Dienstag, 6. Februar 2024

Plädoyer für verbindlichen "Plan B"

 

Habe auf Mastodon vorhin beiläufig meiner Verbitterung Ausdruck verliehen über den Grad, in dem die Grüne Spitze sich zwecks Erhalt der Ampel gerade inhaltlich bis zur Unkenntlichkeit verbiegt. Ein Mit-Forist antwortete nicht unintelligent, dass Kompromisse, auch schmerzhafte, nun mal zum Wesen der Demokratie gehörten, da Demokratie nun mal von Mehrheiten lebe. Die von ihm angegebene Quelle muss ich erst noch lesen, aber ich stimme dem Gedanken natürlich prinzipiell zu. 

Wie so oft bei klugen Gedanken, fällt es aber leicht, sie durch Übertreibung ad absurdum zu führen. In diesem Fall durch die Frage, ob die Grünen auch mit der (derzeit noch fiktiven!) "Satanistisch-faschistischen-Massenmörder-Partei" Kompromisse finden sollen, um deren eventueller Herrschaft wenigstens einen Hauch Grüner Politik aufzudrücken. 

Die Antwort ist banal, aber die Frage ist es nicht, denn sie führt uns zur Notwendigkeit, Grenzbedingungen zu definieren. 

Andersrum: Ich habe den Grünen meine Stimme gegeben, weil ich sie aufgrund öffentlicher Statements ihrer Führer*innen und aufgrund ihres Wahlprogrammes für die am wenigsten ungeeignete Partei gehalten habe. Wenn ich das aktuelle Regierungshandeln der Partei inclusive der Summe der inzwischen geschluckten Kröten und geschlossenen Kompromisse (Ist-Wert) mit den Aussagen, die mich zur Wahl derselben verleitet haben (Soll-Wert), vergleiche, dann fühle ich mich auf's schändlichste betrogen. 

Und da fällt mir sinngemäß die alte irische Volksweisheit ein: "Wenn sie mich EIN Mal betrügen, sind sie böse. Wenn ich mich ZWEI Mal betrügen lasse, bin ich ein Idiot!"

Ja, ja, ja, ich verstehe das Dilemma von Baerbock, Habeck, Lang und Konsorten: Man kommt nicht da hin, wo sie sind, wenn man nicht hemmungslos machtgeil ist. Wenn Dir Prinzipien wichtiger sind als persönliche Macht, dann werd' Einsiedler*in, dann hast Du in der Politik nix verloren. 

Diesen Gedanken dürfen wir aber nicht akzeptieren, denn er stellt den Fortbestand der FDGO in Frage, und der fühle ich mich durch Vernunft und dreifachen Eid verpflichtet.¹ 

Daher mein dringender Vorschlag:

Jede politische Partei, die sich einer Wahl stellt, hat ZWEI Wahlprogramme öffentlich zu machen. Das erste Wahlprogramm, wir wollen es künftig "Plan A" nennen, ist das gewohnte Wahlprogramm, voller blumiger Versprechungen, als gäb's kein Morgen.

Das zweite Wahlprogramm, "Plan B", ist das realistische Wahlprogramm, an dessen Erfüllung sich eine Partei in jedem Fall messen lassen muss. Das bedeutet, die hier aufgeführten Ziele

  • müssen nachprüfbar sein, operationalisierbar und mathematisierbar.
    "Wir wollen Frieden in Nahost." ist kein mathematisierbares Ziel. "Wir brechen alle politischen und wirtschaftlichen  Kontakte zu jenen ab, die den Krieg in Nahost auf der einen oder anderen Seite unterstützen und wir koalieren mit keiner Partei, die das nicht mitgeht." ist mathematisierbar. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn die Agrar-, Auto-, Energie- und Waffenlobby dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass die Konzerne Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn der Hegemon, der POTUS, der Imperator der westlichen Welt dagegen ballert.
    Wenn Ihr wisst, dass wer-auch-immer-in-Washington Eure Ziele sabotieren wird, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn die Reichen dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass die Reichen Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
  • müssen auch umsetzbar sein, wenn russische, chinesische, europäische und amerikanische Geheimdienste in den asozialen Netzen dagegen ballern.
    Wenn Ihr wisst, dass Geheimdienste of any color and any kind Eure Ziele sabotieren werden, warum wollt Ihr sie dann ins Wahlprogramm schreiben? Mutig wäre Euer Programm, wenn Ihr Wege aufzeigtet, dagegen zu halten. Und Ihr koaliert mit keiner Partei, die das nicht mitgeht. 
Zugegeben: "Plan B" wird ein dünner, leicht fasslicher Reader. Aber die Leute werden Euch lieben.

Und ich würde Euch wieder wählen.



Wahlplakat der Grünen 1983. 
Habeck 2022: "Jetzt ist keine Zeit für Pazifismus."
Den Spruch verzeihe ich ihm NIE.







¹ Was für eine hammer-heroische, geradezu mythische Formulierung, oder!? Aber sie stimmt: Verglichen mit dem Doitschen Grundgesetz gibt es auf diesem Planeten nur noch schlechtere Staats-Verfassungen. Und ich habe im Laufe meines Lebens drei Mal geschworen, unsere Verfassung zu achten und zu schützen. Daran fühle ich mich nach wie vor gebunden, und das ist gut so.

 



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