Samstag, 8. August 2015

Angstfrage


Da ist sie wieder, die Angst vor der Enkelfrage "Warum habt Ihr sowas zugelassen?".

Samstagsausgabe der Gülle-Gazette: Ein völlig sinnfreier und inhaltsleerer Bericht über den Aud R8 V10 plus mit 5,2-Liter-V10-Mittelmotor mit siebenstufigem Doppelkupplungsgetriebe ... blablabla ... 610 PS ... blablabla ... 333 km/h ... blablabla

Das schlechte Gewissen ist ein galliger Klumpen, der irgendwo oberhalb des Magens zu sitzen scheint. Ich stelle mir die Szene vor, in der in zwanzig, ach was, in zehn, zwölf Jahren ein/e dann Jugendliche/r diesen Artikel zufällig findet und mich nach dem darin enthaltenen offensichtlichen Schwachsinn fragt.  - Was sage ich dann?

Opa: "Ja, weißt Du, damals gab es viele übermäßig reiche, alte Männer, die impotent waren und /oder einen zu kleinen Penis hatten und die darüberhinaus dumme, rücksichtslose, egozentrische Arschlöcher waren. Und die Marketing-Leute von Audi entwickelten für genau diese Zielgruppe ein entsprechendes Produkt ..." [Puuh, das klingt einigermaßen plausibel. Und ist obendrein ehrlich.] 
Enkel/In: "Hm. Aber wenn man sich damals mit so einem Auto als impotentes Arschloch geoutet hat, warum sind die Leute dann so darauf abgefahren, vor allem jene, die sich so ein Auto niemals leisten konnten? Galt das damals als besonders toll, ein impotentes Arschloch zu sein?"
Opa: [Verdammt!!!] ...


Ich überlasse es den geneigten LeserInnen, diesen Dialog fortzusetzen. Mir fällt an dieser Stelle kein rationaler Inhalt mehr ein, wäre für Tipps dankbar.




 (verändert via wiki commons: Der fahrbare Pimmel)

Was aber werden die Audi-Fuzzies und die impotenten Arschlöcher meine/r/m EnkelIn antworten? Ganz klar:

"Dein Opa ist eine technologiefeindliche, neidzerfressene Spaßbremse!"

Nur kurz dazu:
  • Technologiefeindlich: Schaut Euch mal die Geschichte des Autobaus, speziell des R8 an und erzählt mir dann, wo der technologische Fortschritt sitzt. 610 PS statt "nur" 550? Das ist kein Fortschritt, sondern nur die hirnlose Fahrt in eine technologische Sackgasse. Alltags- und vor allem zukunftstaugliche Lösungen für den globalen Individualverkehr - DAS wäre Fortschritt.
  • Neidzerfressen: Leute, hätte ich 168.000 Ocken zur freien Verfügung, dann fielen mir auf Anhieb eine Myriade Dinge ein, die ich damit anstellen würde. Ein Audi R8 gehört nicht dazu. Bin ich vielleicht neidisch auf Leute, die 168.000 Euro als "freie Spitze" haben, also für kompletten Schwachsinn ausgeben können?  Achgottchen, Geld zu haben ist immer nett, aber ich kann kaum in Worte fassen, wie glücklich ich von dem Zeitpunkt an war und bin, an dem ich festgestellt habe, dass mein mittleres Einkommen zum Bestreit aller denkbaren sinnvollen Ausgaben absolut genügt.
  • Spaßbremse: Die Erfahrung, völlig übermotorisierte Pkw zu fahren, habe ich schon häufiger gemacht, erinnere mich da u.a. an eine spätnächtliche Fahrt auf der damals sehr einsamen, nagelneu sechsspurig ausgebauten A9 Richtung Berlin, olàlà ... (und die Spritkosten zahlte das Unternehmen!). Zugegeben: Das fand ich lustig. Aber ganz ehrlich: Das nüdelt sich ganz schnell ab! High-Speed ist auf Dauer nur noch anstrengend und nervig. Und wo auf der Welt gibt es, bitteschön, öffentliche Straßen, die vom Bau und der Verkehrsdichte her so etwas überhaupt zulassen? Nee, Leute, ich hab's probiert, und ich sage Euch: Spaß ist anders. 



44 PS, Baujahr 1971 - DAS ist Fahrspaß!

 



Donnerstag, 6. August 2015

Falsches Ziel


Die Milchviehhalter protestieren gegen die, Zitat, "ruinösen" Niedrigpreise der riesigen Discounter und Molkereikonzerne. 150 Bauern mit 80 Treckern blockierten neulich eine Aldi-Filiale im ländlichen Hesel, Ostfriesland, meldet das Käseblatt.

Ich verstehe das wieder mal nicht:

Wenn die Preise ruinös sind, warum liefern die Bauern dann noch? Klar, weil die Betriebe andernfalls sofort untergingen, aber das tun sie doch schon seit Jahren. Sind die jetzt noch übriggebliebenen Betriebe also jene, die seit Jahren jedem Druck willig gefolgt sind, jeden Trick angewendet haben, die Konkurrenz doch noch zu übertrumpfen, d.h. zu unterbieten? Ist das, was auf dem Milchmarkt gerade passiert, nicht gerade eine für kapitalistische Wirtschaftssysteme sinnvolle und gewollte Bereinigung? Was ist schlecht daran, wenn Angebot und Nachfrage den Preis regulieren und dass, wenn die Nachfrage sinkt, der Preis den Betrieben auferlegt, sich nach anderen, marktgängigeren Produkten umzusehen? Riefen die Bauern nicht seit Menschengedenken christkonservativ nach freiheitlich-betriebswirtschaftlicher Eigenverantwortung, nach freiem Spiel der freien Kräfte?

Was, bitteschön, macht der Aldi-Konzern falsch, wenn er die Produkte dort einkauft, wo sie am preiswertesten zu beziehen sind? Wenn französische, polnische, russische oder vietnamesische Bauern billiger produzieren können, dann muss man sich doch freuen, dann verdienen die nämlich auch mal Geld, und dann können sie sich, Beispiel, auch mal deutsche Autos oder wenigstens deutsche Maschinen kaufen. Die können Milch besser, wir können Maschinen besser, klug und friedensstiftend ist's, das zum beiderseitigen Vorteil zu befeuern.

Und außerdem: Selbst im agrarischen Hesel bietet Aldi laut Textnachricht billige Butter an. Daraus schließe ich, dass auch im agrarischen Hesel die Leute, auch die Bauern, gerne billige Butter im Supermarkt kaufen. Ich frage erneut: Was macht Aldi falsch?

Letzte Frage: Der Bundesverband der Milchviehzüchter hat ein schlichtes und gar nicht mal so dämliches Konzept entwickelt - soweit ich Total-Ahnungsloser das überhaupt beurteilen kann - um Milchpreiskrisen effektiv und solidarisch zu begegnen. Warum greift das nicht? Warum ist das nicht längst von Bauern einstimmig abgenickt und konsequent umgesetzt worden? Darf ich eine Vermutung äußern? Weil es auch unter den Milchviehhaltern immer ein paar dumme, rücksichtslose, egoistische, gierige Arschlöcher gibt, Leute, die, wenn alle anderen solidarisch gegen die Konzerne antreten, ihre Chance wittern und ihren Liter Milch um den halben, entscheidenden Cent niedriger anbieten, um einen kurfristigen persönlichen Profit auf Kosten der Gemeinschaft zu machen.

Tröstet Euch, ihr Bauern. Diese Arschlöcher gibt es in jeder Branche. Und was das Tollste ist: Das kapitalistische Wirtschaftssystem basiert darauf. Erst auf der Ebene globaler Konzerne sind so wenig Akteure auf der Bühne, dass diese Absprachen treffen können und zu allseitigem Gewinn durchhalten. Das, liebe Leute, ist der Grund, warum die Konzerne so stark sind und Ihr so schwach seid.

Vor 466 Jahren hat das ein 19jähriger begriffen und beschrieben. Keine Ahnung, warum wir bis heute außerstande sind, diesen einfachen Gedanken in verändertes Verhalten umzusetzen.

(Über die freiwillige Knechtschaft)
"Les tyrans ne sont grands que parce que nous sommes à genoux."
"Die Tyrannen sind nur groß, weil wir uns beugen."








Dienstag, 28. Juli 2015

Artgerechte Entsorgung



Das Pofalla steigt nun definitv in das höchste Gremium der Deutschen Bahn auf. Immerhin Einer, der seine Karriere nachweislich noch nie durch Arbeit, Verantwortung oder gar Kompetenz befeuert hat, sondern ausschließlich durch Schleimen, Kriechen und Intrigieren.

Nun gut, die DB dient hier als hochpreisige Deponie für schwachaktive Altlasten; Bahnkunden und Steuerzahler zahlen's ja gerne. Aber trotzdem frage ich mich, wie die Bahn derartige Nullnummern in ihren Arbeits- und Ablaufplan einbaut. Ein Problem ist doch, die Illusion von "irgendwie wichtig" aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Vorsorge zu treffen, dass der Mann nicht ernsthaft anfängt, Abläufe zu beschädigen. Ein weiteres Problem: Wie mache ich den echten MitarbeiterInnen, also jenen, die für Geld Leistung bringen müssen, klar, dass da nun Einer sitzt, der zwar das Zehnfache kassiert, aber ums Verrecken an irgendeiner Einwirkung auf das Tagesgeschäft gehindert werden muss?

Ich nehme mal an, die wirklich verantwortlichen DB-ManagerInnen werden das Pofalla, genau wie das Grube, mit einem Stab von MitarbeiterInnen umgeben, die ihn ein wenig bespaßen, vor allem aber mit leichten, völlig sinnfreien Dingen beschäftigen, und sie werden dafür sorgen, dass alle eventuellen Pofalla-Ausflüsse irgendwo unauffällig versickern und hygienisch entsorgt werden. Vergleichbar mit der tägliche Käfigreinigung im Zoo.

Was ich dem Pofalla wünsche, ist, dass er nie erfahren möge, wie sehr ihn alle, ausnahmslos, verachten.










Samstag, 25. Juli 2015

Thema verfehlt


Na, doa hoab i a wiad'r ssährr g'lacht. Der SH-MP, der Albig, der hat's doch faustdick hinter den Ohren, einfach zuzugeben, dass die heruntergekommene alte Tante SPD sich inzwischen dermaßen an die Konservativen verhurt hat, dass sie eigentlich keinen Kanzler-Gegenkandidaten zu stellen bräuchte, den fetten TTIP-Siggi schon mal gar nicht.

Die C-Parteien feixen ob dieser bedingungslosen Kapitulation und selbst die Sozen attestieren, der Albig, der traut sich was, und wo er Recht hat, hat er nun mal Recht und wenn's stimmt, wird man's doch wohl sagen dürfen. Eigentlich sind alle zufrieden, höchstens ein paar spezialdemokratische Wahlkampftaktiker hüsteln nervöse Dementi.

Ok, Albig, ich erklär's Dir nochmal: Wenn man, wie Du und mittlerweile viel zu viele Menschen in diesem Land, Politik von vorneherein als ein dreckiges, verlogenes und durch und durch korruptes Spiel um Macht betrachtet, dann ist Deine Analyse natürlich richtig und angemessen.

Aber jetzt kommt 'ne Riesen-Überraschung: Laut § 21 GG ist die Aufgabe von Parteien gar nicht, durch Korruption und taktische Spielchen unter allen Umständen ihre je eigene Machtgeilheit und die persönlichen psychopathologischen Egoismen ihrer Silberrücken zu befriedigen!

Ich verstehe, Albig, das ist jetzt eine schockierende neue Erkenntnis für Dich, aber da musst Du durch - und Deine grottenlurchige Groko-Mischpoke auch.

Die Aufgabe von Parteien in unserem Staat ist es, "bei der politischen Willensbildung des Volkes", (§21 GG) mitzuwirken. Das heißt für Parteien, die nicht die Regierungsmehrheit haben: Ihr sollt die temporären Machthaber kontrollieren und antreiben und triezen, dass denen permanent das Wasser im Arsche kocht! Das ist die verfassungsgemäße Aufgabe von Parteien. Für Euch Schrullen von der SPD heißt das: Sobald Ihr aufhört, die Machthaber zu kritisieren, hat sich Eure Aufgabe erledigt und Ihr könnt, nein: Ihr müsst!,  Euren Laden dichtmachen.

Für den Wahlkampf 2017 heißt das: Entweder Ihr habt Alternativvorschläge zu Merkels Politik oder Ihr seid überflüssig. Was nicht geht, ist, Euren Job nicht zu machen und trotzdem in Machtpositionen gewählt werden zu wollen. Wenn Merkels Politik wirklich so gut sein sollte, dass sie jenseits der Kritik stehen sollte, was ich hier gar nicht diskutieren will, dann habt, liebe Sozen, doch bitte den Arsch in der Hose, gar nicht zur Wahl anzutreten und Euch endgültig in die wirkungsfreie Traditionspflege zurückzuziehen wie ein piefiger Provinz-Schützenverein.

Was für eine Ironie der Geschichte: Die einzige politische Partei, die ihren verfassungsrechtlichen Auftrag noch mit Ernsthaftigkeit verfolgt, ist "Die Linke". Und obwohl ich deren Inhalten beileibe nicht umfänglich zustimme, werde ich sie nach derzeitigem Stand der Dinge wählen. Als mehrfach beeidetem verfassungskonservativen Preußen bleibt mir keine andere Wahl.





(Traditionsfahne der SPD - verändert via wiki commons)

Schluss mit lustig!



Freitag, 24. Juli 2015

Nichtfiktional spannend



Fiel mir doch das Buch "Die Vitalienbrüder" von Matthias Puhle, 1994, in die Hände. Ach Gottchen, dachte ich, die 100.000ste Störtebeker-Biographie, aber da ich grad' sonst nix Anständiges zu lesen hatte ...

ÜüüüberRAschng! Puhle bastelt gar nichts Neues an die überbordende Freibeuter-Fassade, im Gegenteil: Er führt sehr akribisch und gut lesbar auf, was wir über Störtebeker und seine Spießgesellen eben NICHT wissen. Und das ist fast Alles. Schockierende Erkenntnis, da ich doch dachte, Einiges über den guten, bösen Klaus zu wissen. Und nun kommt Puhle und weist nach, dass die Dokumentenlage nur sehr viel Dichtung und annähernd null Wahrheit ergibt.

Was für ein geistiger Genuss! Statt eines üppigen, bunten, teils kitschigen und über-vollständigen Bildes des historischen Störtebekers bleiben einige wenige, zerbrechliche, unauffällige Bruchstücke. Wie kam K.S. zu den Kaperfahrern? Und warum? Welche Funktion hatte er im Krieg gegen Dänemark (Hauptmann war er da jedenfalls nicht.)? Wie hat er sich in den vielen Jahren "über Wasser gehalten", in denen es keine, absolut keine, Daten über ihn gibt? War er am Überfall auf Bergen beteiligt oder nicht?

Puhle räumt "Gewissheiten" aus dem Weg. Das befreit unsere Phantasie, das eigene Kopf-Kino kann wieder anspringen. Wir dürfen wieder selbst Hypothesen bilden, Plausibilitäten abklopfen, mit den Versatzstücken unseres historischen Wissens herumpuzzeln. Das ist ein bisschen wie Sudoku, nur relevanter. Kurz: Wir können mit dem Thema wieder etwas anfangen.

Ab jetzt möchte ich nur noch Dekonstruktionen lesen. Lasst mich künftig bitte in Ruhe mit den restlos fertig-erklärenden, abschließenden Auswürfen.

Genießen wir die Lust am Zweifel!




                                                          Um das klarzustellen:
                                                          Das hier ist NICHT das Buch von Puhle!
                                                          Aber hübsch peinlich, oder?







Donnerstag, 23. Juli 2015

Verschärftes Unverständnis


Habe gerade aus angenehmster Langeweile beiläufig nach Smartphone-Spielen gesucht und eine herrlich hirnlose "3D-Bowling"-App gefunden (s. Abb. 1). Das Prinzip ist, mit einem Fingerstrich auf dem Touchscreen die Kugel loszukugeln, um möglichst viele Kegel umzukegeln. Immer wieder. Und immer wieder.

Was ich daran nicht verstehe, ist, dass in den Kommentaren zu dem Spiel moniert wird, es gäbe keine weiteren freischaltbaren Bahnen. Ich bin ja ganz gewiss kein Experte für Bowling, aber soweit ich die Sache verstanden habe, bemühen sich die Bowling-Bahnen-Betreiber im real life sehr darum, die Bahnen stets möglichst nah an strengen, standardisierten Bedingungen zu orientieren, oder? Und wenn ihnen das nicht hinreichend genau gelingt, dann sind die SpielerInnen eher sauer, oder? [*1]

Was also wollen die Kritiker mit weiteren freischaltbaren Bahnen? Oder ist das inzwischen ein unbedingter Reflex im kollektiven Unterbewusstsein aller Smartphone-Süchties, dass ein gutes, erprobtes Konzept so lange verkompliziert werden muss, bis es dysfunktionaler Müll geworden ist, den niemand mehr will?

Ich glaube, ich habe gerade viel über unsere, ach, so tolle Kultur gelernt.



(Abb. 1)


[*1] Kleiner Tipp: Wer beim Bowling abwechslungsreiche Bahnen sucht, sollte es mal mit Boßeln versuchen. Vielleicht kann man am Anfang und zur Umgewöhnung ein paar Kegel auf die Straße stellen.
Und noch 'n Tipp: Die Boßel-App! Warum gibt es die nicht längst? Mit kostenpflichtig freischaltbaren, werbefinanzierten virtuellen Strecken, online-Wettbewerben, MMBC (Massively-Multiplayer-Boßel-Contests)  etc. etc.


Freitag, 17. Juli 2015

Definition: Enkel-Gespräche


Im Nachgedanken zu vorhergehendem Artikel ist mir eingefallen, dass jüngere LeserInnen dieses Blogs vielleicht nichts mit dem Begriff "Enkel-Gespräche" anfangen können.

Als ich jung war und uns allmählich dämmerte, was für ein unfassbares Grauen unsere Eltern bzw. Großeltern während der Nazi-Zeit mitlaufend mitgetragen haben, da kamen natürlich Fragen auf, die sich mehr oder weniger um die eine Frage drehten: "Warum habt Ihr nichts dagegen unternommen?" Man stelle sich das bitte nicht so konkret vor, dass ich zu meinem Opa hingelaufen bin, um ihn in einem sachlichen Interview um Auskunft zu bitten. Es war eher so, dass ich Gesprächsfetzen aufschnappte, Einstellungen und Denkstrukturen deutlich wurden. Man hörte auch, was andere Opas und Omas so erzählten. Und daraus setzte sich ein Mosaik zusammen: Befehlsnotstand ... nichts gewusst ... wirklich nicht ... erst hinterher ... war auch gefährlich ... Spitzelwesen ... Propaganda ... Denunziationen ... Angst um das eigene Leben, das der Angehörigen ... lustig war's irgendwie auch ... nicht Alles schlecht ... usw.

Ehrlich gesagt blieb das Ganze für mich immer unbefriedigend. Niemand, fast niemand, gab persönliche Schuld, Verstrickung, Feigheit oder insgeheime Zustimmung zu. Das Bild, das da entstand, war überhaupt nicht geeignet, die Lebensrealität während der Nazi-Zeit schlüssig zu erklären. Irgendwann begriff ich, dass es aussichtslos war, mit dieser Art von Enkel-Fragen Ungelogenes zu erfahren. Ein tiefsitzendes, naserümpfendes Misstrauen blieb in diesem Themenbereich zurück. (Allerdings nur in diesem. Meine Großeltern waren ansonsten ausgesprochen liebe, nette, tolle Großeltern. Man musste das trennen, und das konnte ich auch.)

Was sollen wir aber antworten, wenn wir in paar Jahren von unseren Enkeln gefragt werden, warum  wir nichts gegen die Zustände unserer Welt unternommen haben?
  • Unwissenheit? Keine Chance! Das Internet vergisst nichts. Sie werden uns beweisen (!), dass wir es wussten. 
  • Befehlsnotstand? Was für ein Scheiß-Argument, aber wir haben nicht mal das.
  • Gefahr für Leib und Leben? Nö, definitv nicht.
  • Keine Möglichkeit? Hallo!? Facebook? Twitter? Wenn wir gegen Unrecht Widerstand leisten wollten - es wäre nie so einfach gewesen, wie jetzt, in diesem Augenlick.
  • Propaganda? Ja, die gibt es, aber es gibt auch reichliche und umfängliche Gelegenheit zum schlichten Selber-Denken.

Sollen wir unseren Enkel etwa die Wahrheit sagen?

Dass wir allesamt zu faul, zu egoistisch und zu korrumpiert waren?

Unmöglich! das ist ja noch peinlicher und noch irrsinniger, als der Scheiß, den unsere Großeltern uns erzählt haben. Das geht auf keinen Fall! Lasst uns schnell eine gewaltige Lüge erfinden.

Also, das war so: Die haben uns was in Trinkwasser gekippt, eine Droge ... jawohl. Und ... ääh ... ahja: Aus Flugzeugen haben sie Chemikalien in die Atmosphäre geblasen, die dazu führten, dass wir uns still verhielten. Eine Zufriedenheitsdroge, quasi. Genau! Die machte uns Alle zu bierärschigen, selbstzufriedenen Wegguckern und Jasagern. ... Und es verschwanden Leute! Oh ja! Also, da kenne ich jetzt keinen persönlich, aber ich habe gehört von einem, der kannte einen, von dem der Freund verschwunden war ... Einfach so. Also, da hatten wir schon ein bisschen Angst ... Viel Angst, wollte ich sagen, sehr viel Angst ...



 (verändert via wiki commons)








 

Unfair Future



Gestern interessanten Vortrag über faire Future gehört.

Ein Teilaspekt, der nachdenklich stimmt: Es ist altbekannt, dass unser irrwitzig hoher Fleischkonsum nur möglich ist, weil wir massenhaft Soja und andere "Futtermittel" für unsere industrielle Fleischproduktion aus den sogenannten Drittweltländern importieren und dass dies wiederum den Hunger und die Armut in diesen Ländern erst erzeugt. Es gibt, so die Feststellung, kaum ein Land auf der Erde, das nicht im Stande wäre, seine Bevölkerung zu ernähren, wenn nicht die landwirtschaftlichen Flächen für die Futtermittel- und (zunehmend) Biokraftstoffproduktion der Erstweltler genutzt würden.

Ok, ok, soweit hatte ich das auch vorher schon verstanden. Wir machen uns schuldig und wir werden später keinesfalls sagen können, wir hätten es nicht gewusst. Da kommen interessante Enkel-Gespräche auf uns zu.

Worüber ich in diesem Zusammenhang aber noch gar nicht nachgedacht habe: Wie läuft das wohl konkret in den Ländern "da unten"? Was sagen die korrupten Plittikörr vor Ort oder die Großgrundbesitzer, die sich mit Sojaanbau und -export seit Jahrzehnten den Arsch vergolden, den Eltern der Kinder, deren eines alle sechs Sekunden verhungert? Wie wird das den Eltern wortwörtlich erklärt?

"Das ist die Globalisierung, da kanntze nix machen"? "Gottes Wille"? "Das ist kompliziert, das verstehste nicht"? "Das war schon immer so"? "Wir brauchen das Geld der Gringos, um Euch ein besseres Leben zu ermöglichen, in dem Eure Kinder dann vielleicht irgendwann nicht mehr verhungern"? "Halt's Maul, Du dreckiges Kommunistenschwein"? "..."?

Nee, tut mir leid, meine Fantasie reicht nicht, mir ein plausibles Szenario vorzustellen, wie man den Betroffenen so etwas erklärt.

Als Nächstes würde ich gerne wissen, warum es auf der Welt nicht viel mehr extrem gewalttätige und blutige Revolutionen gibt. Ich lehne jede Form von Gewalt strikt ab, auch deshalb, weil sie noch nie zum erhofften Ziel geführt hat. Aber wenn die Leute "da unten" irgendwann schlicht durchdrehen und blindlings um sich schlagen, sollten wir nicht missbilligende Verständnislosigkeit heucheln und auf's Menschenrecht pochen.

Das ist Alles so verlogen und gemein, dass es zum Kotzen ist.


 (via wiki commons)
Aufgabe: Erläutern Sie ihm bitte nochmal ganz genau die alternativlose ökonomische Logik, aus der die Reichen seines Landes kilotonnenweise das Soja, das er bräuchte, um seine Familie zu ernähren, nach Europa exportieren müssen, wo es an Vieh verfüttert wird, während seine Familie und der Großteil der Bevölkerung seines Landes permanent Gefahr laufen zu verhungern.




Dienstag, 14. Juli 2015

Zerlegung des Problems



Dröseln wir doch mal auf, wer in der griechenländischen Euro-Krise Mist gebaut hat. Schauen wir uns die Akteure der Reihe nach an.

1. Die Banken
Die Banken und sonstige beteiligte Finanzinstitute haben alles richtig gemacht: Sie sind ausschließlich und radikal dem Profit verpflichtet und sonst nix. Ethik, Humanität und Trallala sind ja schön und gut, aber bitte nur für die Sonntagsreden von -> Plittikörrn. Wenn die Gesetzeslage auch noch weitgehende Steuerfreiheit und totale Risikoabsicherung jeder noch so idiotischen Transaktion garantiert, warum sollten die Jungs anders handeln? Nein, die Banken trifft keine Schuld.

2. Die Plittikörr
Die deutschen, griechischen, sonst-europäischen oder sonst-weltweiten Plittikörr haben ebenfalls alles richtig gemacht: Sie sind ausschließlich und radikal dem je eigenen Machterhalt verpflichtet und sonst nix. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Moral, Logik, Gewissen, Verpflichtung gegenüber Menschen und Umwelt sind ja schön und gut, aber bevor man sich den Luxus dieser hehren Ziele leisten kann, muss man erstmal wiedergewählt werden. Nein, die Plittikörr trifft keine Schuld.

3. Die Menschen
Bingo! Hier liegt das Problem! Was haben die Griechen, ich meine die Bevölkerung, Leute wie uns, denn nun wirklich falsch gemacht? Was ist schuldhaft an ihrem Handeln? Wofür müssen sie nun so einen furchtbar hohen Preis bezahlen? Antwort: Sie haben die Demokratie verraten. Sie haben geglaubt, Demokratie bedeute "Wähl' Dich reich!" [*1]. Sie haben sich von ihren Plittikörrn mit hirnverbrannten, teuren Wahlversprechen einlullen lassen, statt selbständig und kritisch zu denken. Sie haben Plittikörrn vertraut, weil deren Lügen so hübsch klangen und weil es so bequem war. Kein Mitleid mit den Griechen!

Das gilt bei allen vermeidbaren und also selbstverschuldeten Krisen: Kein Mitleid mit den Menschen jedes Landes, in dem das Volk der Souverän ist und in dem freie, geheime und gleiche Wahlen stattfinden. Wer mehrheitlich Plittikörrn vertraut und Banken so viel unkontrollierbare Macht zugesteht, hat kein Mitleid verdient.




(via wiki commons)
Werbeplakat für ein Strandfest in Dunbar, östlich Edinburgh, Schottland, 2009. Leider kaum lesbar der Disclaimer, der darauf hinweist, es handele sich um eine künstlerische Darstellung und it "may differ from the real thing". Sehr fairer Hinweis. Man sollte sowas für Wahlplakate verbindlich vorschreiben.





[*1] der Gedanke ist nicht von mir, sondern von Terry Pratchett









Montag, 13. Juli 2015

Mein blutbesudeltes Smartphone


Gerade im Deutschlandfunk bruchstückhaft in eine Radiodoku reingehört über den Bürgerkrieg im Kongo, über Massaker, Vergewaltigungen und den Zusammenhang mit dem Abbau von Coltan, einem Erz, das für die Handy-Herstellung essentiell sei. Es ist zum Verzweifeln. Natürlich will ich mich nicht mitschuldig machen an diesem unfassbaren Grauen. Gibt es irgendwo ethisch vertretbares Coltan zu kaufen?  Gibt es ethisch vertretbare Smartphones mit nachweisbar sauberer Lieferkette? Oder müssen wir auf Smartphones ganz verzichten, um diesen latenten Massenmord nicht weiter zu befeuern?

Gegengedanke: Es liegt gar nicht am Coltan. Wannimmer da unten irgendwas zu Geld zu machen ist, treten mächtige, macht- und geldgeile, korrupte Arschlöcher auf und schaffen Strukturen, in denen sie ihr menschenverachtendes Drecksspiel spielen können. Es ist die logische Fortsetzung der kapitalistischen Idee. Die Konsequenz ist zwingend.

Wir wollen was dagegen tun? Kapitalismus abschaffen. Nicht im Großen, nicht als Systemfrage. Das bringt erwiesenermaßen nichts, und jede Forderung danach führt nur zu der fatalistischen Haltung "Ja, solange der böse Kapitalismus herrscht, kanntze ja eh nix machen, da warten wir erstmal ab, bis der überwunden ist, und denn aber ...". Bullshit.

Im Kleinen, im Individuellen, da liegt die einzig mögliche Lösung. Konsum runter. Minimum. Wenige notwendige, hochwertige, langlebige, nachhaltige Produkte. Fertig. Wenn Jede/r seinen/ihren eigenen kleinen Kapitalismus abschaffte, wäre viel geholfen.

Ach ja, und die Warlords sollte man einkassieren und vor ein internationales Gericht stellen. Tut doch nicht so, als wären die nicht namentlich bekannt. Geht einfach dem Geld nach.


(Wilde Coltanminen im Kongo 2014 - via wiki commons)