Freitag, 7. Januar 2022

Hoffnung in der Digitalisierung

2013 verstarb meine Frau, und ich löste alsbald ihre nachgelassenen Bankverbindungen auf. Das klappte  ziemlich reibungslos, bis auf  ein Konto bei der C*****zbank. Letztere schickt der Verstorbenen nach wie vor alljährlich im Januar ein Schreiben mit Informationen für Einleger, so auch in diesem neuen Jahr. Anfangs hatte ich ein paar Mal nachgefragt, was das solle, ob ich denn etwa ein Konto übersehen hätte usw., und jedes Mal teilte man mir mit, neinnein, das sei nur ein Versehen, da werde wohl eine alte Datenbank verwendet, ein Irrtum, den abzustellen man sich nun aber wirklich, dieses Jahr aber ganz, ganz wirklich, versprochen, dringlichst bemühen werde ...

Ich beklage mich nicht. Interveniere auch nicht mehr. Im Gegenteil, ich betrachte derartige Phänomene mittlerweile als hoffnungsvolle Zeichen in, ach, so digitalisierten Zeiten. Die Konzerne gieren und grapschen blindwütig nach unseren Daten, wie der Leibhaftige nach unseren unschuldigen Seelen. Mitunter erwische ich mich dabei, der Global-governance-Paranoia zu verfallen und anzunehmen, wenn jemand die über meine Person gesammelten Daten so richtig akribisch auswerte, dann könne er*sie wirklich umfängliches Wissen über mein Konsumverhalten, meine politische, religiöse und sexuelle Orientierung etc. etc. generieren. 

Das ist aber Quatsch, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, und damit komme ich auf die C'bank zurück, sind die Leute einfach NICHT so grenzenlos schlau, wie man es für ein Data-mining-Projekt zur Erringung der Weltherrschaft sein müsste. Die Informatiker*innen der C'bank sind mit Sicherheit hochkarätige Leute. Aber sie können sich nicht auch noch um die plöterige Datenbank einer plöterigen Unter-Unterabteilung des Marketings kümmern. Es gibt Grenzen. Und unterhalb dieser Grenzen gedeihen Millionen winzigkleiner Fehler, die in einem riesengroßen System in summa offensichtliche Probleme verursachen. 

Zweitens: Wer will, und die Konzerne und Werauchimmer wollen unbedingt, kann jede Menge Daten über mich zusammentragen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass jeder Versuch, daraus ein schlüssiges und für niedere Zwecke verwertbares Profil meiner Person abzuleiten, scheitern wird ¹. Denn ich bin ein wenig vorsichtig, emitiere relativ wenige persönliche Daten pro Zeiteinheit - und es ändern sich meine Prioritäten und Vorlieben zu schnell. Siebeneinhalb Jahre alte Daten wie bei der C'-bank? Du liebe Güte! Vor sieben Jahren war ich ein komplett anderer Mensch. Woher soll ein Data-Miner wissen, ob das Profil von mir vom letzten Jahr noch aktuell ist? Ich selbst würde sagen, dass nein. Und wenn man mir datensüchtenderweise noch dichter auf die Pelle rückte, beeinflusste dies mein Verhalten und wir hätten das schönste Beobachterparadoxon.

Fazit: Es gibt hinreichende systemtheoretische Argumente, die gegen die Annahme sprechen, Digitalisierung könne Global-governance-Projekte befeuern. Die Menschen sind zu blöd, die Methoden scheitern an der Unschärferelation.



(via wiki commons, Ary Scheffer, 1854)

  

¹ Natürlich kann man so ein paar Eckdaten herausfiltern, wie "alter weißer Mann, nicht verarmt und nicht ganz doof" aber, bitte, das konnte man schon vor 100 Jahren, dazu bedarf es keiner Digitalisierung.








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