Freitag, 18. Februar 2022

Nix Glaubensfrage. Verdachtsfall!


Ich lese gerade erstmals Richard Dawkins' "Gotteswahn", eine außerordentlich konsequente Abrechnung mit den intellektuellen Verbrechen, die die abrahamitischen Religionen nicht nur ihren Gläubigen, sondern allen Menschen antun. Ich lerne, dass mein gepflegter Agnostizismus, d.h. die schulterzuckende Annahme, die Nicht/Existenz Gottes lasse sich naturwissenschaftlich nicht beweisen/widerlegen, folglich solle man die Religionen doch machen lassen, was sie wollten, nicht durchzuhalten ist. 

Es ist, da hat Dawkins recht, falsch und gefährlich, eine dumme und gemeingefährliche Idee zu akzeptieren, nur, weil sie sich der Beweisbarkeit entzieht. Und er hat weiterhin recht, zu fragen, warum wir uns das ausgerechnet bei Religionen - und NUR da - gefallen lassen. 

Solchermaßen atheistisch eingestimmt stoße ich auf einen "Guardian"-Artikel, der berichtet, tausende arizonaischer Taufen seien nachträglich für ungültig erklärt worden, da der Priester statt der Floskel "Ich taufe Dich ..." konsequent "Wir taufen Dich ..." gesagt habe. Nicht nur seien die Taufen dadurch ungültig, sondern auch alle anderen Pflichtrituale, die bei diesem Glaubensanbieter den vorherigen Erwerb der Taufe voraussetzten. 

Wie großartig! Ich stelle mir vor, wie die Gläubigen nach ihrem Tod wegen eines banalen, geringfügigen Formfehlers bei der Taufe am Himmelstor zurückgeschickt werden und allesamt in der Hölle landen. Was für eine Zumutung! Was für eine zum Fremdschämen peinliche intellektuelle Zumutung!



(Stark verändert von einer fundamentalistisch-christlichen Seite, 
deren Adresse ich hier nicht angebe, weil sie voller Bibelzitate ist 
und also verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.) 






Montag, 14. Februar 2022

Ein Ausweg aus leidiger Diskussion


Lese gerade Florian Aigner "Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl", eine Einführung in und ein Plädoyer für das wissenschaftliche Denken ¹, unbedingt empfehlenswerte Lektüre und herzerfrischend wie ein kühler, klarer Frühlingshauch in der uns umgebenden muffigen Ödnis aus Fake News, Querdenke und Fakten-Leugnung.  

Besonders gelungen finde ich Aigners Gedanken, man solle Leute, die uns mit irgendwelchen kruden Erklärungstheorien nerven, fragen, welche Bedingungen erfüllt sein müssten, damit sie ihre Theorie als widerlegt ansähen. Das Ganze folgt natürlich B. Russels Definition, eine naturwissenschaftliche Aussage zeichne sich durch ihre prinzipielle Falsifizierbarkeit aus.    

Ich liebe die Vorstellung, einem Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker oder sonstwie tiefstgläubigen Polit- oder Religions-Fundamentalisten genau diese Frage zu stellen: "Was müsste gegeben sein, dass Du Deine Theorie als widerlegt anerkenntest?" Oder vielleicht: "Gibt es eine Bedingung, unter der Du Deine Theorie als widerlegt anerkenntest?" Und wenn die Antwort auf eine inhaltliche Nullnummer hinausläuft, kannst Du - Hosianna! -  das Thema beenden.  



(stark verändert via "alles münster")



¹ Noch ein klitzebisschen besser hat mir Gabriels "Warum es die Welt nicht gibt" (2013) gefallen. Das war nicht ganz so mathe-fetischistisch wie Aigner, philosophisch intelligenter.






Samstag, 12. Februar 2022

Opa erzählt vom Krieg.



(via wikipedia)

"Tja, Froinde, ich erinnere mich, als wär's gestern, damals, 81/82, als ich gedient habe - Wehrdienst W15, wie es sich gehört! Da war noch richtig Krieg! Ost gegen West! Freiheit statt Sozialismus! Kommunismus oder Kapitalismus! Da ging's um's Ganze, Herrschaften! Zum richtigen Schießkrieg ist es dann zwar nicht gekommen, ist klar, sonst wär'n wir alle nicht mehr hier. Aber es war auch nicht nur so ein mickriger angeschwulter Polizei-Einsatz mit Brunnenbau und Eiapopeia. Unter 'nem richtigen Weltkrieg hätten wir's gar nicht gemacht, damals! Aba mit allem Komfort: Panzer, Raketen, Atomwaffen, rund um den Globus. Zentrum wär' natürlich hier gewesen, is' klar, der Iwan wollte ja unsere Industriegebiete im Ruhrpott haben und dann gleich weiter: Durchstoß an den Atlantik ..."

Aus: SG800; Erinnerungen aus glorreicher Zeit, unveröffentlicht; Seite 1/1


"Ja, nach dem Abi musste ich zum Bund. Um zu verweigern und Ersatzdienst zu leisten, war ich zu dumm, zu faul, zu feige und zu unentschlossen, in dieser Reihenfolge. Aber mich trieb auch ein bisschen die Neugierde. Die wesentlichen Eindrücke? Ich war entsetzt, wie wenig Solidarität unter den Soldaten herrschte, wie ätzend, dumm und unkameradschaftlich alles war. Ich kam klar, habe aber lernen müssen, dass meine Vorstellungen da viel zu idealistisch gewesen waren. Und zweitens: Es gab noch keine Auslandseinsätze damals, die ganze Armee war konzeptuell ausschließlich auf den Dritten Weltkrieg ausgerichtet - von dem gleichzeitig kaum noch jemand ernsthaft glaubte, dass er käme. Die Folge war ein unappetitliches Gemisch von 'Wir ferkeln hier mit echt mächtigem Kriegsgerät herum' und einer unfassbaren Beamtenmentalität mit dem typischen dümmlich-satten, dümmlich-verantwortungsfreien, dümmlich-übersteigerten Selbstbewusstsein einer Institution des Öffentlichen Dienstes, deren eigentliche Aufgabe längst obsolet ist. Durch den wirklichen, bedrohlichen Ernst der  Auslandseinsätze hat sich die Bundeswehr, soweit ich das überhaupt beurteilen kann, im Innern sehr zu ihrem Besten verändert."

Aus: SG; Erinnerungen an die absoluten Shit-shows meines Lebens, unveröffentlicht; Seite 12/348



"Sehr beeindruckend fand ich während meiner Wehrdienstzeit - ich diente auf dem Flugplatz eines Jagdbomber-Geschwaders - wenn die Amis mit ihren brutal-hässlichen A-10 aus England rüberkamen, um bei uns zwischenzulanden und das Auftanken und Aufmunitionieren zu üben. Unsere eigenen, bundesdoitschen Flugzeuge und Übungen hat, wie gesagt, niemand so richtig ernst genommen, aber wenn die Amis kamen, dann fühlte man 'Boah, jetzt ist ja echt Krieg...!' Das muss wohl an den heldisch verkrampften Kieferknochen der Piloten gelegen haben oder an ihrem ernsten, gefassten Habitus, den sie zur Schau stellten, da sie mit ihren teuren Kisten ja nun nicht mehr im vergleichsweise sicheren Great Britain herumgurkten, sondern nicht weit ab vom Schuss, 160 km, nur ein paar Flugminuten bis zur Zonengrenze, zum Eisernen Vorhang ...  

Ein paar Jahre später hat mich in Spanien eine amerikanische Militärangehörige mitfühlend und bewundernd (vielleicht bilde ich mir Letzteres auch nur gerne ein) gefragt, wie wir Dschörmins das nur aushielten, all' die Jahre diesen Stress durch die permanente mörderische Bedrohung aus dem Osten so in nächster Nähe. Ich weiß nicht mehr genau, was ich antwortete, aber es war so selten dämlich, dass ich mich hinterher dafür hätte ohrfeigen können, etwas wie "Wellll, yes ... äh ... no ... 'chGott, es geht so, y'know ... it's ok ..." Entweder hielt sie mich anschließend für einen totalen Vollpfosten oder einen Helden oder beides. Im Ausland ist man ja immer Repräsentant seines Landes.

Richtig ist: Zu jener Zeit gab es parallel die medial gehypte Dauerbedrohung durch die 'russische Panzerwalze' und den Dritten Weltkrieg und gleichzeitig eine tiefstentspannte, fast schon narkotische Spießbürgerruhe und friedliche, bürgerlich-kapitalistische Selbstzufriedenheit. Was sollte 'der Russe' mit dem Ruhrpott anfangen? Bis er dort angekommen wäre, wäre doch ohnehin alles zu Klump gebombt. Schwachsinn, aber noch beunruhigender finde ich im Nachhinein, wie wir diese an sich paradoxe Parallelität ausgehalten haben: Es hat uns der individuelle innere Widerspruch überhaupt nicht gejuckt, niemand klagte über russophobe Stress-Symptome, über Traumata und Trallala. 

Heute sage ich: Unterbewusst war uns völlig klar, dass die Kriegsangst unbegründet war, dass sie beiderseits aus machtpolitischem Kalkül geschürt wurde, weil sich beiderseits die obersten Machthaber die gesellschaftlichen Kohäsionskräfte des Bedrohungszenarios zunutze machten, um uns willfährig zu machen."

Aus: SG; Erinnerungen an die absoluten Shit-shows meines Lebens, unveröffentlicht; Seite 23/348

Warum mich plötzlich die memorative Inkontinenz überfällt? Schaut mal genau hin, was gerade in der Ukraine passiert.   
 


(verändert via wiki commons)

Hübsch hässlich oder? Damals wurde uns allerdings auch gesagt, dass Kampfflugzeuge wie dieses im Dritten Weltkrieg eine statistische Überlebensdauer von 8 Minuten gehabt hätten. Als Flugabwehr- und Bodenfuzzi auf einem Einsatz-Flugplatz hatte ich immerhin 20 Minuten. Nimm' dies, Ami!











Sonntag, 6. Februar 2022

Nix gut!

Interessant: Die Amis werden ganz vogelig, weil die Russen jetzt öffentlich darüber nachdenken, Raketen und Truppen nach Kuba und / oder Venezuela zu schicken. Laut Google Maps beträgt die Distanz von Kuba zum nächstgelegenen US-Festland etwa 170 km, von Venezuela aus mit 1.700 km etwa das Zehnfache.

Gleichzeitig schickt die NATO sich an, in Osteuropa vertragswidrig immer weiter bis an die Grenze Russlands zu expandieren (Distanz = 0 km) und die Amis und ihre abhängigen Speichellecker in Westeuropa entblöden sich nicht, der russischen Führung, die ihre Sicherheitsinteressen zurecht bedroht sieht, Kriegstreiberei, Starrsinn und Säbelrasseln vorzuwerfen. 

Man muss wirklich nicht viel denken, um festzustellen, dass wir aktuell NICHT die Guten sind. Es reicht, in GoogleMaps nachzuschauen. Ich jedenfalls stimme dem jüngst geschassten Vize-Admiral Schönbach vollinhaltlich zu. 



(stark verändert via wiki commons)

"Merk' Dir, Zibbe: Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht Dasselbe!"







Samstag, 5. Februar 2022

Signale der Freiheit contra Olympische Spielchen



Ich find's großartig, dass die Olympischen Winterspiele 2022 in Beijing uns allen, Groß und Klein, Arm und Reich, Hier und Da, Schwarz und Weiß, Ost und West, Dick und Doof, die perfekte Chance bieten, unsere Meinung darüber kundzutun, was wir von autokratischen Regimes, von den Feinden der Menschenrechte, der Presse- und Meinungsfreiheit und von korrupten Funktionären und mega-gehypten, mega-kommerzialisierten Sport-Events halten. 

Die Zauberformel ist der Boykott. Man stelle sich vor, alle aufrechten Demokrat*innen dieses Planeten würden alle medialen Übertragungen wegschalten bzw. wegklicken, man stelle sich vor, jeder Sponsor und jeder Werbepartner dieser schmierigen, dreckigen Spielchen würde fortan konsequent boykottiert und verachtet werden. Was für ein herrliches Signal wäre das!

Ja, ich weiß, die Zeiten, sie sind nicht so. Ist mir egal. Ich zieh' das jedenfalls durch. 



                                         Streiche: "Fighting" und "Peace".
                                         Setze: "Olympia 2022" und "Menschenrechte"





Dienstag, 1. Februar 2022

Private Ab- und Ansage

Ich missbrauche diesen Blog mal eben für eine private Ansage:

In gut 14 Tagen werde ich vor genau 60 Jahren die Notbeleuchtung ¹ der Welt erblickt haben. 

Ich habe beschlossen, dass ich von diesem künftigen Tage an mein unfassbar unklares, fraktal-facettenreiches, chaotisch changierendes Selbstbild konsequent um das vorangestellte Attribut "alt" ergänzen werde. Ich werde also beispielsweise, wenn ich wieder mal in entsprechender Stimmung bin, mich nicht mehr nur als "zynischen, menschenfeindlichen Drecksack" bezeichnen, sondern als "alten, zynischen, menschenfeindlichen Drecksack". 

Es ist klüger, habe ich festgestellt, derartige Attribute sich selbst und bewusst und vernunftbasiert und rechtzeitig zuzuordnen, als immer wieder festzustellen, dass man wieder mal einen längst, längst, längst vollzogenen Entwicklungsschritt total verpennt und / oder peinlich zeitverzögert als Allerletzter wahrgenommen hat. 

Also: Ab demnächst bin ich offiziell alt, klar soweit?

Diesen herrlichen Schritt, der so herrlich ist, weil er mich fürderhin von jeglicher kognitiver, emotionaler, sozial-normativer und körperlicher Leistungserwartung entlastet, wollte ich eigentlich ganz groß und wild und ungehemmt zusammen mit vielen lieben Menschen feiern ... eigentlich.



Soweit der Plan ²...

... leider verunmöglicht durch die zwei großen "K", Korona und Kackwetter.  

Kurz: Alle angedachten Saturnalien sind hiermit gekänzelt. Aber: Im Sommer, irgendwann im Juli, wenn das Wetter warm und das Virus weit sind, werde ich mich freuen, Euch zu o.g. Paahdie begrüßen zu dürfen. ³ 





¹ Eine ziemlich fiese Sturmflut hatte u.a. die normale Energieversorgung des Stader Krankenhauses abgeschaltet.

(stark verändert via wiki commons)
Das Bild stammt aus besagter Sturmflut, 
hat aber nicht direkt etwas mit meiner Familie / mir zu tun. 


² Ein Foto der letzten Paahdie.

³ Die Zentauren (re. im Bild) werden übrigens nicht wieder eingeladen, die haben mir voll in die Beete gekackt, ohne es wieder wegzumachen.







Montag, 31. Januar 2022

Man muss sich auch mal betrügen lassen wollen!

Der Widerspruch zwischen den explodierenden Corona-Infektionszahlen einerseits und der - je nach politischen Couleur - auffälligen Teilnahmlosigkeit (SPD) oder jovial-herrschaftlichen Laissez-faire-Attitude (CSU, FDP) sollte uns eigentlich erstaunen. Erklären lässt er sich nur damit, dass die Macht-Habenden in diesem unserem Lande nun offensichtlich die Durchseuchung zwecks Herdenimmunität befördern. Mit Omikron werden wir ja nur ein bisschen krank, da mag's angehen. 

Ich will die Sache hier nicht bewerten. Bemerkenswert ist aber, dass sich über die Parteigrenzen hinweg alle an die Sprachregelung halten, das Wort "Durchseuchung" nicht zu verwenden. Es erinnert an die Zeit, da aus versicherungstechnischen Gründen (!) der Krieg in Afghanistan nicht "Krieg" genannt werden durfte und die Bundeswehr nur ein "regionales Aufbauteam" war. 

Wenn die Bundesregierung heute öffentlich zugäbe, die Durchseuchung der Doitschen einfach geschehen zu lassen, käme vielleicht jemand auf die Idee, sie wegen unterlassener Was-weiß-ich und fahrlässiger Blablabla zu verklagen. Also: Don't ask, don't tell.

Zwar bin ich immer noch überzeugt, dass die Menschheit im Allgemeinen und Plittikör im Besonderen für eine richtige Verschwörung zu doof sind, aber hin und wieder funktionieren Absprachen der Partei-Bosse und Stichwortgeber. Wir, das Wahlvolk und ergo der Souverän in diesem Lande, sollten uns allerdings sehr bewusst machen, dass die von uns beauftragten Regierungs-Lakaien uns wieder mal mit vielen süßen Worten die unschöne Wahrheit verschweigen.



(verändert via wiki commons)

"Inzidenz 1176 und steigend und Ihr wollt unbedingt lockern? Ja, nee, is' klar!"





 



Samstag, 29. Januar 2022

Mehr als blöd

Gratis-Zeitungen müssen bekanntlich einen redaktionellen Teil haben, ein pseudo-journalistisches Feigenblatt, das sie rechtlich von reiner Werbe-Wurfsendung abhebt. Jetzt las ich dort, dass irgendein ländliches Gemeinde-Gremium über irgendwas abstimmen müsse und dass die Entscheidung, Zitat: "mehr als knapp" ausfallen dürfte. 

Frage: Bedeutet "mehr als knapp", dass es in dem Parlament eine satte Mehrheit für die Entscheidung geben werde, dass mehr als nur eine knappe Mehrheit der Stimmberechtigten dafür stimmen werde? Oder möchte der Praktikant ausdrücken, dass die Entscheidung nur mit einer sehr geringen Mehrheit, aber sowas von wenig, also echt: puuh, haarscharfe Sache, das, fallen dürfte? 

Jaja, es ist eine jedem Doitschlehrer innewohnenden Marotte, missverstehen zu wollen, was man grammatisch-logisch missverstehen kann. Können wir uns trotzdem darauf einigen, dass die Konstruktion mit der Floskel "mehr als ...", sofern nicht wirklich zwei unterscheidbare Phänomene quantitativ verglichen werden, missverständlich ist und dass nur Doofe sie verwenden?

Letzteres ist durchaus keine Beleidigung. Die grammatische Komparation (knapp, knapper, am knappesten oder: gut, besser, am besten oder: schnell, schneller, am schnellsten etc.) ist eine intellektuelle Herausforderung, der man im Fremdsprachenerwerb zeitweilig durch stereotype Hilfskonstruktion ausweichen kann: knapp, mehr als knapp, voll knapp, ey oder: gut, mehr als gut, voll gut, ey oder: schnell, mehr als schnell, voll schnell, ey .

Der linguistische Rassismus hat ähnliche Vereinfachungen früher dem "intellektuell unterlegenen Eingeborenen" zugeschrieben, dem jovial die Komparation "knapp, viel knapp, viel, viel knapp" oder "gut, viel gut, viel, viel gut" oder "schnell, viel schnell, viel, viel schnell" zugestanden wurde.  

Vergleiche auch Verbalkonstruktionen mit "tun": Wenn ich Schwierigkeiten mit den Flexionsformen der Verben habe, warum, soll ich dann nicht auf standardisierte Hilfskonstruktionen zurückgreifen: "Ich tu einen Zeitungsartikel schreiben." oder "Morgen tu ich Holz hacken."?

Der von mir sehr verehrte J.R.R. Tolkien hat das zugrundeliegende Prinzip sehr klug erfasst und der Ork-Sprache eine besonders wenig herausfordernde Struktur gegeben, indem alle Verben regelmäßig flektiert, alle Satzgegenstände an den Satzanfang gestellt und alle weiteren "Anhängsel" beliebig nachgeordnet werden:

"ash nazg durbatulûk
ash nazg gimbatul
ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul"

"Ein Ring, damit man man sie mehr als knechten tut,
ein Ring, damit man sie mehr als finden tut,
ein Ring, damit man sie mehr als in die Dunkelheit treiben tut und voll ewig, ey, anbinden tut."

Das versteht auch ein Jung-Ork, der, sagen wir, aufgrund seiner Dienstobliegenheiten nicht sooo viel Zeit für den Kompetenzerwerb in der sprachlich-literarischen Domäne hatte.

Die lyrische Anmutung des Original-Textes, die Eindringlichkeit verheißende Verwendung von Anaphern ist ein wenig untypisch für das Orkische, aber der Text wurde auch von einem Elfen-Lord verfasst, und es gibt sonst nur wenige Schriftdenkmäler des Orkischen. Ork-Sprache findet überwiegend im Live-Stream statt. In diesem Sinne haben die Orks längst kulturelle Ziele erreicht, auf die wir gerade erst hinarbeiten.



(stark verändert via wikimedia)
Ian Miller, Orks. 

Früher konnte man noch eigene Phantasien über das Aussehen der Orks entwickeln. 
Dann kamen Jacksons Kinofilme und die Dominanz des US-Standard-Geschmacks. 
Früher war mehr Lametta.






 


Samstag, 22. Januar 2022

Dilettantus musicus

Mist. Musste gerade feststellen, dass Rupert Hine bereits vor fast zwei Jahren gestorben ist. 

Ich habe das stechende Gefühl, dass das ein riesengroßer Verlust ist. Und das ist sehr erstaunlich, denn

  • erstens bin/war ich kein wirklicher Fan von RH, sondern weiß ich nur, dass sein Album "Immunity" mich wahnsinnig beeinflusst hat
  • zweitens scheine ich prinzipiell zu wirklich tiefempfundenem Fandom - egal, für wen oder was - unfähig und
  • drittens habe ich von Musik keine wirkliche Ahnung. Ich habe Gossen-Wissen. Oder sagt man Dschungel-Wissen? Egal. Musik-Wissen ist bei mir quasi nicht vorhanden, und wenn doch, dann total unstrukturiert. Die Werke sind über zig Jahre von überallher zufällig auf mich eingeprasselt, und einige fand ich nicht blöd. Manche habe ich jahrelang immer wieder gehört, bis mir auffiel, dass sie doch total blöd weil trivial sind und bei anderen musste ich nach Jahren eingestehen, dass ich sie nur deshalb blöd gefunden habe, weil meine Peers mir damals normativ verordnet hatten, sie blöd finden zu müssen (die Songs, nicht die Peers).  

Heute bin ich immer noch ein musikalischer Blindgänger, Lichtjahre davon entfernt, ein Connaisseur zu sein, also einer, bei dem genussvolle Rezeption und Fachwissen einander in nieendenwollendem Aufschaukelungskreis zu immer neuen Höhen heben. Aber als Dilettanten im allerpositivsten Sinne darf ich mich mittlerweile wohl bezeichnen. 

Zurück zu Rupert. Auf seiner website fand ich das Zitat:

"We wear all the music that we have ever heard; 
we are the product of all the music that we have ever listened to."

Puh, das beeindruckt mich. Meine Dilettanten-Intuition sagt mir, dass die Aussage auf mich voll zutrifft, dass ich das aber bislang nicht hinreichend realisiert hatte. Darum kommt hier als mein Dank und Tribut an Rupert Hine der Anfang (!) meiner Sammlung der Musik-Sachen, die mich irgendwie (!!) geprägt haben. Die meisten Videos sind großer Mist. Es sind die Texte. Und die Musik. Und / oder die Geschichte(n) dahinter. Einige Werke mögen zum Fremdschämen peinlich sein, aber ich bitte die*den geneigte*n Rezipientin*en, um Fairness: Schaut Euch, bevor Ihr lästert, die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen an, unter denen sie produziert wurden. ¹





 (stark verändert via wiki commons)

(...)

While you watch there's always something taking sides
Find a clue in any language
Halloween without a pumpkin, Halloween
Sleeping still they look no meaner than their eyes
Trick or treat or lies
Can I keep on running?
Can I keep on running?

It's only surface tension but break it and we sink
Reach out for the master's mask
The wound is deeper than you think
It's only surface tension but break it and we sink
Reach out for the master's mask
The wound is deeper than you think

(...)
Rupert Hine: Surface Tension






¹Ihr werdet aber auch ein paar wenige Texte finden, die tatsächlich total trivial sind. "Beautiful Noise" von Neil Diamond zum Beispiel. Früher hätte ich sowas schamhaft verschwiegen bzw. aggressiv geleugnet. Heute siele ich mich darin, Dilettant zu sein und sein zu dürfen und mir ergo auch Schrott einpfeifen zu dürfen, wenn er mir denn gefällt...  





Dienstag, 18. Januar 2022

Wot I learned from "Diplo"


Habe neulich schweren Herzens "Le Monde diplomatique" abbestellt, denn im Hinblick auf meine Zukunftspläne ist es derzeit angesagt, meine fixen Kosten zu reduzieren. Ich mag die Zeitung nach wie vor und empfehle sie uneingeschränkt. Alleine, weil man allen Artikeln Quellenangaben beigibt. Die Inhalte sind journalistisch hochprofessionell, durchweg interessant, von globaler Relevanz, kritisch und klug. 

Aber.

Wenn man die "Diplo" ein paar Jahre lang aufmerksam gelesen hat, hat man auch erkannt, dass die Welt in ihren verschiedenen Ecken immer wieder nach ganz bestimmten Prinzipien tickt. West-Europa ist reich, verwöhnt und egoistisch und lässt sich von Konzernen beherrschen. Nord-Amerika ist reich, machtgeil und egoistisch und lässt sich von Konzernen beherrschen. Süd-Amerika ist arm und lässt sich von machtgeilen Narco- und Geld-Clans beherrschen. China ist machtgeil, will auf Biegen und Brechen reich werden und lässt sich von der KPCh beherrschen. Russland will nicht noch ärmer und machtloser werden und lässt sich von Putin beherrschen. Indien ist arm und lässt sich von machtgeilen Polit-Clans beherrschen. Afrika ist arm und zersplittert und die herrschenden Clans ausverkaufen seine Seele an China und westliche Konzerne.

Dazwischen krebsen ein paar Micker-Staaten, die sich nicht entscheiden können, von welchem Block sie sich zermalmen lassen wollen, und dann gibt es noch den sogenannten Nahen Osten, wo alle egoistisch sind und wo kein Mensch mehr durchblickt, insbesondere seine Einwohner*innen nicht.

Korruption in allen ihren Varianten ist Antrieb und Schmiermittel, allüberall, sie steht am Anfang und am Ende jeder überindividuellen gesellschaftlichen Kausalität.

Weckt mich, wenn sich etwas zum Besseren verändert.




(stark verändert via wiki commons)
All I need to know about life I learned from Star Trek.