Erster Eindruck: Oh, Himmel, was für eine erbärmlich peinliches Zeugnis der Selbstüberschätzung ist doch die gewohnte westeuropäische Geschichtsschreibung. Wir finden Karl den Großen groß? Schaut mal, was zeitgleich in Bagdad und umzu so los ist! Und stimmt es wirklich, dass Nachfahren Dschingis-Khans im 12./13. Jahrhundert Westeuropa nur deshalb nicht überfallen haben, weil es machtpolitisch völlig irrelvant und in jeder Hinsicht viel zu ärmlich war - verglichen mit den reichen Hochkulturen östlich des Mittelmeeres?
Zweiter Eindruck: Scheiß was auf die Religion und Wissenschaft, scheiß was auf Herrschermacht und Landbesitz - glaubt man Frankopans Ausführungen [*1], so war von Anbeginn der kulturellen Entwicklung die allesentscheidende, einzige und ewige Triebfeder der Kommerz. Das ist an sich erstmal nichts Schlimmes, jedenfalls nicht schlimmer als der perverse machtgeile Egoismus religiöser und/oder politischer Führer.
Aber dieser die Geschicke der Welt bestimmende Kommerz hängt sich offenbar am Handel mit Waren auf, die fast ausschließlich Luxusgüter sind, in dem Sinne nämlich, dass sie alltägliche Bedarfe, die Bedarfe der Normalverbraucher, nicht befriedigen. Es ging nicht um Kleidung, Werkzeuge und Grundnahrungsmittel, sondern um exotische Gewürze, Seide, Porzellan, Gold, Sklaven. (Nun gut, Sklaven SIND eine praktische Sache, wenn man sie sich leisten kann und ein paar ethische Spitzfindigkeiten der Neuzeit komplett ausblendet [*2]).
Kurz: Es ging um Dinge, die die Reichen nur deshalb kauften, um mit ihrem Reichtum protzen zu können, wie man heute frotzelt: "Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen." - ein völlig schwachsinniges, uncooles und verachtenswertes Verhalten, das vernunftbegabte Lebewesen eigentlich mit einem befremdeten Schulterzucken abtun ...
... wäre da nicht Frankopans Nachweis, dass es genau dieser Schwachsinn ist, der seit Jahrtausenden die menschliche Kultur und Politik antreibt.
Mir wird schlecht. Mir wird gaaanz, ganz schlecht!
(via wiki commons)
Na, mein kleiner, hinterwäldlerischer Wichtigtuer,
wenn Du wüßtest, wer wirklich was entscheidet ...
[*1] Und warum sollte man ihm nicht glauben? 20 Prozent des Œvres sind Quellenverweise und Literaturangaben. Das müsste natürlich noch geprüft werden, ergibt aber schon mal einen Vertrauensvorschuss.
[*2] So, wie bei uns aktuell über "Flüchtlinge" geredet wird, sind wir auf einem guten Weg, diese Spitzfindigkeiten alsbald wieder hinter uns zu lassen. Extrem desillusionierend, wie die Menschen damals aus reiner Profitgier bereit waren, auch ihre eigenen Landsleute und Glaubensbrüder und -schwestern international und interreligiös zu verschachern. Natürlich wurden Christinnen und Christen von Christen, Muslima und Muslims von Muslimen verkauft. Freie Marktwirtschaft. Und wenn heute Drittwelt-Potentaten ihre Stammesbrüder in Coltan-Minen verheizen, ist das zwar unmenschlich zynisch, aber nicht so zynisch, dass wir mit den Arschlöchern nicht weiterhin grenzenlos Geschäfte machen.