Freitag, 25. Dezember 2015

Oh Sch...! Wir müssen den Hitler lesen.


Was ist der Todesstoß für jedes künstlerische Werk? Wenn es in der Schule drankommt. Wie haben wir es gehasst, wenn ein/e MusiklehrerIn uns einen "Gefallen" tun wollte und Songs, die wir Kiddos gerade aktuell und geil fanden zum Unterrichtsgegenstand erhob und analysierte und erklärte. [*1] Das Teil, insbesondere, wenn es Kult war und als solcher rationaler Kritik eigentlich entzogen, war auf der Stelle mausetot. [*2]. Satisfaction gehörte uns, nicht dem Scheiß-Establishment.

Andersrum: Was macht ein berufsmäßiger Vollidiot wie Bushido, wenn seine Agentur seinen Markennamen mal wieder aufpolieren will? Ein Album mit einem Song, der garantiert auf den Index gehört. Dann wird das Album verboten, anschließend wird der Song gelöscht, und der Rest geht mit den Verkaufszahlen durch die Decke. Oder B. haut noch ein paar hirntote rassistische, frauen- und schwulenfeindliche Pseudo-Gangsta-Interviews raus, für die er sich zu einer Strafe verknacken lässt, die aus der Portokasse zu zahlen ist, ihm aber die kurzfristige Bewunderung vieler Schwerstmehrfachpubertierender einbringt.

Wir fassen zusammen, was wir gelernt haben: Schulische Analyse ästhetischer Werke zerstört deren Kultstatus und jegliche spontane, unreflektierte Faszination [*3], Verbote hingegen machen eine Sache erst richtig interessant.

Damit zu Hitler und zu "Mein Kampf" in der Schule. Das Werk  ist, streng textimmanent betrachtet, ein verquarstes, spießiges, langatmiges, peinlich egomanisches Machwerk [*4]. Weiter hin enthält es Gedanken, die in den 1930er und -40er Jahren zu Leid und Tod ungezählter Millionen Menschen geführt haben. Heute wird es entweder dämonisiert oder als Quasi-Reliquie verehrt, in beiden Fällen von Leuten, die es gar nicht gelesen (> 99 %) oder nicht richtig verstanden haben.

Machen wir's kurz, denn alle Argumente liegen auf dem Tisch: Wollen wir "Mein Kampf" dem freien Marketing à la Bushido ausliefern, es also durch Repression extra-attraktiv machen, soll es als offenes Mysterium auf ewig unangefochten der Domäne der Braunbratzen zugehören - oder wollen wir, die aufrechten, aufgeklärten Verfassungspatrioten, den gesammelten GröFaZ-Ausfluss durch sachliche Analyse entzaubern und auf die mikroskopische Größe zurechtstutzen, die ihm tatsächlich zukommt? Rhetorische Frage, oder? "Mein Kampf" gehört eben nicht den Nazis, wie Satisfaction uns gehörte.

Ich empfehle ergo die schulische Bearbeitung als Volltext, vielleicht arbeitsteilig, kapitelweise: Lesen, unbekannte Begriffe klären - und dann sollen die SchülerInnen doch mal bitte den Inhalt mit eigenen Worten wiedergeben. Jede Wette: Sie werden alle ausnahmslos und ein für  alle Mal gegen Nazismus immunisiert sein. Und sie werden den aktuellen Nazis mit Hohn und Spott und (bitte nicht allzuviel) Mitleid begegnen.


(by Silvia Klippert via wiki commons)



[*1] Übersetzen Sie einfach mal die Texte der Lieder Ihrer Jugend, und Sie werden wissen, was ich meine:

"Ich kann keine erlangen, nein, oh, nein, nein, nein.
A hey, hey, hey, das ist was ich sage.

Ich kann keine Befriedigung erlangen.
Ich kann keine Befriedigung erlangen.
Denn ich versuche und ich versuche und ich versuche und ich versuche.
Ich kann keine, nein, ich kann keine."



[*2] Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich aus genau diesem Grunde vor ein paar Jahren presseöffentlich aber vergeblich gegen eine schulische Verwurstung des "Turms" gewehrt. Zur Strafe wurde sein Roman dann sogar Thema im Zentralabitur in Niedersachsen. Kultusbehörden können sehr gemein und nachtragend sein, wenn man die Stimme gegen sie erhebt. Ich nehme ab sofort Bestechungsgelder in jeder Höhe entgegen und verspreche im Gegenzug den Verlagen, bestimmte Texte NICHT im Unterricht zu verbraten.

[*3] Keine Angst: Bei GUTEN Werken stellen die Kiddos aufgrund der Analyse hinterher fest, dass da noch viel Beeindruckenderes hintersteckt, als sie spontan erfasst haben. Bei miesen Machwerken tritt natürlicherweise eine bleibende Ernüchterung ein. Beides ist beabsichtigt.

[*4] Ja, ich hab's gelesen. Bis mir kotzeelend wurde. Etwa auf Seite 3. Den Rest habe ich auf einem Level von Oberflächlichkeit durchgeblättert, der mir die Lektüre erträglich machte. Etwa so, wie man Gruseliges durch die leicht gespreizten Finger vor Augen anschaut.






Mittwoch, 23. Dezember 2015

Jahresabschlussreflexion: Warum ich so wüte


Als Kind war da das Staunen über die Welt.
Später der Glaube an das, was man mir sagte.
Dann fragte ich nach.
Dann fragte ich hinter.

Dann empörte ich mich.

Die Wut, dass man mich so lange belogen hatte,
dass ich mich so lange habe belügen lassen,
und selbst belogen habe.

Nach einer Weile hirnlosen Dreindreschens
bin ich nun sehr gespannt, was da sein wird,
wenn das Spiegellabyrinth restlos zerschlagen ist.





 (via wikipedia)





Montag, 21. Dezember 2015

Wen interessiert's?


"Die Anleger" seien "enttäuscht", titelt ein öffentlich-rechtliches doitsches Nachrichten-Portal über den Ausgang der Parlaments-Wahl in Spanien, und ich frage mich, an wievielter Stelle in der nach unten offenen Relevanz-Skala bei klugscheißerischer Bewertungen vorbildlicher demokratischer Prozesse "die Anleger" rangieren. 117? Oder 12.385? Oder ist es mir nicht eher sogar vollständig scheißegal, was "Anleger", denen es prinzipiell nur darum geht, ihr Geld zunehmend beschleunigt sinn- und ethikfrei ad ultimo zu vermehren, denken oder meinen oder prophezeien?

Ja ... doch ... je länger ich drüber nachdenke, um so sicherer bin ich mir, dass es mich nicht die Bohne interessiert, was "Anleger" von demokratischen Wahlen halten. "Anleger" agieren nämlich nicht intellektuell oder ethisch, sondern nach immer gleichen, primitivsten, egozentrischen Reflexen. Wie eine Grünalge, die keine Wahl hat, NICHT zum Licht zu schwimmen. Ich frage doch keine Grünalge, wie sie über Hell und Dunkel "denkt". Warum sollte ich also "Anleger" fragen, was sie über Politik "denken"?



 (via wiki commons)
Ich möchte den Grünalgen nicht zu nahe treten, es sind sehr faszinierende Wesen. Aber schrecklich ermüdend und monoton, mit ihnen Diskurse zu führen ...



Mittwoch, 16. Dezember 2015

Schöne Worte, panzerbrechend


Neulich eine Formulierung von Odo Marquardt gelesen. Der ethische Imperativ des gegenseitigen Zugeständnisses

"angstfreien Andersseindürfens"

Was für eine knappe, kristallreine Botschaft! Trennscharf, unbeliebig, unhintergehbar und ganz einfach anzuwenden. Ein wirksames, machtvolles Wort.

Es ist damit völlig egal, ob Neonazis sich feige als "besorgte Bürger" oder als "nationalkonservativ" tarnen, es spielt keine Rolle, ob die spießer-keifende Nachbarin es doch "immer nur gut gemeint", der Stasi-Oberverbrecher "Euch doch alle" geliebt, der Rapper Frauenfeindlichkeit und Schwulenhass ja eigentlich doch nur aus kommerziell-ästhetischen Gründen auf die Bühne gebracht hat, der Ober-Imam-Padre-Guru auf die Heiligkeit seines, und nur seines, Glaubens pocht. Erheben die Arschlöcher der Welt letztlich nicht alle die Forderung, alle Menschen sollten in dem einen oder anderen Punkte gefälligst nach einem vorgegebenen Schema ticken, sonst ... ?!

Sie alle, die Großen, die Kleinen, die Mächtigen und die Mitläufer, die Deutschen, die Israelis, die Palästinenser, Amerikaner, Russen, Syrer, Chinesen und Tuvaluvaianer, müssen sich fragen lassen: "Wie haltet Ihr es mit dem angstfreien Andersseindürfen"? Darf man bei Euch schwul sein?  Eine andere Hautfarbe haben, einen anderen Glauben, eine andere Meinung? Unverhüllten Kopfes gehen? Baren Fußes? Unkrawattiert und unbeanzugt? Oder muss man dann in Eurer Nähe Angst haben, offene oder versteckte oder hinterhältige Attacken fürchten?

Ich bin vollkommen begeistert: Individuelle und staatliche Ethik ist mit diesem Schlagwort wieder ein ganzes Stück prüfbarer, klarer, einfacher, alltagstauglicher und effektiver geworden. Folgender eindeutiger Satz wird damit möglich:

Ab sofort möchte ich nur noch mit Menschen zusammen sein, die sich aus tiefstem Herzen gegenseitig zugestehen, angstfrei anders sein zu dürfen.



 (via wiki commons)
Worte mit Durchschlagskraft. Ich mag das!


Sonntag, 13. Dezember 2015

Mutiges Eingeständnis


"Boah, die trauen sich aber was!", dachte ich, als ich heute die Titelzeile einer ganzseitige Annonce eines Klamottenladens las:

"X-mas-sale"

Heißt übersetzt: Der Ausverkauf von Weihnachten. Heißt: Wir schlachten die Sache jetzt noch einmal kommerziell so richtig aus, verramschen den restlichen Konsumdreck mithilfe aggressivst-möglichen Marketings, und dann ab dafür. Weihnachten auf den Müllhaufen der Geschichte.

Zugegeben, den Gedanken hatte ich auch schon, Weihnachten, die Botschaft Christi undsoweiter, ist inhaltlich am Ende, schon seit Jahren. Die europäische Flüchtlingsdebatte ist nur ein Beispiel. Aber dass das endgültige Aus der Weihnachtsbotschaft jetzt auch ganz offen und konsequent umgesetzt wird, finde ich sehr respektabel.



(via wiki commons)
Allgemeiner Produktlebenszyklus.

Das "Ergebnis" der weihnachtlichen Botschaft, unsere Fähigkeit zu Mitgefühl und Barmherzigkeit, ist längst unterm Strich, also "end it".






 (via wiki commons)
Das Scheitern des Konzeptes haben die "heiligen drei Könige" zu verantworten. Sie haben Christi Geburt von Anfang an mit Kommerz verknüpft. Warum mussten die Knallköppe so einen teuren Scheiß wie Weihrauch, Myrrhe und Gold anschleppen? Nur, weil sie's sich leisten konnten? Wollten sie ihre Nachbarn neidisch machen? Oder wollten sie den künftigen Rex admirabilis schon mal rechtzeitig durch aufwändige "Landschaftspflege" schmieren? Wenn ich mir die damalige Lage von Jesus, Maria und Josef vergegenwärtige, dann wären Essen, Trinken und ein bestätigter Asylantrag die bessere, pragmatischere Wahl gewesen. Weihrauch und Myrrhe hat Josef wahrscheinlich am nächsten Morgen vertickt und gegen sinnvollere Dinge eingetauscht, aber Fragen bleiben, oder? [*1]

Vielleicht wäre es das Beste gewesen, die "Könige" hätten gar nix mitgebracht, sondern dem Erlöser einfach nur gesagt "Mann, wurde auch Zeit, dass du kommst. Hier geht alles den Bach runter. Die Leute benehmen sich wie die Sau, kein Mitgefühl, keine Solidarität, nur hirntote Konsum- und Machtgeilheit. Tu was!!!"

___________________

[*1] Zum Beispiel: Wenn drei Könige von der christlichen Botschaft so überzeugt waren, warum haben sie das Christentum nicht von Anfang an stärker politisch und wirtschaftlich unterstützt? Warum musste dann da unten erst ein über 30-jähriger, brutaler Guerilla-Krieg um Gottes Willen geführt werden? Verglichen mit dem, was möglich und angesichts der Tragweite der Idee angemessen wäre, sind das bisschen Weihrauch, Gold und Myrrhe eigentlich Peanuts. Erinnert tatsächlich an heutige Korruption: Porsche hat die FIFA ja auch mit nur 6,7 Millionnen geschmiert und ihr nicht das ganze Unternehmen geschenkt. Thyssen, Krupp, Flick, Siemens, VW finanzieren Wahlkämpfe der ihnen genehmen Parteien, aber verglichen mit Umsätzen und Gewinnen der Konzerne sind das Sachen für die Portokasse.




Samstag, 12. Dezember 2015

Bezahl-Patriotismus



Jestern im Provinzialblatt jelesen, deutsche Reeder schlagen Alarm: Deutsche Handelsflotte schrumpft weiter, immer mehr Schiffe werden an ausländische Firmen verscheuert, die sie trotz großer internationaler Konkurrenz im Wachstumsmarkt Handelsschifffahrt erfolgreich weiter betreiben. Es sei, so der deutsche Reederverband, "im nationalen Interesse", den maritimen Standort Deutschland zu halten ... blablabla ... staatliche Unterstützung.

Ich verstehe das mal wieder nicht:

Wenn deutsche Reeder deutsche Schiffe im globalen Rahmen nicht konkurrenzfähig betreiben können, andere Reeder aber durchaus, warum sollte man die deutschen dann weiter staatlich unterstützen? Wahrscheinlich, weil die deutschen Reeder argumentieren, es sei total unfair, mit den Billiglöhnen anderer Nationen konkurrieren zu müssen.

Verstehe ich wieder nicht:

Heißt das, wir sollen den Phillipinos (oder wem auch immer), die weltwirtschaftlich einstweilen nicht viel anderes zu bieten haben, als ihre gutausgebildeten Billiglöhner, diese mickrige und ohnehin erbarmungswürdige Erwerbsquelle auch noch dichtmachen? Von was, bitteschön, sollen die dann jemals deutsche Investitionsgüter, wie z.B. Maschinen bezahlen?  Oder ist es vielleicht sogar gewünscht, wenn diese armen aber aufstiegswilligen Länder dafür unbezahlbare Kredite aufnehmen müssen? Vorzugsweise bei deutschen Banken? Die daran risikolos richtig schwer verdienen? Und diese Länder wirtschaftlich und politisch in dauerhafter, unerträglicher und unabwendbarer Abhängigkeit halten?

Von wegen "maritimer Standort Deutschland". Drauf geschissen! Lasst den anderen doch auch mal Luft zum Atmen. Lasst uns - global - doch mal zu einem wirklichen Fairtrade kommen. Es gibt Länder, die Schiffahrt billiger und besser können als wir? Prima, geben wir ihnen Aufträge! Dafür können wir Maschinenbau besser. Verkaufen wir ihnen die besten Maschinen der Welt! Das wäre eine kristallklare Win-win-Situation und entspräche vollkommen der erz-kapitalistisch-neoliberalen Forderung nach dem "freien Spiel der Marktkräfte".

Aber, seltsam, diesen Ruf hörte man aus der Reederei-Branche nur, als bis vor ein paar Jahren  Investitionen in Schiffe ein erstklassiges Abschreibungs- (sprich: Steuerhinterziehungs-) Modell für ein paar super-reiche Global Players waren. Plötzlich wird aber wieder in schönster Sozialisten-Manier nach staatlicher Hilfe, nach Lenkung und Patriotismus gerufen.

Eure Verlogenheit kotzt mich an.



(via wiki commons) 
"Vorrrwähtz und nich' vagäss-sen ... die So-ho-lidah-riteeet ...!" 

Die schlimmst-denkbare Perversion von Solidarität ist, wenn man nur aus macht- und geldgeilem Kalkül nach ihr ruft.





Montag, 7. Dezember 2015

Haltung bewahren. Irgendwie.


Entnehme der Tagespresse, dass der Absatz von SUV durch die Decke geht, jenen automobilen Sport-Gelände-Missgeburten, die der beste Beweis dafür sind, dass man den Leuten auch den teuersten, widersprüchlichsten, umweltschädlichsten Schwachsinn verkaufen kann, solange man sie überzeugt, es würde ihre Nachbarn neidisch machen.

Wie soll man auf so eine Information reagieren? Die Menschheit, jedenfalls den größten Teil, noch mehr verachten? Sich noch weiter resigniert zurückziehen? (Wie weit denn noch?) Sich noch schmerzhafter fremdschämen für die eigene, ach, so wissende und, ach, so dumme Species?

Oder gibt es eine dalai-lama-mäßige Geisteshaltung dazu? Ist mir nicht bekannt. Ich seufze tief-innerlich und begebe mich, wieder einmal, auf die Suche.







PS: Inzwischen haben mich ein paar Rückmeldungen zu diesem Artikel erreicht, und ich konzediere: Ja, es gibt ein paar wenige Bedarfslagen, in denen SUVs eine technisch angemessene Wahl sein dürften: Land- und Forstwirtschaft, Caravaning etc. Ändert aber nix an der prinzipiellen Einschätzung, dass die hochglanzgewienerten Großstadt-und-Autobahn-SUVs den Großteil ausmachen und hanebüchenen Schwachsinn darstellen. 10.12.2015


Sonntag, 6. Dezember 2015

Finger weg!


Eine Umfrage der Hochschule Emden-Leer hat ergeben, dass
  • 23 % der Schülerinnen und Schüler Plattdeutsch "cool" finden. 
  • 17 % Plattdeutsch sprechen können
  • 42 % ein paar Wörter verstehen und
  • 13 % gar kein Platt verstehen.

Eigentlich sind die Werte eindeutig: 77 % der Befragten finden Plattdeutsch nicht "cool", 83 % können kein Platt sprechen, 55 % verstehen es gar nicht oder nur bruchstückhaft.

Jetzt kommt das Erstaunliche: Die Betreiber der Studie, allen voran der Präsident der "Ostfriesischen Landschaft" werten das als ein tolles Ergebnis FÜR das Plattdeutsche, man habe eine gute Grundlage, fühle sich ermutigt. Nun müssten die Schulen ... STOP!

Drei Punkte dazu:
  1. Ich freue mich, dass die beteiligten Studierenden (die erfahrungsgemäß das aufwändige Gros der Arbeit erledigt haben) anschaulich erfahren, wie schamlos und brutal Umfrageergebnisse pervertiert (sinnverdreht) werden, um der bereits vorher festgelegten Ergebniserwartung des Auftraggebers gerecht zu werden.
  2. Ich fühle mich persönlich intellektuell beleidigt, da die Auftraggeber offenbar annehmen, sie könnten mich mit so billig schöngeredeten Zahlenspielchen betrügen.
  3. Lasst gefälligst Eure inkompetenten Schmierfinger vom Curriculum, Ihr egomanischen Lobbyisten! Plattdeutsch ist Privatkram. In der Schule haben wir reichlich wichtigere Dinge zu tun. Vernünftiges Hochdeutsch zu vermitteln, ist eines davon.  



 (via wiki commons)

Tipp: Den gemütlichen Deppen gebe man erst dann, wenn absolut klar ist, dass man keiner ist. 




Mittwoch, 2. Dezember 2015

Schöne alte Wörter II



"dankverdienerische Geschäftigkeit" (Lichtenberg, Streitschriften, 1781)

Man kann im Leben entweder ziellos und faul umhertreiben oder man kann sich Ziele stecken und diese konsequent und energisch verfolgen. Der geplante deutsche Militäreinsatz in Syrien demonstriert den dritten Weg: Konsequent und energisch ziellos umhertreiben.

Und warum das alles? Klar, aus Solidarität mit Frankreich. An sich kein schlechtes Motiv. Nur, dass die SoldatInnen, die dafür den Kopf hinhalten müssen, gerne wüssten, welche Umstände eintreten müssten, damit man irgendwann sagen könnte "Da Ihr nun dies und das erreicht habt, war Euer Einsatz erfolgreich. Vielen Dank!"

Naja, daran hapert's gerade noch, und da kommt Lichtenberg mit seinem Begriff "dankverdienerische Geschäftigkeit" ins Spiel. Bei Tätigkeiten dieser Kategorie kommt es nicht auf Vernunft und Effektivität an, sondern auf Aktivität an sich, und zwar, nota bene, auf marktschreierisch darstellbare Aktivität, für die man öffentlich gelobt werden will, auf "dankverdienerische Geschäftigkeit" eben. 

Nehmen wir ein naheliegenderes Beispiel, das theoretische Beispiel eines Betriebes mit ca. 160 MitarbeiterInnen, zwei, drei Kaffee-Ecken und ohne geregeltem "Küchendienst". Wo es Kaffee-Ecken gibt, gibt es das komplexe Problem benutzter Kaffeetassen mit den Folgeproblemen Geschirrspüler befüllen, einschalten, ausräumen etc. etc.  Für die / den MitarbeiterIn ergeben sich drei Handlungsoptionen:

Option I.) Ich warte, bis ein nützlicher Idiot sich findet, der sich drum kümmert.

Option II.) Ich mach' das mal eben.

Option III. = Lichtenberg-Variante) "SOOO, DANN WERDE ICH MAL EBEN DIE KAFFEETASSEN WEGRÄUMEN; SONST MACHT'S JA KEINER, HACH, WAS IST DAS FÜR EINE RIESENSAUEREI, HACH, ICH HÄTTE JA EIGENTLICH AUCH SO VIEL ANDERES ZU TUN, ABER ES MUSS JA GEMACHT WERDEN ... etc. etc."

Wahre Anekdote am Rande: Als ich frisch zu dieser Institution kam, erklärte mir eine Kollegin, man müsse die Kaffeetassen schon dergestalt einsortieren, dass die anderen KollegInnen die Tätigkeit sehen könnten, sonst wüsste ja niemand, ob ich mich daran beteiligte. Und sie meinte das völlig unironisch.

Ich plädiere dafür, den Begriff "dankverdienerische Geschäftigkeit" nicht nur in den allgemeinen deutschen Wortschatz zu re-integrieren, sondern darüberhinaus als betriebswirtschaftlichen und politischen Topos neu zu installieren.

(verändert - via wiki commons)








Dienstag, 1. Dezember 2015

Schöne alte Wörter I


"korruptibel" (Lichtenberg, Streitschriften, 1781)

Korrupt ist im juristischen Sinne jemand, der seine / ihre Vertrauensstellung in einer Institution missbraucht, um sich oder Dritten Vorteile zu verschaffen, auf die kein rechtmäßiger Anspruch besteht. "Korrupt" bedeutet aber auch schwerst abwertend, dass jemand oder etwas moralisch verdorben ist.

Problematisch bei dem Begriff ist, dass die damit Bezeichneten natürlicherweise alles tun, um zu verhindern, mit dem Begriff bezeichnet zu werden. Dabei helfen ihnen stets ihre inselbegabungsmäßige Dreistigkeit, Verlogenheit, kriminelle Energie sowie im Regelfall höchstprofessioneller juristischer Beistand.

Die Folge davon ist, dass wir uns längst in einem erschreckendem Ausmaß daran gewöhnt haben, dass alle unsere wesentlichen Institutionen zwar durch und durch korrupt sind, damit aber stets einen Hauch, ein Nichtigstel, einen Atomradius unterhalb der justitiablen Nachweisbarkeit bleiben.

Aktuell-konkretes Beispiel: Die nun doch gegen alle Widerstände der Plittikörr (warum wohl?) veröffentlichte  Lobbyisten-Liste des Bundestages. Wie sehr muss man als MdB sein Wahlvolk verachten, wenn man  ihm, ohne vor Scham zu explodieren, erzählt, es handele sich bei den Firmenvertretern mit Hausausweis um lauter selbstlose Berater? Das Spiel ist umso niederträchtiger, als dahinter doch der offene, aber unausgesprochene Gedanke steht: "Wir, die MdB, wissen, dass Ihr, das doofe Wahlvolk, wisst, dass wir hier gerade hemmungslos und illegal den Arsch vergoldet bekommen, aber wir wissen auch, dass Ihr wisst, dass Ihr rein gar nichts dagegen tun könnt, Ihr hilflosen, dummen Loser!" Ich glaube, ich möchte lieber von einem klassischen Tyrannen unterdrückt, als von institutionalisierten, pseudo-demokratischen Parlaments-Mafiosis verachtet und betrogen werden. Ersteres ist fies. Zweiteres ist fies und demütigend.

Und die Liste derartiger Institutionen ist so elend lang ...

Ja, und deshalb brauchen wir das Wort "korruptibel"!

Es sagt den Leuten im Bundestag, in FIFA und  DOSB, den Entscheidern zum Stedesdorfer Windpark und vielen Anderen mehr: "Wir wissen, dass Ihr Eure Position gerade für niedrige, egoistische Zwecke missbraucht. Wir wissen auch, dass wir derzeit nicht in der Lage sind, Euch das justitiabel nachzuweisen oder sonstwie daran zu hindern. Aber wir sind wach. Wir beobachten Euch. Und bei der kleinsten Unachtsamkeit werden wir Euch nach Strich und Faden dafür verknacken. Seid beunruhigt!"

Schönes Wort, "korruptibel". Sehr aufgeklärt. Sehr demokratisch. Sehr Artikel 20,2 GG.









Johann Gottfried Herder: Das größte Übel des Staats, die Ratte in der Bildsäule

Hoan-Kong frage einst seinen Minister, den Koang-Tschong, wofür man sich wohl in einem Staat am meisten fürchten müsse. Koang-Tschong antwortete: »Prinz, nach meiner Einsicht hat man nichts mehr zu fürchten, als was man nennet: die Ratte in der Bildsäule.«
Hoan-Kong verstand diese Vergleichung nicht; Koang-Tschong erklärte sie ihm also:
»Ihr wisset, Prinz, daß man an vielen Orten dem Geiste des Orts Bildsäulen aufzurichten pflegt; diese hölzernen Statuen sind inwendig hohl und von außen bemalet. Eine Ratte hatte sich in eine hineingearbeitet; und man wußte nicht, wie man sie verjagen sollte. Feuer dabei zu gebrauchen getraute man sich nicht, aus Furcht, daß solches das Holz der Statue angreife; die Bildsäule ins Wasser zu setzen, getraute man sich nicht, aus Furcht, man möchte die Farben an ihr auslöschen. Und so bedeckte und beschützte die Ehrerbietung, die man vor der Bildsäule hatte, die - Ratte.«
»Und wer sind diese Ratten im Staat?« fragte Hoan-Kong.
»Leute«, sprach der Minister, »die weder Verdienst noch Tugend haben und gleichwohl die Gunst des Fürsten genießen. Sie verderben alles; man siehet es und seufzet darüber; man weiß aber nicht, wie man sie angreifen, wie man ihnen beikommen soll. Sie sind die Ratten in der Bildsäule.«

Streiche "gleichwohl die Gunst des Fürsten genießen" setze "deshalb in die Plittik eingestiegen sind", dann passt's.