Frage: Du betonst immer, als Tao-Übender dürfest Du keine Partei ergreifen. Aber für die Freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Menschenrechte setzt Du Dich sehr massiv und offensiv ein. Das ist widersprüchlich, oder?
Antwort: Mag so scheinen. Die Menschenrechte sind eigentlich nur eine langatmige Paraphrase der Forderung, Menschen sollten einander in Mitgefühl und gegenseitiger Hilfe begegnen. Der Begriff "Menschenrechte" erinnert daran, dass 1948 die überwältigende Mehrheit aller Staaten sich dazu in einem entsprechenden Abkommen verpflichtet haben.
Frage: Aber die Realität ...
Antwort: Erbärmlich. Beschämend. Aber das liegt an den Menschen, nicht an der selbstgegebenen Charta.
Frage: Bei der freiheitlichen Demokratie sieht's aber auch übel aus.
Antwort: Ja. Dafür müssen wir kämpfen! Wir können nur wenig tun, wenn die Mehrheit der Menschen in der Türkei, auf den Philippinen, in den USA, China, Polen, Israel, Ungarn beschliessen, die Menschenrechte nicht mehr zu wollen. Aber die FDGO geht unser Land an, und da können und müssen wir kämpfen.
Frage: Weil?
Antwort: Die FDGO ist so einzigartig, weil sie ein System ist, mit dem man einerseits gesellschaftliches Leben organisieren und koordinieren kann und das andererseits die Chance zur dauerhaften Akkumulation politischer Macht möglichst weitgehend minimiert. Totalitär organisierte Gesellschaften können zweifellos schneller und rücksichtsloser agieren, als freiheitliche. Das macht den Reiz aller politischen bzw. religiösen Fundamentalismen aus, und diesem Reiz erliege ich auch mitunter¹. Aber: Absolute Macht korrumpiert absolut. Es gibt kein Beispiel, bei dem das nicht passiert ist. Null. Und hinterher waren stets viel mehr Menschen unglücklich, verletzt, zerstört als vorher.
Nein, wir brauchen diesen langatmigen, komplizierten, fehleranfälligen, diskursbasierten, piefigen, nervtötenden, teils verlogenen, teils korrupten, teils hirnzerfetzend dämlichen politischen Prozess, den wir Demokratie nennen.
Demokratie bedeutet idealerweise, Macht wird irgendwie ausgeübt, und gleichzeitig gilt es als verachtenswert, als ethisch untragbar, an der Macht festzuhalten. Es ist gut, dass wir unseren Plittkörrn einerseits zeitlich begrenzt politische Macht geben und sie andererseits immer ein bisschen dafür verachten, dass sie sie ausüben wollen.
Dieser Widerspruch gefällt den Meistern des Tao. 👍
¹Was würde Friedrich II von Preußen, der "Alte Fritz", angesichts der Corona-Krise machen?
Und wie oft wünsche ich mir, "Absoluter Chef von der Welt" zu sein. Nur eine Zeit lang, sagen wir, ein paar Jahre. Die Welt wäre hinterher ein bess'rer Ort, ich schwör's!