Dienstag, 31. März 2020

Gedankenspielereien


Natürlich ist es völlig widersinnig, aktuell irgendwelche verbindlichen Corona-Zukunfts-Szenarien einzufordern. Man betrachte das Dashboard von Johnny Hopkins. Man sieht, dass man nichts sieht, außer, dass sich die Kurven nicht ernsthaft abflachen, dass also das Risiko eines Belastungsbruchs der medizinischen Infrastruktur immer noch ins Haus steht.

Hinter dieser verniedlichenden technischen Metapher verbirgt sich der ethische Horror der umgekehrten Triage, der notwendigen Entscheidung, Patienten mit kritischen Symptomen nicht mehr zu behandeln und sterben zu lassen, damit weniger schwere Fälle vielleicht eine größere Chance bekommen.

Das Gerede um Ausstiegs-Szenarien aus dem shutdown mag zwar widersinnig sein, macht mich aber doch etwas nachdenklich. Wie wird das werden, wenn "die Kurve" tatsächlich so weit abgeflacht ist, dass die Kontakt-Restriktionen staatlicherseits wieder aufgehoben werden können?

Wird dann mein Dienstherr zu mir kommen und sagen: "Ey, S., wir haben jetzt wieder genug Betten auf den Intensiv-Stationen frei, Du kannst Dich mit Deinen 58, 59 Jahren wieder vor eine Klasse stellen. Zwar haben wir 1.300 Schüler*innen an dieser Schule und Du wirst Dir mit großer Wahrscheinlichkeit den SARS-Cov-2 einfangen, aber ein Bett und ein Beatmungsgerät stehen für Dich jetzt bereit. Dass Du stirbst, ist also eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich. In jedem Fall bist Du anschließend immun, und falls Du überlebst, wirst Du Dich dann besser fühlen."?

Ich bin insgesamt gesehen recht gerne Lehrer, und jeder Gig im Klassenraum macht mir Freude, und ich vermisse die Routine und die Menschen und wünschte, diese ganze Corona-Chose wäre schnellst vorbei oder besser: nie passiert. Wenn ich in die Zukunft schaue, spüre ich derzeit noch keine corona-bedingten wirtschaftlichen Sorgen und gehöre daher - ich sage das in tiefer Demut und Dankbarkeit - zu einer privilegierten Minderheit.

Was mich im Hinblick auf meine Corona-Zukunft aber neugierig macht, ist, wie stilvoll oder weniger stilvoll meine Böberschten mir eines Tages mitteilen werden, dass das Risiko für mein kleines, unbedeutendes Leben in Relation zu meinem gesellschaftlichen Mehrwert den Faktor X oder 42 oder was auch immer erreicht habe und dass ich doch nun, bitteschön, wieder in die Bütt treten möge.

Das ist herrlich am Corona-Virus: Er fordert mathematisierbare ethische Entscheidungen.



 (Rembrandt van Rijn: Besazar; verändert via wiki commons)


Menetekel: Gezählt, gewogen und für zu leicht befunden. 

Ethik, die Lehre vom richtigen Verhalten, 
ist nicht quantifizierbar, 
man kann auch keinen Preis draufkleben. 

Aber sie ist trotzdem nicht beliebig!












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