Samstag, 19. Januar 2019

Viel Feind.


Von Zeit zu Zeit les' ich ganz gern die für Deutschland bestimmte Ausgabe des Online-Portals von Russia Today. Es gibt dort kaum verbrämte Putin-Propaganda, die zwar wegen ihrer kleingeistigen und primitiven Machart ekelerregend ist, aber andererseits hübsch offen zeigt, welche mittelfristigen Ziele die Putin-Camarilla verfolgt und was sie uns gerne glauben machen möchte.

Möge sich die geneigte Leserin, der geneigte Leser selbst ein Bild machen, meinesteils beobachte ich  mit besonderem Interesse und besonderer Sorge "RT's" Bestreben, das vereinte Europa zu sabotieren. Warum unterstützt RT so überdeutlich die antieuropäischen und national-egoistischen Bestrebungen der Rechtsradikalen Europas, vor allem der ehemaligen Warschauer-Pakt-Genossen, warum die große, rassistische Aufmerksamkeit gegen Migration und Asylsuchende, warum das explizite Eintreten für den Brexit*?

Was lustig ist: Mit den andauernden Versuchen, das gemeinsame, einige Europa zu verhindern, steht Putin Seit' an Seit' mit den Amis und den Chinesen. Wäre es für uns nicht so absolut schädlich, könnten wir uns über das darin enthaltene Kompliment freuen.

Und natürlich müssen wir Europäer*Innen uns fragen, wie lange wir uns die Nummer noch widerstandslos gefallen lassen. Zeit für klare Bekenntnisse, oder? 





(verändert via wiki commons)
Zwölf Sterne, die EU-Flagge. Ja, wir hätten uns auf die zwölf wichtigsten, die solidarischsten, freiheitlichsten und demokratischsten Staaten beschränken sollen. 27 ist zu viel. Lassen wir jene, die sich mit der europäischen Kultur nicht mehr identifizieren wollen, mit freundlichen Grüßen gehen.






* Beim Brexit begehen Putins Lautsprecher allerdings aktuell einen strategischen Fehler: Sie unterstützen den "harten Brexit". Das ist falsch, ganz, ganz falsch! Wenn die Briten hart ausstiegen und die Folgen zu spüren bekämen, würde das den Zusammenhalt der Rest-EU stärken. Wenn man jetzt doch noch auf windelweiche Kompromisse hinarbeitete, wenn die Briten mit ihrem jahrzehntelang offen zur Schau getragenen Egoismus, ihrer ewigen Taktiererei und ihrer konsequent unsolidarischen Art wieder einmal durchkämen, dann, ja dann fände das selbstverständlich Nachahmer. Ein weiterer Sargnagel für die EU, ein großer.







Samstag, 12. Januar 2019

Glück hat seinen Preis. Gut so!


Ein ganz großartiges Buch, Trentmanns "Herrschaft der Dinge", über die Sozialgeschichte des Konsums.


Man wird nur regelrecht von interessanten und wissenswerten Fakten überrollt, es ist eines von den Büchern, die man zweimal lesen kann und muss.

Ich stecke in den letzten Zügen der Erstlektüre und scheitere daran, eine Textstelle wiederzufinden, die mir weniger beim Erstlesen, dafür um so mehr beim Nach-Denken auffiel. Da zitiert Trentmann  eine Quelle*, laut der ab einem jährlichen Einkommensüberschuss von 15.000 $ über Grundbedarf eine weitere Zunahme individuellen Glücksgefühls durch weitere Einkommenssteigerungen nicht signifikant nachweisbar sei.

Einfacher formuliert: Wenn ich meine Ausgaben für Wohnen, Essen und Kleidung, Kommunikation refinanzieren kann und dann etwa 13.100 Euro pro Jahr oder 1.092 Euro pro Monat übrig habe, bin ich materiell maximal glücklich, weitere Erhöhungen meines Salairs machen mich nicht glücklicher.

Mir ist absolut klar, dass diese Gedanken für arme Menschen wie blanker Zynismus wirken. Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die oberhalb dieser Grenze leben und trotzdem dauernd rumnöhlen und nach immer mehr lechzen.

Die Bedenken seien dahingestellt, meinetwegen auch die Zahlen und die Methoden der empirischen Sozialforschung, das muss natürlich alles hinterfragt werden. Aber das Prinzip finde ich außerordentlich bedenkenswert. Setzen wir doch einfach mal die 13.100 € p.a. als Platzhalter für einen Wert, mit dem ich materielles Glück mathematisierbar mache. Was folgt daraus?

Erstens: Ich kann über meine eigenen materiellen Ansprüche vergleichend nachdenken.
Zweitens: Ich kann über meine Definition von Grundbedürfnissen nachdenken. Erreiche ich vielleicht die 13.100 Euro Überschuss deshalb nicht, weil meine Ausgaben für Wohnen, Essen, Kleidung etc. zu hoch sind? Kann ich daran vielleicht was ändern?
Drittens: Um die Schallgrenze von 13.100 Euro zu erreichen, kann ich mich beruflich stärker engagieren, um mein Einkommen zu steigern. Ich kann aber - bei gleichbleibendem Einkommen - auch versuchen, die Kosten für meine Grundbedarfe zu senken, und ich kann mich im Extremfall sogar zu einem konsequent minimalistischen Lebensstil entschließen, der mich dann gleich aus mehreren Gründen glücklich macht.
Viertens: Ich kann also über die Sinnhaftigkeit erhöhten beruflichen Engagements nachdenken. Arbeite ich an dem, was mir Spaß macht? Oder gehöre ich zu der ganz überwiegenden Mehrheit, die in einem alltäglichen globalen Rattenrennen mitläuft, um Geld zu verdienen, um Sachen zu kaufen, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag? **
Fünftens: Trifft für mich vielleicht der Wert von 13.100 gar nicht zu? Habe ich, wenn meine Grundbedürfnisse sowieso befriedigt sind, vielleicht schon bei 10.000 Euro Überschuss das Gefühl, eigentlich genug zu haben? Oder bei 8.000?
Sechstens: ...

Da zeichnet sich ein Prinzip ab, oder? Wenn ich materielles Glück quantifiziere, wenn ich ihm einen absolut Wert zuweise, beende ich damit die eklige, kommerzgetriebene, unethische, erniedrigende, instinktbasierte, hirntote, autokatalytische Jagd nach immer mehr. Es ist völlig schnuppe, wo dieser Wert ganz genau liegt, auf tausend oder zweitausend Euro kommt es da gar nicht an. Wenn aber jemand jährlich 100.000 Euro mehr erarbeitet, als er zum Leben braucht und wenn gleichzeitig allgemein bekannt ist, dass bei spätestens 13.000 oder 15.000 Euro die Sinnhaftigkeit aufhört, dann steht "Mister 100.000" plötzlich wie der totale Volltrottel da.

Was für ein ausgesprochen befriedigender Gedanke!

Was für ein herrlicher Start in eine intelligentere, vernünftigere, nachhaltigere, sozialere, kurz: bessere Zukunft!



(stark verändert via wiki commons)






* könnte auf einer Studie von Deaton basieren.

** angeblich nach Alexander von Humboldt







Donnerstag, 10. Januar 2019

Lustvoll Dummes tun


Eigentlich wollte ich heute nur nach zwei Monaten wetterbedingter Zwangspause den Motor meines Flugzeugs im Stand laufen lassen, damit die Batterie lädt und Kühlwasser und Öl mal wieder umgewälzt würden. Zum Fliegen war's viel zu kalt und die Schichtwolken hingen so niedrig, und für nachher war noch Regen- und Schneeniesel angesagt.

Und die Vernunft sagte: "Fliegen is' nicht, Du brauchst die Sachen gar nicht erst mitzunehmen!" Und die Unvernunft sagte: "Wer weiß!"

Und die Vernunft hatte recht und die Unvernunft hatte auch recht: Es war viel zu kalt, aber für drei sehr kurze, bibbernde aber herrliche Platzrunden ging's dann doch, und der Aufwand stand in überhaupt keinem sinnvollen Verhältnis zu gut 20 Minuten Airtime, aber das Herz jubilierte!

Und die Landungen waren derart präzise, elegant-locker-flockig-fluffig-flauschig, dass nur die Metaphorik kitschiger Soft-Pornos * oder früher Condom-Werbung ** sie angemessen beschreiben können.

Was lernen wir daraus? Gar nichts. Es bestätigt sich nur wieder der barocke Spruch (frei zitiert):

"Sex, Geld, Ehre, Fliegerei - je weniger man hat, desto mehr redet man drüber!"



Ja, ich weiß, die Fotos fangen an, sich zu ähneln. Aber dies ist von heute!










* "Sein laaanges, langsames Flaren steigerte ihre Lust ins Unendliche, und als die Räder schließlich die Grasnarbe berührten, stöhnte die Landebahn lustvoll auf ..."

** "gefühlsecht", "sensitiv gesteigert"


Montag, 7. Januar 2019

Nicht so schlecht!


Es wäre dümmlich-paradox, begänne ein Blog-Text mit den Worten "Ich bin sprachlos." Daher formuliere ich furztrocken: Dass und wie der Habeck seine Fehler im Umgang mit Facebook und Twitter offen eingesteht und dass er daraus richtige und angemessene persönliche Konsequenzen zieht, nämlich die accounts aufzulösen und dass er aus der ganzen Malaise allgemeingültige Lehren ableitet und die "Kurzatmigkeit", die Schnellschuss-Mentalität und mangelnde Sorgfalt bei der Texterstellung kritisiert - das rechne ich ihm ganz hoch an!

Bald kommt es noch so weit, dass ich meine prinzipielle Plittikörrverdrossenheit aufgeben muss! Womöglich muss ich dann, statt einfach nur "Plittikör" zu sagen und damit meine allumfassende Verachtung auszudrücken, wieder zu so laaangweiligen Differenzierungen kommen, wie "Natürlich sind alle Plittikör*Innen korrupte, inkompetente, egomanische, prinzipienlose, krankhaft machtgeile Arschlöcher, aber es gibt auch ein paar Politiker*Innen wie den Habeck ..."

Was für ein Schnarchnasen-Harmonie-Geschwurbel! Opa erzählt aus der kalten Häimat ... , sowas will doch kein Mensch hören! Mannmannmann noch drei, vier Leute dieser Art in die Führungsriege der Grünen, und die gehen richtig durch die Decke.

Chapeau, Habeck, Chapeau!



(stark verändert via wiki commons)










Sonntag, 6. Januar 2019

Voll in die Fresse!


Eine scheidende evangelische Bischöfin fordert presseöffentlich, man müsse "Ostdeutschen mehr Zeit für Einüben von Demokratie geben“ (sic) und erläutert, die Ossis würden nur deshalb tendenziell rechtsradikal sein, weil sie eben erst 30 Jahre Demokratierfahrung hätten. *

Diese Aussage ist wahrscheinlich irgendwie salbungsvoll gemeint, beträfe sie mich, wäre ich allerdings auf's Äußerste erzürnt.

  • Die Ossis sind demnach so doof, dass sie auch nach 30 Jahren immer noch nicht kapiert haben, worum es in der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung geht. Ich finde, nach 30 Jahren hätte man das Grundgesetz schon mal gelesen haben können, aber anscheinend sind die Ossis sehr, hm, sorgfältige Leser*Innen.
  • Die Ossis dürfen demnach bis auf Weiteres an keinen demokratischen Wahlen teilnehmen, außer in isolierten Sandkasten-Umgebungen. Sie müssen ja noch üben, und "Üben" ist per definitionem niemals der Ernstfall. Alle bisherigen Wahlergebnisse, an denen Ossis beteiligt waren, sind also zu annullieren, sofern der rechtslastige Ossi-Faktor nicht eindeutig rausgerechnet werden kann.
  • Auch die Wiedervereinigung Deutschlands ist demnach ungültig, denn die Ossis hatten ja damals gesagt, sie wollten endlich in einem toleranten, freien, demokratischen Land leben. Anscheinend waren es aber gar keine Demokratie-Freunde, sondern 17 Millionen braune Spießerbratzen, die 1989 "unter Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt" (§263 StGB, vulgo "Betrug") und sich qua Wiedervereinigungs-Vertrag zu Wessis Schaden maßgeblich bereichert haben.


Dumm, unfähig, kriminell, das sind heftige Vorwürfe. Dabei haben Frau Bischöfin es doch bestimmt nur gut gemeint, oder?

Nicht zwingend. Erdogan und Putin schöpfen viel ihrer diktatorischen Macht aus dem oft und gern wiederholten Hinweis, ihre Völker seien einfach nicht reif für die Demokratie. Das italienische Volk, so erläuterte mir mal jemand, neige deshalb hemmungslos zum Faschismus, weil es seiner Selbstwahrnehmung nach viel zu verspielt und zu albern sei, sich eigenverantwortlich selbst zu regieren. Erhellend in dem Zusammenhang auch Trumps (wahrscheinlich zutreffende) Aussage, er könne öffentlich jemanden niederschießen und würde trotzdem gewählt werden.

In der Sache bleiben drei Hypothesen:

  1. Die Bischöfin hat Recht, die Ossis sind tatsächlich dumm, unfähig und kriminell.
  2. Die Bischöfin ist ein bisschen dumm und sehr arrogant und hat, ohne es selbst zu merken, alle Ossis ganz fies beleidigt und öffentlich diskreditiert.
  3. Die Bischöfin betreibt altbekannte, perfide Machtpolitik, indem sie als "Oberhirtin" den "dummen Schäfchen" durch eine seit der Bronzezeit von allen abrahamitischen Religionen tradierte Rollenzuweisung jeden Funken Selbstachtung nimmt, um sie dadurch gefügiger zu machen. Letzteres auch noch besonders hinterhältig unter dem Mäntelchen verständnisvoller christlicher Nächstenliebe.


Finde ich eine der drei Hypothesen NICHT zum Kotzen?

Ähm ... nein.


Wäre es nicht viel schöner, wenn wir allen Menschen zugestehen würden, dass sie eigenverantwortliche Entscheidungen fällen. Und wenn wir jene, die kluge, mitfühlende Entscheidungen treffen, offen und ehrlich bewundern und jene, die die AfD wählen, offen und ehrlich verachten und scheiße finden dürfen?

Das ganz Geschwurbel drumherum macht's nur noch unerträglicher.







(stark verändert via wiki commons)


Refugees welcome, aber Abraham und sein Familiennachzug haben tatsächlich mittelfristig die damalige europäische Kultur plattgemacht. Ok, das war vermutlich kein großer Verlust, aber nach dreieinhalbtausend Jahren bedarf die Ethik bronzezeitlicher Wüstennomaden dringend eines Updates.




*
Übrigens habe ich im Rahmen meiner Recherche erstaunt zur Kenntnis genommen, dass Frau Bischofs Kirchengau, oder wie immer das heißt "Evangelische Kirche in Mitteldeutschland" heißt, obwohl das Bundesland Sachsen, das östlichste unserer Beitrittsgebiete, dazugehört. Wie süß, da laufen ja immer noch die kleinen, dreckigen revanchistischen Wortspiele aus der Nachkriegs- und Kaltkriegs-Zeit. Wenn Sachsen Mitteldeutschland ist, wo ist dann Ostdeutschland? Genau! In Polen! Also, da wo jetzt Polen ist, ... angeblich ... aber eigentlich ... nur eine Frage der Zeit ... Siegerwillkür ...

Kann mir mal jemand erklären, wie eine Kirche, die sich für so einen Dreck hergibt, glaubhaft gegen Faschismus auftreten kann? Die Evangelen in Thüringen und Sachsen waren auch seinerzeit schon stramme Nazis gewesen. Außer in der DDR, da waren sie stramme Sozialisten/Kommunisten. Also, wahrscheinlich hat Frau Bischöfin doch Recht: Eingesessene Demokrat*Innen sucht man in der Ecke vergebens!







Mittwoch, 2. Januar 2019

Rattenplage


Kein Lehrer-bashing kann dümmlich genug sein, damit der Doitschlandfunk sich nicht dranhinge. Warum das so ist, weiß ich nicht. Und insgesamt ist der DLF auch nicht relevant, aber er reproduziert immerhin punktgenau viele Vorurteile gegen unser Bildungssystem .

Nun wird's aber doppelt dümmlich: DLF berichtet, der Bildungs-Böberschte der OECD kritisiere mangelndes "Eigenengagement" (sic!) * doitscher Lehrer. Sie mögen sich bitte stärker über ministerielle Vorgaben hinwegsetzen und sich mehr für Reformen einsetzen.

Ok.

Dazu  muss man wissen, dass die OECD gegründet wurde, um in der Nachkriegszeit die Mittel des Marshall-Plans zwischen Deutschland und Frankreich (und ein paar anderen) fair zu verteilen. Das Thema war 1952 erledigt. Seitdem ist die OECD eine der ganz fetten und besonders dreisten "Ratten in der Bildsäule" ** der Europäischen Gemeinschaft: Getrieben von einer Lobby von Leuten, die sich immer wieder mit irgendwelchen kostenintensiven Pseudo-Projekten selbst beauftragen, unterstützt von großen politischen Interessengruppen, die dort ihre personellen Altlasten entsorgen und gegen üppige Tantieme pseudowissenschafliche Gefälligkeitsgutachten ordern können.

Mit Bildung hat die OECD überhaupt nichts zu tun, aber in relevanten Wirtschaftsthemen will man sie längst nicht mehr haben, weil die global agierenden Konzerne ihre Lobbyarbeit inklusive der Gefälligkeitsgutachten und gekaufter Parlamentarier lieber selbständig durchsetzen. Da ist Bildungspolitik als Ersatzbefriedigung immer gut, denn da braucht man keine Kenntnis, kann hochwichtig rumlabern und läuft nicht Gefahr, für irgendwas zur Verantwortung gezogen zu werden. Bildungspolitik ist immer schon der ideale Nährboden für Ratten gewesen.

Apropos "hochwichtig rumlabern", Teil 1: Die OECD hat den PISA-Test eingeführt. Was misst der PISA-Test? Schulqualität. Was ist Schulqualität? Das, was der PISA-Test misst. Wer hat am wenigsten Probleme mit PISA? Die Niederländer. Warum? Weil sie festgestellt haben, dass der Test keine objektiven Qualitätskriterien hat, keine signifikanten und falsifizierbaren Ergebnisse liefern kann und sie deshalb schlicht nie dran teilgenommen haben.

Apropos "hochwichtig rumlabern", Teil 2: Wie kann der OECD-Knallkopp kritiseren, wir Lehrer*Innen "seien zu stark auf Vorgaben aus dem Ministerium" fixiert und sollten lieber selbständig überlegen, wie wir die Kinder auf die Zukunft vorbereiten sollten. Schon mal was vom Zentral-Abitur gehört, Knallkopp? Schon mal was davon gehört, dass wir Lehrer*Innen uns zwar auch immer gerne als freischaffende Künstler*Innen betrachten, aber im tiefsten Innern wissen, dass wir es nicht sind, sondern dass wir, im Gegenteil einen demokratisch legitimierten Dienstherren haben, der zwar im Regelfall inkompetent und lobbyhörig ist und meistens genau die falschen Entscheidungen trifft, dass dieser Dienstherr aber trotzdem das Recht hat, zu erwarten, dass wir seinen Anweisungen folgen oder, wenn wir das nicht wollen, uns einen anderen Job suchen?

Und überhaupt: Warum fordert der OECD-Knallkopp, dass wir Lehrer*Innen angesichts des Schwachsinns, der von oben kommt, revoltieren? Warum fragt Knallkopp nicht, wie überhaupt so viel Schwachsinn aus einem Ministerium heraussickern kann und warum die dort ansässigen Inkompetenzlinge da weiterhin ungestraft Ausfluß produzieren dürfen? Ganz einfach: Weil diese Inkompetenzlinge Knallkopps wichtigste Auftraggeber sind! Als taktisch gewiefte Ratte beißt man doch nicht die Hand, die einen füttert!

Ein bisschen öffentlichkeitswirksames Lehrer-bashing, das läuft. Da widerspricht auch keiner. Auch nicht im Kultus-Ministerium. Würden unsere vorgesetzten Ministerialen nämlich eingestehen, dass wir Lehrer*Innen, die wir ganz unten in der Nahrungskette stehen, gar nicht Schuld am beschissenen Zustand unseres Schulsystems seien, dann könnten unangenehme Fragen folgen. Dann könnte - Gott bewahre! -   sich der satte, träge Blick des Volks-Souveräns, des mündigen Bürgers, die Hierachie hinaufarbeiten und mit laserartiger Schärfe die wahren Verantwortlichen ausmachen.

Deshalb sind die Dinge, wie sie sind: Da oben gibt es zwei kooperierende Ratten-Clans, einerseits die Bildungspolitiker und andererseits die OECD bzw. Bertelsmänner. Die tun sich nix, sondern gießen sich, im Gegenteil, gegenseitig das Blümchen. Und da unten sind die Lehrer*Innen, die den ganzen Scheiß ausbaden, indem sie schon vor Jahrzehnten zur Guerilla-Pädagogik übergegangen sind. Wir machen sehr guten Unterricht. Nicht wegen, sondern trotz der Bedingungen.

Warum weiß der Knallkopp das nicht? Sollte der denn wirklich ÜBERHAUPT KEINE Ahnung vom Thema haben?





(1937 - Die Ratten eines [!] Schiffes - stark verändert via wiki commons)




* Hat er wirklich "Eigenengagement" gesagt? Was für eine interessante Wortneuschöpfung! Leider völlig bescheuert. Man ist entweder aus sich selbst heraus engagiert bei der Sache oder man ist schlicht nicht engagiert. Analog erfinde ich hiermit den Neologismus "Selbst-Masturbation" zur Beschreibung der intellektuellen Verfasstheit der OECD/PISA-Leute.



** Hier nochmal zur Erinnerung:

Herder: Das größte Übel des Staats, die Ratte in der Bildsäule
Hoan-Kong frage einst seinen Minister, den Koang-Tschong, wofür man sich wohl in einem Staat am meisten fürchten müsse. Koang-Tschong antwortete: »Prinz, nach meiner Einsicht hat man nichts mehr zu fürchten, als was man nennet: die Ratte in der Bildsäule.«

Hoan-Kong verstand diese Vergleichung nicht; Koang-Tschong erklärte sie ihm also:

»Ihr wisset, Prinz, daß man an vielen Orten dem Geiste des Orts Bildsäulen aufzurichten pflegt; diese hölzernen Statuen sind inwendig hohl und von außen bemalet. Eine Ratte hatte sich in eine hineingearbeitet; und man wußte nicht, wie man sie verjagen sollte. Feuer dabei zu gebrauchen getraute man sich nicht, aus Furcht, daß solches das Holz der Statue angreife; die Bildsäule ins Wasser zu setzen, getraute man sich nicht, aus Furcht, man möchte die Farben an ihr auslöschen. Und so bedeckte und beschützte die Ehrerbietung, die man vor der Bildsäule hatte, die - Ratte.«

»Und wer sind diese Ratten im Staat?« fragte Hoan-Kong.

»Leute«, sprach der Minister, »die weder Verdienst noch Tugend haben und gleichwohl die Gunst des Fürsten genießen. Sie verderben alles; man siehet es und seufzet darüber; man weiß aber nicht, wie man sie angreifen, wie man ihnen beikommen soll. Sie sind die Ratten in der Bildsäule.«







Samstag, 29. Dezember 2018

Türme aus Elfenbein



Gerade im Radio Bericht zum neuerlichen Grubenunglück in Indien gehört, darin u.a. folgende Aussage, näherungsweise wörtlich zitiert: "Illegaler Bergbau ist seit 2014 in Indien verboten."

Ja, dem Satz gebricht es, scheint's, an inhaltlicher Logik. War der Bergbau, als er verboten wurde, denn auch schon gesetzeswidrig, also verboten? Oder wurde der Bergbau erst durch das Verbot von 2014 illegal, war es bis dato also nicht?

Das ist aber nur die arrogante Krittelei weltfremder Deutschlehrer. In der richtigen Welt gehört die Frage nach logischer Konsequenz nämlich längst in den Elfenbeinturm. Abgaswerte, Rüstungsexporte, Umweltverbrechen, Geschwindigkeitsüberschreitungen, Datenschutz, etc. etc. etc., wir haben uns doch längst daran gewöhnt, dass es Vorschriften gibt, die zwar Gesetzeskraft haben, aber einfach nicht durchgesetzt werden. Nur weil's illegal ist, muss es noch lange nicht verboten sein.

Das ist nicht unbedingt schlecht. Das vergessene Tempo-30-Schild auf einsamer, mitternächtlicher Landstraße, bis zum Horizont kein Mensch außer Dir, und nur der Mond schaut zu - wie blöd müsste man sein, hier keine eigenverantwortliche Entscheidung zur Geschwindigkeit über Grund zu treffen? Und kein verantwortungsbewusster Gesetzeshüter gäbe sich die Blöße, für den Verfolg derlei Fipsigkeiten seine steuerfinanzierte Dienstzeit zu verpulvern, und das ist gut so.

Wenn hingegen Autokonzerne den Tatbestand organisierter Betrugs-Kriminalität mehrfach übererfüllen und dadurch Millionen von Kunden und unsere Umwelt weltweit in erheblichem Maße schädigen, dann erwarten wir natürlich schon, dass bestehendes Recht angewendet wird. Doch die Zeiten sind nicht so.

Ich reime mir die Sache mit den indischen Bergwerken also so zurecht: Außerhalb staatlich zugelassener, quasi TÜV-zertifizierter Bergwerke war Bergbau in Indien schon länger verboten. Aber, sei es durch Korruption oder weil der indische Staat einfach die Kohle brauchte (Wortspiel!), man ließ die Sache laufen. Nach den ersten 15.000 Toten (ein Wert aus dem o.g. Bericht) sah man ein, dass das irgendwie doch nicht ging, und man beschloss 2014 ein Gesetz, das sinngemäß lautet: "Das, was wir sowieso schon längst verboten haben, ist ab jetzt aber ganz in echt richtig verboten, also so richtig richtig, das ziehen wir jetzt voll durch, passt bloß auf, ey!"

Die Tatsache, dass nun, Ende 2018, wieder 40 meist jugendliche Bergarbeiter in so einem illegalen Bergwerk "nur wenig Hoffnung auf Rettung" haben, beweist die Wirksamkeit derartiger Gesetze.

Ich bleibe ratlos zurück. Habe nur einen Wunsch: Lasst uns doch alle Gesetze, Vorschriften und Regeln, die wir sowieso nicht konsequent durchsetzen wollen oder können, rausschmeißen. Auf der mitternächtlichen Landstraße interessiert's keine Sau, wie schnell Du fährst. Wenn Du Dich wegen überhöhter Geschwindigkeit um einen Baum wickelst, bist Du dran (falls Du überlebst)! Wenn alles gut geht, ist doch alles gut, oder?

Oder: Konzernbosse und Bundesminister werden für ihr Tun niemals (!) zur Verantwortung gezogen. Wenn das die juristische Praxis ist, warum halten wir uns dann mit anderslautenden Gesetzen auf? Warum haben wir Gesetze zur Begrenzung von Rüstungsexporten? Sagen wir's doch ganz offen und ehrlich: "Rüstungsexporte in Krisengebiete sind verboten, außer die Leute zahlen RICHTIG gut und nehmen gleich größere Mengen ab." Das klingt jetzt ethisch nicht ganz astrein, aber immer wieder zu lügen und ständig dabei erwischt zu werden, ist auch nicht so pralle.

Lasst uns mit Lügen und Selbstbetrug aufhören und nur ein paar wenige, wahre, klare, durchsetzbare Gesetze machen, und nur da, wo wir auch wirklich zuschlagen wollen, wenn jemand dagegen verstößt. Das Leben wird dadurch für alle Beteiligten viel einfacher!




(Elfenbeinturm - verändert via wiki commons)

Obwohl ... so'n Elfenbeinturm sieht natürlich geiler aus, als die kalte, düstere Wahrheit.













Donnerstag, 27. Dezember 2018

Träume sind wichtig!

Gerade einen klugen Guardian-Kommentar zu Britanniens Zukunftsperspektiven nach dem Brexit gelesen. Ein plausibel pessimistisches Bild. Egal was kommt, die Briten werden schwer beschädigt aus der Sache hervorgehen.

Wie sind sie in diese blöde Situation gekommen? Träume!

Die Machthaber und Möchtegern-Machthaber dieses Planeten sind ganz großartig darin geworden, den tumben Massen Träume zu verkaufen, und die tumben Massen sind dafür umso empfänglicher geworden, je kaputter und gestörter ihre je individuellen Selbstbilder sind.

Ich weiß zwar nicht, wie die/der einzelne britannische Brexit-Befürworter tickt, aber die Brexit-Einpeitscher beschworen vor dem ersten Referendum immer wieder den Traum, das Empire könne wie in der schlechten alten Kolonialzeit wiedererstehen - und würde, wenn nicht die Brüsseler Blutsauger immer wieder ihre gierigen Krallen ins ehrliche Fleisch John Bulls schlagen würden.

(John Bull - verändert via wiki commons)

"Ämmäricka fööhst!" ist die Traum-Botschaft an den "White trash" (Selbstbezeichnung!) des Mittleren Westens, der zwar allzu realistisch einschätzt, was er ist, aber gerade deshalb heilfroh ist, wenn man ihm sagt, er könne qua Zufall des Geburtsortes Anspruch auf eine gewisse Besonderheit auf diesem Planeten erheben. Derlei Botschaft hört man gerne, selbst wenn sie von einem krankhaften Egomanen kommt.

Teil der Wiederauferstehung des osmanischen Reiches in altbyzantischer Pracht zu sein ist natürlich eine angenehmere Selbstsicht, als eingestehen zu müssen, dass man mit den Welterklärungsmodellen anatolischer Kleinagrarier nicht unbedingt im globalen Wettstreit reüssieren wird.

Weltmachtphantasien zwischen zaristischer Auctoritas und stalinistischer Potestas lassen sich besser verkaufen als das Eingeständnis, dass das Volk, das den größten Anteil am Sieg über den Faschismus hatte, aufgrund einer dauerhaft bösen, korrupten Führungs-Mafia der größte Netto-Verlierer dieses Krieges und Nachkrieges wurde.

Vom südlichsten Balkan bis zur polnischen Ostseeküste gibt es einen Streifen von Ländern, deren Geschichte eigentlich immer nur darin bestand, entweder vom eigenen Adel oder von den angrenzenden Großreichen verraten, verkauft und gegeneinander ausgespielt worden zu sein. Jede noch so löcherige, grottenpeinliche Geschichtsklitterung, jeder Traum, die bzw. der dazu angetan ist, hier einen Furz künstlich-bemühter nationaler Selbstachtung einzublasen, wird natürlich dankbar angenommen - zu jedem Preis an Rechtsstaatlichkeit und persönlicher Freiheit, wie's scheint.

Und bei uns? Welche Träume verkauft eigentlich die AfD? Welches "Früher" meinen die, wenn sie den Früher-war-alles-besser-Traum verkaufen wollen? Sie selbst sagen ja, dass sie die Nazi-Zeit damit nicht meinen, aber das glaubt ihnen kein Mensch. Wahrscheinlich wollen sie sowas wie die Nazi-Zeit, aber ohne die Juden wirklich umzubringen und ohne Bomben auf eigene Städte und ohne Krieg-Verlieren. * Und wenn die Nazi-Zeit als "Vogelschiss" abgetan wird, welchen Traum wollen die uns denn dann verkaufen? Bis 1871 gab's nur Territorialfürstentümer, kein Doitschland. ** Wovon sollen wir also träumen, AfD? Wo sind die "gold'nen Zeiten", zu denen Ihr zurückwollt?

Und schließlich: Welche Träume verkaufen wir, die links-grün-menschenrechts-mitgefühls-vernunft-versifften Aufrecht-Demokraten? Was setzen wir dem ganzen verlogenen Dicke-Hose-Scheiß entgegen?

Eiei, nun wird's bitter! Wir, die Guten, haben keinen schönen Traum anzubieten. Aktuell bieten wir nur strenge, karge Kost, fordern von uns und unseresgleichen energieaufwändige Vernunft, langfristige Selbstbeschränkung, kostspielige Solidarität, Umdenken (Aua!), Bescheidenheit, Demut ... Das ist in der Summe und im Vergleich mit den Volksverhetzern wie Trump, Erdogan, Orban, Söder und der AfD sowas von un-sexy, das müssen wir ganz dringend ändern!

Ich habe dazu keine Lösung auf der Pfanne, aber die Richtung müsste lauten: Es gibt weltweit eine gewaltige Mehrheit fröhlicher, friedlicher, freier, pfiffiger, solidarischer, offener Menschen. Entscheide Dich, dazuzugehören und Du bist willkommen.

Oder sei ein muffeliger, unselbständiger, unbelehrbarer Idiot, dann geh' stinken.

Oje, ich merke schon: Das muss noch viel besser ausgearbeitet werden ...!




 (1904 - verändert via wiki commons)







* Rassefremde Nicht-Bio-Doitsche entrechten und rausschmeißen ist für die AfD definitiv in Ordnung, aber sie zu vergasen hinterlässt, das haben wir gelernt, Flecken auf der weißen Weste. Krieg und Bombenschmeißen sind auch irgendwie geil, aber bitte nicht hier zu Hause, denn da hätten wir's gerne stets sauber und ochdentlich.

** Goethe war kein Doitscher, sondern Sachsen-Weimar-Eisenacher, und er war kein Staatsbürger, sondern Untertan.









Mittwoch, 26. Dezember 2018

Global Puberty-Challenge


Soso, Japan steigt aus der Internationalen Walfangkommission aus und will wieder ganz offiziell Wale jagen. Nicht so schlimm, denn die Beschlüsse dieser Kommission haben die Japaner sowieso immer hintergangen, indem sie Wale für angebliche Forschungszwecke massakrierten. Offensichtliche Lügerei wird nur ersetzt durch offensichtliche Trotzerei.

Aber der Ton, dieser Trotz-Gestus, hat eindeutig Vorbilder: Wir steigen aus der Menschrechts-Charta aus, wir steigen aus den Mittelstreckenraketen-Verträgen aus, wir steigen aus dem Flüchtlings-Pakt aus, wir steigen aus den Klima-Verträgen aus, wir steigen aus den Euro-Stabilitäts-Kriterien aus, wir steigen aus der EU aus, wir steigen aus der OPEC aus, wir steigen hier aus, wir steigen da aus ....

Die Selbstaussage ist immer dieselbe: Ich bin ein dummes, verwöhntes, krankhaft egoistisches Kind, unfähig zur Verantwortung für mich oder gar meine Umwelt. Ich bin viel zu dämlich, mich in meine Mitmenschen hineindenken zu können, um Kompromisse auszuhandeln und bin sowieso zu undiszipliniert, um sie dauerhaft leben zu können. Ich will Triebbefriedigung sofort. Langfristiges,  nachhaltiges Denken und Handeln geht bei mir gar nicht, weil ich eine Aufmerksamkeitsspanne von elf Sekunden habe, hoppla, schon vorbei. Außerdem benehme ich mich ab jetzt ganz besonders scheiße, weil ich dadurch die Aufmerksamkeit des ganzen Rests der Welt bekomme, und alle müssen tun, was ich will! Und wenn jemand mit naturwissenschaftlichen Fakten zu argumentieren versucht, halte ich mir die Ohren zu und singe laut "LA LA LA!", bis sie / er entnervt abzieht.

Normaldenkende Menschen reagieren auf derlei Verhaltensdispositionen mit dem ganz natürlichen, dringenden Wunsche, den nervtötenden Gören kräftig eine zu schallern. Leider ist hier eine Grenze der Metapher erreicht, denn die nervigen Gören, das ist aktuell unsere komplette Spezies, wie es scheint. Und geschallert bekommen wir ganz bestimmt eine, und zwar von den ziemlich konsequent und unpädagogisch agierenden Naturgesetzen, sobald wir nämlich unsere Lebensgrundlagen restlos und unwiederbringlich in die Grütze gefahren haben.

Wäre schön, wenn das Kotzbrocken-Kind mal pronto zur Besinnung käme.





 (1885 verändert via wiki commons)

Nicht lustig, nur doof.














Samstag, 22. Dezember 2018

Jahresend-Räsonnement


Längste Nacht, kürzester Tag. Wintersonnenwende, eigentlich beginnt heute das neue Jahr. Die Verschiebung des Jahreswechsel-Tages auf den 24. bzw. 31. Dezember, das sind Rechenfehler, die wir seit Jahrhunderten mitschleppen.

Zeit zur Besinnung und zu Bloggers Nabelschau. Was macht der Blog? Läuft erfreulich.



(verändert via wiki commons)

Am meisten erfreut mich die gefühlte Selbstdiagnose, dass ich im Laufe der Jahre immer erfolgreicher geworden bin, mich von fiktiven Adressaten zu emanzipieren. Ich schreibe für niemanden mehr, nicht mal für mich selbst.


Vielleicht können nur Kreativlinge, ästhetisch Schaffende, dieses Problem verstehen: Du machst irgendwas, dann kriegst Du positive Rückmeldungen, die Dich natürlich erfreuen, und später erwischst Du Dich dabei, dass Du auf eine bestimmte Art und Weise schreibst, malst, bildhauerst, musizierst, wasauchimmer, um noch mehr von diesen schönen Rückmeldungen zu bekommen. Unterbewusst fängst Du an, für ein imaginiertes, aber spezielles Publikum zu arbeiten, Dein Fähnlein immer etwas weiter in den Wind zu hängen. Mitunter erzeugst Du diesen Wind auch selbst, wenn Du nämlich ein bestimmtes Selbstbild konstruiert hast, das Du qua ästhetischem Tun bestätigen und bestärken willst.

Manches Mal habe ich mich dabei erwischt, lustig sein zu wollen. Oder besonders scharfsinnig. Oder besonders provokant. Oder: Viele meiner Texte arbeiten viel zu sehr an meinem Selbstbild.* Das sind alles Texte, die ich innerlich unter dem Stichwort "gewollte Texte" abbuche. Gewollte Texte sind grundsätzlich schlechte Texte. **

"Gewollt" bedeutet nämlich, es geht nicht mehr nur um die eigentliche Idee, um einen Inhalt, der auch jenseits meiner Person Gültigkeit hat, sondern darum, andere und/oder mich selbst intellektuell und ästhetisch zu befriedigen. Gewollte Texte können nicht frei fließen, sich nicht aus sich selbst heraus entwickeln, stattdessen muss der Schreiber, im Bemühen, unbedingt ein Ziel zu erreichen, ständig steuern, kontrollieren, konstruieren, biegen und brechen. Das ist anstrengend und schmerzhaft für alle Beteiligten.

Und falls, wie neulich geschehen, jemand fragt, was es eigentlich mit diesem Tao-Kram auf sich hat: Genau das: Hör' auf, angestrengt ein "gewolltes" Ziel erreichen zu wollen.






 (Jefferson Airplane, White rabbit, Woodstock 1969 - verändert via wiki commons)

* Erstaunlich oft bearbeiten viele Texte übrigens im Subtext mein anscheinend latentes Trauma, bei Woodstock 1969 nicht dabeigewesen zu sein. 1969 war ich erst sieben Jahre alt, niemand hatte mich auf den Termin hingewiesen, und ich bezweifle, dass meine norddeutsch-kleinstädtischen-mittelstands-bürgerlichen Eltern einen Besuch des Konzertes erlaubt hätten, von finanziellen Quisquilien ganz zu schweigen. Aber ich bin sicher: Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte ich damals Country Joe oder Jefferson Airplane life on stage erlebt - ganz anders! Aber hallo!

**Die meisten, leider nicht alle, habe ich noch vor Veröffentlichung gelöscht.


 (Country Joe & the Fish, Vietnam Song, Woodstock 1969 - stark verändert via youtobe)