Dienstag, 4. Oktober 2016

Hogwarts-Didaktik


Nachklapp zum vorangegangenen Artikel:

Habe neulich beiläufig meine AchtklässlerInnen gefragt, ob unsere Schulen mehr wie Hogwarts [*1] sein sollten. Spontane Begeisterung. Habe weitergefragt, ob das auch gelte, wenn es keine Zauberei gäbe und man berücksichtige, dass die Ausbildung in Hogwarts nicht eben viel Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit der Schülerinnen und Schüler nähme und dass die LehrerInnen sehr streng, sehr fachegoistisch, teilweise ziemlich durchgeknallt, teilweise brutal strafend und keineswegs fair oder gar "nett" seien. Kurze Besinnung, dann: Ja, trotzdem. Da sei wenigstens "was los".

Hatten keine Zeit, das zu vertiefen, aber ich versuche zu verstehen.

Ivan Ilich sagt: "Das meiste Lernen findet nicht durch Unterricht statt, sondern durch ungehinderte Teilnahme in relevanter Umgebung." Die Ausbildung in Hogwarts ist schon für Elfjährige vom ersten Tag an relevant und zwar in dreifacher Hinsicht:

  • Erstens ist bei jedem Unterrichtsinhalt eigentlich selbsterklärend, warum die SchülerInnen dieses Wissen benötigen und falls einer es nicht kapiert, sind ausnahmslos alle LehrerInnen in der Lage, spontan drastische und konkrete Beispiele aus der Lebens- bzw. Sterbewirklichkeit zu liefern.
  • Zweitens ist bei jedem Unterrichtsinhalt eine ethische Bewertung klar und quasi als Imprematur permanent mitgedacht. Mad Eye Moody, Fachlehrer für die "Verteidigung gegen die dunklen Künste", unterrichtet nicht blöde "Hau-drauf-Techniken", sondern "unverzeihliche Flüche".
  • Drittens existiert der Lehrplan nicht losgelöst von der Alltagspraxis, sondern, im Gegenteil, spielt die Alltagspraxis ganz konkret in die Unterrichtspraxis hinein. Zauberei-Minister Fudge fragt den Schulleiter um Rat bei einem verzwickten Problem, der konsultiert entsprechende FachlehrerInnen, die wiederum unter Mithilfe der SchülerInnen fachbezogene Lösungen erarbeiten. [*2]

Vergleichen wir das mal mit einem Schulsystem [*3],

  • in dem Medienkonzerne qua Lobbyarbeit bei notorisch inkompetenten KultusministerInnen geschafft haben, die Lufthoheit über Strukturen und Inhalte zu gewinnen und für sich profitabel zu machen, 
  • in dem nahezu ausschließlich kapitalistische Verwertungsinteressen Erfolgskriterien sind,
  • in dem ein Lehrer während eines Klassentagesausfluges nicht mal sagen darf "Ja, ok, lass uns 'ne Runde Fußball spielen!", weil er ja kein Sportlehrer ist und ergo eine Anweisung gegeben haben würde, deren Risikobewertung ihm fachlich nicht zustünde und der, falls einer/m SchülerIn dabei eine Verletzung widerführe, versicherungstechnisch ganz, ganz schlecht dastünde. 
  • in dem Helikopter-Eltern ...

Ach was soll's! Die Liste wäre ewig lang, aber der Tenor ist klar, oder?

Und nun, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kultus-EntscheiderInnen, lasst uns nach Hogwarts reisen, auf zum Gleis 9 3/4!

  • Projektunterricht, Projektunterricht, Projektunterricht.
  • Aufhänger grundsätzlich aktuelle und kritische Themen: Klimawandel, Wasserkriege, Flüchtende etc. etc.  ... Die Welt ist groß und bunt und spannend.
  • Auflösung der Fachstrukturen. Aufgabe der FachlehrerInnen ist nicht mehr die kleingeistige, sklavisch-selbstverdummende Befolgung des Kompetenzgeschwurbels der sich selbst legitimierenden und eigentlich überflüssigen Staatssekretäre im KM, sondern das jahrgangsangemessene Kleinarbeiten der "großen Themen". Dazu sind kritisches Verantwortungsbewusstsein, pädagogische Kompetenz und die Fähigkeit zur Teamarbeit Voraussetzung.
  • LehrerInnen als ModeratorInnen und OrganisatorInnen eigenverantwortlichen Lernens der SchülerInnen ....

Bla, bla, bla, Opa erzählt vom Krieg ... Das sind uralte Forderungen, erwiesenermaßen erfolgreiche Konzepte, das gab's alles schon.

Und dann kam Du-weißt-schon-wer und machte alles kaputt. Kein Happy-End. Nur noch endlose Traurigkeit und Langeweile, Ödnis, Resignation und Verzweiflung ... und irgendwer frisst die Seelen unserer Kinder.




(verändert via fantasy-foren.de)






[*1] Nicht zu wissen, dass Hogwarts die Zaubererschule in Harry Potter ist, ist eine Bildungslücke. Eine große. Ein Tiefseegraben von Bildungslücke. Zur Strafe sofort den ersten Band lesen. Kennt man den, kennt man alle, genauer: Die folgenden werden kontinuierlich schlechter.

[*2] Ja, das ist jetzt etwas idealisiert, sogar für Hogwarts-Verhältnisse. Tatsächlich: Fudge greint, Dumbledore plant, Harry rockt, alle anderen sind mehr oder weniger Staffage.

[*3] Wir reden hier natürlich nicht vom niedersächsischen Schulsystem, sondern ... mmmh ... von einem ganz, ganz doofen Schulsystem in einem Land far far away.




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