Eine scheidende evangelische Bischöfin fordert presseöffentlich, man müsse "Ostdeutschen mehr Zeit für Einüben von Demokratie geben“ (sic) und erläutert, die Ossis würden nur deshalb tendenziell rechtsradikal sein, weil sie eben erst 30 Jahre Demokratierfahrung hätten. *
Diese Aussage ist wahrscheinlich irgendwie salbungsvoll gemeint, beträfe sie mich, wäre ich allerdings auf's Äußerste erzürnt.
- Die Ossis sind demnach so doof, dass sie auch nach 30 Jahren immer noch nicht kapiert haben, worum es in der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung geht. Ich finde, nach 30 Jahren hätte man das Grundgesetz schon mal gelesen haben können, aber anscheinend sind die Ossis sehr, hm, sorgfältige Leser*Innen.
- Die Ossis dürfen demnach bis auf Weiteres an keinen demokratischen Wahlen teilnehmen, außer in isolierten Sandkasten-Umgebungen. Sie müssen ja noch üben, und "Üben" ist per definitionem niemals der Ernstfall. Alle bisherigen Wahlergebnisse, an denen Ossis beteiligt waren, sind also zu annullieren, sofern der rechtslastige Ossi-Faktor nicht eindeutig rausgerechnet werden kann.
- Auch die Wiedervereinigung Deutschlands ist demnach ungültig, denn die Ossis hatten ja damals gesagt, sie wollten endlich in einem toleranten, freien, demokratischen Land leben. Anscheinend waren es aber gar keine Demokratie-Freunde, sondern 17 Millionen braune Spießerbratzen, die 1989 "unter Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt" (§263 StGB, vulgo "Betrug") und sich qua Wiedervereinigungs-Vertrag zu Wessis Schaden maßgeblich bereichert haben.
Dumm, unfähig, kriminell, das sind heftige Vorwürfe. Dabei haben Frau Bischöfin es doch bestimmt nur gut gemeint, oder?
Nicht zwingend. Erdogan und Putin schöpfen viel ihrer diktatorischen Macht aus dem oft und gern wiederholten Hinweis, ihre Völker seien einfach nicht reif für die Demokratie. Das italienische Volk, so erläuterte mir mal jemand, neige deshalb hemmungslos zum Faschismus, weil es seiner Selbstwahrnehmung nach viel zu verspielt und zu albern sei, sich eigenverantwortlich selbst zu regieren. Erhellend in dem Zusammenhang auch Trumps (wahrscheinlich zutreffende) Aussage, er könne öffentlich jemanden niederschießen und würde trotzdem gewählt werden.
In der Sache bleiben drei Hypothesen:
- Die Bischöfin hat Recht, die Ossis sind tatsächlich dumm, unfähig und kriminell.
- Die Bischöfin ist ein bisschen dumm und sehr arrogant und hat, ohne es selbst zu merken, alle Ossis ganz fies beleidigt und öffentlich diskreditiert.
- Die Bischöfin betreibt altbekannte, perfide Machtpolitik, indem sie als "Oberhirtin" den "dummen Schäfchen" durch eine seit der Bronzezeit von allen abrahamitischen Religionen tradierte Rollenzuweisung jeden Funken Selbstachtung nimmt, um sie dadurch gefügiger zu machen. Letzteres auch noch besonders hinterhältig unter dem Mäntelchen verständnisvoller christlicher Nächstenliebe.
Finde ich eine der drei Hypothesen NICHT zum Kotzen?
Ähm ... nein.
Wäre es nicht viel schöner, wenn wir allen Menschen zugestehen würden, dass sie eigenverantwortliche Entscheidungen fällen. Und wenn wir jene, die kluge, mitfühlende Entscheidungen treffen, offen und ehrlich bewundern und jene, die die AfD wählen, offen und ehrlich verachten und scheiße finden dürfen?
Das ganz Geschwurbel drumherum macht's nur noch unerträglicher.
(stark verändert via wiki commons)
Refugees welcome, aber Abraham und sein Familiennachzug haben tatsächlich mittelfristig die damalige europäische Kultur plattgemacht. Ok, das war vermutlich kein großer Verlust, aber nach dreieinhalbtausend Jahren bedarf die Ethik bronzezeitlicher Wüstennomaden dringend eines Updates.
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Übrigens habe ich im Rahmen meiner Recherche erstaunt zur Kenntnis genommen, dass Frau Bischofs Kirchengau, oder wie immer das heißt "Evangelische Kirche in Mitteldeutschland" heißt, obwohl das Bundesland Sachsen, das östlichste unserer Beitrittsgebiete, dazugehört. Wie süß, da laufen ja immer noch die kleinen, dreckigen revanchistischen Wortspiele aus der Nachkriegs- und Kaltkriegs-Zeit. Wenn Sachsen Mitteldeutschland ist, wo ist dann Ostdeutschland? Genau! In Polen! Also, da wo jetzt Polen ist, ... angeblich ... aber eigentlich ... nur eine Frage der Zeit ... Siegerwillkür ...
Kann mir mal jemand erklären, wie eine Kirche, die sich für so einen Dreck hergibt, glaubhaft gegen Faschismus auftreten kann? Die Evangelen in Thüringen und Sachsen waren auch seinerzeit schon stramme Nazis gewesen. Außer in der DDR, da waren sie stramme Sozialisten/Kommunisten. Also, wahrscheinlich hat Frau Bischöfin doch Recht: Eingesessene Demokrat*Innen sucht man in der Ecke vergebens!
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