Dienstag, 6. Februar 2024

Plädoyer für verbindlichen "Plan B"

 

Habe auf Mastodon vorhin beiläufig meiner Verbitterung Ausdruck verliehen über den Grad, in dem die Grüne Spitze sich zwecks Erhalt der Ampel gerade inhaltlich bis zur Unkenntlichkeit verbiegt. Ein Mit-Forist antwortete nicht unintelligent, dass Kompromisse, auch schmerzhafte, nun mal zum Wesen der Demokratie gehörten, da Demokratie nun mal von Mehrheiten lebe. Die von ihm angegebene Quelle muss ich erst noch lesen, aber ich stimme dem Gedanken natürlich prinzipiell zu. 

Wie so oft bei klugen Gedanken, fällt es aber leicht, sie durch Übertreibung ad absurdum zu führen. In diesem Fall durch die Frage, ob die Grünen auch mit der (derzeit noch fiktiven!) "Satanistisch-faschistischen-Massenmörder-Partei" Kompromisse finden sollen, um deren eventueller Herrschaft wenigstens einen Hauch Grüner Politik aufzudrücken. 

Die Antwort ist banal, aber die Frage ist es nicht, denn sie führt uns zur Notwendigkeit, Grenzbedingungen zu definieren. 

Andersrum: Ich habe den Grünen meine Stimme gegeben, weil ich sie aufgrund öffentlicher Statements ihrer Führer*innen und aufgrund ihres Wahlprogrammes für die am wenigsten ungeeignete Partei gehalten habe. Wenn ich das aktuelle Regierungshandeln der Partei inclusive der Summe der inzwischen geschluckten Kröten und geschlossenen Kompromisse (Ist-Wert) mit den Aussagen, die mich zur Wahl derselben verleitet haben (Soll-Wert), vergleiche, dann fühle ich mich auf's schändlichste betrogen. 

Und da fällt mir sinngemäß die alte irische Volksweisheit ein: "Wenn sie mich EIN Mal betrügen, sind sie böse. Wenn ich mich ZWEI Mal betrügen lasse, bin ich ein Idiot!"

Ja, ja, ja, ich verstehe das Dilemma von Baerbock, Habeck, Lang und Konsorten: Man kommt nicht da hin, wo sie sind, wenn man nicht hemmungslos machtgeil ist. Wenn Dir Prinzipien wichtiger sind als persönliche Macht, dann werd' Einsiedler*in, dann hast Du in der Politik nix verloren. 

Diesen Gedanken dürfen wir aber nicht akzeptieren, denn er stellt den Fortbestand der FDGO in Frage, und der fühle ich mich durch Vernunft und dreifachen Eid verpflichtet.¹ 

Daher mein dringender Vorschlag:

Jede politische Partei, die sich einer Wahl stellt, hat ZWEI Wahlprogramme öffentlich zu machen. Das erste Wahlprogramm, wir wollen es künftig "Plan A" nennen, ist das gewohnte Wahlprogramm, voller blumiger Versprechungen, als gäb's kein Morgen.

Das zweite Wahlprogramm, "Plan B", ist das realistische Wahlprogramm, an dessen Erfüllung sich eine Partei in jedem Fall messen lassen muss. Das bedeutet, die hier aufgeführten Ziele

  • müssen nachprüfbar sein, operationalisierbar und mathematisierbar.
    "Wir wollen Frieden in Nahost." ist kein mathematisierbares Ziel. "Wir brechen alle politischen und wirtschaftlichen  Kontakte zu jenen ab, die den Krieg in Nahost auf der einen oder anderen Seite unterstützen und wir koalieren mit keiner Partei, die das nicht mitgeht." ist mathematisierbar. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn die Agrar-, Auto-, Energie- und Waffenlobby dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass die Konzerne Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn der Hegemon, der POTUS, der Imperator der westlichen Welt dagegen ballert.
    Wenn Ihr wisst, dass wer-auch-immer-in-Washington Eure Ziele sabotieren wird, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn die Reichen dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass die Reichen Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn russische, chinesische, europäische und amerikanische Geheimdienste in den asozialen Netzen dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass Geheimdienste of any color and any kind Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
Zugegeben: "Plan B" wird ein dünner, leicht fasslicher Reader. Aber die Leute werden Euch lieben.

Und ich würde Euch wieder wählen.



Wahlplakat der Grünen 1983. 
Habeck 2022: "Jetzt ist keine Zeit für Pazifismus."
Den Spruch verzeihe ich ihm NIE.







¹ Was für eine hammer-heroische, geradezu mythische Formulierung, oder!? Aber sie stimmt: Verglichen mit dem Doitschen Grundgesetz gibt es auf diesem Planeten nur noch schlechtere Staats-Verfassungen. Und ich habe im Laufe meines Lebens drei Mal geschworen, unsere Verfassung zu achten und zu schützen. Daran fühle ich mich nach wie vor gebunden, und das ist gut so.

 



Donnerstag, 1. Februar 2024

Kinky

 

Gerade die rbb-Doku "F*ck Berlin: Folge 2: Kinky" gesehen. Stelle fest:

  1. Gut, dass ÖRR sich endlich so offen und positiv an derlei Themen herantraut.
  2. Kinky scheint ausschließlich bei gutaussehenden weiblichen Mittzwanzigerinnen stattzufinden. Oder spiegeln sich da nur die Präferenzen der Macher*innen der Doku?
  3. Indem ich mich selbst in distanzierter Außensicht ansehe, wie ich mir diese Doku ansehe, explodiert mein innerer Spießer vor Empörung und suggeriert mir ein Selbstbild als sabbernden, notgeilen dirty old man, der mit seinen demnächst 62 Jahren doch, bitteschön, das gesamte Thema Sexualität im allerweitesten Sinne schleunigst ad acta legen sollte, diese erbärmliche, lächerliche, alte Pottsau!
  4. Prompt reagiert ein anderer, offenbar progressiverer Teil meines Großhirns mit der Frage, warum, bitteschön, ich mich mit 250 Jahre alter Spießbürger-Moralkacke blockieren soll und warum Comfreys Gesetz "Wenn zwei sich einig sind, ist alles möglich." nicht auch für mich gelten soll.

Es entsteht ein, öhm, interessanter innerer Dialog, den evolutionär ältere Teile meines Hirns mit nicht-zitierfähigen Neologismen zur Selbst-Beleidigung befeuern.

Die Ergebnisse in Kürze:

  • Es ist kein Age-ismus, wenn ältere Menschen von jüngeren sexuell weniger anziehend empfunden werden. Bei der Paarung jüngerer Menschen ist die Herstellung genetischer Vielfalt wahrscheinlicher, als wenn der uralte Revierbulle sich immer wieder nur mit dem erfahrensten Weibchen paart. Da genetische Vielfalt ein Selektionsvorteil¹ ist, handelt es sich hier um ein evolutionär stabilisiertes Verhalten. 
  • Völlig unabhängig davon werde ich mir meinen ungebrochenen Spaß an Körperlichkeit, an Sex of any colour and any kind weder nehmen lassen noch selbst verbieten noch von irgendwem mies machen lassen, erst recht nicht von mir selbst.





(stark verändert via wiki commons)
"Wer Dich liebt, liebt Dich auch so!"
sagte meine Mutter immer.





¹ Hört guuut zu, ihr Rassisten aller Länder!





Dienstag, 30. Januar 2024

Demokratie at work

 

Mit äußerster kritischer Distanz lese ich regelmäßig auch die "nachdenkseiten.de" (nds). Da findet sich vieles, was ich höchst problematisch, weil einseitig und / oder verfassungsrechtlich fragwürdig finde, aber dann sind da auch immer wieder Dinge, die in anderen Portalen nicht erwähnt werden, obwohl sie es wert wären. 

Zum Beispiel der Bericht über die Bundespressekonferenz vom 24.01.2024, in der ein nds-Journalist darauf hinweist, dass die Bundesinnenministerin den Slogan "From the river to the sea" als pro-palästinensische Formel und Aufruf zur Staatsvernichtung Israels unter Strafe gestellt hat, dass aber der israelische Premier Netanjahu ebendiese Formel verwendet, um Israels Absichten gegenüber den Palästinensern zu beschreiben.

Die sich ergebende Frage, warum eine Formulierung strafbar ist, wenn sie von palästinensischer Seite kommt und auf Israel zielt, nicht aber, wenn sie von israelischer Seite kommt und auf Palästina zielt, wurde mit unerträglichem pseudo-argumentativen Gewürge der Regierungssprecher*innen trotz mehrfacher Nachfragen  nicht beantwortet. 

Der Bericht der Nachdenkseiten erschien mir so albern und hirnverbrannt, dass ich die Quelle prüfte. Und siehe da: Das offizielle Protokoll der BPK auf regierungsoffizieller Seite  bestätigt die Darstellung vollumfänglich. 

Ich weigere mich, diese Geschichte nur als bloße Anekdote abzutun, als ein weiteres Beispiel dafür, wie verlogen, dumm und selbstgerecht das politische Tagesgeschäft ausnahmslos aller unserer Parteien ist. Bei resignativem Zynismus stehenzubleiben, wäre falsch, denn damit würden wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass unsere Demokratie zwar gerade ganz beschissen verwaltet wird, dass aber Besserung möglich und in Reichweite ist. Resignativer Zynismus wäre also verfassungsfeindlich. 

Fangen wir also damit an, die Wahrheit zu sagen, denn wir das nicht tun, werden andere, die Faschos, ihre Wahrheit dagegenstellen, und Faesers oder anderer Politiker*innen Schwachsinn gegen die Nazis verteidigen zu müssen, ist das Allerletzte, was wir wollen. Es funktioniert auch nicht.  

Die Wahrheit:

TOP 1: Faeser ist eine bedingungslos machtgeile (s. Hessen-Wahlkampf 2023) opportunistische und inkompetente Egomanin, die in dieser innenpolitisch heiklen Situation völlig überfordert ist, aber so strunzendumm und arrogant, dass sie selbst es nicht merkt..

TOP 2: Alle politischen bzw. politisch-religiösen Führer im aktuellen Nahost-Konfikt sind subklinische Psychopathen, bedingungslos machtgeil und ohne Rücksicht auf Verluste absolut bereit, ihre Anhänger*innen zu massenhaftem Mord und Totschlag aufzustacheln.

TOP 3: Deutsche sind nicht in der Lage, Israel zu kritisieren. Dafür gibt es zwei gute und drei schlechte Gründe.

3.1 Die guten Gründe sind:
3.1.1 Die historische Verantwortung verbietet es uns, und das ist gut so.
3.1.2 Aktuell gibt es in Doitschland immer noch viel zu viele Nazi-Arschgesichter, die es sofort für ihre niedrigen Motive instrumentalisieren würden, wenn Israel-Kritik salonfähig würde. Diese Nazis würden ganz absichtsvoll nicht zwischen berechtigter Kritik und plattem Antisemitismus unterscheiden.

3.2 Die schlechten Gründe sind:
3.2.1 Wir wollen Israel nicht durch Kritik verstören, weil auch berechtigte Kritik reflexhaft mit dem Antisemitismus-Vorwurf totgeschlagen wird.
3.2.2 Wir machen traumhafte Waffengeschäfte mit den Israelis, das will man sich nicht versauen.
3.2.3 Wir sind völlig abhängig von den Amis. Und die wollen gerade nicht, dass wir Israel kritisieren.

Ja, ja, ja ... ja! Das ist ein klitzebisschen verkürzt und vielleicht auch ein bisschen holzschnittartig dargestellt. Aber es ist die einzige Möglichkeit, die offensichtlichen inhaltlichen Widersprüche der o.g. Bundespressekonferenz einigermaßen zu erklären, OHNE DABEI DIE DEMOKRATIE ZU BESCHÄDIGEN!

Entschuldigt die Brüllerei! Macht Euch mal klar, was das bedeutet, wenn sich niemand mehr schämt, das eigene Volk auf so offensichtliche Weise zu belügen! Wieviel Verachtung gegenüber dem Souverän in diesem, unserem Lande, dem Wahlvolk, zeigt sich hier!

....

Ach, Kacke, jetzt habe ich mich wieder voll echauffiert.



(Frazetta: Der Zerstörer, 1954, stark verändert via wiki commons)







Dienstag, 16. Januar 2024

So kann das nix werden!


Lese gerade den "Bodenatlas" von BUND, Böll-Stiftung und TMG. Wenig erbaulich.

Erstens: Die doitschen Gesetze und viel mehr noch die internationalen Verträge zum Bodenschutz sind allesamt zahnlose Tiger. Die Regeln sind so windelweich, so unbrauchbar, so interpretations-offen, so sehr zur Pervertierung und zum Missbrauch einladend, dass der dringende Verdacht naheliegt, das sei von den Verantwortlichen genau so beabsichtigt. Wahrscheinlich würde es diese Gesetze und Verträge gar nicht geben, wenn sie ernsthaft die ungehemmten Profite der Konzerne einschränken könnten. 

Zweitens: Die Regeln für die ökologischen Ausgleichsflächen, der Handel mit CO₂-Zertifikaten etc. etc. führen dazu, dass sich die reichen und mächtigen Nationen und Konzerne von wirksamen Maßnahmen gegen den anthropogenen Klimawandel "freikaufen" können, indem sie irgendwo auf dem Planeten sogenannte "Ausgleichsflächen" kaufen oder pachten, während in ärmeren und wirtschaftlich schwächeren Ländern dafür viele Menschen von angestammten Ländereien, ihrer Lebensgrundlage, vertrieben werden, um einige wenige Lokal-Herrscher mit westlicher Kohle noch ein bisschen reicher und mächtiger zu machen. 

Es bleibt dabei: Ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das ausschließlich  auf der hemmungslosen individuellen Gier nach Geld und Macht basiert, ist per definitionem außerstande, Lösungen für die Allgemeinheit, für unsere globalen Probleme zu liefern. 

Das ist wie Fausts Pakt mit dem Teufel oder wie der Ring der Macht: Alles, was Du damit machst, egal, wie ehrenhaft Deine Ziele scheinen mögen, wird pervertiert, wird böse, dunkel und furchtbar. 

"Je höher die Ideale, desto schlimmer die Ergebnisse." ¹



(via wiki commons)

Eigentlich wollte Dr. S. nur seine Steuererklärung machen ... 



¹Das ist meine Übersetzung einer Übersetzung einer Übersetzung aus dem Tao-te-king. Ob Lu-Tze das jemals so gesagt hat, ist äußerst zweifelhaft. Aber gedacht hat er es bestimmt. Zumindest würde ihm der Satz gut gefallen ... glaube ich. 


Freitag, 12. Januar 2024

Gründe und Abgründe

 

Wegen der Angriffe auf die Schiffe im Roten Meer.
Wegen des Ukraine-Krieges.
Wegen des Gaza-Krieges.
Wegen der Klimakatastrophe.
Wegen China.
Wegen der Bauernproteste.
Wegen des islamistischen Terrors.
Wegen des Leitzinses.
Wegen der steigenden Energiepreise.
Wegen der Energiewende.
Wegen der demographischen Entwicklung.
Wegen der Ampel, speziell den Grünen.

Die Lebenshaltungskosten steigen. Die*der Normalverbraucher*in kann nicht mehr blindlings konsumieren. Das ist ok, wir hatten uns einen Lebensstandard angewöhnt, den wir uns schon längst nicht mehr leisten konnten.

Mit gespannter Aufmerksamkeit sehe ich dem Moment entgegen, an dem die global agierenden Konzerne realisieren, dass Normalverbrauchers Kaufkraft wie eine zu kleine Bettdecke ist: Wenn Du sie nach oben ziehst, wird's unten kalt und umgekehrt. Wenn die Preise für Sprit und Heizung raufgehen, spart man bei den Klamotten, dito Nahrung, Restaurantbesuche, Mobiliar, Wohnen etc. etc. ... Und umgekehrt. Es ist ein Nullsummenspiel, das für fast Alle nur Enttäuschungen bereithält.

Eine Zeit lang werden sich Konzerne damit behelfen, auf den oberen Mittelstand zu fokussieren, aber der schmilzt ja auch schon weg. Übrig bleiben die sehr Reichen, die, global mobil, um so härter umkämpft und umworben werden. 

Das ist die Zukunft der Menschheit in einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das ausschließlich auf individuellem Egoismus und unendlicher Gier nach Macht und Besitz basiert: 99,5 % Morlocks, die gerade eben so versorgt werden, dass sie dienen können, ohne zu verhungern und ohne zu revoltieren, der Rest eine maximal privilegierte, absolut herrschende Oberschicht.

Falls es dann noch Parteien gibt, sind wahrscheinlich wieder die Grünen schuld.


(stark verändert via H.G. Wells: Zeitmaschine, Film 1959)







Montag, 8. Januar 2024

Dank an die Agrar-Lobby!

 

Die Agrar-Lobby hat mit der Organisation der Verkehrs-Blockaden und teilweise auch mit den verfassungsfeindlichen Umsturz-Aufrufen der Sache der Klima-Aktivist*innen den zweitgrößten ¹  denkbaren Gefallen getan: Die Kriminalisierung der Klima-Bewegung ist logisch nicht mehr länger durchzuhalten!

Es sei denn, die Macht-Habenden gäben endlich öffentlich zu, dass sie mit zweierlei Maß messen: Wenn es um die Interessen großer, kapitalistischer Konzerne geht, um Institutionen also, die per definitionem ihre Profite privatisieren und Kosten und Umweltschäden sozialisieren, dann sind Straßenblockaden akzeptabel, wenn es hingegen (nicht-kapitalistisch) um den Erhalt einer lebenswerten Umwelt geht, dann sind Proteste böse.

Wie herrlich offensichtlich wird dieser Widerspruch uns gerade vor Augen geführt! Und deshalb nochmal: Dank an die mächtigste Lobby in diesem, unserem Lande, die Agrar-Lobby, die dies nicht eindrucksvoller hätte demonstrieren können!

Apropos: Mir kam vorhin ein Trecker auf dem Weg zu irgendeiner Blockade entgegen. Das unbeholfen improvisierte Pappschild am Bug trug den Spruch "Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft". Mir ist nicht ganz klar, was genau da gefordert wird. Die Zukunft der Landwirtschaft in Doitschland sieht bekanntermaßen so aus:

  • Entweder, der Konzentrationsprozess "Wachse oder weiche!" geht weiter, dann sterben die klassisch arbeitenden mittelständischen Betrieben zugunsten immer größerer Agrar-Konzerne restlos aus. 
  • Oder die Familienbetriebe wechseln haste-was-kannste zu nachhaltigen, ökologisch vertretbaren, regional vernetzten Formen und bleiben erhalten. 
  • In keinem Fall wird der klassisch arbeitende Betrieb kleiner oder mittlerer Größe in Zukunft überleben - nicht mal mit noch mehr Subventionen.

Jetzt müsste mir besagte*r Treckerfahrer*in noch mal en détail erklären, was genau sie*er fordert.


(verändert via wiki commons)

Ich LIEBE das Selbstbild, das die Bauern auch in agrarindustriellen Zeiten über sich lancieren. Es ist zwar total antiquiert und unsinnig und verlogen, aber herrlich romantisch. Übrigens: 2021 haben doitsche Agrar-Betriebe Waren für über über 90 Milliarden Euro exportiert. Platz 4 in der Weltrangliste. Soviel zum Thema "Bauern produzieren unser Essen." Schafscheiß!   





¹ Der maximal denkbare Dienst wäre gewesen, die Sache der Umwelt-Bewegten aktiv zu unterstützen, aber das wäre zu viel verlangt.





Dienstag, 2. Januar 2024

FNJ 2024

 

Ich verzweifle so oft über die menschliche Unvernunft, genauer: über unsere und meine Unfähigkeit, das als vernünftig Erkannte in alltägliches Verhalten umzusetzen. Und dann frage ich mich, wie es kommt, dass wir im Laufe der Evolution zwar vergleichsweise üppige kognitive Fähigkeiten erworben haben, aber andererseits sowohl als Individuum als auch als biologische Art sehenden Auges suicidale Strategien unbeirrt und unbeirrbar durchziehen.

Ich fürchte, ich habe neulich die Lösung für diesen Widerspruch gefunden. 

Einfach ausgedrückt besagt Darwins Evolutionstheorie, dass die natürliche Selektion innerhalb einer Art jene Merkmalsvarianten verstärkt, die die größten Chancen hat, fortpflanzungsfähigen Nachwuchs überlebensfähiger zu machen.   

Gedankenexperiment: 

Setting:

  • A.) Wir haben ein Menschen-Individuum, das nicht nur nett und freundlich und selbstlos ist, sondern auch so unfassbar klug, dass es Einsteins Relativtätstheorie verstanden hat und sie in leichtfasslichen Sätzen erläutern kann. Dieses Individuum erläutert uns auch ständig, dass wir jetzt WIRKLICH SEHR ZÜGIG UND KONKRET etwas gegen den anthropogenen Klimawandel unternehmen müssen.
  • B.) Wir haben ein weiteres Individuum, das zwar strunzendumm ist, dafür aber körperlich stark und wohlgestaltet und charakterlich so grenzenlos verdorben und egomanisch, durchtrieben und verlogen, dass es mächtige materielle Ressourcen anhäufen und eine Schar serviler Speichellecker um sich scharen kann. 

Frage:

Welches dieser hypothetischen Individuen hat die besseren Chancen, begattungsbereite Partner*innen zu finden?

Antwort: 

Die Frage ist hypothetisch, also muss der*die*das geneigte Leser*in die plausibelste Antwort selbst finden. Lebenserfahrung hilft.

Schlussfolgerung:

Wieder mal: Unser Gehirn ist kein Erkenntnisapparat, sondern ein Überlebensapparat. Um als Mitglied der Specie Homo sapiens möglichst viel Fressen und Ficken zu können, musst Du Dich exakt so verhalten, wie Individuum B.), also wie die Klimaleugner*innen, SUV-Fahrer*innen, Machos und Machismas, Turbo-Kapitalist*innen und sonstige Fundamentalist*innen es vormachen. Dann bekommst Du Zugriff auf die meisten Sexualpartner*innen. Dümmliches Imponiergehabe ist - so dürfen wir schlussfolgern - ein evolutionär stabilisiertes Verhaltensmuster.

Kluge Vernunft ist es nicht.

Wir werden es nicht schaffen.

Frohes Neues Jahr 2024!



(verändert via wiki commons)
Erst als es viel zu spät war, merkte der Riesenhirsch,
dass zwar nur die Länge zählte, aber ebendies die Art killen würde.
Er sah aber weiterhin keinen hinreichenden Anlass, die Strategie zu ändern. 







Dienstag, 19. Dezember 2023

Der Reichsnährstand hat gesprochen!

 

Unbestritten, dass die Bauernlobby in Doitschland sogar noch mächtiger ist als die Autolobby, vor der ja bislang auch jede Regierung jederzeit devot einknickt. Als Bauer wäre ich aber trotzdem schwer beleidigt, wenn mein Verbandspräsident und der zuständige Bundesminister ganz öffentlich damit argumentieren, wenn ich meinen Willen nicht bekäme, liefe ich wieder zu den Nazis über

Gut, eine gewisse Affinität zu der Blut-und-Boden-Propaganda habe ich nie abgelegt, nachdem die Nazis uns damit '33-'45 so überaus erfolgreich gebauchpinselt haben, und entnazifizieren konnte man mich anschließend auch nicht, da ich seinerzeit ernährungswirtschaftlich viel zu wichtig war ...

Aber das so offen rauszuhauen und mit meiner latenten geistigen Nähe zu den heutigen Faschisten  so offen zu drohen, das ist schon ... mutig. Und dass Özdemir ganz öffentlich vor dieser Drohung einknickt, statt empört dagegen Sturm zu laufen, wie aufrechte Demokrat*innen es hätten tun sollen, zeigt, wie goldrichtig der Bauernverband mit dieser Dreistigkeit taktiert. 

Und, abgesehen von dem verschwindend geringen Bruchteil progressiver, d.h. gemeinwohlorientierter, ökologisch arbeitender (Solawi-)Betriebe sind wir Bauern nun mal ausschließlich darauf bedacht, unsere Profite weiterhin zu privatisieren und unsere Verluste und die von uns verursachten Umwelt-Katastrophen weiterhin zu vergesellschaften. Da sind wir konservativ, national - und wenn es um Subventionen geht - auch sozialistisch. 

Und die öffentliche Reaktion gibt uns doch recht: Blockaden durch "Last generation" werden kriminalisiert, Treckerblockaden werden gefeiert. Scholz nennt die Klimakleber "bekloppt", aber die Ampel nimmt die Kürzungen der Agrar-Subentionen sofort zurück. Wir sind durch und durch erfolgreich.

Warum sollten wir Bauern unsere Nähe zu den Nazis also leugnen? Wo uns das so in die Karten spielt?


(verändert via wiki commons)
Das ist die Zukunft, wenn man uns die Subventionen für Agrar-Diesel kürzt!










Samstag, 16. Dezember 2023

Wer entscheidet über Gendersprache?

 

Mich interessiert mittlerweile nicht mehr, aus welchen ausschließlich macht-taktischen Gründen gerade mal wieder die Gendersprache als Sau durch's Dorf getrieben wird. 

Halten wir aber bitte nochmals fest:

  1. Für Schulen und Behörden gilt bei uns, dass die jeweils obersten Dienstherr*innen Verwaltungs- Regelungen erlassen dürfen, z.B. für die Arbeits- und Ablauforganisation, Uniformen, Behördenlogos, Hierarchien, Dienstzeiten - und eben auch für den Schriftverkehr.
  2. Die deutschsprachigen Länder Österreich, Schweiz und Deutschland haben den gemeinsamen "Rat  für Rechtschreibung" gegründet, der Sprachregeln der drei Länder vereinheitlichen soll. Die von diesem Rat beschlossenen Regeln findet man in zwei kostenlosen *.pdf-Dateien auf der Website.
  3. In Deutschland sind diese Regeln für Behörden und Schulen von den weisungsbefugten Dienststellen verbindlich gemacht worden. 

So einfach kann das Leben sein!

Aus irgendwelchen Gründen, geilen sich einige alte weiße Männer¹ aber immer wieder daran auf, unser Leben kompliziert zu machen.

Und deshalb müssen wir immer wieder richtig stellen:

  • Als bayrischer MP darf Söder bayrischen Behörden und Schulen Sprachregeln diktieren. Bevor er sich mit Feinheiten wie dem Gendern beschäftigt, sollte er aber zunächst Sorge tragen, dass in bayrischen Behörden und Schulen richtiges Deutsch, also Hochdeutsch, also Preußisch bzw. Obersächsisch gesprochen wird. Nur zur Information: Der Satz "I hob di des g'sagt g'hobt!" kommt in keiner normalen und richtigen Sprache vor. Was für eine Zeitform soll das sein? Ultra-Perfekt? Deppen-Perfekt? 
  • Der Genderstern kommt in den Regeln des Rechtschreibrates nicht vor. Dass Söder nun öffentlich beteuert, das Gendern verbieten zu wollen, ist also völlig überflüssig, denn in dem Bereich, in dem Söder Regelungsmacht hat, ist das längst geklärt. Was für einen kleinen Pimmel muss man haben, um so auf dicke Hose machen zu müssen?
  • Solange wir nicht im Öffentlichen Dienst tätig sind, also in Behörden und Schulen arbeiten, betreffen uns die Schreibregeln überhaupt nicht. Wir können machen, was wir wollen, und das sollten wir auch ausnutzen!
  • Der Rechtschreibrat ist kein irgendwie demokratisch legitimiertes Gremium, sondern vornehmlich ein Ort, an dem linguistische und politische Personal-Altlasten entsorgt werden. Dementsprechend schwiemelig und intransparent sind seine Arbeit und Ergebnisse. Allerdings hat der privatwirtschaftliche Duden-Verlag dort eine irrsinnige Lobby-Macht und nutzt diese für seine kleinen, dreckigen Spielchen. ³
  • Ich habe NULL Verständnis für pseudoanarchistische Verschwörungs-Trottel*innen, die von Politiker*innen die Einführung gendergerechter Sprache einfordern. Was für ein Schwachsinn! Politiker*innen haben in dieser Hinsicht weder die Macht etwas zu verbieten, noch etwas zu erlauben. Und wer da nach staatlicher Regelung schreit, schafft überhaupt erst das Problem, das sie*er bekämpfen zu wollen behauptet.


(A. Vogel als Beckmesser in Wagners Meistersinger, 1935, verändert via wiki commons)






¹ Ich wiederhole: Dabei kann es sich auch um junge, dunkelhäutige Doppel-X-Chromosomen-Träger*innen handeln. Das Prädikat "alte weiße Männer" bezieht sich auf das Mindset "unbelehrbar, dogmatisch verkrustet, rückwärtsgewandt, rücksichtslos, menschenverachtend, egomanisch und grenzenlos machtgeil". Biologische Details spielen dabei überhaupt keine Rolle. Ich kenne sogar einen Gorilla, der als "alter weißer Mann" durchgehen könnte und vice versa².

² (Aussprache:  [ˈviːt͡sə vɛʁza]; und NICHT, wie die blöden Amis: "vaiss vörsö")

³ Um auch das nochmal ganz klar zu machen: Der Duden-Verlag ist eine ausschließlich profitorientierte Firma und hat NULL Regelungsgewalt. Allerdings arbeiten die Leute seit jeher daran, einen anderen Eindruck zu erwecken. 








Freitag, 15. Dezember 2023

Auf die Art des Donald T. aus W.

 

Höhöhö - joviales Altherren-Lächeln in die Kameras der Welt und kollektives Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-Klopfen: Die Silverbacks der Europäischen Union können sich gar nicht genug beömmeln über den "kreativen Verfahrens-Trick", mit dem sie ein Veto des ungarischen Alleinherrschers mit dessen Einverständnis und aktiver Mithilfe umgangen haben. ¹

Und nur ganz hauchdünn und lieblos wird der andere Trick camoufliert, der Ukraine ein rein symbolisches Signal der Hoffnung auf einen EU-Beitritt zu senden, obwohl ausnahmslos alle Beteiligten wissen, dass dieser Beitritt bestenfalls (!) in sehr, sehr weiter Ferne liegt. Man kann ja erstmal Gespräche versprechen, und mehr, beeilen sich alle zu versichern, ist ja nicht gesagt worden. Der Geruch zukünftiger Enttäuschungen und Frustrationen der naiv-wohlmeinenden Ukrainer*innen weht uns jetzt schon an.

Ich fühle mich herzlich unwohl mit dieser offen vorgetragenen und vorgelebten Verlogenheit unserer allerhöchsten Gremien.

Wenn "kreative Verfahrens-Tricks" angewendet werden müssen, um bestehende Regeln zu umgehen, dann bedeutet das zweierlei:

  1. Die Regeln sind inhaltlich schwachsinnig und müssten dringend verbessert werden. Wenn man aber nicht im Stande und/oder nicht Willens ist, die Regeln, die man immerhin selbst verfasst hat,  einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle zu unterziehen, sondern die Fehlerhaftigkeit fortschreibt und sich ständig mit Tricksereien durchschummelt, dann findet kein Verbesserungsprozess statt. Folge: Stagnation, Verkrustung, Ende, aus.

  2. Wenn man auf allerhöchster Ebene vorlebt, dass man Regeln kreativ auslegen kann, dass man jedes Schlupfloch nutzen darf, dass nicht der Geist, die Ethik, sondern nur die kalten, toten Buchstaben des Gesetzes zählen, dann darf man sich nicht wundern, wenn die größten anzunehmenden Arschlöcher dieses Planeten sich diese Lehre zu eigen machen und entsprechend agieren. Und die Ehrlichen stellen mal wieder fest, dass sie mal wieder die Dummen sind. Es kostet Überwindung, in so einer Welt ehrlich zu bleiben.

Kurz: Es ist, was gestern in Brüssel geschah, kein großartiger Sieg, sondern, im Gegenteil, eine grauenhafte und erbärmlich klare ethische und politische Niederlage.


(stark verändert via wiki commons)

Was für einen mörderisch schlechten Einfluss
die Arschlöcher der Welt auf unser Denken haben ...
Warum lassen wir das zu?



¹ Natürlich muss man an dieser Stelle ergänzen, dass Orban zuvor die EU erfolgreich erpresst hat und erst nach einer Zahlung von 10 Milliarden Euro bereit war, seine dreckige Rolle in diesem dreckigen Spiel zu spielen.