen, wie ich en detail mein Leben zu leben habe.
Alle fundamentalistischen Systeme fundamentieren letztlich auf dem kleinen, größenwahnsinnigen Blockwart ganz unten in der Machthierarchie. Der Diktator ganz oben tut Dir nix, der delegiert eigentlich nur. Ausgeübt wird die diktatorische Macht im Alltag von den dummen, nichtsnutzigen Arschlöchern ganz unten.
Sowas hasse ich. Das ist ein ganz wichtiger Grund für mich, die Demokratie zu lieben!
Will man sich denen wirklich devot unterwerfen?
Es ist unglaublich!
¹ Genaue Quelle und Wortlaut sind mir leider abhanden gekommen. Für Hinweise wäre ich dankbar.
² Jaaaa, ich weiß, die politisch Macht-Habenden sind sowieso nur die Lakaien der Konzerne, und wenn Protagonist*innen abgewählt werden, fallen sie weich in hochdotierte Beraterverträge, und für die Mittelbauer gibt's die Operation Abendsonne. Leiden muss da niemand.
³ Es sei denn, die Wahlberechtigten seien mehrheitlich völlig meschugge.
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