Freitag, 23. Juni 2023

Richtigstellung

 

Vorweg: Mein Mitgefühl den Angehörigen der fünf Menschen, die bei der Titan-Implosion ums Leben gekommen sind.

Mittlerweile wurde im Internetz massenhaft auf das quantitative und qualitative Missverhältnis der Berichterstattung über die Hunderten von Ertrunkenen im Mittelmeer einerseits und den fünf Titanic-Besuchern andererseits hingewiesen, und auch ich habe ja spontan in die Kerbe geschlagen. 

So berechtigt die Kritik ist, greift sie doch zu kurz. 

Medien-Konzerne unterliegen wie alle kapitalistische Unternehmen dem Gebot der Profitmaximierung. Profit erzielen sie,

  • wenn Auftraggeber direkt für Berichterstattung gemäß ihren Partialinteressen zahlen
  • oder über Werbung
  • oder über die Erfassung und den Weiterverkauf von Nutzerdaten.

Für die beiden letztgenannten Punkte brauchen Medien-Konzerne Klicks. (Für den ersten eigentlich auch, denn es bringt beispielsweise einem global agierenden Energie-Konzern gar nichts, den Streaming-Dienst von Webradio Ostfriesland zu kaufen. Größe zählt, heißt: Nutzerzahlen zählen.)

Ja, Medien-Konzerne haben eine ungeheure Macht, sie können zweifellos die Denke dieses Planeten steuern. Aber diese Macht ist nicht unbegrenzt, denn die meisten von uns sind in der Lage, die schlimmsten, manipulativsten, menschenverachtendsten und anti-progressivsten Portale schlicht durch Missachtung, sprich: Boykott, sprich: Nicht-Anklicken zu bestrafen. Theoretisch.

Wenn wir also die Berichterstattung zum Titan-Drama versus Mittelmeer-Dramen betrachten, dürfen wir uns nicht vorstellen, es hätte irgendwo auf der Welt in einem hochgeheimen, hochgesicherten Steuerungs-Zentrum einen hyper-super-bösen Medien-Mogul gegeben, der seinem hyper-super-nerdigen, blassen, übernächtigten Chef-Programmierer die Anweisung gab: "Den Tod meiner Milliardärs-Kollegen, den bringste richtig nach vorne, die Sache im Mittelmeer muss ASAP untergepflügt werden!" 

Ich glaube, so funktioniert das nicht. Stellen wir uns lieber vor, dass auch die größten Medien-Konzerne sich tagtäglich an dem dreckigen, erbärmlichen Rattenrennen um die Profitmaximierung beteiligen. Stellen wir uns vor, dass es da Abteilungsleiter*innen gibt, die ein Mörder-Gehalt einstreichen, dafür aber auch unter erbarmungslosem Erfolgsdruck stehen, immer und immer höhere Profitraten einzufahren. 

Und dazu brauchen sie Klicks. UNSERE Klicks! Da kommt also unser aller Verhalten ins Spiel und damit unser aller Verantwortung. Und da habe ich die allergrößten Befürchtungen. Ich fürchte nämlich, es sind vielleicht gar nicht die Medien-Konzerne, die uns durch fiese Manipulation dazu bringen, fünf tote Milliardäre gegenüber 600 toten Flüchtenden zu bevorzugen. Ich fürchte, aus irgendeinem perversen Grund kann das Massen-Publikum die Milliardärs-Geschichte mit mehr freudig-perversem Gruseln rezipieren als die Mittelmeer-Geschichte ... 

Wer ist jetzt böse? Die Masse der I-net-Nutzer*innen, die die Konzerne zwingt, ethisch Unverantwortliches zu tun? Oder befeuern die Konzerne den perversen Voyeurismus der Masse? Oder haben wir einen Aufschaukelungskreis?

Ich weiß keine Antwort. Und keine der Optionen gibt Anlass zur Hoffnung.



(stark verändert via wiki commons)
Alte Volxweisheit: In einem Rattenrennen kann nur eine Ratte gewinnen.










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