Ich habe es restlos satt, als Putin-Versteher, Feigling, Egoist, Verräter, AfD-Sympathisant, Dummkopf etc. etc. beschimpft zu werden. Ich bin einfach nur der Auffassung, dass Waffen keinen Frieden gewinnen können, es noch nie getan haben, sieht man von der völligen Vernichtung des einen Gegners durch den anderen ab.
Aufgrund des Zufalls meiner regionalen Heimat und entsprechenden Sozialisation bin ich kulturell dem nicht-geographischen Westen zugeordnet, habe das auch voll internalisiert und bin viel zu korrumpiert von den Annehmlichkeiten dieser Kultur, dass ich mich davon grundsätzlich würde distanzieren wollen.
Derzeit bedeutet diese Zuordnung, es wird von mir normativ erwartet, alles, alles, alles restlos gut zu finden, was die ukrainische Führung unter der Ägide der USA gerade macht und plant und fordert. Selbst der Hauch von Kritik, das leiseste Nachdenken über alternative Strategien, wird in einer Weise sanktioniert, die mich befremdet und ängstigt und die ich in dieser aggressiven und totalen Form noch nicht erlebt habe.
Deshalb teile ich hier nochmals mit: Ich bin mit dem Vorgehen Russlands gegen die Ukraine nicht einverstanden.¹ Ich bin mit Putins autokratischen, anti-demokratischen Attitüde nicht einverstanden. Um es schlicht und daher mit den ethischen Kategorien meiner Kindheit auszudrücken: Ich finde auch, dass Putin und seine Leute die "Bösen" sind.
Aber: Ich bin beim besten Willen nicht in der Lage, die Amis und ihre Vasallen, also die NATO, die Ukraine und noch ein paar wirtschaftlich / militärisch minderbemittelte Anhängsel als die "Guten" zu sehen. Ich führe das hier nicht aus, weil es den Rahmen sprengen würde, aber dass die US-Machthaber mit dem Ukraine-Krieg einen Stellvertreter-Krieg gegen Russland führen, haben sie selbst öffentlich bestätigt.
Genug davon. Nun zu einem Gedankenexperiment zur Frage der Waffenlieferungen und der doitschen Ukraine-Unterstützung überhaupt. Stellen wir uns vor, wir schieben der ukrainischen Führung so viele Waffen und Kredite zu, wie diese sich nicht zu träumen wagt. Wir schmeißen die Ukraine mit aller militärischen und logistischen Unterstützung dicht, die überhaupt nur geht, und was wir nicht haben, wird gekauft, coûte que coûte.
Was passiert? Die Ukrainer werfen die Russen zurück. Denkbar.
Werden die Russen sich wehren? Zweifellos. Mit welchem Einsatz werden die Russen sich wehren? Maximal. Auch ABC-Waffen? Das weiß derzeit niemand, ich schätze, nicht mal Putin selbst.
Werden die Russen zulassen, dass sie den Krieg verlieren, dass sie die Krim verlieren, dass ihr Staatsoberhaupt tatsächlich an den IStGH ausgeliefert wird und in einem demütigenden, politisch motivierten Verfahren verurteilt wird, wie irgendein ex-jugoslawischer Milizen-Chef oder ein afrikanischer Stammesführer im Blutrausch? Ich bin kein Experte für Fragen der russischen Seele, habe mir aber sagen lassen, dass die Russen sich immer noch fragen, wie es eigentlich kommt, dass sie zwar den überwältigenden Großteil des Sieges über Nazi-Deutschland erfochten haben, die Amis am Ende aber die größten Benefiziare waren. Soweit ich weiß, sind die Russen sehr stolz und patriotisch. Dass ihr Staatsoberhaupt vor ein Tribunal gezerrt wird, das die USA nicht einmal anerkennen, sondern, im Gegenteil sanktionieren, sehe ich nicht.
Werden die Chinesen zulassen, dass Russland als aktive Macht geschlagen und gedemütigt auf dem globalen Spielfeld ausfällt? Anders gefragt: Kann es im Interesse der Chinesen liegen, dass die USA Russland ausgeschaltet wissen und sich im Kampf um die globale Hegemonie ausschließlich gegen China fokussieren können? Äääähm .... nö!
Blablabla. Auf diese Weise könnte man ewig weiterdenken. Aber das überlasse ich den geneigten Leser*innen. Ich sehe zwei Zukunfts-Szenarien:
1. Big Baddabooom. Konventionelle Niederlage Russlands zeichnet sich ab => Atomwaffen-Einsatz, erst taktisch, dann eskalierend => Eingreifen der NATO => Eingreifen Chinas =>
Variante 1.1 => Ukraine platt, Russland weitgehend platt, viele Millionen Opfer. Russland wird militärisch besetzt, die Bodenschätze können endlich an den US-Börsen verscherbelt werden. US-Unternehmen verdienen sich dumm & dusselig, amerikanische Hegemonie über den gesamten Planeten.
Variante 1.2 => Ukraine platt, Russland weitgehend platt => Um die US-Hegemonie über den Planeten zu verhindern, folgt der interkontinentale Atomkrieg. Feierabend.
2. Die Amis werden der ukrainischen Führungs-Camarilla irgendwann den Hahn abdrehen und mit Drohungen und exorbitanten persönlichen Bestechungsgeldern zu irgendwelchen Kompromissen treiben. Da Biden widerwillig der Lieferung von Abrams-Panzern zustimmen musste, dies aber auf Spätherbst datiert hat, kann man schließen, dass der Krieg am Ende der Sommerfeldzüge endet, so dass - was ein Pech - die Abrams gar nicht erst verschickt werden müssen...
Ganz sicher ist in jedem Fall: Was die doitsche Regierung und / oder die EU macht oder will, wird überhaupt keine Rolle spielen.
Ich bleibe dabei: Immer mehr Waffen werden nur immer mehr Leid verursachen, aber keine stabile Friedenslösung. Zu liefern, um den Russen eigene Entschlossenheit zu demonstrieren, nach dem Motto: "Man darf die Angst nicht zeigen!", bringt nichts, weil die Russen das Spiel auch spielen. Sowas führt allzu leicht zu einem Show-down, den hinterher niemand gewollt hat.
¹ Ja, das sind dürre Worte, denn sie schließen nicht nur die militärische Aktion, sondern auch alle in dem Zusammenhang begangenen Menschrechtsverletzungen ein, in jedem Fall sehr viel menschliches Leid. Ich habe seit Monaten das Gefühl, ich müsse, wenn es um den Russland-Ukraine-Konflikt geht, immer ein schrecklich übertriebenes Betroffenheits-Vokabular auffahren, sofern es die ukrainische Seite betrifft.. Wenn's hilft: Ich finde das schlimm! Ganz schlimm!! Furchtbar, furchtbar schlimm!!! Wie kann man nur!? Alle Russen sind Barbaren, Kannibalen, Schlächter, Toifel, Schurken bla, bla, bla ... Habe ich das Leid irgendeines betroffenen Menschen jetzt gemindert?