Ich nehme an, auch heute noch gehört zu jedem normal schlechten Bewerbungsgespräch die Standardfrage: "Welche Ziele wollen Sie in fünf Jahren erreicht haben?" oder eine ihrer Variationen. Und wahrscheinlich wird auch heute noch von Bewerber*innen irgendeine taktische Antwort nach dem Schema "In fünf Jahren will ich auf Ihrem Platz sitzen." erwartet, und das Öde an diesem ewiggleichen Ritus ist die ewig fortgeschriebene Reziprozität der Erwartungen: Die Interviewer*in erwartet von der*dem Bewerber*in, dass er*sie erwartet, dass sie*er erwartet, dass er*sie erwartet, dass sie*er erwartet etc. etc. dass diese Sequenz auftaucht.
Und das zweite Öde ist, dass alle Beteiligten wissen, dass es hier für die sich bewerbende Person darum geht, sich als hemmungslos karrieregeiles Arschloch zu zelebrieren, denn wir leben in einem kapitalistischen System und das bedeutet, dass persönlicher Profit und egomanische Machtgeilheit die einzig akzeptierten Motive zur Selbstausbeutung zugunsten des Konzerns sind. Dies Prinzip frenetisch zu bejahen, soll diese Frage im Bewerbungsgespräch Gelegenheit geben.
Genug davon.
Mir ist neulich der invertierte Gedanke gekommen. Statt vorwärts in die Zukunft springen wir doch lieber mal zurück in die Vergangenheit. Wo stand ich vor fünf oder zehn Jahren? Welche Ziele hätte ich damals für in fünf Jahren formuliert, sowohl beruflich als auch privat? Welche Probleme haben mich damals besonders beschäftigt? Was davon habe ich mittlerweile erreicht bzw. überwunden? Hat sich - ganz allgemein - meine Lebenssituation verbessert oder verschlechtert?
Ich werde Euch, geneigte Lesende, nicht mit meiner persönlichen Bilanz molestieren, aber ich konnte feststellen, dass ich jede Menge Anlass zur Zufriedenheit habe - viel mehr, als mir bisher bisher bewusst war. Meinem Ich vor fünf Jahren ging es auch nicht wirklich schlecht, sieht man von punktuellen Ereignissen ab, aber im Vergleich dazu habe ich mich aus vielen Problemen und Quisquilien herausgearbeitet, und nach allem Für und einer Menge Wider, komme ich insgesamt zu einem ganz guten Ergebnis.
Die "Was-willst-Du-in-Zukunft-erreichen"-Frage setzt uns unter Druck, zwingt uns zu hochenergetischen Bekenntnissen, auf die man uns festnageln kann und wird. Die "Was-hast-Du-in-letzter-Zeit-erreicht"-Frage gibt uns hingegen vielfach Anlass zur Entspannung, zum Runterkommen und zur Ruhe.
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