Donnerstag, 27. Dezember 2018

Träume sind wichtig!

Gerade einen klugen Guardian-Kommentar zu Britanniens Zukunftsperspektiven nach dem Brexit gelesen. Ein plausibel pessimistisches Bild. Egal was kommt, die Briten werden schwer beschädigt aus der Sache hervorgehen.

Wie sind sie in diese blöde Situation gekommen? Träume!

Die Machthaber und Möchtegern-Machthaber dieses Planeten sind ganz großartig darin geworden, den tumben Massen Träume zu verkaufen, und die tumben Massen sind dafür umso empfänglicher geworden, je kaputter und gestörter ihre je individuellen Selbstbilder sind.

Ich weiß zwar nicht, wie die/der einzelne britannische Brexit-Befürworter tickt, aber die Brexit-Einpeitscher beschworen vor dem ersten Referendum immer wieder den Traum, das Empire könne wie in der schlechten alten Kolonialzeit wiedererstehen - und würde, wenn nicht die Brüsseler Blutsauger immer wieder ihre gierigen Krallen ins ehrliche Fleisch John Bulls schlagen würden.

(John Bull - verändert via wiki commons)

"Ämmäricka fööhst!" ist die Traum-Botschaft an den "White trash" (Selbstbezeichnung!) des Mittleren Westens, der zwar allzu realistisch einschätzt, was er ist, aber gerade deshalb heilfroh ist, wenn man ihm sagt, er könne qua Zufall des Geburtsortes Anspruch auf eine gewisse Besonderheit auf diesem Planeten erheben. Derlei Botschaft hört man gerne, selbst wenn sie von einem krankhaften Egomanen kommt.

Teil der Wiederauferstehung des osmanischen Reiches in altbyzantischer Pracht zu sein ist natürlich eine angenehmere Selbstsicht, als eingestehen zu müssen, dass man mit den Welterklärungsmodellen anatolischer Kleinagrarier nicht unbedingt im globalen Wettstreit reüssieren wird.

Weltmachtphantasien zwischen zaristischer Auctoritas und stalinistischer Potestas lassen sich besser verkaufen als das Eingeständnis, dass das Volk, das den größten Anteil am Sieg über den Faschismus hatte, aufgrund einer dauerhaft bösen, korrupten Führungs-Mafia der größte Netto-Verlierer dieses Krieges und Nachkrieges wurde.

Vom südlichsten Balkan bis zur polnischen Ostseeküste gibt es einen Streifen von Ländern, deren Geschichte eigentlich immer nur darin bestand, entweder vom eigenen Adel oder von den angrenzenden Großreichen verraten, verkauft und gegeneinander ausgespielt worden zu sein. Jede noch so löcherige, grottenpeinliche Geschichtsklitterung, jeder Traum, die bzw. der dazu angetan ist, hier einen Furz künstlich-bemühter nationaler Selbstachtung einzublasen, wird natürlich dankbar angenommen - zu jedem Preis an Rechtsstaatlichkeit und persönlicher Freiheit, wie's scheint.

Und bei uns? Welche Träume verkauft eigentlich die AfD? Welches "Früher" meinen die, wenn sie den Früher-war-alles-besser-Traum verkaufen wollen? Sie selbst sagen ja, dass sie die Nazi-Zeit damit nicht meinen, aber das glaubt ihnen kein Mensch. Wahrscheinlich wollen sie sowas wie die Nazi-Zeit, aber ohne die Juden wirklich umzubringen und ohne Bomben auf eigene Städte und ohne Krieg-Verlieren. * Und wenn die Nazi-Zeit als "Vogelschiss" abgetan wird, welchen Traum wollen die uns denn dann verkaufen? Bis 1871 gab's nur Territorialfürstentümer, kein Doitschland. ** Wovon sollen wir also träumen, AfD? Wo sind die "gold'nen Zeiten", zu denen Ihr zurückwollt?

Und schließlich: Welche Träume verkaufen wir, die links-grün-menschenrechts-mitgefühls-vernunft-versifften Aufrecht-Demokraten? Was setzen wir dem ganzen verlogenen Dicke-Hose-Scheiß entgegen?

Eiei, nun wird's bitter! Wir, die Guten, haben keinen schönen Traum anzubieten. Aktuell bieten wir nur strenge, karge Kost, fordern von uns und unseresgleichen energieaufwändige Vernunft, langfristige Selbstbeschränkung, kostspielige Solidarität, Umdenken (Aua!), Bescheidenheit, Demut ... Das ist in der Summe und im Vergleich mit den Volksverhetzern wie Trump, Erdogan, Orban, Söder und der AfD sowas von un-sexy, das müssen wir ganz dringend ändern!

Ich habe dazu keine Lösung auf der Pfanne, aber die Richtung müsste lauten: Es gibt weltweit eine gewaltige Mehrheit fröhlicher, friedlicher, freier, pfiffiger, solidarischer, offener Menschen. Entscheide Dich, dazuzugehören und Du bist willkommen.

Oder sei ein muffeliger, unselbständiger, unbelehrbarer Idiot, dann geh' stinken.

Oje, ich merke schon: Das muss noch viel besser ausgearbeitet werden ...!




 (1904 - verändert via wiki commons)







* Rassefremde Nicht-Bio-Doitsche entrechten und rausschmeißen ist für die AfD definitiv in Ordnung, aber sie zu vergasen hinterlässt, das haben wir gelernt, Flecken auf der weißen Weste. Krieg und Bombenschmeißen sind auch irgendwie geil, aber bitte nicht hier zu Hause, denn da hätten wir's gerne stets sauber und ochdentlich.

** Goethe war kein Doitscher, sondern Sachsen-Weimar-Eisenacher, und er war kein Staatsbürger, sondern Untertan.









Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Vielen Dank für Ihren / Deinen Kommentar