Die Inflationsrate sei wieder gestiegen, titelt es gerade wieder allüberall. Und wikipedia erklärt uns dazu: "Inflation, auch Preissteigerungsrate oder Teuerung, bezeichnet den Anstieg des allgemeinen Preisniveaus einer Ökonomie. (...) Steigt das allgemeine Preisniveau, kann man für jede Geldeinheit weniger Güter und Dienstleistungen kaufen (Verteuerung)."
In der Sprachanalyse nennen wir so eine sprachliche Konstruktion eine Deagentivieurng: Die Aussage enthält keinen Hinweis auf die handelnden Personen (Agens). In der Schulgrammatik (aus Zeiten, da sowas noch unterrichtet wurde) finden wir so hübsch altbackene Begriffe wie "täterabgewandte" bzw. "täterlose" Form¹.
Ich halte diese Definition und die grammatisch-logische Implikation für falsch. Inflation findet nicht nach demselben Prinzip statt, wie z.B. Regen. Wenn wir sagen "Es regnet." haben wir auch kein Agens, und wenn wir eins finden wollten, müssten wir mit physikalischen Größen wie Luftfeuchte, Temperaturgradienten, Taupunkt etc. jonglieren und hätten am Ende trotzdem niemanden, den wir für eine verregnete Gartenparty regresspflichtig machen könnten.
Bei der Inflation ist das anders. Inflation beruht nicht auf physikalischen Gesetzen, sondern auf menschlicher Gier und menschlicher Bierärschigkeit. Kapitalistische Unternehmen haben das ausschließliche (!) Interesse der Profitmaximierung. Das heißt, sie müssen und werden für ein Produkt / eine Dienstleistung grundsätzlich den höchsten am Markt realisierbaren Preis verlangen, unabhängig von tatsächlichen Kosten oder Wert dieses Produktes / dieser Dienstleistung.
Die Endkund*innen müssen entscheiden, ob sie dieses Produkt / diese Dienstleistung zum aufgerufenen Preis kaufen oder nicht. Wenn die Endkund*innen den immer höheren Preis zahlen, dann setzt der sich natürlich durch. Wenn nicht, dann nicht. Das klingt so schrecklich banal, aber lasst Euch, liebe Leser*innen dieses Blogs, bitte nicht einreden, es sei komplizierter - und zwar so kompliziert, dass nur Plittikör und Konzernbosse es wirklich richtig verstünden.
Lasst uns also bitte aufhören, das Märchen von den "steigenden Preisen" zu glauben. Lasst uns künftig nicht mehr sagen "Oh weh! Alles wird immer teurer, ts, ts, ts!" Stattdessen wollen wir sagen "Holla, ich bin erstaunt, wie viele Leute bereit sind, diese hanebüchenen Preise zu bezahlen! Ich bin längst dabei, dieses Produkt zu boykottieren, bis die Konzern-Arschlöcher mal wieder auf den Teppich kommen." Wenn das Alle - oder wenigstens hinreichend viele - Menschen konsequent durchziehen würden, gäb's keine Inflation.
Das Ganze läuft mal wieder darauf hinaus, dass ich dagegen bin, immer nur (!) die Schuld bei Anderen, z.B. bei den Konzernen zu suchen.² Es steht außer Frage, dass die Konzerne erheblich Mitschuld trifft, durch ihr Marketing, ihren Konsumterror, ihre Lobby-Arbeit usw.. Aber irgendwann müssen wir auch mal verstehen, dass die Konzerne mit ihren Drecks-Taktiken vor allem deshalb so erfolgreich sind, weil sie unglaublich solidarisch und global zusammenhalten, um ihre Profit-Ziele zu erreichen.
Wenn wir, die Endverbraucher*innen, die 99 % am unteren Ende der Nahrungskette, es nicht mal ansatzweise schaffen, uns zum Zwecke eines punktuellen, wirksamen Boykotts zu solidarisieren, dann ist doch klar, dass die Shit-Show ewig weiterläuft, und dann haben wir auch nichts Besseres verdient.
Zusammenfassung:
Es ist korrekt zu sagen: "Es regnet.", weil da kein Mensch die Finger drin hat.
Es ist NICHT korrekt zu sagen: "Die Preise steigen.", weil die Preise von Menschen festgelegt werden und weil andere Menschen zulassen, dass die Preise immer höher festgelegt werden. Die richtige Formulierung in diesem Fall lautet also: "Die Arschlöcher versuchen schon wieder, ihren Profit noch weiter in die Höhe zu schrauben, und wir wären Idioten, wenn wir das einfach so hinnehmen würden!"
Wem das zu lang ist, sagt: "Die Tyrannen sind nur stark, weil wir schwach sind!" Boétie
Boétie (1530 - 1563)
¹ Duden Schulgrammatik 5. - 10. Klasse; S. 18 ff
² Selbst die EZB-Chefin Lagarde, der man ja wirklich keinen Anti-Kapitalismus vorwerfen darf, hat's neulich mit dem Spruch von der "Gierflation" gemacht.