Habe die letzten Tage damit zugebracht, auf Mastodon jene Leute zu befragen, die sich für die Lieferung immer schwererer Waffen (hier: Leopard2) für die Ukraine einsetzen. Mastodon ist ja als Twitter-Alternative bekannt für Menschen, die sich selbst als friedensbewegt und links-grün und nahezu omni-tolerant verstehen.
Der Diskurs folgte meistens folgendem Schema:
Behauptung: Wir müssen den armen Menschen in der Ukraine helfen! Schicken wir ihnen ganz viel ganz dolle Waffen.
Frage: Glaubt Ihr, dass ein frontaler, klassischer Krieg einen Endsieg der Ukraine gegen Russland bringen kann?
Antwort: [Ich verkürze auf Stichworte.] Putin-Versteher! Was denn sonst?! Keine Verhandlungen mit Invasoren! Du hast kein Recht der Ukraine, was vorzuschreiben! Die armen Kinder! Die bösen Russen! Etc. etc.
Was mich erstaunt: Diese ganzen Friedensbewegten haben ein unglaubliches Vertrauen in die Wirksamkeit militärischer Hardware. Und plötzlich haben sie auch ein unglaubliches Vertrauen in das, was die US-Imperialisten und die autokratische, anti-demokratische polnische, die doitschen C-Parteien und die AfD sagen. Am doitschen Panzerwesen wird die Welt genesen.
Und niemand von diesen, ach, so Friedensbewegten bringt auch nur einen Furz von Empathie auf, sich vorzustellen, was in der Psyche der Russen abläuft. Ja, die russische Regierung ist natürlich im Unrecht, darum geht es nicht. Es geht um die Frage, ob und zu welchem Preis man sie und die Menschen in Russland mit Waffengewalt von dieser Wahrheit überzeugen kann. Zumal das russische Narrativ über Ursachen und Ziele des Überfalls nie vernünftig de-konstruiert wurde, da ja praktisch von Anfang an ein rationaler Diskurs durch beiderseitige Propaganda verunmöglicht war.
Gestern kam dann übrigens noch der Vorwurf hinzu, meine Frage diene nur der Provokation und ich wolle mich in den Mittelpunkt der Diskussion stellen, das werde man aber nicht zulassen.
Ich gebe zu: Ja, ich glaube an die Wirksamkeit von Provokation, denn "provocare" bedeutet einfach nur "hervorrufen". Gerne hätte ich Zweifel an der These eines gewinnbaren Ukraine-Krieges hervorgerufen.
Viel schwerer fällt es mir, mit dem Vorwurf umzugehen, ich wolle mir mit der Frage ein Mittelpunktserlebnis verschaffen. Der Vorwurf ist perfide, weil er mir auferlegt, zu beweisen, dass ich etwas nicht bin bzw. nicht will. Nun gut, ich kapituliere vor den kleinen, dreckigen Tricks der menschlichen Psyche (Oder war das bewusst eingesetzt und also Rhetorik?) und ziehe mich aus der Diskussion zurück.
Was bleibt, ist das erneute Entsetzen darüber, wie hauchdünn die Tünche des Pazifismus ist und anscheinend immer schon war. Nicht nur die links-grünen Führer, auch die Masse der angeblich friedensbewegten Menschen vertrauen, wenn es denn zur Nagelprobe kommt, auf die gute, alte Wumme. Gewalt ist eine, nein: die Lösung. Je mehr Bumms, desto besser!
Das ist an sich schon mal eine beängstigende und niederschmetternde Feststellung.
Mich schmerzt aber noch viel mehr das Gefühl, die letzten 40-50 Jahre betrogen worden zu sein. Das ganze Friedensgeschwafel, die Diskussion um Kriegsdienstverweigerung, für den gewaltfreien Widerstand, die Demos gegen Atomwaffen, gegen Nachrüstung, die Diskussion um "Besser rot als tot!" (oder umgekehrt), gegen Waffen-Lobbyismus, kurz, alles, was die Friedensbewegung gewollt und gefordert hat, ist plötzlich beim Teufel, ein für alle Mal entwertet.
Was für ein Scheiß!