Samstag, 8. August 2020

Alltags-Toleranz

 

Jestern Jespräch mit dem jungen, gutaussehenden Stationsleiter eines Altenwohnheims jehabt. Er berichtet, dass die Alten seinem Schwulsein gegenüber völlig entspannt reagierten. Außerhalb des Heimes, und dort vor allem bei Jugendlichen und dort vor allem bei jenen mit Migrationshintergrund, gäbe es noch ziemlich blöde Reaktionen, wenn er zum Beispiel mit seinem Partner durch die Stadt ginge.  

Zwar nehme ich den ganz überwiegenden Teil unserer Jugendlichen als erfrischend tolerant und progressiv wahr, aber dass die 80+-Fraktion insgesamt noch lockerer drauf ist, sollte Anlass zum Nachdenken sein. Und bei den Migranten gibt es zweifellos auch so'ne und solche, aber in der Summe frage ich mich oft, warum da so ein riesiges Potential an völlig verklemmter Spießigkeit, Intoleranz und Macho-Gehabe vorherrscht. 



War sonst noch was? Ach ja (*1): 

Eigentlich fliege ich nicht barfuß, wenn ich "auf Strecke gehe", aber aus den zunächst geplanten paar touch-'n-gos ist gestern dann doch ein spontaner zweistündiger Überlandflug geworden, und es war heerrr-liech! Sonnenwarme, ruhige, seidige Streichel- Luft ... Erotische Metaphern wären vielleicht übertrieben, aber es fühlte sich gut an.  




Und die visuellen Eindrücke korrespondieren bekanntlich :


"Rückblick": Im Hintergrund Butjadingen und die Nordsee. Der feine, helle Kreisausschnitt ist eine Reflexion der Propellerspitzen. 







*1 Die Floskel habe ich bei "extra3" geklaut. Das ist bitte als ausdrückliches Kompliment zu verstehen.




Mittwoch, 5. August 2020

Eine Art Urlaub


Fühlt sich bisschen an, als gäbe es hier eine kleine Blogpause. Nicht, dass ich verreisen werde, aber einstweilen mich von anderen ästhetischen Genüssen attackieren, von and'ren Musen mich küssen lassen.



(verändert via wiki commons)












Samstag, 1. August 2020

Noch mehr triviales Fliege-Gelaber


Gestern traumhafter Flug nach Kührstedt und zurück, beste Grüße an die lieben Leute vor Ort.

Wenn Aviatoren "hands off" sagen, meinen sie im Regelfall nicht "Finger weg!", sondern das Verhalten des Flugzeugs, wenn man alle Bedienelemente loslässt. Gesunde Flugzeuge - wie meins - fliegen dann bei ruhiger Luft - wie gestern - einfach geradeaus weiter und man könnte, wären da nicht der Fahrtwind und die herrliche Aussicht, ungestört leichte Büroarbeiten erledigen. 



Aus Anstand, Gewohnheit und der guten Ordnunck halber hat man dann aber doch meistens eine Hand an der Steuerung, falls mal was is' ... und ...



... weil man sonst irgendwann anfängt, seltsame Sachen mit dem Fotoapparat auszuprobieren.












Wie weit kann ich mich rauslehnen?









Au ja, auch mal ein Selfie!

Aber was mich nach wie vor ganz besoffen macht, sind die Formen der Landschaft, besonders konturiert durch frühabendlichen Schattenwurf ... 

(gestern, A 27, nördlich Bremen)


... und immer wieder: Der teils mähliche, teils abrupte Übergang vom ländlichen in den städtischen Raum:


(gestern, bei Berne)

Ich bin zu faul für zeitaufwändige Video-Bearbeitung, deshalb gibt es hier immer nur Fotos, Schnappschüsse, um genau zu sein. Wer einen bewegtbebilderten Eindruck von low&slow wünscht, der/dem* empfehle ich die Videos von Golf Foxtrott 22, z.B. hier. 


Jaja, liebes selbstkritisches Gewissen, dieser Blog-Artikel ist ganz und gar trivial, d.h. frei von gesellschaftskritischen Ansätzen etc. etc., aber erstens habe ich Urlaub, zweitens ist das hier MEIN Blog, und ich kann ziemlich weitgehend machen, was ich will und drittens ist die Fliegerei wahrscheinlich auch deshalb so entspannend, weil sie Dir zwischendurch mal die Birne freipustet. 






Mittwoch, 29. Juli 2020

12.000 ziehen ab

Wer mitverfolgt, wie Trump die US-Bundespolizei zu seiner privaten politischen Schlägertruppe degradiert, kann eigentlich nur froh sein, dass jetzt 12.000 amerikanische Militärangehörige aus Deutschland abgezogen werden. Es bleiben vorläufig noch 23.000, aber ein guter Anfang ist immerhin gemacht ...






Mangels anderer Ferienlektüre lese ich gerade zum zweiten Mal Cixin Lius "Dunklen Wald", einen Zukunftsroman. Da taucht dann unter anderem die Vision einer gewaltigen Weltraumflotte auf, die organisatorisch in ein chinesisch-asiatisches, ein russisch-afrikanisches und ein nordamerikanisch-europäisches Kontingent aufgeteilt ist.

Kein Vorwurf an den Verfasser, der den Text 2008 erstveröffentlichte, aber beim diesmaligen Lesen dachte ich: "Nee, mein Lieber, da hat die Realität Deine Utopie bereits überholt. Kaum plausibel, dass US-Amerika in naher Zukunft noch irgendwes Verbündeter ist, jedenfalls nicht der Verbündete der demokratischen Staaten Europas."

Es ist eine spannende Erfahrung, sich mit Zukunftsvisionen auseinanderzusetzen. Man spürt ganz intuitiv, was stimmig ist und was nicht. Ganz sicher ist: Die US of A taugen nicht mal mehr literarisch-fiktiv für eine Rolle als good guy.






Und woran denken wir, wenn wir "Ami go home!" denken?









Aktuelle Ergänzung: Die russische Propaganda ist zwar unerträglich dumm und primitiv und eine Beleidigung des Intellekts, aber wenn sie Grund zur Freude hat, steht sie ganz offen dazu. Wer will's ihnen verdenken?















Samstag, 25. Juli 2020

Hoffnung = Wut = Hoffnung


Mehr oder weniger ungläubiges Erstaunen, vollständige Überraschung und die unterschwellig pikierte Frage nach dem Warum begleiten den aktuellen Anstieg der Corona-Fallzahlen.

Ich will mich sehr bemühen, hier nicht ins Doofen-Bashing zu verfallen, atme tief durch und fasse zusammen:

  1. SARS-CoV2 oder Covid19 oder Coronavirus ist ein pandemischer Virus, der zu Lungenentzündung und Lungenversagen führen kann. Man ertrinkt dann ziemlich jämmerlich über einen längeren Zeitraum an eigener Körperflüssigkeit. Das ist bislang 650.000 Menschen geschehen, und die täglichen Zahlen steigen. 
  2. "Pandemisch" bedeutet, der Virus agiert weltweit.
  3. Auf dem entsprechenden Dashboard der Johns-Hopkins-Universität kann man sehen, dass die weltweiten Fallzahlen permanent ansteigen, ganz unabhängig von der Tatsache, dass einige egomanische Polit-Clowns mittlerweile unverhohlen und aktiv versuchen, die Statistiken zu schönen.
  4. Jedes Individuum kann derzeit aktiv an der Eingrenzung des Virus mitarbeiten, v.a. durch häufiges, gründliches Händewaschen, Abstandhalten und das Tragen einer Mund-Nasen-Abdeckung.
  5. Wo diese Maßnahmen umgesetzt werden, kommen die Leute statistisch einigermaßen gut davon, wo nicht, da nicht. 

Ende. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Und wo mehr gesagt wird, sind im Ursprung ein paar machtgeile alte Männer [*1] am Werk, denen ihre krankhaft übersteigerte Egomanie wichtiger ist, als das Leben vieler Millionen Menschen.

Was mich vielmehr als der Virus selbst in Angst & Schrecken versetzt: Die obengenannten fünf Punkte sind in der Sache ziemlich eindeutig, ziemlich leicht verstehbar und ziemlich leicht in verändertes individuelles Verhalten umzusetzen.

  • Wie kommen Menschen auf die Idee, man könne stattdessen irgendwas davon diskutieren? Der Virus ist ein naturwissenschaftlich fassbares Phänomen. Er ignoriert persönliche "Meinungen", diktatorische Anweisungen und unterliegt nicht der demokratischen Willensbildung.
  • Wie kommen Menschen auf die Idee, ihr individuelles und schwarm-unintelligentes Dumm-Verhalten werde KEINE Konsequenzen haben - weder für sie persönlich noch für ihre soziale Gruppe noch für ihre Spezies?
  • Warum sind Menschen so überaus willig, sich von vernunftbasierten Lösungen ab- und irgendwelchen populistischen 3-Wort-Parolen zuzuwenden? 
  • Wenn machtgeile Scharlatane, wie Verschwörungstheoretiker, Plittikörr und Fundamentalisten of any color and any kind mehr Macht in den Köpfen der Massen haben als die Vernunft - wie sollen wir dann jemals existenzielle Probleme lösen, die noch komplexer, langfristiger und bedrohlicher sind als ein lebensnaher, d.h. potentiell tödlicher Virus?

Es gibt reichlich Indizien für die These, wir stünden aktuell in Sachen Klimawandel und Schutz einer für uns lebenswerten Umwelt an einem Scheideweg. Was wir nicht ganz zeitnah auf die Reihe kriegten, würde uns später umso schlimmer treffen. Das stimmt wohl. Aber - Achtung: Outing! - mein persönlicher Scheideweg ist immer öfter, die Hoffnung in die prinzipielle Vernunftfähigkeit meiner biologischen Art aufzugeben oder nicht.

In immer kürzeren Abständen muss ich mich ermahnen, nicht hoffnungs-los und also zum ausschließlich zynischen Drecksack zu werden. Das massenhaft idiotische Verhalten der Menschen angesichts der Corona-Pandemie macht's nicht eben leichter. Solange ich aber ein wütender Drecksack bin, heißt das, ich nähre noch ein Fünkchen Hoffnung.








Papst Gregor der Große, wiederentdeckt von Georg Schramm:

"Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen,
wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht."










[*1] Die Kategorie "machtgeile alte Männer" hat weder etwas mit dem biologischen Geschlecht noch mit dem Geburtsdatum zu tun. (vgl. Thatcher, Petry, Storch, M. LePen, AKK...)









Sonntag, 19. Juli 2020

Überblicke



Gestern, Wesermarsch: Die Straßenkreuzung ist mir aus der Perspektive der vor der Ampel wartenden Autofahrer*innen bekannt. Die ganz eigene Ästhetik der Straßenmarkierungen, die fließenden Formen der Verkehrsinseln und die sanften Rundungen der Kurven sehe und würdige ich aber nur aus der low&slow-Perspektive.

Das ergibt durchaus unterschiedliche Weltsichten: Als Autofahrer "biege ich rechts ab". Als müsste ich einen kantigen 90°-Winkel umsteuern. Was definitiv nicht der Fall ist.

Anderes Beispiel:


Man beachte die in der Landschaft verteilten Wolkenschatten. Stünde ich dort auf dem Boden, wäre meine Wahrnehmung "Die Sonne ist weg." Aus 200 m Höhe sieht die Sache ganz anders aus. Das kann man ja auch metaphorisch irgendwie total aufladen und so ... Vielleicht so in der Richtung:

"Wer immer nur auf dem Boden der Tatsachen steht,
hat definitiv keinen Überblick!"


Boah, das könnte von mir sein! Äh, Moment mal - das IST ja von mir! Frisch erfunden!






Donnerstag, 16. Juli 2020

Öko-Prostitution, bio-unfair


Heute im Reformhaus jewesen. Fast vor Fremdscham im Strahl jekotzt ...

Kundin: (18 % über Zimmer-Lautstärke) "Hach, was sind das denn für [Produkte X]?"
Inhaberin: "Das si..."
Kundin: "Ich hatte nämlich mal [Produkt X] aus Italien, da hat man gleich gemerkt ... (folgt einminütig-monologisierende inhaltsleere Ich-Erzählung)"
Inhaberin: "Ja, also d..."
Kundin: "Und was ist das hier?" (Zeigt auf ]Produkt Y].)
Inhaberin: "D..."
Kundin: "Davon nehme ich auch mal was mit!" (Greift zu, legt [Produkt Y] neben die Kasse, wo ich bereits zwei Flaschen mega-ökologischen Olivenöls zwecks Bezahlung abgestellt habe.)
Inhaberin: "G..."
Kundin: (wendet sich zu mir) "Und was ist das für Öl?"
Ich: "Äh. Öl?"
Kundin: (längst wieder abgewendet, Blick durch den Laden lichternd) "Hach, Ihr habt hier so viel, da kann man sich gar nicht entscheiden, laber, laber, laber ..." *1

Geschickt nutze ich ihren Redeakt, der Inhaberin zu signalisieren, dass ich bitte, bitte zahlen möchte, verlasse anschließend fluchtartig den Laden und schwöre mir, mich fürderhin nur noch über den eisekalt-entmenschten Interneteinzelhandel zu verköstigen, selten vielleicht auch mal in riesigen, neonlichtvergifteten, seelenlosen Supermärkten, wo devote Regal-Räum-Zombies ihre systemrelevante Arbeit verrichten und Jeden mit ihrem Todesblick vernichten, der mehr Kommunikation erheischen will als allerhöchstens ein minimalisiert-freundliches Nicken.

Was ich heute gelernt habe: Reformhäuser MÜSSEN teurer sein, als normale Läden. Das liegt zum geringeren Teil daran, dass diese ganzen Special-Öko-Produkte in der Herstellung ein bisschen teurer sein dürften als der Normalo-Kram, vor allem aber daran, dass die Mitarbeiter*innen neben ihrer normalen kaufmännischen Tätigkeit als Projektionsfläche für die rücksichtslos-offensive Selbstdarstellung der, ach, so wie-auch-immer-engagierten Klientel herhalten müssen. 

Ich bin sicher, dass die Reformhaus-Mitarbeiter*innen, hätte man sie gefragt, niemals zugestimmt hätten, aber seitens der Schicki-micki-Ökos wurde ihnen ein teuflischer Pakt oktroyiert: "Ich zahle Dir Mörder-Preise für Grundnahrungsmittel, dafür gibst Du mir Bühne und Publikum bei meinem lautstark-egomanischen Öko-white-washing!"

Hat man die Reformhaus-Mitarbeiter*innen beim Einstellungsgespräch eigentlich auf diesen Aspekt der Zwangs-Prostitution hingewiesen? 





(1907 via wiki commons)







*1 Ich bitte die zahlreichen Auslassungen und metasyntaktischen Variablen zu entschuldigen. Mein Gehör ist in funktioneller Hinsicht zwar überdurchschnittlich leistungsfähig, aber mein Gehirn schaltet bei sinnfreiem Schalldruck die Verarbeitung einfach ab. Das ist kein Witz, das hat mir ein HNO vor vielen Jahren bestätigt! Also: Ich weiß wirklich nicht, um welche Produkte X und Y es ging, was es mit den italienischen Sachen auf sich hatte und was statt "laber, laber, laber" gesagt wurde. Diese, meine Fähigkeit ist unterbewusst, effizient und oft, aber nicht in jedem Fall eine Erleichterung.








Montag, 13. Juli 2020

Das übliche Fliege-Gehudel



(gestern Wesermarsch, 250 m)

Man muss die Landwirte auch mal loben: Anfang jedes Jahres setzen sie sich zusammen und sprechen das angestrebte Oevre unterschiedlichster und interessanter Grüntöne ab, mit dem sie in der kommenden Saison Auge und Herz des Low&Slow-Ästheten erfreuen wollen. Ganz großartig, liebe Leute, wie Ihr die Umsetzung auch in diesem Jahr wieder auf den Punkt genau hingekriegt habt!



(dto. Am Horizont Wilhelmshaven, Bremerhaven und der ganze Rest. Kommen aber auf dem Foto nicht rüber.) 

Tja, und wenn dann am Spätnachmittag bzw. frühen Abend die Luft ruhig wird, schwebst Du wieder schwerelos zwischen Erde und Himmel und der Geist wird weit und leicht ...




Samstag, 11. Juli 2020

Immer wieder


Gerade in der Diplo den Artikel "Kobalt wird knapp" von Akram Belkaïd gelesen. Es geht unter anderem um die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den vielen kleinbetrieblichen Kobaltminen in der DR Kongo. Ich wusste nicht, dass diesbezüglich eine Klage gegen global agierende Auto-, Smartphone- und andere Akku-Hersteller läuft, da die so inhumane Glieder in ihren Lieferketten akzeptierten.

Ich hacke ja auch gerne und sehr zu recht auf den Konzernen rum, aber der reduktionistische Holzschnitt "Hie der arme kongolesische Mineur und hie der supermächtige Global-Player" verstellt erneut den Blick auf die wahren Ursachen. Die Geschichte ist eben nicht, dass der dicke, böse, dollarstrotzende weiße Mann in die romantische Hütte eines fröhlich-friedlichen, naturverbundenen kongolesischen Hirten-Nomaden eindrang und ihn zu mörderischer bergbaulicher Fron zwang. Die Geschichte ist, dass die macht-habenden Kongolesen in egomanischem Rausch immer mehr Macht und Geld anhäufen und sich einen Dreck um Leid und Leben ihrer Leute kümmern. Und diese Leute machen dann derartige Jobs. Ob sie das nun ihrerseits aus Geldgier oder in Ermangelung irgendwelcher Alternativen tun, weiß ich nicht.

Und es waren Afrikaner, die andere Afrikaner gefangen und in weiße und arabische Sklaverei verkauft haben ... bla ... bla ... bla ...

Ich habe diesen Quatsch hier schon ein paar Mal schreiben müssen. (z.B. 2015, 2018 etc.) Altes Lied: Wenn der Markt für Sklaven oder für Elfenbein oder für Gold oder für Diamanten oder für Coltan oder für Kobalt nicht mehr genug für die überfressenen Potentaten vor Ort abwirft, dann werden sie etwas anderes finden, um im Deal mit den global players aus West, Ost und Fernost aus dem Leid ihrer Leute Geld zu machen.

Und wir selbsternannten Erstweltler stehen daneben, heulen, die Unterdrückten dieser Welt mögen sich doch endlich solidarisieren und mit dieser Solidarität das ausbeuterische System hinwegfegen. Dabei sind wir selbst nur insoweit solidarisch, als wir kollektiv klammheimlich akzeptieren, Nutznießer dieser menschenverachtenden Strukturen zu sein. Gemeinsam ist uns, dass wir nur flüchtig, am liebsten jedoch gar nicht erahnen wollen, wie unsere schöne, neue Konsum-Welt aussähe, wenn weltweit die Gerechtigkeit ausbräche und fast acht Milliarden Menschen plötzlich gleiche Start-, Lebens- und Bildungsbedingungen hätten.




 "Sklavenjäger", Radierung um 1820









Sonntag, 5. Juli 2020

Sine qua non: Plöger 06/2020


Lese gerade den aktuellen Plöger: "Zieht Euch warm an, es wird heiß!", Untertitel: "Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen"

Hier keine Rezension, aber mich beeindruckt, wie Plöger auf dem schmalen Grat zwischen notwendiger Darstellung  komplexer physikalischer Sachverhalte einerseits und leseappetitlicher Verstehbarkeit andererseits tänzelt, ohne je zur einen oder anderen Seite abzustürzen.

Nur im Kapitel "Kritischen Äußerungen begegnen und daraus lernen" musste ich immer wieder ein paar Absätze überspringen, weil Plöger da auf seine ruhige, verbindliche Art die ihm immer wieder begegnenden Pseudo-Argumente der Leugner menschengemachten Klimawandels aufschreibt und sehr sachlich Stück für Stück abschichtet. Den hier protokollierten, altbekannten Populisten-Schwachsinn in so konzentrierter Form inhalieren zu müssen, schmerzt, macht Kopfweh und deprimiert.

Andererseits ist es natürlich großartig, weil kräfteschonend: Wenn das nächste Mal eine entsprechende Diskussion in populistischen Dumpf-Sumpf abgleitet, sage ich schlicht: "Das wird mir hier zu doof. Lesen Sie bitte Plöger, 2020, S. 171 ff!" Dabei muss ich natürlich in Kauf nehmen, eventuell als arrogante, elitäre Drecksau wahrgenommen zu werden, aber das ist ein fairer Preis dafür, diese hirnzerschmetternden und meistens ohnehin fruchtlosen Diskussionen nicht mehr führen zu müssen.

An dieser Stelle schleicht sich ein Hauch von Skepsis gegenüber Plögers Ansatz ein. Seine Auffassung, man müsse nur hinreichend aufklären, dann würden die Menschen die Wahrheit erkennen und einsichtig handeln, finde ich sehr ... nett ... will sagen: optimistisch ... Vielleicht bin ich zu alt, zu griesgrämig, zu zynisch, aber mein Menschenbild geht eher so: "Ein viel zu großer Anteil unserer Spezies hasst Verhaltensänderungen und ist bereit, gewaltige Energien, irrsinniges Leiden (eigenes und fremdes) und beliebige Mengen ritualisierter Unvernunft zu investieren, um an überkommenen Verhaltensmustern festhalten zu können."

Plögers menschenfreundliche Auffassung, Klimawandelleugnern gebräche es nur an der entsprechenden physikalischen oder sonstigen Information, würde ich so gerne teilen - doch leider ...!

Und da ich ja sowieso gerade über Strategien zur Re-Demokratisierung dieses, unseres Landes nachdenke, leite ich daraus ab: Demokratische Entscheidungen zu Fragen des Klimawandels dürfen demnächst nur von jenen Wahlberechtigten mit-getroffen werden, die befriedigende grundlegende physikalische Kenntnisse, sagen wir, 10. Realschulklasse nachweisen können. Es muss nicht Jede*r von Allem Ahnung haben. Aber bevor Leute, die mangels eigenen Wissens wehrlose Opfer populistischer Dreiwort-Satz-Rhetorik geworden sind, an demokratischen Entscheidungen beteiligt werden, halte ich gewisse Einschränkungen für notwendig und dem Staate förderlich.

Das Wahlsystem könnte derlei berücksichtigen, wenn wir es stärker an den Wahl-o-maten, insbesondere deren inhaltlicher Gliederung, orientierten. Bürger*innen, die selbst wissen oder denen nachgewiesen wurde, dass sie von Klima, Physik etc. keine Ahnung haben, wird das entsprechende Menü einfach nicht angeboten. In der Richtung muss ich mal weiterdenken. Da ist noch viel Musik drin. 




(Ich hoffe, ich habe das Foto genug verfremdet, um keinen Copyright-Stress zu bekommen ...
Sicherheitshalber sage ich nochmal ganz deutlich, dass ich dieses Werk
hiermit in den Kanon allgemeinverbindlicher Lektüre aufnehme!)