Samstag, 11. Februar 2023

Spoiler zum Ukraine-Krieg

 

Demnäxx¹ jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine, und die Propagandist*innen auf beiden Seiten werden das für ihre jeweiligen schmutzigen Zwecke instrumentalisieren. Um da von vorneherein schon mal ein wenig die Luft rauszulassen, verrate ich jetzt schon mal, wie der Ukraine-Krieg ausgehen wird.

Als absolute und uneingeschränkte Gewinner stehen jetzt schon die U.S. of A. fest. Sie haben bereits sehr frühzeitig, am 25.04.2022, öffentlich kommuniziert, ihr strategisches Ziel sei, Russland maximal zu schwächen und zu demütigen. Und dass Russland auf die NATO-Osterweiterung zwangsläufig würde reagieren müssen, hat Biden bereits 1997 vorhergesagt. Da die Usa den Krieg als Stellvertreterkrieg im fernen Osteuropa führen, können sie völlig risikolos und schmerzfrei eskalieren. Wirtschaftliche Verluste entstehen keine, denn die Ukraine wird nach dem Krieg in völliger Abhängigkeit von den U.S. stecken. Und die Amis können sich äußerst bequem darauf zurückziehen, den näherliegenden Europäern die Irrsinnskosten für die Rüstungslieferungen und die Reparationen überzubügeln.

Neben ihrem eigentlichen Kriegsziel erreichen sie weitere sabbernde Bewunderung bei jenen, die ihnen sowieso begierig allertiefst in den Arsch kriechen, nämlich den Polen und den anderen gescheiterten EU-Demokratien um die Visegrad-Gang. Gerade in Ländern, die keine Erfahrungen mit Freiheit, Eigenverantwortung und Demokratie haben, wirkt das hegemoniale Macho-Verhalten immer beeindruckend, ist klar. 

Außerdem machen die Amis den Chinesen schon mal vor, wie demnächst ein Stellvertreterkrieg um Taiwan als Hebel benutzt werden könnte, China zu schwächen. "Monde diplomatique" hat bereits im Herbst 2022 berichtet, dass die chinesischen Militärs die Botschaft verstanden haben und wissen, dass sie, wenn es denn dazu käme, Taiwan in einem besonders brutalen Schlag besetzen müssten, falls sie eine Lage wie die Russlands vermeiden wollten. Die Botschaft wurde also bereits verstanden.

Wirtschaftlich kann es für die Amis auch nicht besser laufen, ihre Rüstungswirtschaft dreht frei, die Doitschen sind gezwungen, ihnen das teure, dreckige Fracking-Gas abzukaufen etc. etc. 

Mehr Win-win-win-win-Situation geht überhaupt nicht, und je länger dieser Krieg dauert, desto umfassender und glorreicher und profitabler wird der amerikanische Sieg sein, und dabei ist es völlig egal, wie der Krieg letztlich ausgeht.

Auch die global agierenden Konzerne, egal auf welcher Seite sie stehen, können weiterhin am Krieg nur gewinnen, egal, ob Rüstung, Energie, Rohstoffe, Dienstleistung. Man glaube bitte nicht, dass so ein Schnickschnack wie eine jährliche Geldentwertung von 9 - 10 %  in dieser Ebene ein Problem darstellt. Tut es nicht, denn man kann ja sogar auf die Inflation spekulieren und also Gewinne daraus schlagen, dass andere Geld verlieren.

Dasselbe gilt - unterhalb der Ebene der Global Players - eigentlich für alle Reichen. Lasst es Euch, liebe Leser*innen mal in Ruhe von Finanzer*innen erklären. Die Faustregel lautet auch und gerade im Krieg: Je reicher Du bist, desto höher ist Dein prozentualer Profit bei der Sache. Das gilt sowohl für doitsche Familienunternehmen als auch für russische als auch für ukrainische Oligarchen. Die haben nicht nur kein Problem durch den Krieg, sondern verdienen an jedem Tag, den er länger dauert. (Und darüber hinaus: Was für himmlische Zeiten werden das, wenn erst der staatlich und international subventionierte Wiederaufbau beginnt! Wie viele Aufträge! Wie viele Absprachen! Wie viele Schmiergelder!)

Und die Ukraine? Helden! Strahlende Helden! Natürlich werden die in die EU kommen, dafür werden die Amis schon sorgen, auch wenn sie de jure NULL mitzureden haben. Und noch in 50 und in 100 Jahren werden die Ukrainer auf uns Rest-Europäer, ich meine: West-Europäer, herabsehen und Forderungen stellen, die uns schwindelig machen, unterstützt von den anderen Ost-Autokratien. 

Bei so vielen strahlenden Gewinnern muss es natürlich auch Verlierer geben, denn Krieg ist ja weder dazu da, Leute glücklich zu machen noch ist es ein produktives, werteerschaffendes Tun. Wo finden also die Verluste statt, das Leid, die Zerstörung, kurz: der Ausgleich für die Mörder-Gewinne?

Natürlich: Die Toten und Verletzten des Krieges, auf beiden Seiten. Dann die Menschen, die Verwandte und / oder ihr Hab und Gut verloren. Dann die Menschen, die wegen der verknappten Nahrungsmittel Not leiden, dann die Menschen, denen Energie- und allgemeine die Verbraucherpreise um die Ohren fliegen, dann die Menschen, denen die kriegsbedingte Inflation die paar ersparten Kröten wegfrisst ... 

Die letzteren Punkte klingen so banal, aber man muss die summieren. Das sind alles Kriegskosten, die wir, die Massen von Normalos in Afrika, Nord-, Ost-, Süd- und West-Europa jetzt schon bezahlen und an denen die Reichen sich jetzt schon bereichern.

Diese ganze dümmliche Propaganda, am Hindukusch oder in der Ukraine werde unsere Heimat verteidigt, das ist alles hanebüchener Unsinn! 

Das ist der eigentliche Spoiler zum Ukraine-Krieg: Sieger und Verlierer stehen längst fest. Die Reichen werden durch den Krieg immer reicher, die Armen zahlen die Zeche und werden immer ärmer. 

Und solange unser Wirtschaftssystem auf psychopathischem Egoismus und auf dem absoluten Primat des Profits basiert, gibt es für die Macht-Habenden beider Seiten keinen logischen Grund, diesen Krieg zu beenden. Solange wird die idiotische Propaganda-Floskel "Frieden schaffen mit immer mehr Hass und Waffen!" als mediale Dauerberieselung fortgesetzt werden. 

Vielleicht ist die Ukraine oder vielleicht ist Russland irgendwann so ausgepowert, dass da wirtschaftlich nichts mehr zu holen ist. Vielleicht erlaubt man uns dann, das Schlachten zu beenden.



(verändert via wiki commons)
"Mal ehrlich: Irgendwann macht so'n Krieg auch einfach keinen Spaß mehr. Wenn eh schon alles kaputtgeballert ist, da fragste Dich dann schon manchmal 'Äh, was mache ich hier eigentlich?'".





¹ Ich gewöhne mir einige Schreib-Variationen an, die verdeutlichen, dass hier keine KI fabuliert, sondern ein denkendes, fühlendes Wesen. Da KIen derlei auch bald in ihre Datenbestände aufnehmen werden, müssen wir natürlich auch die Variationen immer weiter variieren. 





Mittwoch, 8. Februar 2023

Weitergedacht: Solidarität

Unterbewusst hat irgendwas in mir an Travens Kritik an der real nicht-existierenden Solidarität der Arbeiterklasse weitergedacht und mir heute Morgen ein Zwischenergebnis präsentiert. 

Definieren wir "Solidarität" orientiert an Wikipedia als Haltung der Verbundenheit, des Zusammenhaltes und der gegenseitigen Unterstützung. Der Gegenbegriff sei "Konkurrenz". Grenzen wir unsere Definition bitte messerscharf ab von der Solidarität, die als leicht-verderbliche Ware in politischen Sonntagsreden produziert wird und deren Halbwertszeit in Femtosekunden zu messen ist - wenn sie denn überhaupt nachweisbar ist.

Reden wir über echte Solidarität, indem wir konkrete Beispiele untersuchen. 

Seltsamerweise fällt mir da als erstes die Mafia ein. Das Geschäftsmodell soll hier nicht ethisch bewertet werden, und ich bin auch kein Insider, aber die Kriterien Zusammenhalt, Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung scheinen konstitutiv zu sein und werden von allen Gruppenmitglieder in doppeltem Wortsinn erwartet. 

Ähnliches gilt für die primitiven, das heißt: elementaren, dem Ursprung nahen, Stammesgesellschaften, die beispielsweise in Afrika und in Bayern eine größere Rolle spielen als moderne staatliche Formen, wie z.B. Demokratie, Nation, Föderalismus etc. Für die afrikanischen Staaten bedeutet dies eine Schwäche, da es den global players erlaubt, die einzelnen Stämme gegen die Interessen der Nation oder des Kontinents auszuspielen. Ich fürchte, Afrika wird wirtschaftlich und politisch nie mit dem Allerwertesten von der Wand kommen, solange diese Stammes-Solidarität alle anderen Solidaritäten erschlägt. Bei Bayern ist das etwas anderes: Hier haben wir einen Stamm subklinischer Psychopathen, die gleichermaßen Egomanie und Selbsthass pflegen und ein ansonsten einigermaßen normal tickendes föderales System, wie es die Burep. D. darstellt, hemmungslos und ethikfrei zu ihrem Vorteil ausnutzen. 

Mit gespannter Aufmerksamkeit, teilweise mit Misstrauen beobachtete ich über Jahre, wie sich die türkisch-stämmigen Kinder und Jugendlichen meiner Schule "zusammenrotteten"¹. Ja, da gab es natürlich Entwicklungen, die nicht positiv waren, Stichwort: Parallelgesellschaft, aber irgendwann musste ich eingestehen, dass der wesentliche Grund für meine negative Perspektive Neid war, der Neid nämlich, dass die türkischen Schüler*innen, dito Kurden und Kasachen, untereinander und schulzweig- und jahrgangsübergreifend eine Solidarität an den Tag legten, die ich bei den bio-doitschen Kiddos und übrigens auch bei Ukrainern und Russen deutlich vermisste. 

Um die Sache abzukürzen: Auf sozialer Meso-Ebene², sozusagen im Bereich und in den Grenzen überschaubarer Gruppen, finden wir reichlich Beispiele von Solidarität. 

Betrachten wir die Makro-Ebene, fallen mir seltsamerweise spontan die United SofA ein, wahrscheinlich, weil die sprichwörtlich allüberall ihre Flaggen plakatieren³. Sind die Amis untereinander solidarisch? Nun, ihre Geheimdienste sind beim Ausspionieren der eigenen Leute etwas behutsamer, als mit dem Rest der Welt. Aber sind US-Finanzinstitute zu den eigenen Leuten netter? Sehen die Amis sich nicht auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in jedem Bereich staatlichen Handelns im Wettbewerb, sprich: in Konkurrenz? Gibt es eine Partei, die Solidarität wichtig findet, oder wird dergleichen nicht sofort als kommunistische Attitüde verdammt?

Und wo wir über Kommunismus sprechen: Sind 1,4 Milliarden Chines*innen solidarisch, oder werden sie durch ein rigoros durchgesetztes Überwachungssystem zu Verhaltensmustern gezwungen, die man mit Solidarität verwechseln könnte? Sprung nach Nord-Korea, Frage: Ist Solidarität, die gewaltsam erzwungen ist, überhaupt Solidarität? 

Sprung nach Indien, Frage: Können 1,4 Milliarden Menschen überhaupt solidarisch sein? Die können sich doch unmöglich kennen!? Würden die Menschen dieses Vielvölkerstaates in Verbundenheit einander gegenseitig unterstützen? Ich meine, die haben ja noch nicht mal ihr Kasten-Unwesen richtig überwunden. Wo hört Solidarität auf und wo fängt staatliche Organisation an? 

Gibt es eine maximale Gruppengröße, jenseits derer Solidarität glaubhaft gar nicht mehr stattfinden kann? Hm, diese Überlegungen führen in luftleeren Raum. 

Zurück zum Ausgangspunkt: Bin ich solidarisch? Kann ich es sein? Wenn ja, mit wem? Beispiele, ich brauche Beispiele!

Ukraine-Krieg. Bin ich da irgendwie solidarisch? Fühle ich Zusammenhalt mit der einen oder anderen Seite, kann ich unterstützen? Nö. Ich bin der Auffassung, dass der Krieg unglaublich viel Leid verursacht und schnellstmöglich aufhören muss, aber ich bin nicht auf der einen oder anderen Seite, da mein Wissen über die Hintergründe das nicht zulässt. Verlangt von mir nicht, dass ich wie ein Fussballfan der mir geographisch nächstliegenden Partei die Daumen drücke. Kann ich die Menschen, egal, welcher Seite, unterstützen, ihr Leid mindern? Nö, keine Chance.

Erdbeben Syrien, Türkei, was man so liest: Die Alevitische Gemeinde Deutschland bittet um Spenden für Aleviten. Aha, sehr solidarisch, s. primitives Stammesdenken. Assad will westliche Hilfe für seine Leute monopolisieren, dito. Grenzübergänge Türkei - Syrien seitens Türkei nicht unproblematisch, dito. Seid Ihr bekloppt? Ich bin absolut einverstanden, das doitsche Hilfskräfte auf (meine) Steuerzahler-Kosten dahin fahren, und ich wünsche ihnen (sehr bewusst und unironisch) Glück und Erfolg. Aber: Ich? Da? Was? Tun? Pas d' Chance! Nein, ich bin da nicht solidarisch. 

Empathisch ja. Natürlich kann ich das Leid der Hinterbliebenen nachvollziehen, ihre Wut, ihre Trauer, ihre Hilflosigkeit. So sehr, dass ich heulen könnte. Aber das ist keine Solidarität im Sinne o.g. Definition. 

Seltsam: Mit den französischen Demonstrant*innen, die aktuell gegen die Heraufsetzung ihrer Renteneintrittsalter protestieren, da fühle ich mich verbunden, deren Kampf kann ich unterstützen ⁴. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass wir denselben Gegner haben: Die Konzerne, die Reichen, die immer reicher werden, und die es immer wieder schaffen, die deutschen und die französischen Arbeitenden gegeneinander auszuspielen, indem sie z.B. aktuell die französischen Menschen darauf hinweisen, dass "anderswo" ⁵ das Renteneintrittsalter sehr viel höher liegt. Umgekehrt werden die deutschen Arbeitenden damit geängstigt, "anderswo" ⁵ seien die Produktionskosten, sprich: die Löhne sehr viel niedriger ...

In derartigen Zusammenhängen könnt' ich mich solidarisch fühlen, genauer: Hier wünschte ich mir tausendmal mehr Solidarität, Proletarier, aller Länder ...!



  







¹ "zusammenrotten" - Was für eine demaskierende Metapher aus dem Tierreich, oder?  

² Den Begriff habe ich soeben erfunden. Meso steht zwischen Mikro und Makro. Die soziale Mikro-Ebene wäre etwa Partnerschaft und Familie. Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf dieser Ebene nach Solidarität forschen sollten. Ich liebe meine Kinder über alles und fühle mich ihnen maximal verbunden. Aber: Wenn ich meinen Nachwuchs aufpäppel, folge ich AUCH einem biologischen Programm, das mich zwingt, alles zu unternehmen, um meine -> "egoistischen Gene" weiterzugeben. Wenn das Solidarität ist, dann sind Zackenbarsche auch solidarisch. Und Steinpilze. Und ... so weiter.

³ Wir, die denkenden Doitschen, finden derlei National-Fetischismus angesichts unserer eigenen geschichtlichen Erfahrung sehr bedenklich und beängstigend. Wenn man ihnen die Flaggen wegnähme, würden die Amis dann spontan Russen oder Chinesen oder - Gottbewahre! - Mexikaner werden? Steht nicht geschrieben: "Wer überall Wegweiser aufstellen muss, kann sich nicht rühmen, den Weg zu kennen."

⁴ Zum Beispiel mit Kleinigkeiten, mit Texten wie diesen.

⁵ Gemeint ist natürlich Deutschland - und vice versa.

Dienstag, 7. Februar 2023

Ehre, wem Ehre gebührt.

 

Warum drumherumreden? Lest, sofern noch nicht geschehen, Travens "Totenschiff". 

Zwar wird der autobiographisch angehauchte Roman demnächst 100 Jahre alt, aber ich bekam ihn erst kürzlich in die Hand und habe nie eine klarere, feinfühligere und einleuchtendere Erklärung für das zwangsläufige Scheitern aller irgendwie linken und sonstigen Sozialutopien gelesen. 

Im 41. Kapitel lesen wir: "Niemand versteht es so gut, feine und allerfeinste Rangunterschiede zu machen, wie der Arbeiter." Es folgen konkrete Beispiele aus dem hierarchischen Mikrokosmos des abgehalfterten, maroden Schiffes, auf dem der Protagonist arbeiten muss, dann aus dem Vergleich mit den Matrosen anderer, properer Schiffe, und schließlich aus dem Alltag der Fabrikarbeiter. Traven nimmt damit viel von Bourdieus "feinen Unterschieden" (1979) vorweg, und zertrümmert frühzeitig (1926!) die Illusion, es gäbe so etwas wie ein proletarisches Klassenbewusstsein oder gar eine proletarische Klassensolidarität. 

Oder hier, im 34. Kapitel: "Moral wird einem ja nur darum gelehrt, damit die, die alles haben, alles behalten können und das übrige noch dazukriegen." Muss ich nicht kommentieren, wir alle kennen genug Beispiele. Peinlich für uns Heutige ist allerdings die Frage, wann wir denn endlich mal anfangen wollen, diese Erkenntnis umzusetzen. 

Noch mehr nachdenken muss man im 29. Kapitel, wo Traven gegen das Mitleid mit den Unterdrückten plädiert: "Mitleid mit Sklaven? Mitleid mit Soldaten und Soldatenkrüppeln? Haß gegen Tyrannen? Nein! Zuerst sind die Sklaven da, dann erscheint der Diktator auf der Bildfläche!" Großartig! So klar hat unsere Faschismus-Forschung das noch nicht auf den Punkt gebracht, wie B.T. fünf Jahre, bevor die Doitschen Hitler die Macht aufgedrängt haben  Man sollte das flächendeckend in jenen Ländern plakatieren, in denen die Menschen gerade mehrheitlich lustvoll daran arbeiten, ihre freiheitliche Demokratie wiederabzuschaffen.  

26. Kapitel: "Der Glaube versetzt Berge, aber der Unglaube zerbricht Sklavenketten." Gut, der ist nicht wirklich neu, aber ich bin ganz besoffen davon, was Traven bereits im Jahre 1926 gedacht hat. Der Mann war kein gelernter Philosoph, sondern Metallfacharbeiter aus Schwiebus in Westpreussen.

Am Anfang dieses Kapitels sind wir dann wieder sowas von 2023: "Da hängen sie in jedes Büro und in jeden Fabriksaal ein Plakat mit der Aufforderung: 'Do more!' oder 'Tu mehr!' Die Erklärung wird einem kostenfrei gegeben auf einem Handzettel, der einem auf den Arbeitsplatz gelegt wird: 'Tu mehr! Denn wenn du heute mehr tust, als man heute von dir fordert, wenn du heute mehr arbeitest, als wofür du bezahlt wirst, dann wird man dir auch eines Tages das bezahlen, was du mehr tust.'" Wie absolut treffend beschreibt der Verfasser hier unsere immer noch aktuelle Mentalität von Selbst-Optimierung und Selbstausbeutung! Wie sehr klingt mir das weinerliche Gegreine der Arbeitgeber aus dem Jahr 2022 in den Ohren, als sie die zunehmende "Silent-Quitter-Mentalität" vieler Mitarbeitender bejammerten und das "Do more" so medienwirksam einfordern.

Kapitel 16: "In Amerika werden die Ketzer nicht besser behandelt als in Spanien. Das Traurige, das Beklagenswerte, aber echt Menschliche ist, daß diejenigen, die gestern noch selber die Verfolgten waren, heute die bestialischsten Verfolger sind. Und unter den bestialischen Verfolgern heute auch schon die Kommunisten. Die Nachdränger, die Weiterdränger werden immer verfolgt. Der Mann, der vor fünf Jahren in Amerika einwanderte (...) ist heute der Mann, der am wildesten schreit: 'Macht die Grenzen fest zu, laßt niemanden mehr herein!'" Ist das cool!? Über die Richtigkeit und die Anwendbarkeit dieser Zeilen von 1926 muss ich hier kein Wort verlieren, ...

... aber mein Erstaunen über und meine Bewunderung für B. Traven aka Otto Feige aka Ret Marut aka v.a.m. musste ich einfach mal loswerden.

Warum ich der Textchronologie umgekehrt folge? Weil. Lest den Text, verflixt nochmal, da sind noch haufenweise ähnlich genialer Stellen drin.




(stark verändert via wiki commons)

Übrigens: Travens Biographie ist auch absolut lesenswert!







Sonntag, 5. Februar 2023

Tell me why ...

 

Ich bin offiziell seit einer Woche auf eigenen Wunsch frühpensioniert, und aus dem Vorher-Nachher-Vergleich lerne ich gerade eine Menge über mein vorangegangenes Leben.  

Nehmen wir die Montage. Oder, genauer, die Sonntagnachmittage. Solange ich im Job war, war die Aussicht auf den jeweils nächsten Montag eine Schreckensvorstellung. Mal mehr, mal weniger, aber niemals nie. Man gewöhnt sich an diesen Schrecken, solange man in der Mühle steckt. Bewusst wird er dann nur noch, wenn eine besonders grauenvolle Woche vor Dir liegt. Aber wie sehr dieses Wissen unterbewusst da ist und Dich beeinflusst, war mir nicht klar. 

Das muss nicht zwingend nur negativ sein, hilft es doch, die freie Zeit wertzuschätzen. ¹ Und es hilft, Wochen zu strukturieren. ²

Neuerdings sind Sonn- und Feiertage nicht mehr dadurch ausgezeichnet, dass ich da in Ruhe Unterricht vorbereiten, Arbeiten korrigieren und mich der Familie widmen konnte, sondern dadurch, dass das die Tage sind, an denen Behörden und vergleichbare Institutionen, aber auch Werkstätten und viele Einzelhandels-Läden dicht sind. Sonntage sind also eher doof, Montage künftig definiert als Tage, an denen ich Dinge erledigen kann.

Zurzeit erforsche ich nebenbei, wie ich die Freiheit des Pensionärs nutzen kann, um die für mich relevanten Örtlichkeiten zu Zeiten minimalen Publikumsverkehrs aufzusuchen. Ja, dahinter steckt auch eine starke misanthrope Attitüde, aber es ist doch auch allen gedient, wenn ich mich antizyklisch verhalte, oder?


(Frazetta: Death Dealer - stark verändert via wiki commons)

"The silicon chip inside her headGets switched to overloadAnd nobody's gonna go to school todayShe's gonna make them stay at homeAnd daddy doesn't understand itHe always said she was good as goldAnd he can see no reasons'Cause there are no reasonsWhat reason do you need to be shown?
I don't like Mondays(Tell me why)I don't like Mondays(Tell me why)I don't like MondaysI wanna shoot the whole day down."
Bob Geldof







¹Allerdings erinnert dieses Argument an das Motto: "Wie machst Du einen Hund glücklich? Verprügle ihn, und hör' auf. > Hund glücklich."

² Allerdings kann ich das auch selbst ganz gut. Vielleicht habe ich es ein wenig verlernt, weil mir die Strukturierung jahrzehntelang oktroyiert und die Selbst-Organisation abtrainiert wurde! 






Mittwoch, 1. Februar 2023

Spielerisch Lernen: Ukrainekrieg! 😍

 

Ich war in den letzten Monaten oft überrascht, wie viele Menschen sich öffentlich als durch & durch kriegs-geil geoutet haben und mit quasi-religiöser Hingabe für immer mehr und immer fettere Waffenlieferungen an die Ukraine getobt haben. Jetzt habe ich die Lösung des Rätsels gefunden! Das Motto dieser Menschen lautet:

"Alles, was ich in meinem Leben
über Kriegsführung wissen musste,
lernte ich bei War Thunder (TM)!"

  • Du kannst Deinen Gegner nur besiegen, wenn Du den teuersten, ausgeklügeltsten High-Tech-Panzer mit der dicksten Wumme hast. (Dto. Schiffe, Flugzeuge etc.) Dafür musst Du auch mal richtig Geld in die Hand nehmen, und zwar immer wieder neu, um up-to-date zu bleiben, sonst brauchste gar nicht anzufangen. Bei WT ist das Dein eigenes Geld, davon finanziert sich das russische Software-Unternehmen. Im richtigen Leben zahlen andere, weil sie großes Interesse haben, diesen Stellvertreterkrieg zeitlich auszudehnen. 
  • Es ist ein geiles Gefühl, wenn Du einen gegnerischen Panzer zerlegst. Die Szene wird dann auch jedesmal in Zeitlupe wiederholt, Du siehst, wie es die gegnerische Besatzung zerlegt, und Du denkst: "Haha, nimm' das, Du Looser-Wurm!" Bei WT ist das besser, weil Du das Replay gleich bekommst. Im richtigen Leben musst Du immer ein paar Stunden warten, bis die Gun-Footage online ist. 
  • Es ist echt scheiße, wenn Dein eigener Panzer abgeschossen wird, meistens von irgendeinem Arschloch, dass da die ganze Zeit hinterhältig auf der Lauer gelegen hat, und Du denkst: "Ey, was für ein dummes Arschloch!". Diese Scheiß-Camper, das ist bestimmt völkerrechtswidrig oder so. Alle Feinde sind Terroristen.
  • Die Bösen sind per definitionem böse, weil sie ja versuchen, Dich abzuschießen. Außerdem erkennt man sie daran, dass sie rote Tags tragen. Du selbst trägst blaue Tags und die Leute, die auf Deiner Seite spielen, auch. Daran erkennt man schon, dass Ihr die Guten seid.

    Ich weiß jetzt gar nicht, ob die Spieler im gegnerischen Team uns auch mit blauen Tags sehen und sich selbst mit roten. Aus deren Sicht sind wir ja die Bösen, also müssten unsere Tags bei denen rot sein und ihre blau ... Aber rot sind immer nur die Tags von Leuten, die mich abschießen wollen, und ich würde mich doch nicht selbst abschießen, also wäre das ja Quatsch. Dann käme ja alles durcheinander, und ich finde dieses ganze Gut-Böse-Ding jetzt schon ziemlich verwirrend und denke nicht so gerne drüber nach.. 

  • Du fragst auch nicht nach Gründen für den Krieg oder für die nächste Mission. Dein Auftrag ist, die Punkte A, B und C zu besetzen und den Gegner daran hindern, indem Du ihn fertig machst. Wenn Du es schaffst, gewinnst Du, wenn er Dich fertig macht, verlierst Du. 
  • Wem die Punkte A, B und C ursprünglich gehören und warum sie sonst noch wichtig sind, darf man nicht hinterfragen. Wenn die Spieler bei der Auftragsvergabe jedesmal nachfragten und diskutierten, ob das völkerrechtlich und ethisch eigentlich korrekt sei und ob es diese Punkte es wirklich wert seien, dafür das eigene Leben zu riskieren, würde das Spiel nicht funktionieren. 
  • Deshalb peitscht Dich auch eine KI im virtuellen Funksprechverkehr auf, jetzt Alles zu geben, um den Auftrag zu erfüllen. Diese KI argumentiert nicht. Sie brüllt Dich nur an.
  • Naja, und dann gibst Du Alles, und dann gewinnst Du vielleicht und bekommst dann virtuelle Orden und Forschungspunkte und Punkte für Upgrades usw. und dann kannst Du beim nächsten Mal noch geiler ballern, hast dann allerdings auch Gegner mit höheren Upgrades, besseren Fahrzeugen usw. ...  

Ich fasse das Erlernte zusammen und wende es an:

  1. Die Ukraine, das sind die Guten.
  2. Die Russen, das sind die Bösen. 
  3. DENK' NICHT WEITER NACH!
  4. STELL' KEINE FRAGEN!



Combat - Von Atari - Atari Greatest Hits, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45310036
Alles, was ein Ballerspiel braucht: "Combat" von Atari.
Es ging wirklich nur um Geschicklichkeit und rattenschnelle Reaktion.
Kein Kontext, keine Fragen, keine Upgrades, keine Kompromisse.
Wir haben es geliebt!







Montag, 30. Januar 2023

Krieg ist furchtbar - HAHAHAA!

 

Die Kriegshetze auf beiden Seiten des Ukraine-Konfiktes ist inzwischen so idiotisch und dumm geworden, dass nur noch distanzierte Perspektive hilft.

Der ukrainische Präsidentenberater Podoljak twittert zu den Angriffen auf iranische Industrieanlagen: "War logic is inexorable & murderous. It bills the authors & accomplices strictly ... Explosive night in Iran - drone & missile production, oil refineries. [UA] did warn you" (29.01.2023 11:44)  Übersetzt: "Kriegslogik ist unerbittlich und mörderisch. Sie bestraft streng [Verursacher?] und Komplizen ..."

Das kann ich nicht anders verstehen als ein uneingeschränktes Einverständnis, dass Kriege  unerbittlich und mörderisch zu sein haben.¹ Allerdings verstehe ich dann nicht, warum die ukrainische Führung die russischen Raketen- und Drohnenangriffe verurteilt. Die gehorchen doch exakt derselben Logik. Ich fänd's gut, wenn Podoljak allen zivilen Opfern aller Kriege seine Auffassung über Logik mal ganz persönlich, face-to-face, erläutern würde. 

Ob wir Doitschen so eine Logik mit weiteren Waffenlieferungen unterstützen sollten, halte ich allerdings für diskussionswürdig.

Der Iran wird sich angesichts seiner Wehrlosigkeit gegenüber den jüngsten israelischen Angriffen und angesichts der schäbigen ukrainischen Kommentare dazu maßlos ärgern, nicht schon viel früher ganz konsequent auf Atomwaffen gesetzt zu haben. Die Mullahs haben einst dem israelisch-amerikanischen Druck nachgegeben und ihr Atomwaffenprogramm gecancelt. Nach Podoljaks unerbittlicher und mörderischer Logik des Krieges bekommen sie jetzt die Rechnung dafür. Und sie werden NIE WIEDER so blöd sein, einer westlichen Friedensinitiative zu vertrauen. 


(sehr stark verändert via youtube)

"Jeder, der davonrennt, ist ein Vietcong. Jeder, der stehenbleibt, ist ein disziplinierter Vietcong!"




¹ Zu klären wäre vielleicht noch, wem wir jeweils die Rolle des Verursachers zuschreiben. Auch im Falle des Ukraine-Krieges ist der Diskurs dazu nach wie vor offen!






Samstag, 28. Januar 2023

Männer* mit zu kleinen Penissen

Prolog: Aus einer spontanen Laune heraus habe ich gerade das Thema dieses Textes bei ChatGPT mit der Befehlszeile "Essay über zu kleine Penisse 600 Wörter" eingegeben. Das Ergebnis der KI ist formal und inhaltlich korrekt, vielleicht ein bisschen fad, aber immerhin auch mit Ansätzen schlüssiger Strukturierung. Nur dass das Fazit eingeleitet wird mit "Es ist wichtig, sich auf das große Ganze zu konzentrieren...", hat mich stutzig gemacht, denn das wirkt angesichts des Themas etwas ... frag-Bindestrich-würdig.

Ich stelle fest: Die Fähigkeit zu Zweideutigem, insbesondere bei Themen, die in früheren Zeitaltern als Obszönitäten betrachtet wurden, ist ein Alleinstellungsmerkmal der menschlichen Intelligenz gegenüber der künstlichen. Wir sollten uns das merken für die Zeiten, da die Maschinen die Weltherrschaft übernehmen und die letzten menschlichen Widerstandszellen eine abhörsichere Kommunikationsform benötigen.

-------- Ende des Prologes --------


Es ist schon ein bisschen her, da habe ich in Artikeln und hitzigen Diskussionsbeiträgen in sozialen Medien immer mal wieder beiläufig angemerkt, es sei auffällig, wie unerwartet intensiv manche Menschen auf Gerätschaften mit großen, erigierten Kanonen abführen. Es ging dabei um die Panzer für die Ukraine, aber auch mal um Schlachtschiffe des Ersten Weltkriegs. Und ich habe den Verdacht nahegelegt, dass insbesondere Männer, die einen zu kleinen Penis zu haben glauben, hierin Über-Kompensation suchen und finden.  

Die Idee stammt ursprünglich natürlich nicht von mir. Dass Schwerter Phallussymbole seien, wird kaum noch bestritten, und dass SUVs und anders überschwere Pkw einen Minderwertigkeitskomplex ihrer Besitzer übertünchen sollen, ist ein uralter Gedanke, dem Greta T. aus S. gerade wieder fröhlich-intelligente Aktualität verpasst hat. 

Womit ich nicht gerechnet habe, war der Vorwurf, ich betriebe Body-Shaming, würde mich also abwertend über die körperlichen Merkmale anderer mokieren. 

Dazu erkläre ich:

Erstens: Für mich ist der Topos eine spielerische, provokante rhetorische Figur, dazu gedacht, bestimmte männliche Verhaltensmuster offensiv in Frage zu stellen, die etwa dem Konzept der "toxischen Männlichkeit" zuzuordnen sind. In unserer nicht-geographisch-westlichen Kultur, noch viel stärker in anderen Kulturen, gibt es einen Machismo, den ich als Mann unerträglich finde, peinlich finde und für den ich mich vielleicht um so mehr fremdschäme, da ich zweifellos in meiner Sozialisation selbst reichlich von diesem Mist internalisiert habe, wovon ich mich immer noch, wenngleich nur noch punktuell, sehr bewusst emanzipieren muss. 

Zweitens: Ein Aspekt dieses Machismo ist, körperliche und materielle Merkmale zur einzig gültigen Messlatte für die Bewertung eines Menschen zu erheben. Die dicksten Muskeln, die üppigste Goldkette, der PS-stärkste Bolide, der hirnlosest zur Schau getragene Reichtum und die verächtlichste Frauen- und LSBTQIA+-feindlichkeit. In so einem Ambiente mit dem Hinweis auf einen zu kleinen Penis zu provozieren, ist so wirksam, da es allem anderen die Grundlage entzieht.

Drittens: Die Penisse anderer Sapiens-Männchen interessieren mich in Wirklichkeit nicht, da ich annehmen muss, cis-hetero zu sein und da ich nicht das Gefühl habe oder hatte, unter dem Aspekt der Schwanzlänge mit anderen Männchen in Konkurrenz um paarungswillige Weibchen zu stehen. Die Paarungskämpfe, die ich verloren habe, waren Kopfsachen, nicht Schwanz-Sachen.¹

Wenn ich also ernsthaft beabsichtigte (Konjunktiv!), jemanden zu "shamen", also zu beleidigen, dann würde ich das niemals über den Body machen, sondern immer über den Intellekt. 


(Stark verändert via wiki commons)

Wie nennt man eigentlich Frauen, die
dummstmöglichen toxischen Machismo so richtig erregend finden?



¹ Ich überlege gerade, ob dieser Satz nicht total banal ist. Ist es männlichen Vertretern meiner Leserschaft schon mal passiert, dass als Trennungsgrund "Ich gehe zu Alex, der hat 'nen größeren Schwanz!" angegeben wurde? Oder dass mann zumindest berechtigten Anlass zu derartiger Vermutung hatte?








Mittwoch, 25. Januar 2023

Trübwetter-Sentimentalität

 

Liegt bestimmt am trüb-kalten Wetter, dass mir heute Morgen so nach Sentimental Journey war und ich spontan meine Alma Mater besuchte und mich durch die Trakte treiben ließ. 

Erster Eindruck: So richtig viel Grundlegendes hat sich eigentlich nicht verändert. Der Befund erstaunt mich, da wir immerhin von einer zeitlichen Distanz von knapp 35 Jahren sprechen. Klar, Digitalisierung hat Einzug gehalten, aber sonst?

Zweiter Eindruck: Wie die Studies über ihren Laptops hocken, mit welcher Konzentration und Ernsthaftigkeit - darf ich sagen: Beflissenheit? Waren wir damals weniger beflissen, vielleicht auch weniger naiv? Cooler? Kann ich nicht sagen. Vielleicht haben wir uns damals einfach mehr selbst betrogen in Blütenträumen von Autonomie.

Dritter Eindruck, oder, wie eine Kollegin es gerade formulierte: Die Uni ist kein politischer Ort mehr. Zu "meiner Zeit" (- was für eine blöde Formulierung!) waren Mensen und Caféten, Gänge und Treppenhäuser mit stramm linken Plakaten, Aufrufen zu Demos und Widerstand plakatiert. Davon ist nichts mehr übrig. Von ein paar Hinweisen zu Kulturveranstaltungen und Aushängen der Verwaltung abgesehen sind die Wände quasi steril. 

War mehr Politik besser oder schlechter? Betrachten wir den Output, den tatsächlichen Effekt unseres damaligen spät-spät-spät-68er  Links-Seins, so muss man zugeben, dass es nahezu NULL Wirkung hatte. Über 95 Prozent der Energien gingen in interne Grabenkämpfe. Schon damals war es einfacher, über andere linke Gruppen herzufallen, als sich mit dem wahren politischen Gegner auseinanderzusetzen. Bis heute hat sich daran nichts geändert.

Sind die Studies von heute in dieser Hinsicht schlauer geworden? Oder züchten wir gerade eine Horde hochangepasster, unkritischer (=unpolitischer) Geister heran? 

Ich mache mir da keine Sorgen. Die Studies von heute pumpen eine erfrischende Menge kritischen, progressiven Potentials in die Gesellschaft. Natürlich gehen viel zu viele hochangepasste Konformist*innen aus den Studiengängen hervor, aber das war früher auch schon so. 

Wenn ich mir anschaue, was aus den meisten meiner Kommiliton*innen geworden ist, bleibt nur die bittere Erkenntnis, dass deren, ach, so kritisches Bewusstsein auch nur ein Riesen-Beschiss gewesen ist. Einigen kann man wohl zugutehalten (naja!), dass sie das selbst gar nicht bemerkt haben.  



(verändert via wiki commons)



  





    

Freitag, 20. Januar 2023

Wenig ermutigend.

 

Habe die letzten Tage damit zugebracht, auf Mastodon jene Leute zu befragen, die sich für die Lieferung immer schwererer Waffen (hier: Leopard2) für die Ukraine einsetzen. Mastodon ist ja als Twitter-Alternative bekannt für Menschen, die sich selbst als friedensbewegt und links-grün und nahezu omni-tolerant verstehen. 

Der Diskurs folgte meistens folgendem Schema:

Behauptung: Wir müssen den armen Menschen in der Ukraine helfen! Schicken wir ihnen ganz viel ganz dolle Waffen.
Frage: Glaubt Ihr, dass ein frontaler, klassischer Krieg einen Endsieg der Ukraine gegen Russland bringen kann?
Antwort: [Ich verkürze auf Stichworte.] Putin-Versteher! Was denn sonst?! Keine Verhandlungen mit Invasoren! Du hast kein Recht der Ukraine, was vorzuschreiben! Die armen Kinder! Die bösen Russen! Etc. etc.

Was mich erstaunt: Diese ganzen Friedensbewegten haben ein unglaubliches Vertrauen in die Wirksamkeit militärischer Hardware. Und plötzlich haben sie auch ein unglaubliches Vertrauen in das, was die US-Imperialisten und die autokratische, anti-demokratische polnische, die doitschen C-Parteien und die AfD sagen. Am doitschen Panzerwesen wird die Welt genesen.

Und niemand von diesen, ach, so Friedensbewegten bringt auch nur einen Furz von Empathie auf, sich vorzustellen, was in der Psyche der Russen abläuft. Ja, die russische Regierung ist natürlich im Unrecht, darum geht es nicht. Es geht um die Frage, ob und zu welchem Preis man sie und die Menschen in Russland mit Waffengewalt von dieser Wahrheit überzeugen kann. Zumal das russische Narrativ über Ursachen und Ziele des Überfalls nie vernünftig de-konstruiert wurde, da ja praktisch von Anfang an ein rationaler Diskurs durch beiderseitige Propaganda verunmöglicht war.

Gestern kam dann übrigens noch der Vorwurf hinzu, meine Frage diene nur der Provokation und ich wolle mich in den Mittelpunkt der Diskussion stellen, das werde man aber nicht zulassen. 

Ich gebe zu: Ja, ich glaube an die Wirksamkeit von Provokation, denn "provocare" bedeutet einfach nur "hervorrufen". Gerne hätte ich Zweifel an der These eines gewinnbaren Ukraine-Krieges hervorgerufen. 

Viel schwerer fällt es mir, mit dem Vorwurf umzugehen, ich wolle mir mit der Frage ein Mittelpunktserlebnis verschaffen. Der Vorwurf ist perfide, weil er mir auferlegt, zu beweisen, dass ich etwas nicht bin bzw. nicht will. Nun gut, ich kapituliere vor den kleinen, dreckigen Tricks der menschlichen Psyche (Oder war das bewusst eingesetzt und also Rhetorik?) und ziehe mich aus der Diskussion zurück.

Was bleibt, ist das erneute Entsetzen darüber, wie hauchdünn die Tünche des Pazifismus ist und anscheinend immer schon war. Nicht nur die links-grünen Führer, auch die Masse der angeblich friedensbewegten Menschen vertrauen, wenn es denn zur Nagelprobe kommt, auf die gute, alte Wumme. Gewalt ist eine, nein: die Lösung. Je mehr Bumms, desto besser! 

Das ist an sich schon mal eine beängstigende und niederschmetternde Feststellung.

Mich schmerzt aber noch viel mehr das Gefühl, die letzten 40-50 Jahre betrogen worden zu sein. Das ganze Friedensgeschwafel, die Diskussion um Kriegsdienstverweigerung, für den gewaltfreien Widerstand, die Demos gegen Atomwaffen, gegen Nachrüstung, die Diskussion um "Besser rot als tot!" (oder umgekehrt), gegen Waffen-Lobbyismus, kurz, alles, was die Friedensbewegung gewollt und gefordert hat, ist plötzlich beim Teufel, ein für alle Mal entwertet. 

Was für ein Scheiß!




"Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen könnte!"

Max Liebermann








Donnerstag, 19. Januar 2023

Ein winziges Positivum und eine Riesen-Katastrophe

 

Es ist von existenzieller Bedeutung, das Handeln der Macht-Habenden kritisch zu begleiten. Dazu gehört aber auch, dass man Positives hervorhebt, wenn es denn einmal passiert. Dass Scholz nun festgelegt hat, doitsche Kampfpanzer würden nur dann an die Ukraine geliefert, wenn auch die Amis ihre Kampfpanzer lieferten, finde ich großartig!

Und schon jetzt, da die Meldung erst ein paar Stunden alt ist, kann ich mich köstlich darüber beömmeln, wie sehr die Amis ins Rudern kommen.

Dass Baerbock zwei Tage zuvor ein internationales Sondertribunal gegen Russland im Allgemeinen und Putin im Besonderen gefordert hat, ist hingegen ein politischer und diplomatischer Totalausfall. Wäre man im Ukraine-Konflikt ernsthaft um De-Eskalation bemüht, dann wüsste man, dass so eine Forderung das diametrale Gegenteil bewirkt. 

Es sind nur zwei Erklärungen für Baerbocks Verhalten möglich:
A.) Sie ist strunzendumm.
B.) Sie findet Krieg eigentlich irgendwie ziemlich geil, ist süchtig geworden und muss dringend die Dosis erhöhen.

Und wieder kein Aufschrei bei den Grünen. Ich bin so abgrundtief enttäuscht und erschüttert. Was für ein geistiger und ethischer Niedergang einer Partei, an der einst so viele Hoffnungen hingen. Unwiederbringlich.




(Verändert via wiki commons)
HA! Mit diesem Panzer wollten die kinderfressendenn russischen Terroristen-Imperialisten die durch und durch freie, friedliebende, fast-quasi-demokratische Ukraine ...

Ach nee. Mit diesem Panzer wollte die freie, friedliebende, heldenhafte, smarte, gutaussehende, großpimmelige Armee of God's own Country für die Beseitigung des kleinpimmeligen, kinderfressenden, kannibalistischen russischen irakischen Terroristen-Diktatoren-Giftgas-Regimes ...

Man kommt echt schnell durcheinander. Kann mir nochmal jemand erklären:
  • Wer sind die Guten und wer die Bösen? Und warum?
  • Haben nur die Amerikaner große Penisse oder auch die Ukrainer?
  • Stammt der Spruch "Right or wrong, my Country!" von den Amis oder von den doitschen Nazis oder von Kaiser Wilhelm II.?
  • Wer entsaftet denn nun die kleinen Kinder? Die Amis oder die Russen?