Habe gerade mal die Blog-Artikel der letzten Wochen überflogen. Stelle auffällige Häufung von
Vulgarismen fest, insbesondere "Arschloch", "Idiot", "Scheiße (im Kopp)" und "hirntot". Nach brutalstmöglicher Introspektion stelle ich fest, dass diese Begriffe zu Platzhaltern in der Beschreibung endlos sich wiederholender Sachverhalte geworden sind.
Das Arschloch
Sieht man von echten Naturkatastrophen ab, so steht am Anfang einer jeden Kausalkette, die am Ende zu vielfachem menschlichen Leiden führt, ein machtbesessener alter Mann. Das kann der Chef einer
global operierenden Investmentgesellschaft sein oder ein fundamentalistischer religiöser / politischer Führer. Es sind Leute, die sich daran ergötzen, Macht zu akkumulieren und einzusetzen, d.h. das Verhalten anderer Menschen bestimmen zu können. [*1]
Die Idioten
Idioten sind die Leute, die auf der anderen Seite der Macht stehen, also von den -> Arschlöchern dominiert und gelenkt werden, UND DAS AUCH NOCH GUT FINDEN. Beispiele sind die verarmten US-Wähler, die Trump auch heute noch bewundern. Orthodoxe Katholiken. Erdogan-Fans. CSU-Wähler. Islamisten. Unkritische Konsumenten. etc. etc. etc. etc. etc. etc.
Die Scheiße im Kopp
Warum kennen so viele SchülerInnen, die die ungefähre Dauer des Dreißigjährigen Krieges nur mit erheblicher Hilfestellung memorieren können, das Geburtsdatum Adolf Hitlers, obwohl der doch die Mauer zur DDR gebaut hat?
Nein, es geht nicht darum, sich über mangelndes Wissen lustig zu machen. Es geht um dieses gefährliche Un-Wissen, eigentlich Anti-Wissen, das einen netten, freundlichen, normal paddeligen, normal liebenswürdigen Achtklässler zu der Formulierung bringt, nur Sprosse aus fünfter deutscher Generation dürften sich "Deutsche" nennen, alle Anderen seien Ausländer und gehörten nicht hierher? Das hat der sich nicht selbst ausgedacht, dazu ist er (eigentlich[!!!]) zu schlau. Wie kommt dieses Anti-Wissen in die Köpfe der Leute? Warum ist diese Art von "Wissen so attraktiv, so scheinbar leicht eingängig? Warum kapiert niemand, dass dieses Anti-Wissen nur den Arschlöchern hilft?
hirntot
"Hitler hat die Macht ergriffen." und "Hitler hat die Juden ermordet." Beides falsch. Ein paar Arschlöcher und sehr viele Idioten haben Hitler die Macht geradezu aufgedrängt. Und von den entsetzlichen Gräueltaten hat Hitler selbst keine einzige begangen [*2], das haben alles Idioten mit SEHR viel Scheiße im Kopp für ihn erledigt. Aber auf keinen Fall wollen wir nochmals greinende Sätze hören, wie "Nicht schuldig! Ja, ich war ein verführter Idiot, und die Arschlöcher haben mir Scheiße in'en Kopp getrichtert, was kann ICH dafür?"
Mit dem Schlagwort "hirntot" kommt also der Aspekt der individuellen ethischen Verantwortung ins Spiel. Es ist nicht so, dass wir, jede/r Einzelne, das Wissen nicht hätten, z.B. zu erkennen, dass wir mit unserem ultra-konsumistischen Lebensstil die Zukunft unserer Spezies in die Grütze hauen. Und es ist auch nicht so, dass die Folterer des IS oder der SS oder die Besatzung der "Enola Gay" oder die Leute, die fordern, Flüchtende einfach irgendwo verrecken zu lassen, ohne einen Funken Barmherzigkeit geboren worden sind. Man muss sich schon aktiv selbst manipulieren, Teile des Denkens und Fühlens bewusst abschalten, um diesen Schwachsinn mitzumachen. [*3] In diesem Sinne ist das Prädikat "hirntot" eigentlich nicht mal vulgär. "Auto-Lobotomie" wäre präziser, aber das versteht ja kaum jemand.
Kurz & schlecht:
Wenn man das Weltgeschehen allzu lange betrachtet und nach (Hinter-)Gründen sucht, stößt man auf wiederkehrende Phänomene, und es ist einfach praktisch, diese Dinge mit zusammenfassenden Symbolen zu bezeichnen. So funktioniert sprachgebundenes Denken.
Dass die von mir gewählten sprachlichen Symbole eher aus dem derben Bereich unserer an Höhen und Tiefen, ach, so reichen Sprache stammen, liegt daran, dass ich den bezeichneten Phänomenen eben nicht neutral gegenüberstehe, sondern sie ganz klar ethisch bewerte und das auch ganz deutlich kommunizieren möchte.
Wenn die rechten Arschlöcher so knusprige Begriffe wie "völkisch", "Umvolkung" und "Ausländer raus!" verwenden, dann kann ich frühestens im zweiten oder dritten Schritt therapeutisch zugeneigt überlegen, welche frühkindlichen Traumata zu dieser problematischen Xenophobie geführt haben könnten. Zunächst einmal muss in der öffentlichen Diskussion unmissverständlich klargestellt werden, dass hier ein -> Arschloch -> Scheiße redet.
(via wiki commons)
"Enola Gay" hieß das Flugzeug, das die erste Atombombe nach Hiroshima trug.
Diesen Text widme ich Barbara W. aus W., die für mich ein (unerreichbares) Vorbild für die Fähigkeit ist, jederzeit, auch in kontroversen Situationen, mit Freundlichkeit, Zugewandtheit, Ruhe, Sachlichkeit und vor allem Stil zu agieren.
[*1] Je mehr das von den Arschlöchern oktroyierte Verhalten den eigentlichen Interessen der Opfer widerspricht, desto wohliger wird's dem Arschloch. Beispiel: Selbstmord-Attentate. Was muss das für ein Machtrausch sein, einen Menschen so weit manipulieren zu können, dass er sein (meist junges) Leben nebst dem einiger Anderer zu opfern bereit ist. Oder: Eine ganze Gesellschaft zu einem Lebensstil zu verführen, von dem JEDE/r weiß, dass er zur Ausrottung der eigenen Art führen wird. Beispiellos in der bekannten Geschichte des Universums!
[*2] Jaja, da ist der Mord an Röhm, aber den buche ich eher nicht als Nazi-Verbrechen, sondern (mit klammheimlicher Freude) unter der Rubrik "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich." oder so.
[*3] Tiere sind zu sowas nicht im Stande, wir schon. Auf diesen Unterschied
zwischen Mensch und Tier lege ich sogar großen Wert, und deshalb maße ich
mir übrigens auch ethische Urteile über meine Mitmenschen an, und
versuche umgekehrt, mein Verhalten vor ihnen ethisch legitimieren zu
können. Auch das machen Tiere nicht. Aber das ist eine andere Geschichte ...