Mittwoch, 3. August 2022

Wieder diese quälend schlichten Gedanken


Mir ist natürlich absolut klar, dass ich überhaupt keine Ahnung von der Thematik habe und dass jede meiner Hypothesen oder gar Analysen ein Ausbund an Naivität und Lächerlichkeit sein muss ...

... aber ...

mich umnachtet der Hauch einer Idee, dass die derzeit allerseits beklagte Konsumzurückhaltung mit einem Umsatzrückgang von 8,8 % im Einzelhandel mehr sein könnte, als eine zufällige Koinzidenz zu der Tatsache, dass die sogenannten Verbraucherpreise um 8,9 % gestiegen sind. Konkreter: Wenn die Konzerne den Ukraine-Krieg zum - meist nur vorgeschobenen¹ - Anlass nehmen, die Preise kräftig hochzudrehen, dann erscheint es mir doch als eine vernünftige und nachvollziehbare Reaktion, wenn die Leute weniger kaufen. 

Ich begrüße die Entwicklung: Nach Corona und nun durch die Verwerfungen im Gefolge des Ukraine-Krieges fangen die Leute an, unsere bzw. ihre Konsumgeilheit in Frage zu stellen. Mit etwas Glück befeuern die Global Players gerade den Untergang ihres krankhaft profitgeilen Systems. Wenn sich jetzt bitte nochmal ein Schiff im Suez-Kanal festfahren könnte, wäre der Drops gelutscht.  


(Hannover, 1911 - verändert via wiki commons)



 ¹ Dass die Begründungen nur vorgeschoben - also eigentlich gelogen - sind, schließe ich daraus, dass die Marktsegmente, in denen so irre Preissteigerungen stattfinden, von Land zu Land völlig unterschiedlich sind. Die Preise steigen bei uns nicht, weil "der Weltmarkt es diktiert", sondern weil die Konzerne glauben, dass wir es mit uns machen lassen. Und diese Befindlichkeit ist je nach Produkt  in Doitschland nun mal anders als z.B. in Frankreich oder Spanien oder Norwegen.






Freitag, 29. Juli 2022

Drei einfache Fragen

 

Erstens: Ich verstehe das richtig: Ölkonzerne wie Shell verfünffachen ihren Quartalsgewinn, weil sie aus dem Ukraine-Krieg mörderische Gewinne ziehen, und gleichzeitig müssen künftig  Familien pro Jahr ca. 1.000,00 € zusätzlich zahlen, um notleidende Energieanbieter wie Uniper zu retten?

Zweitens: Ich verstehe weiterhin richtig: Nach vier Jahren ohne Regen verhungern in Somalia die Kinder, aber in Europa diskutiert man über Unklarheiten im Ringtausch schwerer Waffen?

Drittens: Wie gravierend muss die kollektive psychotische Störung  unserer Specie sein, dass wir NICHT jetzt, sofort, friedlich und gewaltfrei eine grundlegende Revolution in den Regeln unseres weltweiten Zusammenlebens vom Zaun brechen? 




(verändert via wiki commons)







Donnerstag, 28. Juli 2022

Noch mehr Raisonnements eines Low&slow-Fliegers

 

Einige Felder haben so eine auffällige Zeichnung, die meisten aber nicht. In vielen Fällen gibt es für diese Muster bestimmt eine naheliegende Erklärung oder wenigstens eine höchst plausible Vermutung. In manchen aber vielleicht auch nicht. 

Zu gern wüsste ich, ob es eine praktikable Methode gibt, derlei herauszufinden.


(Irgendwo an der Hunte östlich Oldenburg)


Schon kurz nach dem Start: Der Panorama-Blick! Hier nur ein ca. 60°-Ausschnitt, man stelle sich bitte die restlichen 300° vor. Außerdem muss man sich die fehlende Auflösung des Fotoapparates schöndenken. Aber ich schwör', die Sachen sind da und eigentlich gut zu sehen. 

Legende: 1) Funkturm Rastede; 2) Westzipfel Jadebusen, davor Dangast; 3) Industrieanlagen Wilhelmshaven (etwa 58 km entfernt); 4) hab' ich vergessen 5) Kaianlagen Bremerhaven (daumenpeil 56 km entfernt); 6) Getreidesilo Brake

Und im Gegensatz dazu die ziemliche Nähe ¹: Du kannst den Bauern in Ruhe bei der Arbeit zusehen.


Den gutmütigen Spott, 120-Kilo-Trikes seien Gartenstühle am Himmel, ertrage ich huldvoll. Was bitte gibt's Geileres als einen Gartenstuhl am Himmel??? Was kann man denn sonst wollen? 



_________________

¹ Hier bin ich für meine Verhältnisse ungewöhnlich hoch, fast 300 m. Ich bevorzuge eigentlich 180 m plusminus.





Mittwoch, 27. Juli 2022

Nicht so einfach: Vertrauen.

Interessantes Interview mit einem Vertreter einer halboffiziellen us-amerikanischen Propaganda-Schmiede auf France24. Die Perspektive, beim gestern abgeschlossenen westeuropäischen Gas-Pakt sei Deutschland selbstverschuldet in der Rolle des bedürftigen Nehmers und müsse, wie einst Griechenland in der Finanzkrise - seine Hausaufgaben machen, ist neu. 

Klar ist: Es ist reinstes US-Interesse, dass Deutschland sich von den russischen Gaslieferungen emanzipiert, nicht, um wirtschaftspolitische Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, sondern vor allem, um die Abhängigkeit vom teuren amerikanischen Fracking-Dreck gleichermaßen zu erhöhen.  

Klar ist auch: Deutlich ist zwischen den Zeilen die Lust am Deutschland-Bashing herauszulesen. Dem ewigen Muster-Knaben Versäumnisse vorwerfen zu dürfen, der Versuchung kann man nicht widerstehen.

Richtig ist: Es tut der doitschen Psyche bestimmt gut, auch mal auf die Hilfe Anderer angewiesen zu sein. Und dass Spanien, obwohl es selbst kein großes Gas-Problem hat, sich aber um unserer Willen zu Einschränkungen bereiterklärt, sollte uns Dankbarkeit und Demut lehren.

Aber: Auch im Nachhinein und auch angesichts der definitiv schändlichen aktuellen Gasversorgungs-Taktiken der Russen halte ich das deutsche Konzept der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland der letzten Jahre und Jahrzehnte für klug und richtig. Das müsste - insbesondere den westlichen EU-Partnern - vielleicht nochmal erklärt werden. 

Russland hatte historisch und hat in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit Angst, vom "Westen" wirtschaftlich, kulturell und militärstrategisch überrollt zu werden. Wie berechtigt diese Angst war und ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen und unterliegt erheblichen Schwankungen. 

Die deutsche Ost-Politik setzt seit Willy Brandt auf Annäherung und Vertrauensbildung. (Achduscheiße, was ist das denn für ein salbungsvoller, nichtssagender Satz!? Sofort aufhören mit dem Geseiere!) Kurz und knapp: Ich fand und finde es gut, dass Deutschland sich ganz bewusst abhängig gemacht hat, genauer: dass Deutschland mit Russland ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten zugelassen und bewusst in Kauf genommen hat. Wenn stets nur die eine Seite die andere erpressen kann, umgekehrt aber nicht, dann kann niemals Vertrauen entstehen. 

Und ja, wir haben dabei auch finanziell einen guten Schnitt gemacht, einen, auf den die ewig zeternden Polen und die ewig imperialistisch-eifersüchtigen U.S. of A. neidvoll geblickt haben, aber die Russen waren's, soweit ich weiß, auch zufrieden, und es ist richtig, weil stabilitätsfördernd, wenn  Handelsbeziehungen zu beiderseitigem Vorteil dienen. Die Russen müssen doch auch irgendwo das Geld verdienen können, mit dem sie anschließend westliche Maschinen und Autos kaufen sollen. 

Natürlich fällt uns jetzt dieses Konstrukt teilweise auf die Füße. Ja, das ist enttäuschend. Na und? War es deshalb falsch, wie die Falken, die Klugscheißer und die notorischen Deutschland-Basher uns jetzt weismachen wollen? Nö! Man konstruiere bitte eine plausible Alternative, will sagen: Man skizziere mir eine europapolitische Alternative der letzten 40, 50 Jahre, in der wir "Westler" immer nur auf "dicke Hose" machen, immer nur aus einer Position der Stärke und Überlegenheit mit den Russen respektive den Sowjets kommunizierten. Ich bin sehr gespannt.



Rechte Bratzen, Besserwisser, Kriegshetzer, Alt-Nazis, Spießer, US-Amerikaner, Visegrad-Autokraten. Man schaue sich bitte mal genau an, wer an der deutschen Russland-Politik herummäkelt.
Vielleicht erkennt man ein Muster. 
 






Dienstag, 26. Juli 2022

It's a gas! Gas! Gas!

 

Boah, wäre das schön. Man stelle sich vor, in dieser Situation, da wir mittels der russischen Gaslieferungen erpressbar sind und erpresst werden, würde das ganze deutsche Volk gemeinsam, gleich und solidarisch reagieren und unisono trotzen und den je individuellen Gasverbrauch klug und freiwillig und radikal reduzieren - bis Putin begreift, dass er uns mit so miesen Methoden nichts anhaben kann, sondern nur die Interessen seines eigenen Volkes schädigt.

Oder noch schöner: Nicht nur die Deutschen, sondern alle freien, real-demokratischen europäischen Nationen, sprich: die im Westen und Norden, bewiesen in der Gas-Spar-Sache so eine Einmütigkeit und Solidarität, wohl wissend, dass, je konsequenter und uneingeschränkter eine solche Selbstbeschränkung im Gasverbrauch ausfiele, desto kürzer die Krise andauerte.

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.    

Nicht nur unser Wirtschafts-, sondern unser gesamtes Gesellschaftssystem basiert auf dem Prinzip hemmungsloser, individueller - nein: egomanischer - Gier. In der Folge sind wir nicht mal mehr dann in der Lage, rational und solidarisch zu handeln, wenn dies mittel- oder langfristig zu unserem ganz persönlichen Vorteil wäre. 

Daraus folgt:

  1. Putins dreckige Tricks mögen ethisch untragbar sein, sie basieren aber auf einer glasklaren Einsicht in unsere Denk- und Handlungsmuster und sind daher in sich schlüssig.
  2. Die Reaktionen doitscher und europäischer Plittikörr sind so offensichtlich lächerlich und erbärmlich, weil die Herrschaften zwar einerseits die erschütternde Wahrheit über unsere geistige Verfasstheit kennen, weil ihre persönliche Macht ja genau darauf basiert, weil sie aber andererseits das zutiefst Unethische unserer Grundhaltung auf keinen Fall offen benennen dürfen.
  3. Man sagt, wenn überhöhter Eigenanspruch mit niedriger Realität kollidiert, entstünde Komik. Irgendwie stimmt das aber wohl nur so halb ... 

Dennoch bleibe ich dabei: Was wäre das für ein traumhafter Zustand, wenn wir wirklich fähig wären, gesamtgesellschaftlich solidarisch zu sein. 

Und wie sehr hasse ich die Aussicht, dass ich spätestens mit Wiederbeginn der Heizperiode daran werde denken müssen, dass die profitgeilsten, rücksichtslosesten, reichsten Arschlöcher in diesem unserem Lande sich erneut auf Kosten der Allgemeinheit jeden denkbaren energetischen und finanziellen Vorteil verschaffen werden, während ich arme Wurst gestern die Zirkulation im häuslichen Warmwasserkreislauf runtergefahren habe, um den privaten Gasverbrauch ein klitze-bisschen zu reduzieren. 





(stark verändert via wiki commons)





 

Montag, 25. Juli 2022

Triviales erkennen leicht gemacht

Bereits in einem MAD-Magazin der späten 70er, leider weiß ich die Ausgabe nicht mehr, wurde völlig zutreffend festgestellt, schlechte triviale Filme erkenne man daran, dass die Protagonisten immer einen Parkplatz fänden. 

Aufgrund aktueller persönlicher Befindlichkeit ergänze ich als weiteres Merkmal für richtig schlechte Trivies die pervers¹ überoptimistische Darstellung der Verfügbarkeit medizinischen Personals. Unglaublich viele Filme und Serien ² stellen dieses Merkmal sogar ins inhaltliche Zentrum.


 Ok, Doc Holliday (1851 - 87) war "nur" Zahnarzt, ist nicht nur fiktiv und wurde auch nicht eben für seine Heilungserfolge berühmt. Aber beim OK Corral, da hat er sich zeitnah voll eingebracht ...



Wer kennt nicht MASH 4077 aus den 70ern? Der Kino-Film und die ersten Seasons sind allerdings ziemlich mistig. Erträglich wird's erst später, als die Kritik am Vietnam-Krieg immer deutlicher durchschlägt.







Schöneres Arzt-Klischee kann nicht sein und werden: Doktor "Pille" Mc Coy aka "Er-ist-tot-Jim"



Wie erbärmlich dagegen rezente doitsche Versuche: So viel satte, spießbürgerliche Selbstzufriedenheit ist nur noch eklig.


... und NIE wird in diesen Machwerken einem Patienten gesagt, sechs bis acht Monate Wartezeit auf den ersten Vorab-Termin, da müsse man schon mit rechnen.








¹ "pervers" heißt eigentlich nur "sinnverdreht".

² Ich wollte ein paar Beispiele nennen, wurde aber von der Masse erschlagen. Googelt einfach mal "Arztserien". Früher gab's dann auch noch die "Arzt-Romane".






Mittwoch, 20. Juli 2022

How can we look at each other down the barrel of a gun?

 

Gerade zufällig wiederentdeckt: John Farnhams "You're the Voice", 1986. 

"We have the chance to turn the pages over
We can write what we want to write
We gotta make ends meet, before we get much older

We're all someone's daughter

We're all someone's son
How can we look at each other
Down the barrel of a gun?
You're the voice, try and understand it
Make a noise and make it clear
Oh, whoa
We're not gonna sit in silence
We're not gonna live with fear
Oh, whoa
This time, we know we all can stand together
With the power to be powerful
Believing we can make it better

Ooh, we're all someone's daughter

(...)"


Was mir auffällt: Der Ukraine-Konflikt wird seit Monaten mega-medien-gehypt, aber eine richtig kraftvolle, die Machtblöcke übergreifende Anti-Kriegs-Bewegung wie Anno dunnemals scheint dabei nicht zu entstehen. Warum eigentlich nicht? Weil sogar die Grünen uns mittlerweile einreden, dass Pazifismus nur dann funktioniert, wenn kein Krieg ist? Das ist natürlich eine einleuchtende Logik: Demokratie fordert man nur dann, wenn es keine autoritären Arschlöcher gibt, Solidarität fordert man nur, wenn alle mitmachen und Mitgefühl nur, wenn alle es längst haben. 

Das Ende des rationalen, des mutigen, streitbaren politischen Diskurses.






(1979 - NATO-Doppelbeschluss - Bild stark verändert via wiki commons)

 






Dienstag, 19. Juli 2022

Gönn' Dir!


Ich finde es großartig, dass Mercedes-Benz, nebst BMW und Audi, sich jetzt ganz öffentlich und ganz ausschließlich für das Luxus-Segment entscheidet und alles Andere einschlafen lassen will. Ich finde das großartig, weil es gesellschaftliche Klarheit schafft und somit das Leben vereinfacht. Künftig werden wir auf der einen Seite die Leute haben, deren Welt- und Menschenbild ausschließlich am besinnungslosen Profit und Konsum ausgerichtet ist, und auf der anderen Seite den ganzen Rest. Mit der Entscheidung für einen Mercedes, BMW und Audi ordnet man sich künftig noch bewusster der Gruppe der (Möchtegern-)Reichen zu ¹ und wendet man sich noch ausdrücklicher gegen so naiv-idealistisch-rotgrün-versiffte Ideen wie Solidarität, Toleranz, Umweltschutz blablabla. 

Danken wir den Luxusmarken! Begrüßen wir es, den Arschlöchern jede Möglichkeit zu geben, ihr Arschloch-Sein öffentlich zur Schau zu stellen. 




(stark verändert via wiki commons)
Der feuchte Traum automobiler Sinnlosigkeit.
Man muss sich auch mal gönnen können. 



¹ Fette SUVs können wir da grundsätzlich auch gelten lassen.





Samstag, 16. Juli 2022

Die Zukunft der Zukunft ist schon da.


Freudige Erregung! Im aktuellen Heft der "Max Planck Forschung" 02/2022 wird der nächste Schritt der Digitalisierung von Schule vorgestellt, das "Maschinelle Lehren". Die Einzelheiten findet man hier, Seite 69 ff, an dieser Stelle nur so viel: Maschinelles LeRNen ist ja ein alter Hut. Man setzt Schüler*innen vor einen Monitor, und er*sie kann sich mehr oder weniger interaktiv durch Lernstoff klicken. Maschinelles LeHRen hingegen bedeutet, dass die*der Schüler*in dabei je individuell von einer pädagogisch wertvollen, freundlichen KI begleitet wird, die Erfolge belohnt und weiter einübt und bei Nicht-Erfolg Tipps, Tricks, Anregungen, algorithmisch reduzierte Teilaufgaben, Erinnerungshilfen und automatisch erstellte Arbeitsblätter nach individuellem Bedarf entwickelt und bereitstellt. 

Die menschliche Lehrperson, so wird mehrfach versichert, soll dadurch natürlich nicht ersetzt werden, sondern gewinnt Freiräume, um sich in einem hoch-differenzierten Fachunterricht einzelner Schüler*innen besonders individuell anzunehmen.¹ Sogar der alte Meidinger, der Vorsitzende des doitschen Lehrerverbandes, sieht darin viele großartige Chancen und Möglichkeiten und fragt nur fast beiläufig und ohne konstruktiven Anteil, wie die resultierende Leistungsspreizung am Ende einer so gestalteten Lernkarriere zu händeln ist.    

Man braucht nicht viel Zynismus und nur ganz wenig Erfahrung in Sachen Schulunterricht, um zu prognostizieren:

  1. Das System wird zwangsläufig kommen, denn privatwirtschaftliche Unternehmen werden damit eine Mörderkohle verdienen.
  2. Lehrer*innen werden natürlich überflüssig, jedenfalls in ihrer pädagogischen Rolle. Benötigt werden thumbe System-Hausmeister*innen, die bei niederwertigen technischen Problemen helfen und Verwaltungslakaien, die Leistungsverweigerer zwecks weiterer Veranlassung an die Obrigkeit melden. 
  3. Schüler*innen werden ihre Schulstunden, -tage und -jahre vor Monitoren in multimedialer Interaktion mit ihren Robot-Lehr-Apps (nicht zwingend in der Schule, gerne auch zu Hause oder woauchimmer) zu hirntoten Knöpfchen-Drückern² dressiert. 

Von einem bestimmten rückwärtsgewandten, links-humanistisch-aufklärerischen Standpunkt aus könnte man diese Punkte natürlich negativ konnotieren. Manche Leute haben immer was zu meckern, wenn sie "Fortschritt" oder "Profit" hören. 

Da ich ein durch & durch schlechter Mensch bin, befiel mich bei der Lektüre dieses Artikels eine fröhlich sprudelnde klammheimliche Freude:

Zu viele Dummbratzen schreien gerade öffentlich orgasmisch nach immer mehr unevaluierter, d.h.  besinnungsloser Digitalisierung von Schulunterricht. Zu verächtlich, zu dümmlich-arrogant ist ihr Umgang mit jeder Form von Zweifel, mit jeder kritischen Nachfrage. Zu unreflektiert, zu unintelligent, zu billig ihr Gleichsatz von "Digitalisierung" mit "jung, modern, hip, cool, progressiv", ihr zum Fremdschämen peinlicher Distinktionsversuch via Digital-Affinität. Zu ulkig wird der Moment ihrer Erleuchtung, wenn sie bemerken, dass längst hoffnungslos veraltet und überholt ist, was sie jetzt noch als letzten, den allerneuesten heißen Scheiß feiern. 

Ihr tut mir nur ein ganz kleines Bisschen leid, Dummbratzen, aber in fünf, spätestens sieben Jahren werdet Ihr beruflich und berufs-ethisch so dermaßen auf die Fresse kriegen - und zwar von genau den Konzernen, die Ihr jetzt gerade mit einer unfassbaren Naivität pampert und vergöttert.

Aber mit einer so pessimistischen Aussicht will ich nicht schließen. Blicken wir NOCH weiter in die Zukunft. Wie wird unser Schulsystem dann aussehen?

Jede Schüler*in wird so viel wie möglich mit ihr-*seinem KI-Bot herumhängen. Vielleicht wird daraus eine lebenslange Partnerschaft, denn zu lernen gibt es ja immer jede Menge, und warum sollte die KI gegen eine entsprechende Abo-Gebühr nicht auch das Modul "Wie mache ich eine Lohnsteuer-Erklärung" bereithalten? Vielleicht brauchen wir dann auch keine menschlichen Partner*innen mehr, die Geburtenrate sinkt, die Überbevölkerung schwindet, die Klimakatastrophe kann abgesagt werden, Friede, Freude, Eierkuchen.

Ernsthaft: Wenn die Dinge gut laufen, wird mensch irgendwann merken, dass das, was KIen an Wissen vermitteln können, nicht das ist, was für uns Menschen wirklich relevant ist. Ich meine, wir mussten bzw. müssen ja auch lernen, dass sämtliche Dinge, die man mit einem Preisschild versehen kann, nicht wirklich wertvoll sind. 

Vielleicht werden wir eines Tages wirklich schlau.




(verändert via wiki commons via apfelfront)




¹ Warum die menschliche Lehrperson sich überhaupt noch individuell um Schüler*innen kümmern soll, wo doch gerade diese Spezial-Fähigkeit von der KI übernommen werden soll, diesen Widerspruch löst der Artikel leider nicht auf. 

² Ich verzichte hier bewusst auf sprachlichen Ausdruck generischer Vielfältigkeit. Die Produkte eines derartigen Systems werden nicht bunt und vielfältig und individuell sein. Das ist mal sicher.







Dienstag, 12. Juli 2022

Mittelmaß ist Optimum

 

Zwar neige ich dem aufklärerischen Selber-Denken zu, doch hilft mir die medizinal-obrigkeitliche Zertifizierung meiner Depression als solcher, da ich nunmehr aufhören kann, mir ob meiner schwiemeligen, diffusen und molluskenhafte Macke die üblichen Anwürfe des Spießertums selbst anzutun.    

Gleichwohl denke ich natürlich über Ursachen nach, recherchiere und rede mit Leuten. Bei Letzterem fällt auf, wie viele Menschen, wenn das Gespräch in die Richtung trudelt, sagen, dass sie diese Gefühle des Ausgebranntseins bis hin zu einer - je nach Schwere mehr oder weniger ausgeprägten - Handlungsunfähigkeit in bestimmten Bereichen des Alltags verspüren bzw. regelmäßig selbst erleben. Die Zahlen nehmen zu, auch unabhängig von Corona, und ich frage mich, warum. 

Sind wir alle Weicheier geworden? Haben nicht auch schon Veteranen des Weltkrieges Numero 2 moniert, dass selbst nach sechs Jahren an der Front so eine neumodische Pseudo-Krankheit wie PTBS bei ihnen nicht vorkam, während die heutigen BW-Schwuchteln damit schon nach einem Vierteljahr aus Afghanistan nach Hause kamen? Gibt es eine allgemeine, ungute Tendenz zu "unkonkreten Krankheiten" ¹ ?

In puncto Depression geht die Fachwissenschaft eher von einem Nachweis-Effekt aus: Früher war die Krankheit weniger bekannt und wurde folglich seltener diagnostiziert, meistens wurden dafür andere, falsche, Diagnosen vorgeschoben. Einen ähnlichen Effekt kennt man bei Krebserkrankungen. 

Mir ist in den oben erwähnten Gesprächen ein Punkt aufgefallen, den ich hier als Hypothese formuliere und weiterer Beobachtung für würdig erachte: Unter Depressionen ²  leiden vor allem Menschen, die sich Mühe geben bzw. gegeben haben, Menschen, die alles gut und richtig machen wollen bzw. wollten, Menschen, die sich für Aufgaben mit voller Kraft, mit ganzem Herzen, mit aller Seele einsetzen bzw. eingesetzt haben. 

Ist es möglich, so fragt meine Hypothese, dass die Zahl der Depressiven mit der Durchsetzung der Forderung korreliert, wir müssten sowohl im Job als auch in der Kindererziehung als auch bei klima-, gesundheits- und sozialverantwortlichen Konsumentscheidungen als auch bei Liebe, Sex, Zärtlichkeit und Gendergerechtigkeit als auch bei allem Anderen entweder mit maximalem geistigen, körperlichen und spirituellen Totaleinsatz, mit nicht unter 110 % zur Sache gehen oder sollten es lieber gleich lassen?

Müssen wir vielleicht wieder lernen, dass man einen Job ³ nur dann dauerhaft, neudeutsch: nachhaltig, durchhält, wenn man ihn mittelmäßig erledigt, statt die Selbstanforderungen sukzessive und ad infinitum zu steigern?

Stopp! Bei dem Schlagwort "Mittelmaß" sollten wir kurz verharren. Geht es Ihnen, geneigte Leser*in, vielleicht auch so, dass "Mittelmaß" negativ konnotiert ist? Wenn jemand eine "nur mittelmäßige" Leistung abliefert, ist das schlecht, oder? Vorschlag: Wir setzen "Mittelmaß" wieder da hin, wo es sprach-logisch hingehört, nämlich an den höchstmöglichen Punkt einer Normalverteilungskurve. Und wir definieren: Mittelmaß ist normal. Wenn Du mittelmäßig arbeitest, ob zum Gelderwerb oder in der Kindererziehung oder sonstwo, hast Du die angemessen erwartbare Leistung erbracht. Mehr ist nicht vonnöten, nicht einklagbar und dauerhaft auch nicht durchzuhalten.

Frage: Wer hat eigentlich einen Nutzen davon, dass "Mittelmaß" zum Schimpfwort geworden ist?
Antwort: Der sogenannte Arbeitgeber und der zahlungskräftige Kunde in der ungebremsten Marktwirtschaft, der mit dieser Taktik permanent immer mehr Leistung von Dir einfordern kann, ohne, dass er mehr dafür zu zahlen hat. 

Wenn wir alle uns wieder auf den ursprünglichen Standard einigten, dass das, was im statistischen Mittel (!) geleistet wird und zu leisten ist, hinreichend ist, dann könnte es sein, dass abhängig Beschäftigte seltener an Erschöpfungszuständen ausbrennen. Was ist das für eine bescheuerte Welt, in der Beschäftigte, die sagen, sie kämen mit den an sie gestellten Anforderungen gut klar, wegen offensichtlicher Minderleistung und/oder mangelndem Ehrgeiz verachtet werden?

Was war ich für ein bescheuerter Idiot, dass ich die normgemäßen Anforderungen als banalen Pflichtteil abgetan und meine beruflichen Lorbeeren stets in der darüber hinausgehenden Kür gesucht habe? Was war und ist der Dank? Puuuh...!




Frei vom Zwang zur Selbstoptimierung und Selbstausbeutung
(verändert via wiki commons)



¹ Das Schlagwort "konkrete Krankheit" habe ich mir gerade ausgedacht. Wenn ich daran denke, dass aufgrund meines Ausfalls andere Menschen zu mehr Arbeit gezwungen werden, wünsche ich mir einen vorzeigbaren Beinbruch mit fettem Gips drumrum, wie anno dunnemals. Dann wäre mein Gewissen ruhiger. Das ist bekloppt, aber wahr.

² Aus Gründen der besseren Lesbarkeit tu ich mal so, als wäre der Begriff hinreichend definiert. Ist er nicht. Egal jetzt. 

³ - und sogar einen Beruf (für Leute, die den Unterschied kennen und beachten)