Samstag, 5. Februar 2022

Signale der Freiheit contra Olympische Spielchen



Ich find's großartig, dass die Olympischen Winterspiele 2022 in Beijing uns allen, Groß und Klein, Arm und Reich, Hier und Da, Schwarz und Weiß, Ost und West, Dick und Doof, die perfekte Chance bieten, unsere Meinung darüber kundzutun, was wir von autokratischen Regimes, von den Feinden der Menschenrechte, der Presse- und Meinungsfreiheit und von korrupten Funktionären und mega-gehypten, mega-kommerzialisierten Sport-Events halten. 

Die Zauberformel ist der Boykott. Man stelle sich vor, alle aufrechten Demokrat*innen dieses Planeten würden alle medialen Übertragungen wegschalten bzw. wegklicken, man stelle sich vor, jeder Sponsor und jeder Werbepartner dieser schmierigen, dreckigen Spielchen würde fortan konsequent boykottiert und verachtet werden. Was für ein herrliches Signal wäre das!

Ja, ich weiß, die Zeiten, sie sind nicht so. Ist mir egal. Ich zieh' das jedenfalls durch. 



                                         Streiche: "Fighting" und "Peace".
                                         Setze: "Olympia 2022" und "Menschenrechte"





Dienstag, 1. Februar 2022

Private Ab- und Ansage

Ich missbrauche diesen Blog mal eben für eine private Ansage:

In gut 14 Tagen werde ich vor genau 60 Jahren die Notbeleuchtung ¹ der Welt erblickt haben. 

Ich habe beschlossen, dass ich von diesem künftigen Tage an mein unfassbar unklares, fraktal-facettenreiches, chaotisch changierendes Selbstbild konsequent um das vorangestellte Attribut "alt" ergänzen werde. Ich werde also beispielsweise, wenn ich wieder mal in entsprechender Stimmung bin, mich nicht mehr nur als "zynischen, menschenfeindlichen Drecksack" bezeichnen, sondern als "alten, zynischen, menschenfeindlichen Drecksack". 

Es ist klüger, habe ich festgestellt, derartige Attribute sich selbst und bewusst und vernunftbasiert und rechtzeitig zuzuordnen, als immer wieder festzustellen, dass man wieder mal einen längst, längst, längst vollzogenen Entwicklungsschritt total verpennt und / oder peinlich zeitverzögert als Allerletzter wahrgenommen hat. 

Also: Ab demnächst bin ich offiziell alt, klar soweit?

Diesen herrlichen Schritt, der so herrlich ist, weil er mich fürderhin von jeglicher kognitiver, emotionaler, sozial-normativer und körperlicher Leistungserwartung entlastet, wollte ich eigentlich ganz groß und wild und ungehemmt zusammen mit vielen lieben Menschen feiern ... eigentlich.



Soweit der Plan ²...

... leider verunmöglicht durch die zwei großen "K", Korona und Kackwetter.  

Kurz: Alle angedachten Saturnalien sind hiermit gekänzelt. Aber: Im Sommer, irgendwann im Juli, wenn das Wetter warm und das Virus weit sind, werde ich mich freuen, Euch zu o.g. Paahdie begrüßen zu dürfen. ³ 





¹ Eine ziemlich fiese Sturmflut hatte u.a. die normale Energieversorgung des Stader Krankenhauses abgeschaltet.

(stark verändert via wiki commons)
Das Bild stammt aus besagter Sturmflut, 
hat aber nicht direkt etwas mit meiner Familie / mir zu tun. 


² Ein Foto der letzten Paahdie.

³ Die Zentauren (re. im Bild) werden übrigens nicht wieder eingeladen, die haben mir voll in die Beete gekackt, ohne es wieder wegzumachen.







Montag, 31. Januar 2022

Man muss sich auch mal betrügen lassen wollen!

Der Widerspruch zwischen den explodierenden Corona-Infektionszahlen einerseits und der - je nach politischen Couleur - auffälligen Teilnahmlosigkeit (SPD) oder jovial-herrschaftlichen Laissez-faire-Attitude (CSU, FDP) sollte uns eigentlich erstaunen. Erklären lässt er sich nur damit, dass die Macht-Habenden in diesem unserem Lande nun offensichtlich die Durchseuchung zwecks Herdenimmunität befördern. Mit Omikron werden wir ja nur ein bisschen krank, da mag's angehen. 

Ich will die Sache hier nicht bewerten. Bemerkenswert ist aber, dass sich über die Parteigrenzen hinweg alle an die Sprachregelung halten, das Wort "Durchseuchung" nicht zu verwenden. Es erinnert an die Zeit, da aus versicherungstechnischen Gründen (!) der Krieg in Afghanistan nicht "Krieg" genannt werden durfte und die Bundeswehr nur ein "regionales Aufbauteam" war. 

Wenn die Bundesregierung heute öffentlich zugäbe, die Durchseuchung der Doitschen einfach geschehen zu lassen, käme vielleicht jemand auf die Idee, sie wegen unterlassener Was-weiß-ich und fahrlässiger Blablabla zu verklagen. Also: Don't ask, don't tell.

Zwar bin ich immer noch überzeugt, dass die Menschheit im Allgemeinen und Plittikör im Besonderen für eine richtige Verschwörung zu doof sind, aber hin und wieder funktionieren Absprachen der Partei-Bosse und Stichwortgeber. Wir, das Wahlvolk und ergo der Souverän in diesem Lande, sollten uns allerdings sehr bewusst machen, dass die von uns beauftragten Regierungs-Lakaien uns wieder mal mit vielen süßen Worten die unschöne Wahrheit verschweigen.



(verändert via wiki commons)

"Inzidenz 1176 und steigend und Ihr wollt unbedingt lockern? Ja, nee, is' klar!"





 



Samstag, 29. Januar 2022

Mehr als blöd

Gratis-Zeitungen müssen bekanntlich einen redaktionellen Teil haben, ein pseudo-journalistisches Feigenblatt, das sie rechtlich von reiner Werbe-Wurfsendung abhebt. Jetzt las ich dort, dass irgendein ländliches Gemeinde-Gremium über irgendwas abstimmen müsse und dass die Entscheidung, Zitat: "mehr als knapp" ausfallen dürfte. 

Frage: Bedeutet "mehr als knapp", dass es in dem Parlament eine satte Mehrheit für die Entscheidung geben werde, dass mehr als nur eine knappe Mehrheit der Stimmberechtigten dafür stimmen werde? Oder möchte der Praktikant ausdrücken, dass die Entscheidung nur mit einer sehr geringen Mehrheit, aber sowas von wenig, also echt: puuh, haarscharfe Sache, das, fallen dürfte? 

Jaja, es ist eine jedem Doitschlehrer innewohnenden Marotte, missverstehen zu wollen, was man grammatisch-logisch missverstehen kann. Können wir uns trotzdem darauf einigen, dass die Konstruktion mit der Floskel "mehr als ...", sofern nicht wirklich zwei unterscheidbare Phänomene quantitativ verglichen werden, missverständlich ist und dass nur Doofe sie verwenden?

Letzteres ist durchaus keine Beleidigung. Die grammatische Komparation (knapp, knapper, am knappesten oder: gut, besser, am besten oder: schnell, schneller, am schnellsten etc.) ist eine intellektuelle Herausforderung, der man im Fremdsprachenerwerb zeitweilig durch stereotype Hilfskonstruktion ausweichen kann: knapp, mehr als knapp, voll knapp, ey oder: gut, mehr als gut, voll gut, ey oder: schnell, mehr als schnell, voll schnell, ey .

Der linguistische Rassismus hat ähnliche Vereinfachungen früher dem "intellektuell unterlegenen Eingeborenen" zugeschrieben, dem jovial die Komparation "knapp, viel knapp, viel, viel knapp" oder "gut, viel gut, viel, viel gut" oder "schnell, viel schnell, viel, viel schnell" zugestanden wurde.  

Vergleiche auch Verbalkonstruktionen mit "tun": Wenn ich Schwierigkeiten mit den Flexionsformen der Verben habe, warum, soll ich dann nicht auf standardisierte Hilfskonstruktionen zurückgreifen: "Ich tu einen Zeitungsartikel schreiben." oder "Morgen tu ich Holz hacken."?

Der von mir sehr verehrte J.R.R. Tolkien hat das zugrundeliegende Prinzip sehr klug erfasst und der Ork-Sprache eine besonders wenig herausfordernde Struktur gegeben, indem alle Verben regelmäßig flektiert, alle Satzgegenstände an den Satzanfang gestellt und alle weiteren "Anhängsel" beliebig nachgeordnet werden:

"ash nazg durbatulûk
ash nazg gimbatul
ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul"

"Ein Ring, damit man man sie mehr als knechten tut,
ein Ring, damit man sie mehr als finden tut,
ein Ring, damit man sie mehr als in die Dunkelheit treiben tut und voll ewig, ey, anbinden tut."

Das versteht auch ein Jung-Ork, der, sagen wir, aufgrund seiner Dienstobliegenheiten nicht sooo viel Zeit für den Kompetenzerwerb in der sprachlich-literarischen Domäne hatte.

Die lyrische Anmutung des Original-Textes, die Eindringlichkeit verheißende Verwendung von Anaphern ist ein wenig untypisch für das Orkische, aber der Text wurde auch von einem Elfen-Lord verfasst, und es gibt sonst nur wenige Schriftdenkmäler des Orkischen. Ork-Sprache findet überwiegend im Live-Stream statt. In diesem Sinne haben die Orks längst kulturelle Ziele erreicht, auf die wir gerade erst hinarbeiten.



(stark verändert via wikimedia)
Ian Miller, Orks. 

Früher konnte man noch eigene Phantasien über das Aussehen der Orks entwickeln. 
Dann kamen Jacksons Kinofilme und die Dominanz des US-Standard-Geschmacks. 
Früher war mehr Lametta.






 


Samstag, 22. Januar 2022

Dilettantus musicus

Mist. Musste gerade feststellen, dass Rupert Hine bereits vor fast zwei Jahren gestorben ist. 

Ich habe das stechende Gefühl, dass das ein riesengroßer Verlust ist. Und das ist sehr erstaunlich, denn

  • erstens bin/war ich kein wirklicher Fan von RH, sondern weiß ich nur, dass sein Album "Immunity" mich wahnsinnig beeinflusst hat
  • zweitens scheine ich prinzipiell zu wirklich tiefempfundenem Fandom - egal, für wen oder was - unfähig und
  • drittens habe ich von Musik keine wirkliche Ahnung. Ich habe Gossen-Wissen. Oder sagt man Dschungel-Wissen? Egal. Musik-Wissen ist bei mir quasi nicht vorhanden, und wenn doch, dann total unstrukturiert. Die Werke sind über zig Jahre von überallher zufällig auf mich eingeprasselt, und einige fand ich nicht blöd. Manche habe ich jahrelang immer wieder gehört, bis mir auffiel, dass sie doch total blöd weil trivial sind und bei anderen musste ich nach Jahren eingestehen, dass ich sie nur deshalb blöd gefunden habe, weil meine Peers mir damals normativ verordnet hatten, sie blöd finden zu müssen (die Songs, nicht die Peers).  

Heute bin ich immer noch ein musikalischer Blindgänger, Lichtjahre davon entfernt, ein Connaisseur zu sein, also einer, bei dem genussvolle Rezeption und Fachwissen einander in nieendenwollendem Aufschaukelungskreis zu immer neuen Höhen heben. Aber als Dilettanten im allerpositivsten Sinne darf ich mich mittlerweile wohl bezeichnen. 

Zurück zu Rupert. Auf seiner website fand ich das Zitat:

"We wear all the music that we have ever heard; 
we are the product of all the music that we have ever listened to."

Puh, das beeindruckt mich. Meine Dilettanten-Intuition sagt mir, dass die Aussage auf mich voll zutrifft, dass ich das aber bislang nicht hinreichend realisiert hatte. Darum kommt hier als mein Dank und Tribut an Rupert Hine der Anfang (!) meiner Sammlung der Musik-Sachen, die mich irgendwie (!!) geprägt haben. Die meisten Videos sind großer Mist. Es sind die Texte. Und die Musik. Und / oder die Geschichte(n) dahinter. Einige Werke mögen zum Fremdschämen peinlich sein, aber ich bitte die*den geneigte*n Rezipientin*en, um Fairness: Schaut Euch, bevor Ihr lästert, die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen an, unter denen sie produziert wurden. ¹





 (stark verändert via wiki commons)

(...)

While you watch there's always something taking sides
Find a clue in any language
Halloween without a pumpkin, Halloween
Sleeping still they look no meaner than their eyes
Trick or treat or lies
Can I keep on running?
Can I keep on running?

It's only surface tension but break it and we sink
Reach out for the master's mask
The wound is deeper than you think
It's only surface tension but break it and we sink
Reach out for the master's mask
The wound is deeper than you think

(...)
Rupert Hine: Surface Tension






¹Ihr werdet aber auch ein paar wenige Texte finden, die tatsächlich total trivial sind. "Beautiful Noise" von Neil Diamond zum Beispiel. Früher hätte ich sowas schamhaft verschwiegen bzw. aggressiv geleugnet. Heute siele ich mich darin, Dilettant zu sein und sein zu dürfen und mir ergo auch Schrott einpfeifen zu dürfen, wenn er mir denn gefällt...  





Dienstag, 18. Januar 2022

Wot I learned from "Diplo"


Habe neulich schweren Herzens "Le Monde diplomatique" abbestellt, denn im Hinblick auf meine Zukunftspläne ist es derzeit angesagt, meine fixen Kosten zu reduzieren. Ich mag die Zeitung nach wie vor und empfehle sie uneingeschränkt. Alleine, weil man allen Artikeln Quellenangaben beigibt. Die Inhalte sind journalistisch hochprofessionell, durchweg interessant, von globaler Relevanz, kritisch und klug. 

Aber.

Wenn man die "Diplo" ein paar Jahre lang aufmerksam gelesen hat, hat man auch erkannt, dass die Welt in ihren verschiedenen Ecken immer wieder nach ganz bestimmten Prinzipien tickt. West-Europa ist reich, verwöhnt und egoistisch und lässt sich von Konzernen beherrschen. Nord-Amerika ist reich, machtgeil und egoistisch und lässt sich von Konzernen beherrschen. Süd-Amerika ist arm und lässt sich von machtgeilen Narco- und Geld-Clans beherrschen. China ist machtgeil, will auf Biegen und Brechen reich werden und lässt sich von der KPCh beherrschen. Russland will nicht noch ärmer und machtloser werden und lässt sich von Putin beherrschen. Indien ist arm und lässt sich von machtgeilen Polit-Clans beherrschen. Afrika ist arm und zersplittert und die herrschenden Clans ausverkaufen seine Seele an China und westliche Konzerne.

Dazwischen krebsen ein paar Micker-Staaten, die sich nicht entscheiden können, von welchem Block sie sich zermalmen lassen wollen, und dann gibt es noch den sogenannten Nahen Osten, wo alle egoistisch sind und wo kein Mensch mehr durchblickt, insbesondere seine Einwohner*innen nicht.

Korruption in allen ihren Varianten ist Antrieb und Schmiermittel, allüberall, sie steht am Anfang und am Ende jeder überindividuellen gesellschaftlichen Kausalität.

Weckt mich, wenn sich etwas zum Besseren verändert.




(stark verändert via wiki commons)
All I need to know about life I learned from Star Trek.





  



Mittwoch, 12. Januar 2022

Immer und überall

 

Bei den meisten Menschen ist inzwischen angekommen, dass eine Aussage wie "Kolumbus entdeckte Amerika" ein dümmlich-dreister Lapsus ist, der nur dann Sinn ergibt, wenn man den geistigen Horizont spätmittelalterlicher Westeuropäer als Maß aller Dinge nimmt. Die Ureinwohner der "entdeckten" Kontinente hätten ob so viel kranker Egomanie wohl nur ein mitleidiges Lächeln übrig, wenn sie denn nach ihrer "Entdeckung" noch viel zu lächeln gehabt hätten. 

An diesen Sachverhalt fühlte ich mich erinnert, als ich über den "Sensationsfund. Ein kompletter Ichthyosaurier" im Teaser des Artikels las: "180 Millionen Jahre war es unentdeckt." 180 Millionen Jahre sind wahrlich ein beeindruckender Zeitraum. Man bedenke, dass der Asteroideneinschlag, der den Anfang vom Ende der Dinosaurier einläutete, erst 66 Millionen Jahre her ist. Da schlummerte der Ichthyosaurier bereits seit 114 Millionen Jahren in seiner letzten Ruhestätte - unentdeckt, wie wir heute lesen. 

Die Leistung der britischen Arbeiter, die das Fossil dann entdeckten, wird durch diese 180 Millionen Jahre natürlich besonders sensationell. Immerhin hätte seit 180 Millionen Jahren jeder Dödel diese Entdeckung machen können, aber nein, das arme Tier musst so lange warten ...

An dieser Stelle müssen wir offenbar erstmal klären, was "entdecken" eigentlich bedeutet. Wäre es eine "Entdeckung", wenn ein anderer Dino am Fossil geschnüffelt hätte? Oder ein frühes Insekt? Oder eines der ersten Säugetiere? Oder ein Neanderthaler? Klingt nicht plausibel. 

Anscheinend meinen wir mit  "entdecken", es wahrnehmen und diese Wahrnehmung für den Rest der Menschheit zugänglich zu kommunizieren und zu dokumentieren. Die kulturellen Voraussetzungen dafür haben wir allerdings erst seit vielleicht 4.000 Jahren - wenn wir sehr, sehr optimistische Annahmen zugrundelegen. 

Demnach müsste der Teaser des obengenannten Artikels lauten: "180 Millionen Jahre lag das Fossil rum, und seit 4.000 Jahren hätten wir es entdecken können, aber niemand hat's gefunden."

Warum ich solang darüber räsoniere?  Weil ich vermute, dass die Formulierung "180 Millionen Jahre war es unentdeckt" in temporaler Hinsicht genau derselbe Ego-Zentrismus ist, wie "Kolumbus entdeckte Amerika" in kultureller und geographischer Dimension. Wir vereinnahmen 180 Millionen Jahre als potentielles menschliches Betätigungsfeld, eigentlich die gesamte Ewigkeit vor uns und alle zukünftigen Ewigkeiten. 

Mehr Bescheidenheit stünde uns gut an. Machen wir uns bewusst, dass unsere Art mickrige 30-40.000 Jahre alt ist und dass unsere biologische Zukunft keinesfalls nochmal so lange dauern wird, wenn wir so weitermachen wie bisher.  





(verändert via wiki commons)
Irgendwann hast Du einfach keine Lust mehr, immer nur zu grübeln und zu diskutieren...!








Freitag, 7. Januar 2022

Hoffnung in der Digitalisierung

2013 verstarb meine Frau, und ich löste alsbald ihre nachgelassenen Bankverbindungen auf. Das klappte  ziemlich reibungslos, bis auf  ein Konto bei der C*****zbank. Letztere schickt der Verstorbenen nach wie vor alljährlich im Januar ein Schreiben mit Informationen für Einleger, so auch in diesem neuen Jahr. Anfangs hatte ich ein paar Mal nachgefragt, was das solle, ob ich denn etwa ein Konto übersehen hätte usw., und jedes Mal teilte man mir mit, neinnein, das sei nur ein Versehen, da werde wohl eine alte Datenbank verwendet, ein Irrtum, den abzustellen man sich nun aber wirklich, dieses Jahr aber ganz, ganz wirklich, versprochen, dringlichst bemühen werde ...

Ich beklage mich nicht. Interveniere auch nicht mehr. Im Gegenteil, ich betrachte derartige Phänomene mittlerweile als hoffnungsvolle Zeichen in, ach, so digitalisierten Zeiten. Die Konzerne gieren und grapschen blindwütig nach unseren Daten, wie der Leibhaftige nach unseren unschuldigen Seelen. Mitunter erwische ich mich dabei, der Global-governance-Paranoia zu verfallen und anzunehmen, wenn jemand die über meine Person gesammelten Daten so richtig akribisch auswerte, dann könne er*sie wirklich umfängliches Wissen über mein Konsumverhalten, meine politische, religiöse und sexuelle Orientierung etc. etc. generieren. 

Das ist aber Quatsch, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, und damit komme ich auf die C'bank zurück, sind die Leute einfach NICHT so grenzenlos schlau, wie man es für ein Data-mining-Projekt zur Erringung der Weltherrschaft sein müsste. Die Informatiker*innen der C'bank sind mit Sicherheit hochkarätige Leute. Aber sie können sich nicht auch noch um die plöterige Datenbank einer plöterigen Unter-Unterabteilung des Marketings kümmern. Es gibt Grenzen. Und unterhalb dieser Grenzen gedeihen Millionen winzigkleiner Fehler, die in einem riesengroßen System in summa offensichtliche Probleme verursachen. 

Zweitens: Wer will, und die Konzerne und Werauchimmer wollen unbedingt, kann jede Menge Daten über mich zusammentragen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass jeder Versuch, daraus ein schlüssiges und für niedere Zwecke verwertbares Profil meiner Person abzuleiten, scheitern wird ¹. Denn ich bin ein wenig vorsichtig, emitiere relativ wenige persönliche Daten pro Zeiteinheit - und es ändern sich meine Prioritäten und Vorlieben zu schnell. Siebeneinhalb Jahre alte Daten wie bei der C'-bank? Du liebe Güte! Vor sieben Jahren war ich ein komplett anderer Mensch. Woher soll ein Data-Miner wissen, ob das Profil von mir vom letzten Jahr noch aktuell ist? Ich selbst würde sagen, dass nein. Und wenn man mir datensüchtenderweise noch dichter auf die Pelle rückte, beeinflusste dies mein Verhalten und wir hätten das schönste Beobachterparadoxon.

Fazit: Es gibt hinreichende systemtheoretische Argumente, die gegen die Annahme sprechen, Digitalisierung könne Global-governance-Projekte befeuern. Die Menschen sind zu blöd, die Methoden scheitern an der Unschärferelation.



(via wiki commons, Ary Scheffer, 1854)

  

¹ Natürlich kann man so ein paar Eckdaten herausfiltern, wie "alter weißer Mann, nicht verarmt und nicht ganz doof" aber, bitte, das konnte man schon vor 100 Jahren, dazu bedarf es keiner Digitalisierung.








Mittwoch, 5. Januar 2022

Corona-Rätselspaß


Jetzt kommt die Premium-Aufgabe zum Lese-Verstehen:

Lesen Sie den verlinkten Text über die Kultusminister*innen-Konferenz zur aktuellen Corona-Situation an Schulen, insbesondere zum onabänderrrlichen Willen zum Prrräsenzunterrricht und markieren Sie alle Textpassagen zu den Wortfeldern "Risiko für Lehrer*innen", "Fürsorgepflicht des Arbeitgebers" und / oder "Lehrer-Life matters"!    

Diskutieren Sie das Ergebnis mit Ihrer*m Kolleg*in. Wir sammeln die Ergebnisse anschließend in einem virtuellen shit-storm der Hilflosigkeit.













 

Freitag, 31. Dezember 2021

Prekäre Prioritäten


Bemerkenswert, wie das Feuerwerks-Verkaufs-Verbot diskutiert wird: Die Branche greint und windet sich wie gewöhnlich, droht damit Arbeitsplätze abzuschießen und zweifelt langjährige Statistiken an. Dagegen argumentieren Verantwortliche mit der real existierenden, corona-bedingten Überlastung des Gesundheitssystems, speziell der Intensiv-Stationen.

Bemerkenswert finde ich, dass es für uns ganz normal geworden ist, den je persönlichen Profit der an der Lieferkette Beteiligten als Argument an sich (!) zu betrachten. 

Die appen Hände, die zerstörten Augen der Betroffenen interessieren in Wirklichkeit genausowenig wie die Mitarbeiter*innen der Intensiv-Stationen, die, beklatscht aber nicht belohnt, seit über 20 Monaten jenseits des Limits arbeiten und wissen, dass eine Marginalie wie 5 % mehr Intensiv-Patienten das Fass zum Überlaufen bringen könnte. 

Fazit: Das Anliegen entgrenzt profitgeiler Egoisten findet mediales Gehör und ist um seiner selbst willen wichtig. Die Opfer und die Solidargemeinschaft müssen sich ob ihres Standpunktes verteidigen. (Vgl. auch Klimawandel, Umwelt, Finanzsystem, etc. etc. etc.)

Klarstellung: Die Opfer selbstverursachter Böller-Unfälle genießen meinerseits nur sehr begrenztes Mitleid. ¹ Wenn zurechnungsfähige Erwachsene sich eigenverantwortlich Hand, Augen, Zähne oder sonstwas wegböllern, warum sollte dann die Solidargemeinschaft helfen? Antwort: Weil das so ist. Eine Solidargemeinschaft muss sich auch und gerade um die Schwachen kümmern. Auch, wenn es Idioten sind. 

Den Mitarbeiter*innen der Intensiv-Stationen wünsche ich viel Kraft heute Nacht!




(stark verändert via: 14-tagebuecher.de)
"Tja, da ham wa ebbent Schpass dran!"


¹ Wir haben hier wieder ein schönes Beispiel für meine Gesellschaftstheorie, nach der egomanische Arschlöcher alleine kein gesellschaftliches Problem gestalten können. Es braucht immer die Masse hirntoter Idioten, die mitlaufen.