Eine der skurrilsten, schrulligsten und einprägsamsten Figuren der Filmgeschichte ist für mich der herrlich bekloppte Oberst von Holstein aus den "tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten", GB 1965, dargestellt von Gert Fröbe.
Ja, er ist ein Kind seiner Zeit, ein Militarist, wie er in den 1910er Jahren - nicht nur in Deutschland - im Buche stand.
Ja, er ist ein bisschen beschränkt, ein bisschen ignorant, und er neigt dazu, Marschmusik zu grunzen.
Ja, er wird im Film, stellvertretend für das Preußentum, herrlich trivial veräppelt, und die Flieger Frankreichs, Englands und der USA sind insgesamt viel cooler und tiefentspannter, und die Vertreter Italiens und Japans auf die eine oder andere Weise auch viel netter und menschlicher.
Ja, am Ende scheitert er ziemlich lächerlich.
Das Scheitern ist übrigens in mehrfacher Hinsicht interessant. Erstens muss er notwendigerweise scheitern, weil der Plot des Filmes es nicht ertrüge, wenn ein alter, dicker, dummer Preuße neben den jungen, smarten, schlanken Westeuropäern technisch oder sonstwie reüssieren würde.
Zweitens war das Erstaunen der Siegermächte über den technologische Vorsprung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg - gerade in der Luftfahrt - 1965 noch nicht hinreichend veratmet, um die fiktionalen Deutschen in einem lustigen Film ein technologisch determiniertes Rennen gewinnen zu lassen. Das wäre nicht lustig gewesen. *1
Drittens und am wichtigsten: Das Scheitern von Holsteins ist vor allem das Scheitern eines Konzeptes, das sich am besten durch einschlägige Zitate aus dem Film beschreiben lässt, entnommen
aus Wikipedia:
- Hauptmann Rumpelstoß (nachdem ihm befohlen worden ist, während des
Wettfluges die deutsche Flugmaschine zu steuern, obwohl er noch nie
geflogen ist): „Wie soll ich denn fliegen lernen?“ – Darauf der Oberst:
„Ganz einfach: Lesen Sie die Dienstvorschrift, und dann fliegen Sie!“
- Oberst von Holstein (in der Bedienungsanleitung lesend): „Nummer 1: Hinsetzen!“
- Oberst von Holstein (mehrfach im Film): „Es gibt nichts, was ein deutscher Offizier (im Original „German officer“) nicht kann!“
Haha, wie lustig.
C.C. Bergius berichtet in der "Straße der Piloten", 1959, dass dem ersten Militärpiloten der USA, Lt. Selfridge, ein Aeroplan zur Verfügung gestellt wurde, nebst Anweisung, sich das Fliegen damit selbst beizubringen. Vielleicht wäre Selfridge, der 1911 übrigens bei einem Flugunfall ums Leben kam, ganz froh gewesen, wenigstens eine Checkliste, zu deutsch Dienstvorschrift, gehabt zu haben.
Und was ist falsch daran - wenn man denn nichts Anderes hat - so eine Dienstvorschrift bzw. Checkliste abzuarbeiten, auch wenn sie scheinbar lächerlich mit "Nr. 1 - Hinsetzen" beginnt? Beim Start einer Saturn-Rakete gab es angeblich 158.000 Einzelschritte, die im Rahmen des Countdowns akribisch abgearbeitet werden mussten *2. Der Countdown beginnt schon viele Tage vor dem Start und dient nicht, wie Viele meinen, dazu, in den letzten zehn Sekunden vor dem Start die Spannung noch ein bisschen zu pushen. *3
Ist es denkbar, dass der lächerliche "German officer" *4 gar nicht so lächerlich ist?
Betrachten wir mal die Exposition dieser Figur: Holstein ist Oberst der Kavallerie, der gerade den Absturz des offenbar einzigen deutschen Militärflugzeuges *5 beobachtet, skeptisch kopfschüttelnd, als fände er die ganze Idee ziemlich blöd. In dem Moment erreicht ihn der kaiserliche (!) Befehl (!!), das internationale Luftrennen zu gewinnen (!!!). Hier geschehen zwei kritikwürdige Dinge: Der kaiserliche Befehl zeugt von irrwitziger Überheblichkeit, und Holstein lehnt ihn nicht als undurchführbar ab, kritisiert ihn nicht einmal. Typisch preußischer Kadavergehorsam, typisch preußische Arroganz, oder?
Nun, am 12.09.1962 hielt JFK (!) seine berühmte "We-choose-to-go-to-the-moon"-Rede, in der er anordnete (!!), die USA würden bis zum Ende des Jahrzehnts auf dem Mond landen (!!!), was bei den betroffenen Ingenieuren sofortige Schnappatmng auslöste, da sie sehr wohl wussten, wie vergleichsweise jämmerlich man in der Sache aktuell dastand. Widersprochen hat da natürlich auch niemand.
Wie auch immer: Der arme von Holstein steht nun also mit dem kaiserlichen Befehl unter unglaublichem Erfolgsdruck, und er hat nichts in der Hand, außer ungeschultem Personal und anscheinend gewisse finanzielle Ressourcen. Was denkt so einer in so einer Situation? Ich weiß es nicht. Ich weiß ich nur, was ich dächte, nämlich: "Ok, ich habe diesen Auftrag bekommen, für den ich fachlich überhaupt nicht qualifiziert bin. Entweder hat jemand in der Personalverwaltung Mist gebaut oder die haben tatsächlich niemanden, der weniger ungeeignet wäre als ich. Bei einem Auftrag dieser Tragweite gehe ich nicht davon aus, dass die Jungs leichtfertig handeln. Demnach bin ich tatsächlich der am wenigsten Ungeeignete. Und folglich habe ich den Job jetzt an der Backe."
In der kurzen Szene im Film (Kapitel 6) sieht man nur ein ganz kurzes Zögern *6, dann ist von Holstein wieder in seiner Rolle als verantwortlicher Vorgesetzter. Und was soll er machen? Zuversicht und Aktivität bei seinen Mitarbeitern verbreiten. Das Projekt anschieben. Klar machen, dass es keine Zweifel gibt. Delegieren. Leute aktivieren. Von Holsteins Reaktion ist überhaupt nicht lächerlich und da ist keine Spur von Kadavergehorsam. Der Mann packt einfach an, was getan werden muss, und er macht es auf der Ebene der Mitarbeiterführung genau richtig *7.
Dass er als projektverantwortlicher Manager dabei logisch und vor allem konsequent vorgeht, beweist er, indem nach Ausfall des ursprünglich vorgesehenen Piloten Rumpelstoß selbst das Steuer übernimmt, auch hier wieder in der klaren Erkenntnis, dass er von allen in Frage kommenden Ersatzleuten der am wenigsten inkompetente ist. Es muss nicht besonders betont werden, dass die Situation, in der Holstein diese Entscheidung treffen muss, eine katastrophale ist, verursacht durch eine Reihe struktureller und prozessualer Fehler - und zwar weit oberhalb der Hierarchie-Ebene von Holsteins.
Allmählich und noch einigermaßen diffus zeichnet sich da eine ganz neue Bedeutung ab, wenn Holstein sagt: "Es gibt nichts, was ein preußischer Beamter / Offizier nicht kann." Vielleicht muss man diesen Ausspruch einfach nur übersetzen:
"Es gibt ein erhebliches Problem. (Möglicherweise sogar durch unsere eigene staatliche Organisation verursacht, aber das ist ein Gedanke, den wir einstweilen zurückstellen müssen.) Wir sind nicht qualifiziert, dieses Problem zu bearbeiten, aber das ist niemand, denn sonst wäre es ja kein Problem. Also werden wir da jetzt rangehen, mit all' unserer Inkompetenz und mit dem signifikanten Risiko zu scheitern und uns lächerlich zu machen ..."
Oder kürzer: "Mein Amt und meine Würde als preußische/r Beamter / Offizier gebieten mir, Probleme meines Staates, meiner Gesellschaft zu bearbeiten, auch und gerade dann, wenn die entsprechenden materiellen und ideellen Voraussetzungen für eine Lösung nicht gegeben sind."
Das ist krass. Das klingt gut. Damit kann ich mich identifizieren.
Und das ist allzuoft mein Alltag.
*1 Heute wäre das ganz anders. Da würden die Deutschen in so einem Klamauk-Film mit Super-High-Tech-Systemen mit Goldrand auftrumpfen, um dann ein ums andere Mal herrlich auf die Fresse zu fallen. Vgl. PAH Tiger, NH 90, A 400, U-Boote, Jäger - bruahaha - "90", G36 etc. etc. Oder Hauptmann Rumpelstoß käme mit 25 Jahren Verspätung zum Rennen, aber dafür mit einem ganz ausgebufften Flugzeug. Text könnte sein: "Ja, wir kommen zu spät, aber dafür funktioniert jetzt der Brandschutz ...!"
*2 Frischler K.: Wunderwaffen; 1965; S. 170
*3 Und warum wohl werden in der Fliegerei, aber auch in vielen anderen
Bereichen immer noch Checklisten abgearbeitet? Ich will gar nicht so
tun, als sei ich der mega-erfahrene Flieger, das bin ich nicht, aber
selbst mit meinen nur paarhundert Starts kann ich bestätigen: Du
vergisst irgendwann Deinen Arsch, ehrlich!
*4 ... was man auch mit "doitscher Beamter" übersetzen könnte ...
*5 Um weitermachen zu können, muss er erst ein neues Flugzeug ordern.
*6 Das stimmt natürlich nicht. "Those Magnificent Men ..." ist nicht gerade der Film für sensible Charakterstudien. Obwohl der Fröbe sowas bestimmt hätte spielen können.
*7 Selbst die gegrunzte Marschmusik ist ein Teil Mitarbeiterführung: Sei authentisch! Sei bereit, Dich auch mal zum Affen zu machen. In richtiger Dosierung kann so etwas entscheidend für's Teambuilding sein.