Mittwoch, 13. Dezember 2023

Endlich bewiesen: Lagerfeld hatte recht!



Ich hoffe, ich habe das Foto stark genug verfremdet, um keine Urheberrechtsprobleme zu bekommen. 

Bei diesem Pressefoto aus dem Gaza-Streifen fiel mir perversereise das Lagerfeld-Zitat ein:

"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."

Dazu zwei Gedanken: 

Erstens: Ganz eindeutig hat Lagerfeld in diesem speziellen Fall recht. Diese Menschen tragen Jogginghosen. Und ihnen wurde die Kontrolle über ihr Leben genommen. Ich betone: Sie haben diese Kontrolle nicht (passiv) verloren, zufällig und versehentlich, wie man vielleicht einen Kugelschreiber oder einen Schlüssel oder einen ethischen Kompass verliert. Die Kontrolle wurde ihnen (aktiv) genommen. Es hat mehrere Gruppen gegeben, die ganz niedrige und erbärmlich egomanische Interessen hatten, diesen Menschen die Kontrolle mit Waffengewalt zu nehmen.

Zweitens: Wenn ich mir einerseits den Kontext des Zitats, den krankhaft arroganten, durch und durch trivialen Lagerfeld, seine dümmliche, überreiche, ekelerregende Camarilla und den ganzen hirnverbrannten aber milliardenschweren Rummel um die Haute-couture so anschaue und wenn ich - vermittelt durch obiges Zitat - andererseits das Leid so vieler Menschen sehe, dann bleibe ich fassungslos zurück und schäme mich wieder mal, dieser Specie anzugehören.






Donnerstag, 7. Dezember 2023

Noch 'n Rückzugsgefecht

 

Der Guardian überrascht mich immer wieder mit Insider-Informationen, so auch heute:

Hätte ich im Traum nicht gedacht, dass Fidel, der Máximo Lider, für die CIA arbeitete. Ich dachte, die hätten, im Gegenteil, eine eher konfliktbeladene Beziehung gehabt, bla, bla, bla ...

Klar, es ist natürlich wieder ein mehr oder weniger ulkiger Übersetzungsfehler:

Warum finden wir derartige Fehler bemerkenswert?

Erstens: Wir haben hier einen schönen Beleg dafür, dass die deutsche Grammatik, die im Vergleich zum Englischen komplexer und intellektuell fordernder ist, nicht ohne Grund ist, wie sie ist. In obigem Titel wird der Plural im Deutschen doppelt markiert: "... Fidel und Rául ..." und " ... arbeiteten ...". Im Singular stünde das Verb "... arbeitete ...". Im Englischen gibt es nur "... worked ...", und so musste die KI raten, ob Juanita oder Fidel und Rául für die CIA arbeiteten.

Zweitens: Wenn man aussichtslose Rückzugsgefechte führt, ist man für kleine Erfolge besonders dankbar. KI wird uns überrollen, und was vom menschlichen Geistesleben übrigbleibt, wird erbärmlich sein. Umso mehr erfreuen wir uns immer wieder daran, KI an Rückbezüglichkeiten (" ... who worked with CIA ...") scheitern zu sehen.

Um die Aussage der Titelzeile aufzulösen, muss man das Kontextwissen haben, dass Fidel und die CIA eher nicht kooperiert haben. Eine einigermaßen gute KI müsste sowas "wissen". Aber sie müsste auch "wissen" dass sie in diesem Fall, bei dieser Übersetzung, auf dieses "Wissen" zurückgreifen müsste - und woher, bitteschön, soll sie das denn "wissen"?

Klar, man könnte KI lehren, bei jedem Rückbezug eine Plausibilitätsprüfung einzuschleifen, aber wie berechnet die KI Plausibilität? Und wie lange soll sie rechnen, wenn es keine eindeutige Lösung gibt? Beispiel: "Horst liebt Heiko, weil er so nett ist." Ist Horst nett oder Heiko? Ich weiß es nicht, weil ich weder Horst noch Heiko kenne. Ich müsste nachfragen. Vielleicht tue ich es, vielleicht auch nicht, wen interessiert's? Was aber soll die KI in so einem Fall machen? Mich mit blöden Nachfragen zum Wahnsinn treiben? 

Suhlen wir uns noch ein bisschen in dem rasend schnell austrocknenden Tümpel des Überlegenheitsgefühls, das wir dem unerreichten menschlichen Kontextualisierungsvermögen verdanken.


(verändert via wiki commons)
 


 

 



Sonntag, 3. Dezember 2023

Advent = Ankunft

 

 

(...)
It's okay to start again cause change is gonna come.
Nothing ever stays the same, it's not like we're still young.
Let's blow it up and burn it down so we can stand alone.
No Fear of change, no fear of the unknown.

All my hopes and memories are blowing in the wind,
I started off with nothing and I'm back here once again.
(...)

Amy Mcdonald - Ashes  




Vorgestern anner Küste






Mittwoch, 22. November 2023

Worterklärung: Elite und Populismus

 

Ich mag es ja, wenn ein Wort maximal eindeutig definiert ist, denn wenn es das nicht ist, finden sich immer machtgeile Arschlöcher*innen, die es im Sinne ihrer niederen Zwecke pervertieren. 

Thema heute: Elite versus¹ Populismus

Elite:

Das Wort "Elite" wird von den fundamentalistischen Braunbratzen of any colour and any kind als abwertender Kampfbegriff gegen jeden Menschen verwendet, die*der sich selbständigen Denkens schuldig gemacht hat. Stattdessen wollen wir definieren, Elite, das sind

Menschen, die lebenslanges Lernen und Um-Lernen und Neu-Lernen (z.B. nach entsprechender Kritik und / oder Erfahrungen) für eine zwingende Notwendigkeit und einen je persönlichen Gewinn betrachten. Dabei ist es völlig (!) wurscht, wo man startet und wo man endet. Es ist einzig die lern- und bildungs-positive Haltung, die "Elite" ausmacht. ²

Ein jugendliches Genie, das ihre*seine geistige Entwicklung mit Ende Zwanzig beendet, mag einen Professoren-Titel haben, gehört aber nicht (mehr) zur Elite, sondern bestenfalls zur gehobenen Dienerschaft der Herrschenden. Ein*e Raumpfleger*in, der*die erst nach der Verrentung die Möglichkeit findet (und nutzt), sich mit außerberuflichen und -familiären Dingen denkend auseinanderzusetzen, ist Teil der Elite.

Elite sagt: Es ist ein Muss und ein Wert an sich, jeden Tag etwas schlauer zu werden, kritisch zu sein, zu zweifeln und zu prüfen.

Populismus:

Menschen, die eine allgemeine lern- und bildungs-positive Haltung ablehnen und öffentlich verunglimpfen, betreiben Populismus. Ihre Botschaft lautet, dass Denken und Lernen und die damit zwangsläufig verbundene kritische Haltung anstrengend, gefährlich, unnötig, spaßbremsend, öde, fehleranfällig und lahmarschig seien.

Populismus sagt: Du bist perfekt. Die Welt ist perfekt. Lernen ist anstrengend und unnötig.³ Nachdenken ist schädlich und Du kannst das sowieso nicht, also gib's auf. Veränderung ist schädlich und gar nicht nötig. Kritik ist ein Verbrechen, Du verdammter Klugscheißer, je grundsätzlicher, desto schlimmer.


Prüfungsfragen zum Textverständnis:

1.) Du bist Marketing-Tussi*Fuzzi in einem Konzern, der ethisch problematische Produkte zu irrwitzigen hohen Preisen verhökert. Welche Denkrichtung wünschst Du für Deine Zielgruppe?

A.) Elite

B.) Populismus

2.) Du bist ein*e machtgeile*s Arschloch*Arschlöchin und möchtest in einem Land mit einer pseudo-demokratischen Verfassung Präsident*in werden. Welche Denkrichtung in der Wählerschaft wirst Du mit Deinen verlogenen Wahlversprechen befeuern?  

A.) Elite

B.) Populismus

3.) Du bist dumm, häßlich, verlogen, faul, unhygienisch und stinkst. In welchem Mind-Set suchst Du nach Partner*innen für aufregende sexuelle Erfahrungen?

A.) Elite

B.) Populismus

4.) Du bist Politiker*in mit Einfluss auf die Finanzierung von Bildung in Deinem Staate. Da Du möglicherweise nicht wiedergewählt wirst, hast Du Dir schon mal Beraterposten bei namhaften Konzernen gesichert. Welcher Maxime neigst Du in Bezug auf allgemeine staatliche Bildung  zu?

A.) Wir brauchen mehr Bildung. Nur kritische Geister mit umfassendem, kontextualisierbarem Wissen werden in der Lage sein, die gewaltigen Menschheitsprobleme der Zukunft zu bewältigen.

B.) Lesen, Schreiben, Rechnen. Grundlagen-Wissen reicht. Ach ja, und US-Englisch, die Sprache der planetaren Herrscher, um deren Befehle richtig verstehen zu können. 




(Nike von Samothrake - stark verändert via wiki commons)
Höhö! Die Siegesgöttin voll mit apper Birne ... Höhöhö.





¹ Können wir uns mal eben ganz schnell darauf einigen, dass das Wort "versus" so gesprochen wie geschrieben wird? [ˈvɛʁzʊs] Was für ein vollverblödeter Schwachsinn, die falsche und dümmlich-arrogante us-amerikanische Aneignung "vörsis" nachzuäffen!

Noch viel grauenhafter: Nike wird ebenfalls so gesprochen wie geschrieben: [ˈniːkə]. Hirntote Vollidioten sagen natürlich "Naikiiiee", weil unsere überseeischen Hegemonen zu ignorant sind, den griechischen Ursprung zu kapieren. Und googelt mal "Nike" und prüft, nach wieviel Seiten Konzernwerbung die griechische Siegesgöttin erstmalig auftaucht. 

Tausende weitere Beispiele, aber ich rege mich ja nur wieder auf ...

² Muss ich noch betonen, dass Lernen, d.h. eine Vergrößerung des persönlichen Wissens grundsätzlich - und zwar per definitionem! -  eine Verhaltensänderung zum Guten nach sich zieht? Wenn Lernen nämlich nicht zu verändertem Verhalten führt, habe ich nix gelernt, sondern nur Faktenwissen angehäuft. Das hilft bei der Lösung von Kreuzworträtseln, ist aber ansonsten völlig nutzlos.

³ Motto: "Ich weiß alles, was man wissen muss. Was ich nicht weiß, muss man auch nicht wissen." Ich könnte kotzen, wenn ich überlege, wie oft ich - mehr oder weniger verklausuliert - diese Auffassung gehört habe.





Sonntag, 12. November 2023

Unmöglicher Brief zum Gaza-Krieg


Eigentlich hatte ich beabsichtigt, einen "Offenen Brief an alle friedliebenden Palästinenser*innen" zu schreiben, in dem ich ihnen erklären wollte, warum Deutsche niemals wieder das Recht haben werden, Juden, Israelis, den Staat Israel, israelische Institutionen etc. zu kritisieren. Ich hielt das für notwendig, um zu erklären, warum deutsche Nahost-Politik gerade den Anschein erweckt, Würde, Leib und Leben palästinensischer Menschen seien weniger wert als israelischer Menschen.

Ich wollte erklären, was für ein seltsames Gefühl das ist, wenn man gewohnt ist, alles Mögliche - und oft auch Unmögliches - grundsätzlich im Diskurs zu zerblättern, in Bezug auf das deutsch-israelische Verhältnis in diesem Grundsatz aber eine Riesen-Lücke klafft, wie ein großes Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie. 

Ich wollte erklären, dass es, wie bei jedem anderen Staat auch, einige Punkte gibt, die mir an Israels Politik kritikwürdig erscheinen und dass die jüdische Religion, wie alle abrahamitischen Religionen, gewaltige ethische Probleme aufwirft ¹.

Und schließlich wollte ich erklären, dass wir Deutsche, die Nachfahren der Täter, dieses Recht auf Kritik ein für alle Mal und in alle Ewigkeit verspielt haben und dass das gut so ist! 

Die alten weißen Männer, die an der Spitze des israelischen Staates und seiner Religion stehen, die, wie alle alten, weißen Männer an der Spitze eines jeden Staates und einer jeden Religion,  kein Problem damit haben, hunderttausende von Menschenleben zu opfern, um ihren persönlichen Machterhalt zu sichern, werden anderswoher erleuchtet werden müssen. Ich bin raus. Wir Deutschen sind raus. Wir haben in diesem Fall kein Rederecht, und - ich wiederhole - das ist völlig gut und richtig so!

Am Ende des Offenen Briefes wollte ich die friedliebenden Palästinenser*innen meiner uneingeschränkten Solidarität und meines Mitgefühls versichern, ebenso die Jüdinnen und Juden. Da wäre mir schon was eingefallen, klarzumachen, dass alle Menschen gleich und Gewalt grundsätzlich Schwachsinn seien.

Egal.

Der Brief konnte nicht geschrieben werden. Das Gelände ist zu toxisch, geistig zu vermint, jede Seite fragt auf Meta-meta-meta-Ebene nur noch nach Motiven, Inhalte spielen überhaupt keine Rolle mehr. Hannah Arendt hat sowas als Merkmal von Faschismus identifiziert.

Es ist im Gaza-Krieg schlimmer, viel schlimmer als im Falle des Ukraine-Krieges. Wo ja auch schon der schlichte Wunsch nach Frieden Dich zum Putin-Befürworter stempelt.




(Schwarzes Loch, stark verändert via wiki commons)





¹Die sehr schwiemelige, undurchschaubare Kombination von Staat und Religion wäre auch so ein Kritikpunkt.) 






Donnerstag, 9. November 2023

Immer wieder: Grübeln über Enkelfragen

 
Ständig lege ich mir neue Antworten bzw. Ausreden zurecht, für den Fall, dass die Enkelgeneration mich eines Tages tatsächlich fragt: "Wie konntet Ihr nur ...?!" und "Warum habt Ihr nichts dagegen getan?"

Ihr müsst verstehen, werde ich sagen, der Kapitalismus war ein System, das uns alle so durchdrungen hatte, dass es uns schon gar nicht mehr auffiel. Man nennt das Internalisierung. Metapher zum Verständnis: Du kannst Stickstoff nicht riechen, weil Du 78 % Stickstoff atmest. 

Es war unhinterfragbar, dass ausschließlich individuelle Gier, Egomanie und Streben nach absoluter persönlicher Macht die Menschen im 21. Jahrhundert antrieben. Wer ernsthaft behauptete, es gäbe noch andere, idealistischere Motive, galt zunächst als Naivling, dann als Vollidiot und schließlich als potentieller Staatsfeind. 

Du konntest pottenhäßlich, dumm und soziopath sein, wenn Du Kohle hattest, bekamst Du Aufmerksamkeit, Anerkennung, Sexualpartner*innen und unfassbaren wirtschaftlichen und also politischen Einfluss. Warst Du hingegen ökopax, bescheiden, mitfühlend und solidarisch, galtest Du als schwaches, verschrobenes Weichei und kamst wirtschaftlich und menschlich nur schwer zurecht. Zwischen diesen Extremen konnte und musste Jede*r ihre*seine persönlichen, kleinen, dreckigen Kompromisse machen.

Neben dem Kapitalismus gab es noch einen zweiten katastrophalen, internalisierten Irrtum, und der betraf die Demokratie. Nicht, dass ich die Demokratie an sich in Frage stelle, oh nein, sie ist die einzige menschenwürdige Staatsform.

Allerdings nicht, wenn man sie mit "Wähl'-Dich-reich"¹ verwechselt. Die ursprüngliche Idee der Demokratie lautete, dass, wenn alle vernunftbegabten Mitglieder einer Gemeinschaft im Austausch mit anderen oder Jede*r für sich kluge und verantwortungsvolle Gedanken zur Zukunft dieser Gemeinschaft und den dafür angemessensten Maßnahmen dächten - dass sie dann jenen Politiker*innen Staatsmacht in die Hände legen würden, die diesen Gedanken am weitestgehenden willfahrten. ² 

Die ursprüngliche Idee der Demokratie war NICHT, dass, wenn ein Politiker ³ mit unverantwortlichen, unrealistischen und uneinlösbaren Wahlversprechen lockt und ein anderer kluge, wichtige und richtige Ziele formuliert, die vielleicht nicht immer bequem sind - dass dann automatisch und garantiert der Ehrliche verliert und der Lügenbold gewinnt und eine Legislaturperiode lang nur dafür sorgen muss, dass man ihm nicht allzu deutlich auf die Schliche kommt. Wonach dann alles vergessen ist, und der Spaß von vorne beginnt ... 

Zurück zu Eurer Frage, warum wir nichts getan haben: Das System war unangreifbar.

Demokratie setzt hinreichende Bildung in weiten Teilen der Bevölkerung voraus. Wenn es den Herrschenden einmal gelungen ist, das Volk gezielt zu verblöden - und in unserem Fall ist ihnen das gelungen! - dann hast Du statt mündiger Bürger*innen eine Masse fauler und korrumpierter Idiot*innen, Speichellecker*innen, Mitläufer*innen. 

Was ich "dagegen getan habe"? Ich bin Lehrer geworden, und zwar genau aus diesem Grund. Hat aber nix gebracht, deshalb habe ich frühestmöglich das Handtuch geschmissen. Alternativen hatte ich keine, denn als ich meine prinzipielle Wirkungslosigkeit erkannte, war's zu spät und für einen Neuanfang war ich zu alt und zu korrumpiert. 

(...)

Bitte? Nein, Bombenschmeißen hätte auch nichts gebracht, aus politischer Gewalt resultieren ausnahmslos Diktaturen.




(Schnackenberg, 1918, via wiki commons)





¹ Der Spruch stammt von Terry Pratchett, aber ich weiß nicht mehr, in welchem Text das auftaucht. 

² Konjunktiv von "willfahren"? "Willfahrten" oder "willführten"? Keine Ahnung! "Sie sagte, sie glaube, dass X und Y ihren Erwartungen willführten." ... Klingt falsch. Egal.

³ Ja, un-gegendert. In der Politik erreichst Du nur als machtgeiler, alter weißer Mann Machtpositionen, und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wieviele X-Chromosomen Du hast, wann geboren und mit welcher Hautfarbe.







Samstag, 28. Oktober 2023

Lust auf Demokratie


In der Debatte um die scheinbar zunehmende Lust an individueller Unterordnung unter autoritäre Systeme hat mal jemand gesagt, man müsse, statt immer nur vernichtend gegen den Faschismus zu wettern, auch mal wieder klar sagen, was eigentlich das Geile an Demokratie ist. ¹

Hier meine spontane Sammlung:

Erstens: Am meisten liebe ich die Möglichkeit zu völlig diversen Lebensentwürfen, egal, ob politisch, sexuell, wirtschaftlich, gesellschaftlich, philosophisch usw. Mit Erstaunen, Interesse, Bewunderung, ungläubigem Kopfschütteln, mitunter auch angeekelter Ablehnung schaue ich mir allzu gerne an, was Menschen werden, wenn sie werden dürfen, wer sie sind. Und wiewohl ich selbst allzuoft viel zu faul und/oder zu feige war und bin, die Freiheit auszunutzen, in der ich leben darf, genieße ich das Potential des "Ich-könnte-auch-ganz-anders!" Immerhin könnte ich eines Tages. Das ist ein gutes Gefühl. Viel besser als "Ich würde gerne, aber irgendwelche Bratzen haben's verboten. Schade."

Zweitens genieße ich, dass in einer richtigen Demokratie die politischen Macht-Habenden nie so ganz sicher sein können, wie lange ihr Höhenflug dauert.² Politik in einer richtigen Demokratie ist immer ein bisschen wuseliger, unsicherer, unklarer. Niemand kann ungestraft "durchregieren", und das macht Entscheidungen in demokratischen Staaten auch ein bisschen lahmarschiger. Das nervt zwar manchmal, aber wannimmer ich dann denke, ein netter, aufgeklärter Monarch wie Friedrich II wär' doch auch mal wieder was, ist natürlich der Folgegedanke, was wohl passiert, wenn der Nachfolger des netten ein arschlöchiger Monarch wäre, und d'rum halte ich's mit Churchill, dass die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, abgesehen von allen anderen. 

Drittens geht eine richtige Demokratie logischerweise immer einher mit Rechtstaatlichkeit ³, denn die Goldene Regel ist nun mal ... tja ... die goldene Regel. Konkret heißt das, es gibt Gesetze, die mich vor der Übergriffigkeit staatlicher Stellen und Einzelner schützen.

Dazu ist vielleicht eine Erläuterung fällig: Neo-Nazis stellen sich einen autoritären, durchhierarchisierten Führer-Staat immer so toll, so klar und einfach und effizient und orrrdentlich vor. Die alltägliche Praxis für die Masse, die ganz normalen Volksgenoss*innen, ist aber, dass sie es meist nur mit den untersten Stufen dieser Hierarchie zu tun haben. Lasst Euch von Zeitzeugen mal erzählen, was Blockwarte waren. Vielleicht wisst Ihr aber auch aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn ethisch und intellektuell unterbelichtete Arschlöcher plötzlich in die Lage versetzt werden, Macht auszuüben. Ich möchte mir nicht von einem kleingeistigen, sadistischen Nazi-Spießer vorschreiben lassen müssen, wie ich en detail mein Leben zu leben habe.

Alle fundamentalistischen Systeme fundamentieren letztlich auf dem kleinen, größenwahnsinnigen Blockwart ganz unten in der Machthierarchie. Der Diktator ganz oben tut Dir nix, der delegiert eigentlich nur. Ausgeübt wird die diktatorische Macht im Alltag von den dummen, nichtsnutzigen Arschlöchern ganz unten. 

Sowas hasse ich. Das ist ein ganz wichtiger Grund für mich, die Demokratie zu lieben!



(verändert via wiki commons)

Kann eine uniformierte Hackfresse wirklich Fetisch sein?
Will man sich denen wirklich devot unterwerfen?
Es ist unglaublich!




¹ Genaue Quelle und Wortlaut sind mir leider abhanden gekommen. Für Hinweise wäre ich dankbar.

² Jaaaa, ich weiß, die politisch Macht-Habenden sind sowieso nur die Lakaien der Konzerne, und wenn Protagonist*innen  abgewählt werden, fallen sie weich in hochdotierte Beraterverträge, und für die Mittelbauer gibt's die Operation Abendsonne. Leiden muss da niemand.   

³ Es sei denn, die Wahlberechtigten seien mehrheitlich völlig meschugge.





Dienstag, 24. Oktober 2023

Gute Sache: Wieder eine Wahl haben!

 

Klipp und klar:

  1. Ich kenne Frau Wagenknecht nicht, nur ihre mediale Selbstdarstellung
  2. und das, was andere Menschen - mit welcher Absicht auch immer - über sie kolportieren.
  3. Ich kenne natürlich auch das künftige Parteiprogramm nicht, nur das Gründungsmanifest ihres Parteigründungs-Vereins. 

Auf dieser mickrigen Daten-Basis urteile ich derzeit:

  1. Die Selbstdarstellung Frau W.s finde ich problematisch, weil eklig ego-zentriert; allein schon: den eigenen Namen in den Vereins-Namen aufzunehmen ... pfui!  
  2. Den Bewertungen, die Frau W. derzeit durch andere erfährt, traue ich nicht, da sie allesamt von Partialinteressen gesteuert sind.
  3. Das Gründungsmanifest enthält - meiner bescheidenen Meinung nach - sehr gute Ansätze, die den anderen Parteien völlig aus dem Blick geraten sind. Aber es enthält auch den Kardinalfehler aller sich links verstehenden Gruppen, es gelte, den Armen annähernd dasselbe Leben zu ermöglichen, das derzeit nur die Reichen führen können. Dass wir alle (!) unseren Konsum (d.h. Ressourcenverbrauch) dramatisch reduzieren müssen, um unseren Nachkommen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen zu können, ist ein Gedanke, der mit der Diktatur des Proletariats unvereinbar scheint. 

Mit dieser Vorrede wollte ich nur klarstellen, dass ich über Personen und Inhalte des Projektes noch keine eindeutige, belastbare Meinung entwickelt habe. Ich weiß noch nicht, ob diese Partei für mich wählbar wird.

Aber:

Ich begrüße von ganzem Herzen und ohne jede Einschränkung, dass es überhaupt die Chance gibt, es könne künftig wieder eine wählbare Partei mit einem unterscheidbaren (!) Programm geben. Dafür gehört Frau Wagenknecht und ihren Mitstreiter:innen unser aller Dank, ganz unabhängig davon, was da noch kommt und was daraus wird. Denn eins ist doch wahr: Das aktuelle Angebot ist entweder erbärmlich, opportunistisch ununterscheidbar in seiner Beliebigkeit oder es ist erbärmlich und opportunistisch rechtsradikal (offen oder verlogen) und wir fragen uns alle, warum das Recht nicht angewendet wird, das ein Verbot der AfD nicht nur erlaubt, sondern fordert.     

Die Aufgabe der politischen Parteien ist in Art. 20 und 21 GG definiert. Da steht NICHT: "Die Aufgabe der Parteien ist, ihren Mitgliedern auf Kosten der Allgemeinheit den Arsch zu vergolden." Stattdessen sollen die Parteien Inhalts-Pakete schnüren, aus denen die mündigen Staatsbürger:innen das am wenigsten schlechte auswählen können. 

Wie grottenschlecht ist es um dieses Prinzip bestellt! Wie viel Hoffnung setze ich in das Wagenknecht-Projekt! Und wenn es nur dazu diente, dass die etablierten Parteien herausgefordert werden, endlich wieder mal klare Kante zu zeigen und das auch ein paar Jahre lang durchzuhalten. 



(via wiki commons)
1911 - doitsche Werbung wusste Anglizismen immer schon zu schätzen.






Sonntag, 22. Oktober 2023

Besinnliches nach Schreibpause



Lese gerade "Das infizierte Denken" von Anders Indset. Beeindruckend die Analysen zur Aufmerksamkeitsökonomie in den, ach, so sozialen Medien. Kurzgefasst: Statt Information nur noch hirnlos-grelles Brüllen um die höchsten Klickzahlen. Dadurch gehen verantwortungsvoller Journalismus, jeder vernunftbasierte Wissensbegriff und ergo jede sinnvolle Definition von Bildung zum Teufel.  

Habe mich gefragt, wie weit ich mit meinem Verhalten, z.B. mit diesem Weblog und auf Mastodon, beteiligt bin, dieseen Wahnsinn voranzutreiben. Vorläufige Antwort: Praktisch gar nicht, da bin ich vernachlässigbarer milliardstel Bruchteil, viele, viele Level unter der allgemeinen Wahrnehmungsgrenze.

Aber: Ich habe bemerkt, dass Klickzahlen mich zu interessieren begannen. Im Nachhinein stellte ich fest, dass meine Texte, seien es Weblog oder soziale Medien, immer häufiger Reaktionen auf andere Texte waren und nicht mehr nur schlichter, originärer Ausdruck meiner Denke. Ich wurde Teil des Systems, Teil der Milliarden Produzent:innen, die nach Indset gleichzeitig Konsument:innen sind und jene Kakophonie herstellen, die alles wirkliche Wissen und Denken totschlägt. 

Also lautet der Beschluss: Ich mache nicht mehr mit bei der world-wide schädlichen, verdummenden und narzisstischen Jagd nach Klicks, Likes und Reposts. Dieser Weblog wird (wieder) zu einem reinen Gedanken-Tagebuch. Öffentlich ist dieser Blog, ich sagte es schon an anderer Stelle, nur, damit ich bei aller kühnen Fabuliererei stets eine kritische Institution, das Publikum, egal, wie groß, im Hintergrund weiß. 

Ich diszipliniere mich selbst, indem ich meine Gedanken, wenngleich im bescheidenstmöglichen Rahmen, veröffentliche und indem ich sie, durch die Verschriftlichung, durch die Mühlen der Sprachlogik drehe.

Nicht weniger und nicht mehr ist, was dieser Weblog ist.       




Noilich zwischen Elfleth und Berne. Selbst mit Reflexion. 






Samstag, 14. Oktober 2023

Floskeln fallen lassen

 

Seit vielen Jahren benutzte ich, wenn ich meine politische Denke leicht-fasslich beschreiben wollte, die Formulierung "links-grün-versiffter Möchtegern-Gutmensch". Mir gefiel die ironsierende Übernahme der Nazi-und-Spießer-Terminologie, weil damit auch gleich klargestellt war, zu wem ich mich in Opposition sah und sehe.

Ich habe jetzt beschlossen, diese Formulierung nicht mehr zu verwenden. 

Links:

Die Klassifizierung links - rechts ist nicht mehr brauchbar. 

Warren Buffett  
hat die Sache auf den Punkt gebracht: "Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen". Zur Klasse der Reichen kann man auf diesem Planeten die Mitglieder von ca. 700 Familien-Clans zählen. Alle anderen 8 Milliarden Menschen, die berühmten 99 Prozent, gehören zu den Verlierern, d.h. Opfern dieses Krieges. Sich diesen Umstand bewusst zu machen, ist nicht links, sondern Mathematik. Wir sind - in einem ganz mathematisch-statistischen Sinne - nicht links, wir sind die Normalen.  

Nur dümmliche Opportunisten suchen ihr Heil darin, als Speichellecker und devote Diener des 1 reichen Prozents zu reüssieren.

Grün:

Es ist Quatsch, eine grüne Position zu haben oder nicht zu haben. Greta Thunberg hat in ihrer Rede vor der UN 2019 darauf hingewiesen, dass mehr als hinreichend belegt ist, dass unser Verhalten die Grundlagen für ein zukünftiges menschenwürdiges Leben zerstört. Das ist keine Frage mehr, über die noch weiter geforscht werden müsste, und auch die Gegenmaßnahmen und ihr extrem knapper Zeitrahmen sind völlig klar und unbestritten.

Würden wir unserer eigenen Species ernsthaft die Fähigkeit zur Vernunft unterstellen, dann müssten wir sagen: Ausnahmslos alle Individuen dieser Specie müssten mit allen verfügbaren Mitteln für den Erhalt ihrer Umwelt kämpfen. Das wäre  - wieder in einem streng mathematisch-statistischen Sinne - normales Verhalten.

Genau wie auf das Attribut "links" können wir auf das Attribut "grün" also verzichten. Es ist nichts Besonderes "links" und "grün" zu sein, es bedarf sprachlich-logisch ergo keiner Hervorhebung. Hervorheben müsste man, wenn Menschen auf der Seite der Superreichen kämpften und wenn sie entgegen aller kreatürlichen Vernunft weiter insistieren, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören.

Die Psycho-Pathologie kann uns in beiden Fällen bestimmt mit Begriffen aushelfen.

Versifft:

Dem politischen Gegner Schmutzig-Sein zu unterstellen, ist ein ewig-uralter rhetorischer Winkelzug. Genau wie Rechts-Sein mit "rechtmäßig", "richtig", "aufrecht" usw. bewusst verknüpft wird. Blöderweise werden diese sprachlichen Taktiken immer nur von rechts nach links, von oben nach unten, von reich nach arm eingesetzt, nie umgekehrt. Das ist paradox, denn die Konzerne sind die Öko-Dreckschweine, und es ist einfach unge"recht", dass sie immer wieder die Macht haben, Schäden bzw. Verluste zu sozialisieren und Profite zu privatisieren.

Wir sollten uns angewöhnen, den "Siff" als ethische und rechtliche Schuld den Reichen zuzuordnen. Die FDP als lobbyversiffte Partei, die CDU/CSU als spießerversiffte, CEOs als profitversifft usw. usw. 

Gutmensch:

Diese sprachkritische Debatte ist hinreichend geführt worden, das muss ich hier nicht wiederholen. Nur zur Erinnerung die Kernfrage: Wem nützt es, Menschen, die sich ethisch korrekt verhalten wollen, zu diffamieren? Erinnert ein bisschen an die Frage nach der Logik der Bezeichnung "Menschenrechtler", die manchem Promi-Namen wie eine Berufsbezeichnung vorangestellt wird.

Allen Nazis of any colour and any kind zur Kenntnis: FÜR Menschenrechte einzutreten, ist die statistische Norm. Wäre es daher nicht tausendmal sinnvoller, zu erwähnen, wenn jemand GEGEN Menschenrechte ist? Vielleicht so: "Arschloch Trump besuchte die Arschlöcher in den VAE. Else Müller von Human Rights Watch kritisierte, dass ... blablabla." 

Klingt vernünftiger, finde ich.

Fazit:

Ich bin normal, weil ich im Kampf Reich gegen Arm nicht auf der Seite des 1 Prozent stehe, sondern auf der Seite der 99 Prozent. Ich bin normal, weil ich mich für den Erhalt einer menschenwürdigen Umwelt einsetze. Ich bin normal, weil ich die Menschenrechte für mich und folglich für alle Menschen beanspruche. 

Das klingt natürlich viel unspektakulärer und macht mich zu einem ziemlich langweiligen Typen. Aber als Selbstaussage ist es einfach zutreffender.



Schon schön, wenn von unter einer düsteren Schichtwolken-Fläche ins klare, freie Sonnenlicht fliegt.  


Out of the dark
Hörst du die Stimme, die dir sagt
Into the light
I give up and you waste your tears
To the night.
Falco