Gratis-Zeitungen müssen bekanntlich einen redaktionellen Teil haben, ein pseudo-journalistisches Feigenblatt, das sie rechtlich von reiner Werbe-Wurfsendung abhebt. Jetzt las ich dort, dass irgendein ländliches Gemeinde-Gremium über irgendwas abstimmen müsse und dass die Entscheidung, Zitat: "mehr als knapp" ausfallen dürfte.
Frage: Bedeutet "mehr als knapp", dass es in dem Parlament eine satte Mehrheit für die Entscheidung geben werde, dass mehr als nur eine knappe Mehrheit der Stimmberechtigten dafür stimmen werde? Oder möchte der Praktikant ausdrücken, dass die Entscheidung nur mit einer sehr geringen Mehrheit, aber sowas von wenig, also echt: puuh, haarscharfe Sache, das, fallen dürfte?
Jaja, es ist eine jedem Doitschlehrer innewohnenden Marotte, missverstehen zu wollen, was man grammatisch-logisch missverstehen kann. Können wir uns trotzdem darauf einigen, dass die Konstruktion mit der Floskel "mehr als ...", sofern nicht wirklich zwei unterscheidbare Phänomene quantitativ verglichen werden, missverständlich ist und dass nur Doofe sie verwenden?
Letzteres ist durchaus keine Beleidigung. Die grammatische Komparation (knapp, knapper, am knappesten oder: gut, besser, am besten oder: schnell, schneller, am schnellsten etc.) ist eine intellektuelle Herausforderung, der man im Fremdsprachenerwerb zeitweilig durch stereotype Hilfskonstruktion ausweichen kann: knapp, mehr als knapp, voll knapp, ey oder: gut, mehr als gut, voll gut, ey oder: schnell, mehr als schnell, voll schnell, ey .
Der linguistische Rassismus hat ähnliche Vereinfachungen früher dem "intellektuell unterlegenen Eingeborenen" zugeschrieben, dem jovial die Komparation "knapp, viel knapp, viel, viel knapp" oder "gut, viel gut, viel, viel gut" oder "schnell, viel schnell, viel, viel schnell" zugestanden wurde.
Vergleiche auch Verbalkonstruktionen mit "tun": Wenn ich Schwierigkeiten mit den Flexionsformen der Verben habe, warum, soll ich dann nicht auf standardisierte Hilfskonstruktionen zurückgreifen: "Ich tu einen Zeitungsartikel schreiben." oder "Morgen tu ich Holz hacken."?
Der von mir sehr verehrte J.R.R. Tolkien hat das zugrundeliegende Prinzip sehr klug erfasst und der Ork-Sprache eine besonders wenig herausfordernde Struktur gegeben, indem alle Verben regelmäßig flektiert, alle Satzgegenstände an den Satzanfang gestellt und alle weiteren "Anhängsel" beliebig nachgeordnet werden:
"ash nazg durbatulûk
ash nazg gimbatul
ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul"
"Ein Ring, damit man man sie mehr als knechten tut,
ein Ring, damit man sie mehr als finden tut,
ein Ring, damit man sie mehr als in die Dunkelheit treiben tut und voll ewig, ey, anbinden tut."
Das versteht auch ein Jung-Ork, der, sagen wir, aufgrund seiner Dienstobliegenheiten nicht sooo viel Zeit für den Kompetenzerwerb in der sprachlich-literarischen Domäne hatte.
Die lyrische Anmutung des Original-Textes, die Eindringlichkeit verheißende Verwendung von Anaphern ist ein wenig untypisch für das Orkische, aber der Text wurde auch von einem Elfen-Lord verfasst, und es gibt sonst nur wenige Schriftdenkmäler des Orkischen. Ork-Sprache findet überwiegend im Live-Stream statt. In diesem Sinne haben die Orks längst kulturelle Ziele erreicht, auf die wir gerade erst hinarbeiten.